Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Der Sprung vom Giebichenstein

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Die Frau von der Weißenburg Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band
von Ludwig Bechstein
Die Saalnixen
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384.
Der Sprung vom Giebichenstein.

Obgleich Graf Ludwig mit der neu gewonnenen Gemahlin Adelheid, der vormaligen Pfalzgräfin von Sachsen, einer geborenen Markgräfin von Stade, sehr glücklich lebte, so war er doch von den Verwandten des getödteten Pfalzgrafen bei Kaiser und Reich hart verklagt; indessen hatte Kaiser Konrad, der Salier, der schon seines Vaters, des Bärtigen Landgrafen, Freund und Verwandter gewesen, auch Graf Ludwig den Sohn immerdar zu schützen gesucht; als aber Kaiser Konrad gestorben war, und sein schon bei des Kaisers Lebzeiten zum römischen Könige gewählter Sohn, Heinrich, als der dritte Kaiser dieses Namens, die Krone des deutschen Reiches aus seinem Haupte trug, der ohnedieß mit Sachsen und Thüringern im Kriege begriffen war – so gab es für den angeklagten Grafen Ludwig kaum noch eine Zuflucht, und endlich wurde er eingefangen, und auf die feste Burg Giebichenstein, nahe bei Halle, gesetzt, und allda in sicherm Gewahrsam gehalten. Und da der Kaiser außer Landes umfuhr, so dauerte die Haft des Grafen, ohne daß an Fällung eines richterlichen Schiedspruches zu denken war, sehr lange, schon fast drei Jahre, und der Gefangene [248] sehnte sich sehr nach der Frau, wie nach der Freiheit. Sechs Ritter mußten den Grafen tagtäglich bewachen, und es drang zu ihm die Kunde, er solle ob seines Pfalzgrafenmordes hingerichtet werden. Da stellete er sich krank, bestellte sein Seelgeräthe und sein Haus, sandte durch einen erbetenen Schreiber seiner Gemahlin Botschaft, machte sein Testament, zog sein Sterbehemde an, und hüllte sich, da er starken Frost klagte, in viele Mäntel, und war so matt, daß er an einem Stabe ging, und ächzte, und legte sich in das offene Bogenfenster seines Thurmgemaches, das steil über der Saale hing, und sonnte und sömmerte sich, während seine Wächter sich mit dem Bretspiel die Langeweile solcher Gefangenwacht vertrieben. Und wie der Graf sahe, daß ausgeführt ward, was er heimlich befohlen, daß sein Diener unten am Saalstrome hielt und sein weißes Leibroß, der Schwan genannt, gleichsam wie zur Schwemme, in die Saale ritt, auch zwei Fischernachen auf dem Strome fuhren, da wünschte er seinen Wächtern alles Liebes und Gutes, schnellte sich aus dem offenen Thurmfenster auf den Vorsprung der Felsklippe, schrie: Jungfrau Maria, hilf Deinem Knechte! und sprang von der Klippe in den damals dicht unter ihr vorbeiziehenden Saalstrom; die Mäntel schirmten ihn im Fall, er fiel nicht hart in das Wasser, die Nachen waren zu seiner Hülfe zur Stelle, dann bestieg Ludwig den Schwan, gelobte dem heiligen Ulrich zu Sangerhausen, wohin er den eiligen Fluchtritt lenkte, eine schöne Kirche, und kam glücklich und wohlbehalten alldorten an, während seine bestürzten Wächter auf Burg Giebichenstein im recht eigentlichen Sinne des Wortes „das Nachsehen“ hatten.