Unsere Meistersänger

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Autor: Adolf und Karl Müller
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Titel: Originalgestalten der heimischen Vogelwelt. 6. Unsere Meistersänger
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aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 352-353
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.[1]

Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.
6.0 Unsere Meistersänger.

Die Heimath der besten Singvögel der Welt ist vorzugsweise unser wald- und stromreiches deutsches Vaterland. Das Lied dieser Meister ist es, welches unseren Gärten, Fluren und Wäldern so hohen Reiz auch für das Ohr verleiht, welches der Natur, die uns entzückt, erst die rechte Seele giebt.

Unter allen Sängern möchten wir in der folgenden Schilderung drei herausheben, gewissermaßen je einen Vertreter des Parkes, des Waldes und des Feldes: die Nachtigall, die Singdrossel und die Feldlerche.

Die Nachtigall, die schon im Alterthum als die Königin der Singvögel verherrlicht wurde, nimmt unstreitig den ersten Rang ein, selbst vor dem ungarischen Sprosser, der ihr an Mannigfaltigkeit der Liedesstrophen und des Ausdrucks entschieden nachsteht. Freilich reden wir hier nicht von mittelmäßigen oder geringeren Exemplaren, wie man ihnen oft an Plätzen begegnet, wo Paare in großer Anzahl nahe beieinander wohnen, sondern von besonders begabten Sängern, welche sich in der Einsamkeit zur höchsten Vollendung entwickelt haben. In dem Bestreben nämlich, sich gegenseitig zu überbieten, bekommen die Thierchen eine Vorliebe dafür, besonders durchgreifende Schmettertouren häufig vorzubringen, und die Folge ist eine den Hörer ermüdende Einseitigkeit. Anders bei der guten, in der Einsamkeit aufgewachsenen Nachtigall. Was sie auszeichnet, ist gerade der Reichthum der Touren oder Strophen, die nicht selten die Zahl dreißig und darüber erreichen. Ferner ist das Austragen der Strophen in vollendeter Form hervorzuheben. Ein Zerhacken derselben zeugt von schlechter Entwicklung des Schlags. Je rascher die Touren aufeinanderfolgen, je feuriger, hingebender und ausgeführter sie ertönen, desto vorzüglicher ist der Vogel. Hiermit muß sich dann noch der Schmelz, das Crescendo und Diminuendo, mit einem Wort, das Seelenvolle im Ausdruck verbinden, ja der Ton an sich muß als etwas Angeborenes sympathische Eigenthümlichkeit besitzen. Es ist dies beim Vogel überhaupt nicht anders wie beim Menschen, dessen Stimme ohne die Beigabe des natürlich Sympathischen trotz aller Kunst nicht zum Herzen spricht. Endlich liegt ein großer Reiz für das fein unterscheidende Ohr des Kenners in der interessanten Verbindung der Touren, in den Uebergängen und überraschenden Zugaben nach dem Aushalten von athemerschöpfenden Flötenpartien.

Uebrigens kann Ueberreizung zur Zeit der Minne auch bei vorzüglichen Sängern dem fließenden Gesang Eintrag thun. Außerdem scheint die Morgenfrühe zu einem mehr abgebrochenen Vortrag geneigt zu machen. Sonst kann als Regel aufgestellt werden, daß die abgebrochene Gesangsweise zu Ende der Singzeit, in ihrer zweiten Hälfte oder auch schon früher Platz greift, während unmittelbar nach der Ankunft in der Heimath der Gesang am raschesten, während des Brütens des Weibchens aber am vollsten, lautesten und beseeltesten ertönt.

Eine interessante Frage ist die nach der Vererbung des Nachtigallengesanges. Man glaubt gewöhnlich, die jungen Nachtigallen erlernten den Gesang des Vaters durch Anhören. Dies ist jedoch darum nicht der Fall, weil zur Zeit der Jungenpflege der Gesang zurücktritt und, wenn er wirklich noch dann und wann gehört wird, sehr unvollkommen und bruchstückweise erschallt. Die junge Nachtigall dagegen übt schon an schönen Augustmorgen ihren sehr stümperhaften Gesang ein und bildet ihn dann im Lenz des Südens zur Vollendung aus. Ausgeschlossen ist dort das Vorbild alter Männchen nicht, aber das Hauptsächlichste besteht nicht in der Nachahmung, sondern in der Ursprünglichkeit des Vermögens, in der Herausbildung des Gesanges aus der eignen Seele des Vogels. – –

Treten wir nun aus dem Parke, wo wir dem Sänger der Liebe gelauscht haben, in unseren Buchenwald mit seinen Laubhallen und seinen jungen Gehegen. Der junge Frühling bricht herein, die schlafenden Triebe erwachen, in tausend Formen und Gestalten offenbart sich die ewige schöpferische Kraft der Natur. Und diesen herrlichen Frühlingswald durchschmettert der Liederschall aus den lenzfrohen Kehlen der gefiederten Welt.

„Waldnachtigall“ ist die schöne, treffende Bezeichnung Welkers für unsere urwüchsige Singdrossel. Mit den Stürmen der Nächte schwingt sie sich im Monat März in den heimathlichen Forst zurück. Noch ist ihr der Baum, der Ast, der Zweig genau bekannt, auf welchem sie im vorhergehenden Jahre den Lenz und die Liebe besungen. Wer den Schnepfenstrich kennt, weiß, welch einen Zauber die Frühlingsrufe dieses Waldsängers auf das Gemüth des Hörers ausüben. Es sind sprechende Rufe, die zum Ohre schallen und oft in Worte und Namen sich ausdeuten lassen. Das Volk hat viele derselben übersetzt, und diese Uebersetzungen bilden immer ein Stück frischer Waldpoesie. Unvergeßlich sind uns die Abende auf dem Schnepfenstrich, wo wir dem Konzert des Meistersängers unserer Wälder mit Hingebung lauschten, wo der Wettkampf der Männchen begann und sich immer feuriger entwickelte. Es ist, als wollten die Eifersüchtigen noch alle Kunst und Kraft aufbieten, um den Tag glanzvoll zu beschließen. Welch ein großer Abstand in Bezug auf Schönheit, Mannigfaltigkeit und Kunstfertigkeit des Vortrags herrscht aber auch unter den Sängern! Hier ein elender Stümper, welcher neben einem einförmigen Gezwitscher nichts andres hören läßt als ein paar grell hervorgestoßene Rufe; dort eine mittelmäßige Leistung, die neben Rühmenswerthem gewisse Unarten und Geschmacklosigkeiten aufweist; über alle erhaben aber an einer dritten Stelle ein Virtuose, der berufen ist, mit der Nachtigall um den Vorrang zu streiten.

Was gehört nun zu einem solch hervorragenden Künstlerthum? Wir wollen die Haupterfordernisse im folgenden hervorheben: markig, voll, nicht schreiend, aber dennoch weithin schallend muß die Stimme sein, ausgestattet mit dem eigenthümlichen Metallklang, der wohlthuend wirkt. Der Umfang der Stimme muß es ferner dem Vogel ermöglichen, den Tönen die nöthige Abwechslung in ihrer Lage zu geben, womit aufs engste die ansprechende Bildung der Strophen und deren Reichthum zusammenhängt. Sei an und für sich der Ruf, die Strophe noch so schön und wohlklingend – wenn sie zu oft wiederholt wird, dann ermüdet der Hörer bald und vermag auch das Schönste nicht mehr zu genießen. Andererseits dürfen die besten Theile des Gesanges und die interessantesten Wendungen nicht zu selten wiederkehren. Je deutlicher und sprechender, desto fesselnder und unterhaltender ist der Drosselgesang.

Jeder Bezirk oder wenigstens jeder größere Waldbestand hat seine charakteristischen Drosselrufe, die zwar immer als solche unverkennbar bleiben, aber doch auf die feinsten Unterschiede sich zuspitzen. Diese Thatsache nun ist vollauf nach dem Sprichwort zu erklären: „Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen.“ Denn die jungen Drosseln hören nicht bloß im Neste, sondern auch nach ihrem Ausflug noch lange den Vater und prägen sich seine ganze Art und Weise genau ein; ihre Nachbildung des väterlichen Gesanges ist deshalb, einzelne untergeordnete Abweichungen abgerechnet, so getreu, daß sich das Charakteristische fortdauernd erhält. Nun ist es uns aber nicht selten vorgekommen, daß wir mitten unter diesen übereinstimmenden Individuen das eine oder andere entdeckten, welches auffallend abweichende Gesangsstrophen hören ließ und uns wie ein Fremdling auffiel. Diese Erscheinung können wir nur darauf zurückführen, daß einzelne Drosseln auf dem Zuge durch irgend welches Verhängniß aufgehalten oder aber vielleicht vom Wandertrieb weit über die Grenze ihrer früheren Heimath hinausgeführt worden sind. Sie erscheinen demnach als Einwanderer, was ja bei der in der Vogelwelt herrschenden Freizügigkeit nicht wunder nehmen darf. – –

Der Leser folge uns nun in die Flur, mitten in das junge Getreidefeld, um den Sänger des Feldes in seinen Gesangsleistungen kennenzulernen!

Der schöne Vorsommertag neigt sich zu Ende. Still ist die [353] Luft. Wohlthuende Abendkühle umhaucht uns und führt uns den würzigen Duft der Feldgewächse zu. Das Gezirp der Grillen stört nicht den Eindruck der Einsamkeit, und das Liedchen der Dorngrasmücke, die vom Blüthenschnee des Dornstrauchs mehrere Fuß hoch flatternd und zögernd und dann wieder in Zickzackwendungen emporsteigt, trägt zur Vollendung der Stimmung bei. Jetzt erhebt sich eine Lerche in schiefer Richtung aus dem Dunkel der Saat. Die Töne aus ihrer Kehle klingen unserem Ohre in der Nähe etwas scharf und schrill, aber wohlthuender berühren sie unser Ohr, sobald sich die Sängerin in bogenförmigen Windungen zur Höhe gleichsam emporgeschraubt hat.

Nachtigallen im Wettgesang.
Nach einer Zeichnung von Adolf Müller.

Auffallend erscheint dem verfolgenden Auge der Umstand, daß die Schraubenwindungen des Aufflugs von der Rechten zur Linken gehen, während eine andere benachbarte Lerche umgekehrt verfährt, eine dritte mit diesen Windungen nach der einen und andern Richtung abwechselt. Ununterbrochen nimmt dabei der Gesang seinen Fortgang, und kaum hält man es für möglich, daß die Sängerin dabei den nöthigen Athem schöpfen kann. Aber man betrachte die der Lerche zu Gebote stehenden Werkzeuge: diese starke gewölbte Brust, diesen feinen, freien Hals, diese großen kräftigen Schwingen, die den Flug nach oben ungemein fördern. Man beobachte den stürmischen Drang der Vogelseele, sich zu erheben hinauf in den reinen Aether, zu den Wolken, das leicht erregbare Gemüth, das sich selbst im Gange, in der Haltung und in dem beweglichen Spiele der Kopffedern kundgiebt! Das alles erklärt die ungewöhnliche Kraftäußerung der kühnen Luftsteigerin. Das Lied der Lerche sprudelt mit wahrhaft elementarer Gewalt hervor. Im allgemeinen läßt sich sagen, daß es eine in engen Grenzen sich haltende Melodie, eine ewig wiederkehrende, im Einerlei fortgesponnene Weise ist. Die Töne an sich sind schwirrende, trillernde und flötende. Doch fällt dem verständnißvollen Hörer nicht bloß bei dem Vergleich der einzelnen Exemplare, sondern auch bei dem der Bewohner der Ebene einerseits, der Gebirgsgegenden andererseits ein merklicher Unterschied auf. Wohl kommen auch in der Ebene vorzügliche Sänger vor, aber die besten haben wir doch immer im Gebirge gehört. Die Ebene birgt vorzugsweise solche Lerchen, die sich in schwirrendem und trillerndem Gesang ergehen, während das Gebirge viele aufweist, welche klangvollere Flötenpartien und interessantere Wendungen, größeren Tonumfang hauptsächlich in der Tiefe und reichere Abwechslung bekunden. Offenbar ist die Ursache darin zu suchen, daß im Gebirge, wo die Felder kleiner sind und in der Nähe der Wälder liegen, die Lerchen vieles von den Waldsängern annehmen und in ihr eigenes Lied verweben.

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  1. Vergl. „Gartenlaube“ 1891, Halbheft 15.