Unverwüstlich
[134]
Was marterst du das arme Hirn
Mit Fragen und mit Schlüssen?
Komm her und laß dir von der Stirn
Die finstern Falten küssen!
Dem Laufe dieser Dinge
Und zweifelst, ob der Liebe Macht
Den Weltprozeß bezwinge?
Wenn ich dir in die Augen schau’,
Dann wissen wir ja ganz genau,
Warum wir für uns taugen.
Wir waren stets uns zugesellt,
Willst du dich recht entsinnen,
Und seit die Zeiten rinnen.
Ich glaube, daß du neben mir
Zum Centrum dich gerichtet
Zuerst, da als Atome wir
Wir flogen dort schon Arm in Arm
Beim ersten Gravitieren,
Und wurden so gemeinsam warm
Und konnten oscillieren.
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Geschleudert ward ins Weite,
Nicht sank uns der Atomen-Mut,
Du flogst mir zum Geleite.
Und als die Erde sich geballt,
Uns band der Liebe Vollgewalt
Im Molekül noch enger.
Doch ach, entsetzlich war die Zeit!
Kaum mag ich mich erinnern;
Mich trieb es nach dem Innern,
Dann sucht’ ich, ach, von Ort zu Ort
Umsonst, die ich erkoren, —
Ich glaubte schon, es riß dich fort,
So lebten fern wir und allein
Millionen wohl von Jahren;
Mein Herz, mein Herz war ewig dein —
Erst spät hast du’s erfahren.
Sich endlich ließ erbitten:
In der Grauwacke krebsten wir
Als kleine Trilobiten.
Als in der Kohlenformation
Warst du ein Labyrinthodon,
Ich lag in deinen Banden.
Auf deinen holden Wickelzahn
Sang ich ein Lied alsbalde,
Im Sigillarienwalde.
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Im Trias und im Jura auch
Und im System der Kreide
Warst du nach treuer Liebe Brauch
Wir wurden endlich miocän
Und Säugetier-gestaltet;
Und selber in der Eiszeit Weh’n
Sind wir uns nicht erkaltet.
Als Jahr’ auf Jahre gingen;
Ich bin gewiß, nur neben dir
Konnt’ ich’s zum Menschen bringen.
Denkst du daran, wie um und um
Als wir noch im Diluvium
Den Höhlenbären jagten?
Mit meiner Axt von Feuerstein
Hab’ ich in jenen Tagen
Zur Freude dir geschlagen.
In unsrer Höhle saßen wir
Aus Knochen Mark zu saugen,
Und schon wie heute sah ich dir
Und wo wir auch im Lauf der Zeit
Noch später uns getroffen,
Du warst allein in Lust und Leid
Mein Sehnen und mein Hoffen,
Zum Isissterne blickten,
Und ob wir im gelobten Land
Vom Stock die Traube pflückten;
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In Aphroditens heil’gem Hain
Wie in des Cirkus dichten Reih’n
Beim grimmen Todesfechten;
Nach blutiger Barbarenschlacht
Im Flammenschein der Städte,
Bei Weihrauch und Gebete.
Und heute wieder ganz modern
Lieb’ ich dich ohne Maßen.
Ich grüße höflich dich von fern,
Dein Bild, gemalt vom Sonnenstrahl,
In meiner Tasche trag’ ich,
In Versen meine Liebesqual
Dir durch die Reichspost sag’ ich.
Es regt sich ohne Endnis.
Es ringt die Welt mit Wort und That
Nach freier Selbsterkenntnis.
Und wenn zu neuem Leben wir
Dann fahr’ ich durch die Luft mit dir,
Sturmgleich, im Flügelnachen!