Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Das verwünschte Dorf

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Das Vögelein Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Das ewige Licht in der Lorenze
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[74]
47.
Das verwünschte Dorf.

In der Flurmarkung von Dillstedt liegt eine Wüstung, die hat jetzt den Namen Germelshausen; da hat vor Zeiten ein Dorf gestanden, das war schon im Jahre 800 vorhanden, und wurde Geruvineshusen geschrieben. So seltsam wandeln sich im Laufe der Jahrhunderte die Namen der Ortschaften um. Dieses Dorf schwand von der Erde hinweg, ohne daß man zu sagen weiß, wie? Im Jahre 1267 war es noch vorhanden, und im Jahre 1464 wird es schon in Erbzinsregistern des Klosters Rohr eine Wüstung genannt. Es ist mit demselben gegangen wie mit dem [75] verschwundenen Gertles (s. Sage 37.). Die Sage geht, Germelshausen sei verwünscht worden; von wem und weshalb? das verschweigt sie. Bisweilen findet und sieht es wol Einer, aber das soll gar nicht gut sein. Es mögen wol hundert Jahre her sein, daß der Feldscheerer von Diezhausen durch den Grund kam, der von Marisfeld herab nach Rohr zieht, dem Görtzbach entlang, da kam er durch ein Dorf, sah die Leute in die Kirche gehen, aber in düstern grauen Kutten, altväterisch und wie die Tracht von lauter Leidtragenden. Er ging durch das Dorf und kam nach Rohr, wo alles in bunter Tracht einher ging, und fragte nach dem Dorfe, durch das er gekommen sei, von Marisfeld herunter, aber da sagten die Leute: Zwischen Rohr und Marisfeld liegt kein Dorf.

An einem Dillstedter Kirmsentage ging ein Wichtshäuser Mann, der Schuhmacher Heinrich Messing, aus Altenberga gebürtig, von Wichtshausen aus nach Marisfeld. Er kannte diese Gegend nicht, und betrat sie zum erstenmale. Da lag ein Dorf vor ihm, dessen Häuser er sah, dessen Hähne er krähen hörte, und vor ihm her ging eine Frau, die eilte dem Dorfe zu. Der Heinrich Messing rief diese Frau an, sich bei ihr des Weges zu befragen, aber sie antwortete nicht und schien ihn nicht hören zu wollen, und er konnte sie nicht ereilen, und endlich führte sein Weg auch gar nicht in jenes Dorf hinein. Am Wege aber lag ein Teich, der war ganz eingeraset und fast ohne Wasser, und der Mann wunderte sich darüber, daß man den schönen Teich so gänzlich vernachlässigt habe. Indessen kam der Schuhmacher glücklich nach Marisfeld, verrichtete sein Geschäft, sah aber bei der Rückkehr auf demselben Wege weder jenes Dorf, noch jenen Teich. Nach [76] Wichtshausen zurückgekehrt, fragte Messing einen Nachbar nach dem Namen jenes Dorfes, und erzählte ihm, was ihm begegnet, auch daß er das Dorf auf dem Rückwege nicht wieder gesehen. Da nahm jener Mann eine sehr ernste und bedenkliche Miene an, und sagte: Es ist sehr gut, daß Ihr jener Frau nicht weiter gefolgt seid – sie hätte Euch vielleicht so geführt, daß Ihr nimmer wieder gekommen wäret. Ohne Zweifel habt Ihr das verwünschte Dorf Germelshausen gesehen, das dort herum gelegen hat, und es ist dort gar nicht geheuer.