Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Graf Ludwig mit dem Barte

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Der Hirte von Mechterstätt Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Wie die Wartburg erbaut ward
{{{ANMERKUNG}}}
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[140]
85.
Graf Ludwig mit dem Barte.

Die letzten Sagen aus dem Gebiete des Hörseelenberges deuten nach der nahen Wartburg, und leiten zu einem neuen großen und reichen Sagenkreise hinüber, zu dem schönsten Poesiekranze, den das Thüringerland aufzuzeigen hat. So oft und viel ist die Wartburg und das Paradieß ihrer Umgegend in Liedern und Schriften gepriesen, sind die Sagen der Burg und Gegend verherrlicht, oft auch ausgeschmückt worden, daß es völlig genügt, ja daß es nothwendig erscheint, sie in möglichster alter, ungeschminkter [141] Einfachheit wieder zu erzählen, da sie nun einmal in einem Thüringischen Sagenbuche nicht fehlen dürfen. Wozu auch der Schmuck moderner Dichtung für sie, die in ihrer hehren Einfachheit schon hinlänglich schön und unvergänglich sind.

In uralten Zeiten hatte das Erzbisthum Mainz vom Kaiser Otto dem ersten das Thüringerland zu Lehen überkommen. Später war ein Mann vom Geschlechte der Karolinger am Hofe Kaiser Conrads und Gisela’s, seiner Gemahlin, der hieß Ludwig, und wurde groß und gewaltig am Kaiserhofe, und der Kaiser sandte ihn an den Bischof zu Mainz, daß ihn der belehne mit Land und Leuten, wegen besonderer Ansprüche, die Ludwig an den Stuhl zu Mainz hatte. Darauf sandte ihn der Bischof von Mainz nach Thüringen und machte ihn zu einem Vizthum dieses Landes, und gab ihm das Geleite und sonstige Gerechtsame und Einkünfte zu Lehen. Das geschahe im Jahre 1036, daß Ludwig mit dem Barte, wie er genannt wurde von dem langen Barte den er trug, nach Thüringen kam, und daß allen Grafen, Freien, Rittern und Knechten, Bürgern und Bauern geboten wurde, ihm Folge zu leisten und gehorsam zu sein. Ludwig nahm sich alsobald des Landes treulich an, ordnete Zoll und Geleite, setzte Amtleute in Schlösser und Städte, bestimmte und regelte die Grenzen, ließ die Wälder in Thälern und Gründen ausroden, das Land überwachen, baute neue Dörfer, und besetzte sie mit Insassen, die er aus Nähe und Ferne herbeizog. Dann erbauete er eine gute stattliche Burg auf dem Berge über Friedrichrode, und sprach da: „Nun schaue welch eine Burg!“ Da wurde ihr der Name Schauenburg gegeben. Ludwig mit dem Barte aber mehrte fort und fort das [142] Land und kaufte dazu so viel er vermochte, und baute allenthalben mit großen Kosten, so daß man ihn gar lieb in dem Lande gewann. Darauf machte ihn Kaiser Konrad zu einem Grafen von Thüringen, und verlieh ihm das alte Wappen des Landes Thüringen und Hessen, einen bunten Leuen von vier rothen und vier weißen Stücken in einem blauen Felde, und die Zier auf dem Helme mit den Hörnern und silbernen Kleeblättern, wie sie der römische Kaiser golden führte. Und Graf Ludwig gewann einen großen Namen, und vermählte sich mit der Schwestertochter des Herzogs von Braunschweig, durch welche er Sangerhausen, die Stadt und das Gericht, und 7000 Acker Artland ohne die Wälder gewann. Von Cäcilie, seiner Gemahlin, empfing Graf Ludwig mit dem Barte einen Sohn, den ließ er taufen durch den Erzbischof von Mainz in der Pfarrkirche zu St. Johannes auf dem Altenberge, die er neu gebaut hatte auf die Stätte, an welcher der heilige Bonifacius, als er in das Thüringerland gekommen war, eines der ersten Kirchlein gegründet und geweiht hatte, und verband mit der Weihe der neuen Kirche zugleich die Taufe seines erstgeborenen Sohnes, welcher auch Ludwig genannt wurde.