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Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Der Merseburger Rabe

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Tauschwitz Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band
von Ludwig Bechstein
Die Frau von der Weißenburg
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[244]
382.
Der Merseburger Rabe.

Beim Dome zu Merseburg wird beständig ein lebendiger Rabe gehalten. Einen solchen Raben hielt zu seinem Vergnügen Thilo von Trotha, Bischof von Merseburg. Der Rabe stahl nach Rabenart, und schleppte auch einen kostbaren Goldring des Bischofs mit edlem Stein in sein nahes Nest auf dem Schloßlhurm. Der Bischof, [245] ein jähzorniger Herr, hatte seinen Kammerknecht im Verdachte des Diebstahls, ließ diesen, da er läugnete, foltern, und da er durch die Folter gezwungen, endlich gestand, hinrichten. Der arme alte Diener hob flehend seine Arme gen Himmel und rief Gott an, seine Unschuld zu offen baren. Bald nach Vollziehung des grausamen Urtheils warf ein Wind das Rabennest vom Thurme, da fand sich neben vielen glänzenden Kleinodien und auch Tand des Bischofs Ring. Darauf erfaßte den Bischof tiefe Reue. Er änderte sein Wappen, und setzte einen Raben mit dem Ring im Schnabel in das Schild und auf den Helm, auf letzteren daneben noch zwei zum Himmel erhobene Arme und Hände; dann machte er eine Stiftung, daß fort und fort ein lebender Rabe solle gehalten werden, ihn und seine Nachfolger an die Unglücksthat zu erinnern – und überall wurde das neue Wappen angebracht, selbst auf des Bischofs ehernem prächtigem Grabmahl – und ein Rabe wird noch immer gehalten.