Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Frau Holle und der treue Eckart

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Sagenhaftes von Rohr Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Das wilde Heer im Werrathale
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42.
Frau Holle und der treue Eckart.

Eine Wegstunde überm Dorfe Rohr liegt der preußische Stadtflecken Schwarza. Dort ist es einstmals geschehen, daß die Frau Holle in den Zwölften mit ihrem wüthenden Heere hindurchzog „vor welchem der treue Eckart hergegangen, und die Leute gewarnt, daß sie sollten aus dem Wege gehen.“ Da fügte es sich, daß demselben zwei Knaben aufstießen, die aus dem nächsten Dorfe Bier geholt, und als sie die Schatten ansichtig wurden, versteckten sie sich in einen Winkel. Einige Furien aber eilten nach, nahmen ihnen ihre Kannen ab und tranken das Bier aus. Wie nun alles vorübergezogen war, wagten sich die erschrockenen Knaben schüchtern hervor, und schickten sich an, betrübt nach Hause zu gehen, denn sie hatten kein Geld anderes Bier zu holen, und wußten nicht, was sie vorwenden sollten, wenn sie mit leeren Kannen kämen. Wie sie nun noch unentschlossen mit einander berathschlagten, kam der treue Eckart zu ihnen, und sagte: Ihr habt wohl gethan, ihr Knaben, daß ihr euer Bier freiwillig hergegeben, sonst wären euch von den Furien die Hälse umgedreht worden. Gehet nur getrost mit euern Kannen nach Hause, sagt aber unter drei Tagen niemandem, was ihr gesehen habt und was geschehen ist. – Die Knaben leisteten dem treuen Eckart willige Folge und wie sie nach Hause kamen, [67] so waren die Krüge voll, und wer davon trank, dem schmeckte das Bier nach mehr, und es nahm nicht ab, so wacker auch davon gezecht wurde. Und so lange die Kinder schwiegen, so lange ging das Bier nicht zu Ende, bis die 3 Tage herum waren, und die Knaben nun zu plaudern wagten, da war nun zwar der Durst allseitiger Neugier gelöscht, aber der Durst nach noch mehr von dem trefflichen Biere fand keine Löschung mehr, denn die wachsende Fluth in den Kannen war versiegt. Der Schriftsteller welcher einem früheren diese Geschichte nacherzählte[1], fügte ihr gar klug und weise die Nutzanwendung hinzu: „Das sind nun freilich solche Historichen, welche die Bauern in der Schenke auf den Bierbänken, oder die Mägde beim Spinne-Rocken einander erzählen.“ – und hatte gar keine Ahnung davon, welches günstige Zeugniß für eine Sage er niederschrieb, und wie er der örtlichen Sage dieser Gegend einen Vorschub leistete. Wir aber können nun von Schwarza aus den wilden Heeres- und Hollenzug in dieser Gegend vom Thüringerwaldgebirge hinüber auf Gefilde fränkischen Bodens verfolgen.


  1. Johann Heinrich von Falckenstein: Thüringische Chronik. Erfurt 1738. 4. I. S. 166.