Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Die Seele geht in ihr Stammhaus zurück

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Donner-Wirthshaus Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band
von Ludwig Bechstein
Kirche zu Triebes sucht ihre eigene Stelle
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[127]
257.
Die Seele geht in ihr Stammhaus zurück.

Einstmals lebte zu Triebes ein alter rüstiger Metzger, der in den Häusern hin und wieder das Mastvieh schlachtete [128] und von diesem Geschäfte meistens erst spät in der Nacht heimkehrte. So hatte er auch an einem sehr stürmischen Wintertage in einem Hause zu Böhmersdorf geschlachtet und wurde erst spät den Abend mit dem Wurstbereiten und einpökeln des Fleisches fertig. Nur noch heftiger hatte sich indeß draußen das Wetter erhoben, und der kalte Wintersturm jagte dunkle Wolken vor sich her, die Massen von Schnee über das Land ausschütteten, so daß Schnee und Dunkelheit es kaum wagen ließen, den nächtlichen Heimweg anzutreten. Doch trotz alles Zuredens machte sich der alte Metzger unerschrocken auf den Weg und wies selbst die Laterne, die man ihm anbot, hartnäckig zurück. Mühsam mußte er sich durch Sturm und Schnee jeden Schritt vorwärts erkämpfen und langte endlich in dem Kirchenholze an, wo er vor dem Sturme geschützt freier zu athmen begann. Doch kaum war er daselbst angelangt, so tönte der zwölfte Stundenschlag von dem fernen Triebeser Kirchthurme zu ihm herüber, und wenn er nicht so glücklich gewesen wäre, in ebendemselben Augenblick einen willkommenen Gefährten seines Weges zu sinden, so hätte wohl bange Furcht das sonst so unerschrockene Herz übermannt. Ein alter Jugendgenosse, ein Bauer aus Böhmersdorf, der in die Teichmühle bei Triebes gehen wollte, gesellte sich nehmlich zu ihm, und unter traulichen Gesprächen wurde der Weg nun zurückgelegt. Schon waren die nächtlichen Wanderer bis zu den starken Fichten, die auf dem Damme des großen Mühlteichs standen, gekommen, als der Sturm mit heftiger Wuth sich erhob, und durch die Wipfel der alten Bäume heulte, der Mond hell leuchtend aus den Schneewolken hervorbrach und geisterbleich das Thal erleuchtete. Da verließ der Gefährte [129] den alten Metzger und ging über das Wehr hinweg in die Mühle hinein. Der Metzger hatte deß nichts Arges, denn er meinte, es wolle derselbe seine Gefreundten in der Mühle, aus der jener Mann stammte, besuchen, oder die Nacht hindurch mahlen, und ging ruhig seines Weges, weiter, ob er gleich sich wunderte, daß der Gefährte ohne Gruß von ihm geschieden sei. Zu Hause jedoch erwarteten ihn die Vorwürfe der Seinigen, daß er bei solch grausamen Ungewitter den Weg allein unternommen habe; doch der Metzger erzählt ihnen von seinem Gefährten und wie er in die Mühle hineingegangen und legte sich bald zur Ruhe. Am andern Morgen erfuhr er, daß sein Jugendgenosse, der Gefährte der vorigen Nacht, in der zwölften Stunde plötzlich, ohne krank gewesen zu sein, gestorben wäre. – Er hatte also gesehen, wie die Seele in ihr Stammhaus zurückkehrte.