Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Das wilde Heer im Werrathale

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Frau Holle und der treue Eckart Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Wichtlein im mittlern Werrathale
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[67]
43.
Das wilde Heer im Werrathale.

Das „wütheninge Heer,“ wie die Leute in dieser althennebergischen Landschaft sagen, nahm seinen Strich von [68] Schwarza herunter durch das Haselthal (die Hasel rollt von Suhl herab und in diese fällt in der Nähe von Rohr die Schwarza ein), über Rohr, Ellingshausen und Grimmenthal in das Werrabecken, in welchem in geringer Entfernung von einander 5 Thäler zusammenstoßen. Einmal streift es das Jüchsethal aufwärts, da wollen alte Leute im Dorfe Neubrunn es zum öftern gehört haben. Dort zog es, wie die Alten erzählen, immer durch 3 bestimmte Häuser, das kam aber daher, weil diese Häuser so beschaffen waren, daß in der Flur drei Thüren in gerader Richtung hinter einander sich befanden, vorne die Hausthüre, in der Mitte eine Flur- oder Küchenthüre und dann in der folgenden Wand die Hofthüre. Solche Thürstellung gab dem wütheningen Heere Macht, selbst durch Häuser zu ziehen. Dasselbe geschah in dem Dorfe Untermaßfeld, durch welches der Zug sich nach dem Thälchen der Sulza, nach Sülzfeld zu, wandte. Dort fuhr es über den Zinken-Still (ein Theil des Waldes Still) durch die nahe Wüstung „Reumles“ und über deren noch immer verrufene Brücke, wo ein Kreuzweg ist, und wo es nächtig spuken soll, hinauf auf das Plateau, auf dem das Dorf Dreißigacker liegt. Dort erinnere ich mich selbst aus meiner Jugend, die ich in Dreißigacker verlebte, von Leuten die Aeußerung vernommen zu haben: „Heut Nacht ist das wüthige Heer durchs Dorf gefahren.“ Von Dreißigacker nahm es dann den Zug nach dem Haßfurtwalde, und von da am Geba-Berge hin in den Rosagrund; dort hört man in Rosdorf viel davon erzählen, und dort, wie in den übrigen genannten Ortschaften kennen die Bewohner auch Schutzmittel gegen den wilden Heeres-Spuk. Wenn man es nahen höre, müsse man sich niederwerfen, und schweigend, [69] mit nach dem Boden gekehrten Gesichte verharren, bis es vorübergebraust sei, sonst habe man zu befahren, daß man mit hinweggeführt und über Wald und Wipfel gerissen werde. Wer es gerne sehen will, darf bei Leibe nicht ohne Weiteres danach umschauen, sonst läuft er Gefahr, daß ihm der Hals gebrochen werde, sondern er muß seinen Kopf durch die Speichen eines Wagenrades stecken, da wird er alles gewahr und sieht am Ende mehr als ihm lieb ist, und kann die Erinnerung an seine Schrecken all sein Lebetage nicht wieder los werden.