Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Erscheinende Jungfrauen
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Erscheinende Jungfrauen.
Auch in und um Brotterode ist die so weit verbreitete Jungfrauensage heimisch. Ueber dem Orte soll das Schloß eines Grafen Bruno oder Brunwart gestanden haben, daher der Ort früher Brunwartsrode nach diesem ersten [269] Herrn und Gebieter genannt worden sei. Alle sieben Jahre zeigte sich diese Jungfrau, von einem Hündlein begleitet, und sprach leise vor sich hin:
Ein Knäblein, ein Knäblein
Von sieben Jahren,
Mit weißen Haaren,
Kann von dem bösen
Bann mich erlösen.
Manche sagen, die Gräfin, die in der Burg gelebt, sei eine stolze und herrische Schönheit gewesen, die nichts lieber gehabt, als ihr schönes langes Haar, daher sie sich auch eigens eine Dienerin darauf gehalten, ihr das Haar zu strählen. Es konnte dabei nicht fehlen, daß die Herrin, die sehr ungeduldiger Natur war, mit solchen Dienerinnen oft wechselte, da es ihr keine zu Dank machte, und es sehr schwer war, das schöne lange Haar in Ordnung zu halten, und beim strählen so zu verfahren, daß es die Besitzerin nicht zu Zeiten was weniges rupfte. Da kam auch einmal eine solche Strählersche, wie die Brotteroder statt Strählerin sagen, zu dieser stolzen und strengen Gräfin, das war ein Wünschelfräulein, dem die Gabe gegeben war, daß alles geschah, was es wünschte. Ueber dieselbe gerieth bald genug die Gräfin, wie über alle, die vor jener dieselbe Stelle bei ihr bekleidet hatten, in grimmigen Zorn, und wünschte der Strählerin dieß und das schlimme und ungute, und gab ihr so lange heftige Worte, bis in der Strählerin endlich auch der Zorn aufwallte, und sie die Worte ausstieß: Ei so wünsch’ ich, daß Ihr sammt mir und dem ganzen Schloß gleich zwanzig Klafter tief unterm Erdboden säßet. Krach! da erzitterte der Bau und begann alsbald zu sinken, und die [270] Erde schloß sich über ihm und allen seinen Insassen. Nun aber hatte das Wünschelfräulein seinen letzten Wunsch noch zu thun, aber, statt sich die ewige Seligkeit zu wünschen, wünschte es nur von Zeit zu Zeit herauf an’s Tageslicht zu kommen, um zu sehen, wie es da oben auf der Erde beschaffen sei, und sich dabei auch ein wenig sehen zu lassen. Viele sagen, die Gräfin dürfe dann auch mit herauf, und sich dann ihr Haar in der Sonne strählen lassen, müsse aber mäuschenstille dabei sein und dürfe nimmermehr wieder zanken. Das sei ihre Strafe, weil sie beim Erdenleben zu viel gezankt.
In einem Keller zu Brotterode, und zwar in dem des alten Gemeindewirthshauses, hat sich ein Geist in Gestalt einer Flitterbraut gezeigt, und in der Küche eine Brautzüchterin (anderorts Kränzlerin, Brautjungfer). Die Letztere griff immer ängstlich und hastig nach einer kleinen Lücke in der Wand, bis ein Mann gewahrte, daß aus der Oeffnung einige Fädchen heraushingen. Er faßte sie, zog daran, und es folgte ein altermorsches Beutelchen von Leinwand, das nur ein paar alte schimmelige Silbergröschlein enthielt. Damit war die Züchterin erlöst. Die andere, die Flitterbraut, fand später ebenfalls ihre Erlösung. Sie war Hütherin eines Schatzes, der dadurch glücklich gehoben wurde, daß sie der Tochter des Hauses erschien, und daß diese sie anredete, weil sie glaubte, es sei eine Freundin, die an diesem Tage just Hochzeit hatte, und deren Hochzeit im Wirthshause ausgerichtet wurde. Der Schatz wurde gehoben, der Wirth wurde zum reichen Manne, aber die Tochter begann zu kränkeln, und starb bald darauf, nachdem sie die Erscheinung der Flitterbraut erblickt und mit derselben gesprochen hatte – denn es [271] ist nicht gut, mit Geistern zu sprechen, und man sagt, daß von denen, die der Hebung eines Schatzes beiwohnen, stets einer oder zwei bald sterben müssen.
Von Geistern und Schätzen gehen in Brotterode viele Sagen, die einander meist sehr ähneln. Auch Hirtensagen sind in diesen waldigen Gebirgshöhen und Thälern heimisch von vielerlei Spuk. Nahe beim Orte liegt ein Berg, heißt der „Ave Maria,“ darauf hat ein Kapellchen gestanden, in dem zum Ave geläutet wurde. Ein wunderlicher Felsen in der Nähe heißt „die Kirche,“ und ein anderer Fels daneben die Kanzel. Auf dieser läßt sich ein gespenstiger Schulmeister sehen, mit einem Gesichte wie Spinneweben und Spucke. Selbiger hält Volksreden trotz einem Schulmeister im Jahre des Heils 1848, daß den Leuten hören und sehen vergeht und alles davon läuft.
Auf dem Wege von Broterode nach Tabarz kommt man an einer Felsreihe vorbei, die heißt „die ungeheure Mauer,“ nicht von ungeheurer Größe, sondern von der gespenstigen Ungeheuerlichkeit, denn vielen ist es begegnet, die dort vorbeigingen, daß sie wispern und sprechen hörten, und zwar wurde zu ihnen gesprochen, und doch sahen sie niemand und verstanden nicht, was gesprochen wurde, fast wie im Wisperthale und am Wisperbache ohnweit Lorch am Rhein.