Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Der Hirsch mit dem goldenen Geweihe

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Das goldene Segelspiel Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band
von Ludwig Bechstein
Der Riesenfinger
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376.
Der Hirsch mit dem goldenen Geweihe.

Ein Kurfürst von Sachsen, Friedrich der Weise, sah einst im Traume einen Hirsch erscheinen, der trug ein goldenes Geweihe mit zwanzig seltsam gewundenen Enden, und diesen verfolgend kam er an ein schön geziertes Bauwerk über einem Brunnen, und am Brunnen saß eine wunderschöne, aber traurige Frau, doch als er sich derselben tröstend nahete, schwand sie hinweg und der Fürst erwachte. Einige Zeit darauf sah er aus seinem Schloßfenster hinab in seinen Wildpark und erblickte jenen im Traume gesehenen [239] Hirsch nun in der Wirklichkeit, ließ schnell satteln, schwang sich auf sein Roß und jagte dem Hirsche nach, dessen Spur ihn zu dem im Traume geschauten Brunnen leitete, und an diesem saß auch das wunderschöne traurige Frauenbild. Nachdem er flehend in sie gedrungen war, ihm ihren Kummer zu offenbaren, that sie dieß in süß verschämter Weise, und er erbot sich darauf ganz in ihren ritterlichen Dienst. Bald darauf ward der Kurfürst geladen zu einem prunkenden Hoffeste, bei welchem die hehre Herrin ganz in Goldstoff gekleidet erschien, und mit einer Fülle der köstlichsten Edelsteine prangte, aber nicht that, als bemerke sie ihren heimlichen Ritter, bis das Fest zu Ende war, da berief sie ihn durch ein Zwerglein in den Garten, und empfing ihn unter einem Baume fröhlich und lachend, und begabte ihn mit einem weißen Schleier und einem Handschuh von ihrer Hand, und hieß ihn eine Meerfahrt thun gen Palästina, ihr zu ritterlichen Ehren. Der Kurfürst hatte wol etwas anderes erwartet, fügte sich aber dennoch sauersüß in den Abschied und fuhr über Meer, nicht sonder große Fährlichkeit, auch Krankheit, doch tröstete den Herrn allewege das Andenken an seine Minnehulde, und er küßte statt ihrer selbst doch ihren Schleier und ihren Handschuh, und war nur schade, daß diese werthen Stücke ihn nicht wieder küssen konnten.

Da nun der Fürst heimkehrte zu seiner Schönen, entsandte sie ihn wiederum auf weitere Ritterschaft an Höfe von Königen und von dem Kaiser und verhieß ihn, nach Jahresfrist wieder zu sich zu bescheiden.

Es war aber dieses wundersame Frauenbild kein anderes Wesen, als die große Berg- und Waldfeine, die Trutinne Hulda, die versuchte den edlen Fürsten in ihr Zaubernetz [240] zu locken, doch soll ihr dieses mit Nichten gelungen sein, wol aber kennt man noch zwischen Jena, Mellingen und Magdala eine Stelle, an welcher jener kunstvoll gezauberte Brunnenpalast stand, und will auch noch zu Zeiten den Hirsch mit dem goldenen Geweihe im Morgen- oder Abenddämmer streifen sehen, bald mit, bald ohne seine dämonische Reiterin.