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Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Der Riesenfinger

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Der Hirsch mit dem goldenen Geweihe Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band
von Ludwig Bechstein
Die wandelnde Laterne
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[240]
377.
Der Riesenfinger.

Hoch über Jena erhebt sich der schroffe Hausberg, auf welchem einst stattliche Burgen standen, die den Grafen von Kirchberg gehörten, aber jetzt fast ganz verschwunden sind. Aus früher Zeit klang auf die Nachwelt die Sage, einst habe ein Riesengeschlecht in dieser Gegend gehaust, und ein junger Riese habe sich beigehen lassen, seine Mutter, die ihm zum Zorne gereizt, zu schlagen. Alsbald sei das Haus über ihn zusammengebrochen und habe ihn bedeckt und erschlagen, aus dem Trümmerhaufen sei dann der Hausberg entstanden, dessen Gipfel entrage aber, ein Warnungszeichen für ewige Zeiten, des Riesen Zeigefinger. Dieser Finger ist der Fuchsthurm, die hohe, weit sichtbare Warte des bedeutendsten der Kirchbergischen Schlösser. In diesem Thurms saß einst der große Konrad von Wettin als ein Gefangener Heinrichs des jüngeren, Markgrafen von Meissen, den und dessen Mutter Konrad arg beschimpft hatte, indem er angab, Heinrich sei der Sprößling eines Koches. Und wo saß der Markgraf Konrad? Er saß in einem großen eisernen Käfig als eine rara avis, und der Käfig hing außen am Thurme, und der Vogel wurde dort eine ziemliche Zeit gefüttert, bis Heinrichs Tod ihn erlöste.

[241] Diese Hochwarte, der Fuchsthurm, hat den späteren Namen zunächst von den Studenten Jena’s erhalten. Einer der ersten Professoren dieser Hochschule war aus dem Schul-Rectorat zu Naumburg als Lehrer der griechischen Sprache nach Jena berufen worden. Derselbe hieß Brüschmann, und schrieb sich Brysomanus; er trug Sommer und Winter ein mit Fuchspelz verbrämtes Mäntelchen, die Studenten nannten ihn daher Schulfuchs, weil er von der Naumburger Schule gekommen war. Dann nannte man jeden einen Fuchs, der von der Schule ab- und zur Hochschule überging, und trieb mit ihm allerlei Neckereien, die zum Pennalismus ausarteten. Häufig wurde der Burgraum unter dem alten Thurme zum Schauplatz dieser jugendlichen Thorheiten erwählt, und so entstand für den alten Thurm der neue Name, der nun auch schon einige Jahrhunderte überdauert hat.