Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Perchtha, die Heimchenkönigin

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Der Tanzteich bei Wilhelmsdorf Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band
von Ludwig Bechstein
Die goldene Wiege
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320.
Perchtha, die Heimchenkönigin.

In der Gegend von Bucha und Wilhelmsdorf zwischen Ranis und der Saale lagen einst zwei stattliche Dörfer, Cosdorf und Rödern, bewohnt von reichen Bauern, deren Flurensegen ein ungewöhnlicher war. Selbst die steilen Höhen am rechten Ufer des hier melancholisch rinnenden Saalstroms zeigten gute Bodenergiebigkeit. Das machte, daß die ganze Gegend von Heimchen bevölkert wir, einem friedlichen und meist harmlosen Zwergengeschlechte, das öfters Theil nahm an der Menschen Arbeit und Freude, Last und Lust, und sich stets hülfreich zeigte. Die Heimchen hütheten meist ungesehen Vieh und Feld, wachten über die Kinder, wenn die Aeltern fern waren, und erwiesen ihnen den Schutz guter Geister. Bisweilen ließen sie sich auch sehen, zeigten sich als freundliche, kindlich heitere, neckische Wesen, mit nur einigen Seltsamkeiten in ihrer äußern Erscheinung, und lebten mit den Menschen in unbefangener Vertraulichkeit. So blieb es lange, doch nicht immer in den Dörfern Cosdorf und Rödern. Die Heimchen hatten eine Königin, Perchtha, die ward geschildert als eine hohe und schöne Frau, mild und liebreich, wie ihr Völklein, der geschah alles zu Liebe, und auf ihr Geheiß waren die Heimchen auch für die Menschen so hülfreich und thätig. Einst aber kam zu den Bewohnern ein ernster Mann aus der Ferne daher, der niemals lachte, der lehrte dem Volke einen neuen Glauben, und sagte: Perchtha sei eine Teufelin, und ihr Völklein das seien die Seelen der Kinder, die ungetauft gestorben wären, und deshalb nach dem Tode nie die [188] Seligkeit erlangen könnten. Die Frau Perchtha sei das Teufelsgespenst, welches in gewissen Nächten, namentlich in der Christ- und Dreikönigsfestnacht durch die Lüfte fahre, und den Frauen und Mägden den Rocken verwirre, auch tausche sie mit sammt den Heimchen gern die Menschenkinder ein, und schiebe an deren Statt gräuliche Wechselbälge. Diese Lehre faßte tiefe Wurzel, die Menschen mieden nun die harmlosen Heimchen als unheimlich, bargen die Kinder vor ihnen und verschmähten ihre Hülfe. Da ward an einem dunkeln Dreikönigsabend der Fährmann unten in Preswitz zwischen der Hohewest- und der Alter-Mühle gerufen, und als er zum Strome kam, sah er eine verschleierte stattliche Frau im schlossenweißen Kleide, und viele Kinder um sie her, die alle trübe und traurige Mienen hatten, und es graute dem Fährmann, er gedachte auch der Lehre von der Teufelin, und daß just Perchthazeit und wollte nicht überfahren. Da bedräuete ihn aber Frau Perchtha, denn sie war es wirklich, sehr hart, und er fuhr über, und zwar dreimal, denn sein Kahn faßte nicht die Menge der Kleinen, deren immer mehr zu werden schienen, und der Nachen war jedesmal schier übervoll. Drüben am jenseitigen Ufer stand auf einem Ackerfelde, das dem Fährmann gehörte, dessen Pflug, und an ihm zimmerte ausbessernd Frau Perchtha, und als die Ueberfahrt vollendet war, bedeutete sie jenen, als Lohn seiner Mühe die abgefallenen Spähne zu nehmen. Unwillig über so argen Hohn und kargen Lohn, doch voll Furcht vor dem Nachtgespenst raffte der Schiffer einige Spähne auf, fuhr heim und legte sich schlafen. Am Morgen darauf fand er drei schwere Goldstücke, und ärgerte sich, nicht mehr Spähne eingesteckt zu haben. Und [189] nun war jene Gegend die Heimchen sammt ihrer Königin los, aber auch ihrer Hülfe und ihres Segens, die Fluren verödeten, und die Dörfer Cosdorf und Rödern, wo jene vornehmlich gehaust, wurden im Kriege zerstört und ganz zu Wüstungen, so daß man deren Stätte nicht mehr weiß. Die Stromgelände sind düster und unfruchtbar, und über dem ganzen Gebiet lagert eine gewisse unaussprechliche Schwermuth. Eigen ist es, daß eine ganz ähnliche Sage von der Perchthen-Ueberfahrt über die Saale auch weiter unten bei Causdorf erzählt wird, nicht minder über die Elster bei Cöstritz ohnweit Gera.