Um die Erde. Sechster Brief: In Minnesota

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Autor: Rudolf Cronau
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Titel: Um die Erde. Sechster Brief: In Minnesota
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 116–118
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Um die Erde.

Von Rudolf Cronau.
Sechster Brief:0 In Minnesota.

Einst war das Gold Californiens der gewaltige Magnet, welcher abenteuerliche Auswanderer nach Amerika zog; später lockte das Petroleum Pennsylvaniens Capitalisten und Arbeiter nach der Neuen Welt hinüber; heute ist der Glanz dieser Bodenschätze erloschen, und ein neuer Zauberer verdrängte sogar den berühmten Baumwollenkönig. Der rothe Winterweizen ist es, der Menschenschaaren nach dem fernen Westen führt, der ehrliche Ackerbau, welcher weder das Gold- noch das Oelfieber erzeugt und dennoch den Arbeiter reichlich für seine Mühe lohnt.

Tausende vertrauten dem jungfräulichen Boden der wasserreichen nordwestlichen Staaten, und sie wurden wahrlich nicht betrogen. Sind doch jene weiten Strecken, auf denen noch vor einem halben Jahrhundert Indianer wild hausten, heute zu der Kornkammer der alten Welt geworden; hat doch der amerikanische Weizen vor wenigen Jahren das übervölkerte Albion und das von einem Mißwachs heimgesuchte Frankreich vor bitterer Theuerung, wenn nicht vor Hungersnoth, bewahrt.

Aber nicht nur die Fruchtbarkeit des Landes veranlaßte mich, dem Rufe „Young man, go west!“ zu folgen – noch ein anderer Zauber webt über jenen fernen Strichen, der bestrickende Reiz einer durch ihre landschaftliche Schönheit fesselnden Natur, jener unwiderstehliche Zauber, der auch mich, den schauensdurstigen Künstler, in das „neue romantische Land“ trieb.

Von den Gestaden des Atlantischen Oceans zu den Quellen des Mississippi, welch’ wunderbare Fahrt durch das industriereichste Land der Welt! Aber ohne Aufenthalt eilen wir vorwärts, um weniger bekannte Gebiete zu erreichen. – Längst lag hinter uns Chicago, die Königin der Seen, der Phönix des Westens, da breitete sich vor den erstaunten Augen, von der aufgehenden Sonne magisch beleuchtet, ein Wunderland aus, nein, ein fließendes Meer mit tausend waldigen Inseln – „der Vater der Ströme!“ Endlich fuhren wir nun an dem Ufer des Flusses entlang, dessen Name in den Jahren unserer Jugend immer einen zauberischen Klang für uns gehabt, und durften uns an dem Anblicke des majestätischen Strombildes und der schöngeformten Bergzüge mit ihren nackten Felsenabstürzen weiden.

Mit dem Ueberschreiten des Riesenstromes traten wir in den Staat Minnesota ein, von dessen vielgepriesenem Wasserreichthum ich nicht zu berichten brauche. Gleich Lebensadern schlängeln sich hier Bäche und rauschen Ströme durch einen nie ermüdenden Wechsel von Wald und Prairie, von Hochland und thalähnlichen Gründen, und aus dem üppigen Grün der welligen Hügel glänzen Hunderte von größeren und kleineren Seen hervor, gleich träumerisch blauen Augen.

Noch vor einem Menschenalter war dieses prächtige Land fast unbewohnt und unbebaut, und nur von Zeit zu Zeit verkündete in dem dichten Urwalde das rollende Echo der scharfgeladenen Büchse eines Buschmannes den nahenden Einzug der Cultur. Erst seit wenigen Jahrzehnten schlagen die Räder der Dampfboote die Wasser der größeren Ströme, durchfliegt das Dampfroß die Thäler und klingen die Aexte der Ansiedler in den Wäldern.

Und wenn man die Werke der Cultur in Minnesota betrachtet, erscheint es fast unglaublich, dies alles habe der menschliche Fleiß in einer so kurzen Spanne Zeit verrichtet.

Dort, wo der aus dem Itasco-See hervorgegangene Mississippi, zu einer Breite von 600 Fuß angewachsen, seine Wassermassen über die steile Felsenbarriere bei St. Anthony herniederstürzt, fesselt zunächst die gewerbfleißige, blühende Stadt Minneapolis unsere Aufmerksamkeit. Der erfinderische Geist ihrer Einwohner verstand durch kunstvolle Anlagen die natürliche Kraft des schäumenden Stromes sich dienstbar zu machen, so daß die Industriellen von Minneapolis durch zahlreiche Leitungen eine billige Betriebskraft beziehen, die man im Ganzen der von 120,000 Pferden gleichschätzt, Die Wassermühlen, welche hier die Stromufer umgürten, zermahlen jährlich gegen 40 Millionen Bushel Korn und zersägen gegen 200 Millionen Cubikfuß Holz.

Noch in den fünfziger Jahren war der Name dieser Stadt kaum bekannt, aber schon 1860 zählte sie 5809 und bei der letzten Volkszählung 1880 sogar 43,053 Seelen.

Fahren wir nun den Mississippi hinab, so erreichen wir nach kurzer Reise das zehn Meilen entfernte St. Paul, die Rivalin von Minneapolis und die politische Hauptstadt des Landes. Das Leben in diesem Hauptsitze der Staatsregierung gewinnt um so mehr an Bedeutung, als hier der Mississippi für die großen Dampfer schiffbar zu werden beginnt. Die zahlreichen prächtigen Steingebäude, die eleganten Hotels und Privatwohnungen lassen kaum glauben, daß wir uns in einer Stadt befinden, deren erster Beginn in einer kleinen, 1838 von dem Canadier Parrant aufgeschlagenen Cabine bestand.

Hier sah ich zuerst jene „schwimmenden Paläste“, deren Ruf die früheren Erzählungen von den gefahrvollen und lästigen Mississippifahrten verstummen ließ, jene häuserhoch über dem Wasserspiegel hervorragenden Dampfer, welche mit dem denkbarsten Comfort ausgestattet sind und in denen selbst die prunkhaftesten „Bridal-Rooms“, die Brautgemächer, nicht fehlen. Eine solche Brautfahrt auf dem Mississippi mag vielleicht manchem später enttäuschten Ehemanne als ein treues Miniaturbild seines eigenen Lebens erschienen sein; denn anfangs im nördlichen Theil des Stromes steuert das Schiff durch reizende, abwechselungsreiche, wahrhaft poetische Gegenden, um später aus dem krystallklaren Schneewasser des Flusses in schlammig-trübe Wellen zu gelangen und sich durch öde, langweilige Strecken bis nach New-Orleans in gleichmäßigem Tempo durchzuwinden.

St. Paul bildete für kurze Zeit mein Hauptquartier, von wo aus ich zahlreiche Ausflüge in die interessante Umgegend unternahm.

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Mündung des Minnesota in den Mississippi bei Fort Snelling.
Nach der Natur gezeichnet von dem Specialartisten der „Gartenlaube“ Rudolf Cronau.

[118] Vor Allem muß ich hier Fort Snelling erwähnen. Inmitten großartiger Landschaft an der Mündung des Minnesota in den Mississippi auf hohem Felsen gelegen, bietet die vielgenannte Befestigung ein wahrhaft imposantes Bild, Ich hatte das Glück, bei meinem ersten Besuch in diesem Hauptquartier der amerikanischen Armee für den Nordwesten die Landschaft in der malerischesten Stimmung betrachten zu dürfen; denn am Himmel zog gerade ein Gewitter herauf; tiefe Schatten lagen über den schweigenden Wäldern und den geheimnißvollen Thälern, und nur von Zeit zu Zeit zuckten unheimliche Lichter über die Landschaft – der grelle Widerschein aufflammender Blitze.

In dem beigegebenen Bilde habe ich den Lesern der „Gartenlaube“ das Fort und die Mündung des Minnesota vorzuführen versucht, um ihnen die eigenartige Landschaft des oberen Mississippilaufes zu veranschaulichen.

Die Amerikaner hatten wohl Grund, hier eine Festung zu erbauen; denn als im Jahre 1803 dieser Landstrich durch Kauf von Frankreich an die Vereinigten Staaten überging, da hausten noch an den Ufern des „rauchenden Flusses“ (Minnesota) kriegerische Indianerstämme, die mit Waffengewalt von der Plünderung der Ansiedlerwohnungen abgehalten werden mußten. So ward das Fort, welches im Jahre 1819 eine Garnison erhielt, der erste Stützpunkt der westlichen Cultur in diesem Theile des „goldenen Nordwestens“. Manch blutiges Kriegswerk ist mit seiner Geschichte eng verbunden; denn noch in den Jahren 1862 und 1863 begab sich in dieser Gegend der gefürchtete Häuptling Little-Crow auf den Kriegspfad und mordete 800 Weiße.

Heute ertönt kein Schlachtgeheul mehr an den Ufern des „rauchenden Flusses“, und getrost konnte ich mich in das Lager der wenigen hier noch weilenden Rothhäute begeben, um die Nachkömmlinge der Scalphelden, ihre Zelte und Waffen und die wild romantische Gegend, in der sie ihr kümmerliches Dasein fristen, für die über die weite Erde zerstreuten Leser der „Gartenlaube“ zu zeichnen und sie ihnen zu beschreiben.