Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Das vergessene Kind
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Das vergessene Kind.
Eine Magd in Oberoppurg sollte für ihre Dienstherrschaft etwas in Rehmen bestellen. Du kannst das kleine Kind mitnehmen – ruft man ihr zu. – Mir auch recht – meinte die Magd, hub das Kind auf den Arm und eilte fort. Als sie an den Chamsenberg kam, sah sie eine Thüre, ein graues Männchen trat daraus hervor, und winkte der Dirne freundlich zu, daß sie hinauf kommen solle. Nach kurzem Bedenken schritt sie auf den erschauten Eingang zu. Bei der Begrüßung gab das graue Männchen der Magd den guten Rath: Sie möge drin im Berge nur kein Sterbenswörtlein sprechen, und wenn sie fortgehe nicht hinter sich zurücksehen, dann dürfe sie ein andres Mal auch wieder kommen. So berathen folgte die Magd dem kleinen Führer. Ein großer Saal schloß sich auf, und darin stand eine Tafel, die von einem Ende bis zum andern reichte. Auf der Tafel aber lagen lauter Stücke Brod und neben jedem Brodstück ein Häufchen Gold. Da nimm – sprach der Berggeist – so viel Du willst, nur aber nimm mit jedem Häufchen Gold auch ein Stück Brod, sonst kommt das [171] Gold Dir nimmer zu Gute. Außer sich vor Freude setzt die Magd das Kind auf die lange Tafel und streicht in ihre Schürze ein, so viel darin sich bergen ließ, drei Viertel Brodes und drei Häufchen Gold. Kein Wort hatte sie über ihre Zunge kommen lassen; ohne sich umzusehen eilte sie aus dem Chamsenberge hinaus, und lief geradewegs wieder auf Oberoppurg zu.
Dort erzählte sie und packte vor der Herrschaft ihre Schätze aus. Aber wo ist das Kind? Ach! das hat sie auf der langen Tafel im Chamsenberge sitzen lassen, und rein vergessen. Ueber Hals und Kopf lief die Magd zurück. Die Thüre stand noch offen, sie trat in den Saal, das Kind saß noch auf derselben Stelle, wohin sie es gesetzt hatte. Doch als sie es aufnehmen wollte, zerfiel es in ein Häuschen Asche.