Vom „alten Fritz“ in Westphalen

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Autor: Friedrich Emil Rittershaus
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Titel: Vom „alten Fritz“ in Westphalen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 21–23
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Autorenseite Friedrich Harkort
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Vom „alten Fritz“ in Westphalen.


Wilhelm Harkort.

Wie viele Jahre noch und wir haben den letzten Helden jener Tage in die Gruft gelegt, aus denen die eisernen Lieder eines Arndt und Körner, eines Schenkendorf und Rückert wie Geisterstimmen zu uns herüberklingen! Immer mehr und mehr lichten sich die Reihen der Veteranen aus den Freiheitskriegen, und an denen, die uns aus jenen Jahren noch übrig geblieben, hat nur zu oft die Zeit ihr Recht so sehr geltend gemacht, daß wir in ihnen eher wandelnde Schatten als frische, lebendige Menschen zu erblicken glauben. Und selbst dann, wenn jene Kämpfer aus den Freiheitskriegen sich noch körperlich rüstig erhalten haben, so hat sich doch [22] durchweg der Kreis ihrer Ideen nicht mit der Zeit erweitert; unwillig wenden sich die alten Grauköpfe von den Bestrebungen unserer Tage, für die ihnen das Verständniß fehlt, und wiederholen in allen Tonarten das Lied von der guten alten Zeit. Um so erhebender, um so bedeutungsvoller wirkt es, wenn ein muthiger Streiter aus jenen heiligen Kriegen wider den fremden Unterdrücker noch heute bei der Schaar jener steht, die für die hohen Ziele der Freiheit, der Volksbildung, der Aufklärung und des Fortschrittes mit Muth und Eifer eintreten. Den Lorbeerzweig für jede Stirn, die sich dreist den fränkischen Kugeln zum Ziele bot, als es galt, Blut und Leben für die Befreiung der Heimath vom corsischen Joche in die Wagschale zu werfen; aber einen doppelten Kranz dem Manne, der zum Ruhme des Kriegers sich den Ruhm eines echten Volksvertreters und Volksmannes erworben, der mit silbergrauem Haupte sich ein jugendfrisches Herz bewahrt; den doppelten Kranz dem westphälischen „alten Fritz“, dem Stolze der Markaner, Friedrich Wilhelm Harkort!

Wer an jenem regnerischen, stürmischen Herbsttage im verflossenen Jahre, als das Steindenkmal auf dem Kaiserberge bei Herdecke eingeweiht wurde, die hohe Gestalt Harkort’s auf der Tribüne am Fuße des mächtigen Thurmes sah, der glaubte nicht einen Mann vor sich zu sehen, der schon nahe bei den Achtzigen steht, der schon 1815 bei Liguy sich zwei Schußwunden geholt und das eiserne Kreuz verdient. Jugendliches Feuer sprühte aus den klaren, blauen Augen des wackeren Sohnes der Mark, der nicht geruht und gerastet hatte, bis das erste Denkmal für Stein fertig war, der kein Opfer an Geld und Zeit scheute, um den mächtigen Thurmbau zu vollenden, der nun Zeugniß davon ablegt, daß das Andenken an Stein, den großen Reformator, im Volkesherzen noch nicht erloschen ist. Langsam und bedächtig, allen Flitter der Phrase verschmähend, sprach Fritz Harkort von jenem gewaltigen Reichsfreiherrn, dessen Name für alle Zeiten leuchten wird, von Stein, der während seines Aufenthaltes in Wetter einst Hausfreund bei der Familie Harkort gewesen.

Vor dem Redner aber standen die Kinder des Landes, die breitschultrigen Söhne der Mark mit den trotzigen Stirnen. Männer aus allen Ständen und von den verschiedensten Jahren, aber eins in dem einen Gedanken der Verehrung für Stein und für den Mann, der, ein echter Jünger Stein’s, im Geiste der Freiheit wirkt und schafft, in der Verehrung für Friedrich Harkort. Da konnte man in jedem Auge lesen, was jener Jüngling mit silbernen Locken seinen Landsleuten gilt, die in ihm einen ihrer Edelsten und Besten verehren. Die moderne Zeit schafft Charaktere, die man mit künstlichen Mosaikarbeiten vergleichen möchte, und immer seltener werden die Männer aus einem Gusse, aus ganzem Holze gehauen. Unsere raschlebige Zeit bringt das so mit sich! Wenigen Menschen ist es vergönnt, sich naturgemäß auf der Scholle, die sie geboren, zu entwickeln, die Luft ihrer engeren Heimath zu trinken, bis der Geist Kraft und Selbstständigkeit gewonnen und der Charakter Festigkeit errang: der junge Baum wird verpflanzt, ehe er kräftig Wurzeln geschlagen, der frische Trieb wird kunstreich zugestutzt und beschnitten, ehe er sein volles Grün entfaltet, und so haben wir am Ende eine recht niedliche Zierpflanze vor uns, aber keinen naturwüchsigen, markigen Baum! Anders war es bei Friedrich Harkort. Unter den Eichen, Buchen und Tannen seiner Heimath wuchs der Knabe empor.

Auf Harkotten, dem Gute seines Vaters Johann Caspar Harkort, welches seit Jahrhunderten Eigenthum der Familie Harkort ist, wurde Friedrich Wilhelm am 22. Februar 1793 geboren. Kein Erzieher moderner Art leitete den Jugendunterricht; der kräftig aufblühende Junge wurde einfach in die Elementarschule geschickt und nahm so, mitten unter dem Volke lebend die ersten Elemente der Bildung in sich auf, die durch den Besuch der Handelsschule in Hagen weiter vervollkommnet wurde. Die Grafschaft Mark zählt zu jenen deutschen Gauen, wo Industrie und Landwirthschaft friedlich nebeneinander bestehen; die hohen Dampfschornsteine der Fabriken, die Obelisken unserer Tage, recken sich überall empor und dicht daneben lebt noch in patriarchalischer Einfachheit der Bauersmann.

Der Vater unseres märkischen „alten Fritz“ war Fabrik- und Gutsbesitzer zugleich und sein Haus war der Sammelpunkt mancher Männer von Bedeutung, wie zum Beispiel, außer Stein, Benzenberg, Natorp, Möller von Elseg und Andere. Der Einfluß des Verkehrs mit solchen Persönlichkeiten auf Geist und Gemüth des Kindes blieb nicht aus; manches gute Samenkorn senkte sich in die Seele des Knaben und das Herz schlug warm für das Volk und das Vaterland.

Fünfzehn Jahre alt trat der junge Westphale in ein Handlungshaus in Barmen als Lehrling ein, doch nicht lange sollte es dauern, bis die Hand die Feder mit dem Schwerte vertauschte. Mit zwanzig Jahren stand Harkort als Lieutenant im Füsilier-Bataillon des ersten westphälischen Landwehr-Regimentes, bei jenen braven Landwehrleuten, die der Volksmund die „Hacketäuer“ nennt, nach dem Ausspruche eines tapferen westphälischen Soldaten, der einst, als man mit Kolben dreinschlug, seinem Nachbar zurief: „Hacke tau, Brauer – et geit för et Vaterland!“ Wie ehrenvoll und muthig der junge Krieger gefochten, haben wir schon zu Anfang dieses Artikels gesagt; in Holland und Belgien bewährte sich die Tapferkeit des jungen Officiers. Napoleon war geschlagen, Deutschland von der Fremdherrschaft befreit und wieder kehrte der Landwehrmann zurück zu seinem bürgerlichen Berufe.

Harkort hat das Verdienst, die gewaltige Bedeutung der Anwendung der Dampfkraft schon sehr früh erkannt zu haben, und machte bereits den Minister von Stein auf die Wichtigkeit des Eisenbahnbaues aufmerksam. Dies ist um so höher anzuerkennen, wenn wir bedenken, daß die ersten Männer der Wissenschaft, wie z. B. Arago, zur Benutzung des Dampfes als Bewegungsmittel gar wenig Vertrauen hatten. Beim Bau von Dampfschiffen und Eisenbahnen griff der unermüdlich thätige Mann rastlos ein, wie er denn überhaupt zu den verschiedensten industriellen Unternehmungen den Anlaß gab. Unmittelbar nach dem Kriege war er mit Herstellung und Verwaltung eines Kupferwalzwerks beschäftigt; wenige Jahre darauf machte er sich durch die Errichtung einer Maschinenfabrik und einer Lederfabrik zu Wetter verdient und im Jahre 1827 wurde das Puddlingswerk für Stabeisen in demselben Orte gegründet. Noch 1857 betheiligte sich der alte Herr am Bau einer Eisenhütte zu Kaltenbach.

Sollte man nicht glauben, eine so vielseitige Thätigkeit hätte die ganze Kraft des Mannes vollständig in Anspruch genommen? eine Natur gewöhnlichen Schlages hätte sich mit den erworbenen Lorbeeren begnügt, sich behaglich in den vier Pfählen des eigenen Hauses eingerichtet und im Uebrigen die Dinge gehen lassen, wie es Gott gefällt; nicht so unser trefflicher Sohn der rothen Erde! Ihm diente die Feder nicht ausschließlich dazu, um Posten in’s Soll und Haben seiner Bücher einzutragen; sie war ihm gleichzeitig eine Waffe, mit der er für Erreichung seines Strebens kämpfte. Außer einer schlichten, einfachen Geschichte des ersten westphälischen Landwehr-Regimentes, in der wir indessen manche flammende Stelle finden, die Ernst Moritz Arndt geschrieben haben könnte, müssen wir viele volksthümliche Artikel und Aufsätze, manche bemerkenswerthe Broschüren mit allen Ehren erwähnen, vor allen Dingen den im Jahre 1851 erschienenen „Bürger- und Bauernbrief“, der den Ritter des eisernen Kreuzes auf die Anklagebank brachte. Wie in der Rede, so auch im geschriebenen Worte tritt uns Harkort als echter Westphale entgegen. Wuchtig, knapp, ohne Zierrath, aber voll Wahrheit und Kraft, so spricht Harkort zum Volke! Da ist nichts von gelehrten Citaten, nichts von diplomatischem Verschleiern, nichts von Schielen nach dem Effecte – es ist die Sprache der rückhaltlosen Ueberzeugung, die von Herzen kommt und zu Herzen geht! Er verschmäht die Kunst, mit Floskeln den Kern der Sache zu umgehen, und sucht nicht mit schönen Redensarten zu blenden; wie Kolbenschläge fallen die gewichtigen Worte auf das Haupt der Gegner; es ist noch der alte „Hacketäuer“ von Anno 1815, der alte, aber noch jugendfrische Kämpfer auf einem anderen Schlachtfelde! Er hat in diesem Bürger- und Bauernbriefe eine Partei von Junkern bezichtigt, sich in damaligen Tagen abermals zwischen Thron und Staat, König und Volk zu stellen, um alle Errungenschaften einer drangsalschweren Zeit, allen Ausgleich zwischen Fürsten und Nation, alle Zusagen der bürgerlichen Freiheit wieder zu vernichten. Er nannte in seiner Vertheidigung diejenigen Junker, deren plumper Egoismus das Königthum ausbeuten möchte für Sonderinteressen.

Seit dem Jahre 1830, wo Harkort Abgeordneter zum Provinziallandtage Westphalens wurden, datirt seine Wirksamkeit als Volksvertreter. In richtiger Erkenntniß, daß nur auf Grundlage einer guten Jugendbildung wie einer tüchtigen Volksbildung überhaupt sich ein freies, gedeihliches Staatsleben entfalten kann, hat Harkort vor allen Dingen sich die Verbesserung der materiellen [23] Lage der Elementarlehrer und Hebung des Volksunterrichtes als eine seiner Hauptaufgaben gestellt, doch vergißt er auch nicht, mit aller Energie zum Besten des Ackerbaues, der Industrie und des Handels in die Schranken zu treten. Eine Masse fliegender Blätter, deren Ton, Styl, Gesinnung und Haltung vortrefflich sind, sprechen für seine Thätigkeit und Liebe für die Volksinteressen.

Vom Wirbel bis zur Sohle ist Harkort ein echter Volksmann ein treuer, unerschrockener Kämpe der Freiheit und des Rechtes. Je höher die Wogen der Reaction gingen, um so lauter hat seine Stimme das Evangelium des Rechtes und der Freiheit verkündet; das wüste Schreien einer von utopistischen Ideen berauschten Menge hat ihn ebensowenig beirrt wie das Hosiannarufen der Machtanbeter; ein Demokrat in des Wortes reinster Bedeutung steht der Jüngling mit dem weißen Haupte vor uns, ein würdiger Kampfgenosse seines Landsmanns Waldeck. Möge es dem theuren Manne noch manches Jahr vergönnt sein, zu wirken zum Heil und Segen des Vaterlandes, möge noch lange das goldene Herz unter dem eisernen Kreuze schlagen!

Emil Rs.