Treu bis in den Tod
„Noch eine Illustration aus dem deutschen Krieg,“ schreibt uns ein befreundeter Künstler, welcher der Gartenlaube schon manches gute Bild geliefert, „und wieder von den böhmischen Leichenfeldern? So werden Sie mit Kopfschütteln denken, wenn Sie dieses Blatt aufschlagen. Ja, verehrter Freund, noch eine, aber es zwang mir den Bleistift in die Hand, als mir die einfache Geschichte erzählt wurde, die sie darstellt. Die beiden preußischen Soldaten sind Portraits.[WS 1] Ich zeichnete sie, als sie mir auf meiner
[814] Rückreise aus Böhmen in einer Dorfkneipe zwischen Pardubitz und Hohenmauth ihr kleines Abenteuer erzählt. Gesicht und Gestalt des Officiers componirte ich möglichst genau nach ihren Schilderungen, weshalb hier Niemand Portraitähnlichkeit verlangen kann. Nun die Geschichte. Der ältere der beiden Soldaten führte das Wort. ‚Wir waren am Tage nach der Schlacht von Königgrätz commandirt‘, sagte er, ‚das Gehölz eines der Hügel zu durchsuchen, von denen aus die Sachsen unseren Truppen viel Schaden zugefügt hatten und von denen sie erst nach tapferer Vertheidigung vertrieben worden sind, nachdem der Kronprinz bereits den rechten Flügel der Oesterreicher zum Weichen gebracht hatte. Da lag mancher brave Junge in seinem Blute, die zerschossenen und zerhauenen Monturen roth bespritzt und gefärbt. Auch an Verwundeten fehlte es nicht, zu denen noch keine ärztliche Hülfe den Weg gefunden hatte. Wir theilten Manchem einen Schluck aus der Feldflasche als augenblickliches Labsal mit, notirten uns auch genau, wo sie lagen, um Meldung darüber machen zu können. Die Wälder dort sind zwar nicht groß an Umfang, aber hochstämmig und von dichtem Gesträuch durchwachsen, wo mancher zum Tode Verwundete, wie das Mensch und Thier im letzten Elend so thun, sich hinverkrochen haben konnte. Als wir durch solches Gestrüpp uns durcharbeiteten, um wieder zu einer hindurchschimmernden Lichtung zu kommen, hörten wir ein anfänglich schwaches Knurren, das aber, je näher wir kamen, immer schärfer wurde. Endlich durchbrachen wir die letzten Zweige des Gesträuchs, und eine kurze Strecke vor uns lag am Abhang hart vor dem Hochwald ein sächsischer Officier, noch den Säbel fest in der Faust, wie er im Kampfe gefallen war. Ueber seine Brust legte, hoch aufgerichtet, ein Hündchen seine Pfoten und wies uns, grimmig knurrend und bellend, die Zähne. Als wir näher kamen, sprang es wie wüthend, doch nicht bis über die Füße seines Herrn hinaus, uns entgegen, eilte aber zum Haupte und auf die Brust zurück, als wir endlich ganz nahe getreten waren.
Sie glauben’s vielleicht kaum, es klingt auch sonderbar, aber es ist doch wahr: mir ausgewettertem Kerl, der in zwei Feldzügen, in Schleswig und hier, an den Anblick vieler Todten, bei denen die Angehörigen jammerten und schrieen, gewöhnt und beinahe ein wenig hart dagegen geworden war, mir war es, als ob ich Respect haben müsse vor dem tapfern Hündchen, das gegen zwei Mann seinen Herrn vertheidigte. Und meinem Cameraden ging’s gerade so. Was war da zu machen? Ich wollte vor Allem wissen, ob der Officier todt oder nur schwer verwundet sei, und doch dauerte mich der brave Hund, Gewalt gegen ihn anzuwenden. So aber ließ er mich nicht nahe genug an den Kopf des Officiers kommen, um nach dem Athem zu lauschen. So oft wir’s versuchten, fuhr er uns gegen die Beine, sprang aber sogleich auf die Brust seines Herrn zurück, wenn wir uns wieder zurückzogen. Die Wunde sahen wir auf der rechten Kopfseite, das Ohr konnten wir vor dick geronnenem Blut nicht erkennen. Wir durchsuchten unsere Brodbeutel und ich gab Alles, was ich vorfand, darunter auch einige Wurstrestchen, meinem Cameraden, der sich nun zu Füßen des Gefallenen stellte und seine für den hungerigen Köter gewiß annehmbaren Herrlichkeiten ihm hinhielt und hinwarf, während ich dem Kopf nahe zu kommen suchte. Aber damit war’s erst recht gefehlt. Das Thier sprang neben und auf seinem Herrn bellend, zähnefletschend und endlich wuthschäumend hin und her, so daß es mich zu dauern anfing und wir von jedem Versuch näherer Untersuchung des Officiers abstanden.
Wir überließen dem tapfern Wächter die Brod- und Wurstbrocken; gern hätten wir ihm auch noch Wasser hingegossen, wenn wir selbst welches gehabt hätten, denn die Zunge hing ihm weit heraus. Wir entfernten uns langsam, immer zurückschauend. Der Hund rührte keinen Bissen an, so lange er uns sah, sondern stand, die Pfoten auf der Brust seines Herrn, fest auf seinem Posten. Um zu thun, was wir unter solchen Umständen vielleicht zur Rettung eines braven Officiers thun konnten, eilten wir, den Vorfall zu melden. Was aus Mann und Hund geworden ist, wissen wir nicht, aber vergessen werde ich den Anblick beider mein Lebtag nicht.‘
So ungefähr lautete die Erzählung meines Preußen, die sein Camerad häufig durch sein Nicken bestätigte. Ich machte den Entwurf zu dieser Illustration sogleich im Beisein der Soldaten, namentlich soweit sie die Lage und Gestalt des Officiers und das Aussehen des Hündchens betrifft, so daß ich wenigstens in dieser Hinsicht ein treues Bild geliefert habe. – In Wiener Blättern wurde von einer ähnlichen Treue berichtet, durch welche ein Hund zweimal der Retter seines Herrn, eines österreichischen Hauptmanns, geworden sei. Ueber den sächsischen Officier, ob er zu den Todten, ob zu den Geretteten gehört, habe ich leider bis heute noch nichts ermitteln können.“ – Soweit unser Künstler. Vielleicht gelingt es durch diese Veröffentlichung, Näheres über das Schicksal des Officiers und seines treuen Vertheidigers zu erfahren. Wir können nur wünschen, daß wir der Erzählung unsers Gewährsmanns ein recht erfreuliches Ende anzufügen haben möchten.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ siehe auch Zu „Treu bis in den Tod“