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Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Die weiße Prinzessin

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Die Todenschauerin Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band
von Ludwig Bechstein
Die hohe Warte
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[234]
371.
Die weiße Prinzessin.

In dem gewölbten Thorwege, der auf den Rudolstädter Schloßhof führt, läßt sich zuweilen eine seltsame Gestalt sehen. Man freut sich nicht auf ihr Erscheinen, denn sie verkündet Trauriges, sowie das Gewimmer der Eulen und das picken der Todtenuhr. Zu mitternachtiger Stunde tritt durch die eiserne Thüre, die in jenem Thorwege sich befindet, eine weiße Gestalt, ohne daß eine Angel sich regt. Marmorbleich ist ihr Gesicht, schneeweiß ihr Gewand, an der rechten Hand trägt sie einen schwarzen Handschuh, Geräuschlos schwebt sie die Stufen herab; ihr Fußtritt [235] weckt keinen Laut an der wiederhallenden Mauer, nur der lange weiße Schleier bläht sich im Luftzuge. Dann wandelt sie über den Schloßhof, und wenn sie langsam die Gallerie durchwandelt hat, verschwindet sie wieder, wo das Thor mit dem Schlosse zusammenstößt. Die Sage des Volkes will, es sei dieß der Geist einer Prinzessin, Namens Christine, der diesen nächtlichen Umgang dann mache, wann der Tod ein hohes Opfer fordere, wie fast in jedem andern Fürstenhause die Erscheinung einer Ahnenfrau sagenhaft fortlebt. Der fürstlich schwarzburgische Stammbaum zählt mehrere Christinen auf.