Vom Gewürzkrämer zum Künstler
In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts stand es bekanntermaßen mit den zeichnenden und malenden Künsten recht schlimm. Nicht als ob es den damaligen Künstlern an technischer Gewandtheit und an akademischen Studien gefehlt hätte. Im Gegentheil, aber die Unnatur, die Hohlheit und Affectation der Zopf- und Rococozeit hatten das Gefühl für die naive Wiedergabe der Natur und das Verständniß für das eigentlich Seelische verloren gehen lassen. Zwar gab es einzelne Künstler, die den ernsten Willen hatten, sich von der Geschmacklosigkeit ihrer Zeit loszusagen, so der talentvolle Dietrich, der theoretisch und praktisch tüchtig geschulte Raphael Mengs, die begabte Angelika Kaufmann und einige Andere. Aber theils fehlte es ihnen an eigenartiger schöpferischer Kraft, theils waren ihre Vorstellungen denn doch immer noch zu befangen von dem Einflusse ihrer Zeit. Nur einer, Daniel Chodowiecki, der lange Zeit die Kunst nur als dilettantische Nebenbeschäftigung übte, erkannte mittelst seines feinen künstlerischen Gefühls, daß in der naiven, ungezierten und ungeschminkten Auffassung der Natur und des seelischen Ausdrucks nicht nur ein großer Reiz, sondern auch der Kernpunkt jedes wahren künstlerischen Strebens liege. Wenigstens in allen seinen Darstellungen aus dem wirklichen Leben bleibt er dieser Erkenntniß mit hingebender Innigkeit treu. Und Diese sind es denn auch, an denen sich heute noch alle Kunstfreunde und -Kenner ergötzen.
Daniel Chodowiecki wurde zu Danzig am 16. October 1726 geboren, verlebte auch dort seine Jugendzeit bis zu seinem siebenzehnten Jahre. Sein Vater war Kornhändler, muß aber kein gewöhnlicher Kornhändler gewesen sein, denn er ertheilte seinem Sohn den ersten Unterricht im Zeichnen. Auch ist es für seinen altbürgerlichen, patriarchalischen Charakter bezeichnend, daß er bei der Geburt seiner beiden Söhne für jeden einen Baum vor seiner Hausthür pflanzte und diese Bäume wie seine Söhne taufte, den einen Gottfried, den anderen Daniel. Sie standen noch, frisch und kräftig, als Daniel bereits ein Fünfziger war. Ueberhaupt muß in der ganzen Familie ein sinniges Wesen und eine künstlerische Neigung obgewaltet haben. So unterrichtete Daniel’s Tante, eine Schwester seiner Mutter, ihn und seinen Bruder Gottfried in der Emailmalerei. Doch wurde diese nur als eine nicht ganz unerträgliche Nebenbeschäftigung betrieben, und nach seines Vaters Tode mußte Daniel als Lehrling in das Specereigeschäft einer Wittwe treten.
So vom Morgen bis zum Abend hinter dem Ladentisch zu stehen, bald Kaffee und Zucker, bald Grütze und Pflaumen und was Alles sonst noch abzuwiegen, scheint allerdings nicht die befriedigendste Beschäftigung für eine junge Künstlerseele zu sein. Doch Ausharren führt mitunter auch unter den ungünstigsten Verhältnissen zum Ziel und auch die prosaischste Seite des Lebens hat ihr Theilchen Seele, das sich künstlerisch oder poetisch verwerthen läßt. Das mochte auch Daniel im Stillen gedacht haben, der trotzalledem mit seiner künstlerischen Sehnsucht nicht brechen konnte. Und wirklich sprach der Beruf zu laut in ihm. Wenn endlich die Erlösungsstunde schlug, wenn am Abend der Laden geschlossen wurde und der lange Abendsegen gesprochen war, eitle er auf sein Stübchen und zeichnete so lange, bis das Talglicht niedergebrannt oder die Augen schlaftrunken den Dienst versagten. Anfangs hatte er nach Kupferstichen gezeichnet, dann aber, als diese nicht mehr zu erlangen waren, machte er sich an seine lebende Umgebung, an die Kunden des Geschäfts, denen es an Verschiedenheit und Eigenthümlichkeit der äußeren Erscheinung nicht gefehlt haben wird, auch an die Principalin selbst. Kurz, Alles wurde gezeichnet und zu zeichnen versucht, was irgend wie dazu geeignet schien. Seinem aufmerksamen, stets beobachtenden Auge entging nichts. Sogar während der Predigt in der Kirche folgte er diesem Trieb, indem er sich die Bilder an den Wänden dadurch in’s Gedächtniß zu prägen suchte, daß er ihre Umrisse mit dem Finger in der Handfläche oder auf dem Deckel des Gesangbuchs wiederholt nachahmte, um sie zu Hause aufzeichnen zu können. Ohne Zweifel haben gerade diese frühen Uebungen des Formgedächtnisses nicht wenig dazu beigetragen, seinen Blick für das Charakteristische an den Dingen zu schärfen; denn um sich eine Form einzuprägen, muß man sich zunächst Dasjenige besonders merken, was sie am meisten von anderen Formen unterscheidet, was beim Künstler bald bewußt, bald unbewußt geschieht, je nach der Eigenartigkeit der Begabung.
Ein Glück für ihn war es, daß er 1743 nach Berlin kam, wo er bei seinem Onkel Ayrer als Buchhalter eintrat. Dieser bekam alsbald eine sehr günstige Meinung von seinen künstlerischen Anlagen und gab ihm den Maler Haid zum Lehrer, unter dessen Einfluß bei ihm der Entschluß reifte, dem kaufmännischen Berufe zu entsagen und sich ganz der Kunst zu widmen – im achtundzwanzigsten Lebensjahre immerhin ein gewagter Schritt, besonders unter seinen Verhältnissen, denn die Tochter des Berliner Goldstickers Barez, die schöne Jeanne, hatte bereits sein Herz so sehr gefesselt, daß er ernstlich daran dachte, sie zum Altar zu führen. Daniel war ein energischer, beharrlicher Charakter. Er führte durch, was er sich vorgenommen. Ueber seine Liebe vergaß er nicht seine Kunst und über seine Kunst nicht seine Liebe. Den Tag über malte er lediglich für den Broderwerb Emailbilder – zum Schmuck der Dosen – und Miniaturbildnisse von zarter und sauberer Behandlung, Abends aber zeichnete er in der Privatkunstschule von Rode nach dem lebenden Modell. Und was ihm dann noch von Mußestunden verblieb, verwendete er auf seine wissenschaftliche Ausbildung und die Erlernung fremder Sprachen.
Mitten in diesem Werden und dieser vielseitigen Thätigkeit – 1755 – verheirathete er sich. Nun galt es erst recht zu schaffen und zu streben, um den vermehrten häuslichen Bedürfnissen zu genügen, ohne die höheren Ziele der Kunst darunter leiden zu lassen. Recht schwer mag ihm dies geworden sein, als im folgenden Jahre der siebenjährige Krieg ausbrach. Halbe Nächte hindurch saß er bei der Arbeit, bemüht durch verdoppelten Fleiß den Ausfall in seinen Einnahmen auszugleichen. Gewiß ist dies bei anderen Arbeiten leichter als bei künstlerischen, welcher Art von Kunst sie auch angehören mögen. Man soll ihnen nicht die Noth und Sorgen ihres Schöpfers, nicht einmal das Mühevolle ihrer Herstellung anspüren. Aus der vollen unbekümmerten Hingebung an den Gegenstand, aus der heiteren, friedensseligen Weihestunde des Geistes sollen sie hervorgegangen scheinen, und müssen es auch sein; dazu bedarf der Künstler in hohem Grade der Kraft, in den Stunden seines Schaffens nur seinem inneren Wesen zu leben und sich von Allem zu isoliren, was ihn darin stören könnte.
Daß dies oft seine argen Schwierigkeiten hat und daß der Künstler trotz seines heiligsten Strebens so gut wie andere Menschenkinder auch den maßgebenden Factoren des äußeren Lebens Rechnung zu tragen gezwungen ist, wird auch der höchstfliegende Idealist zugeben müssen, ja, er wird es in der Ordnung finden. Auch unser Daniel Chodowiecki ist ohne Zweifel oft in dieser Lage gewesen. Aber er war eine praktische Natur und wußte sich zurecht zu finden. Er hatte ja in seiner kaufmännischen Carrière Buchhalten gelernt und kannte den großen Unterschied zwischen Soll und Haben und die außerordentlich wichtige Rolle, die diese Beiden im irdischen Dasein spielen. Er zeichnete und radirte, was die Zeit brachte und wie sie es brachte, wenn es nur irgendwie ein Stück Leben eigenthümlicher Art bot. So stach er während des siebenjährigen Krieges eine Menge kleinere und größere Episoden aus den Zeitereignissen und Tagesbegebenheiten, darunter die russischen Gefangenen in Berlin, ein jetzt sehr seltenes Blatt. Aus den an sich unbedeutendsten Motiven wußte er durch seine Auffassung und geistvolle Zeichnung reizende Kunstblätter, bald gemüthlicher, bald graciöser, bald humoristischer Art, zu machen. Hier ist es ein alter lesender Bauer, dort sind es Bettelbuben und Soldatenweiber, Herumtreiber und Würfelspieler, die er uns vorführt; ein anderes Mal elegante hochfrisirte Frauen mit Reifrock in überaus zierlicher Tournüre, daneben nicht minder zierliche Herren mit Haarbeutel und Chapeauclaque; dann wieder Soldaten, Kammermädchen, Bedienten und Kinder in der Tracht seiner Zeit. Und gerade diese meist kleinen, mit der Radirnadel ausgeführten Arbeiten sind es, die ihn in sein eigentliches Gleis brachten.
Fast zehn Jahre hatte er in dieser Weise gearbeitet, als er sich zu einem Gegenstande von größerem Umfange hingezogen fühlte, der schon an sich durch das höchst Tragische und Rührende [81] seines Inhalts die Sympathien des Publicums in außerordentlichem Grade für sich hatte. Alle Welt sprach damals mit Theilnahme und Entrüstung von dem an dem Kaufmann Jean Calas zu Toulouse verübten Justizmorde. Man hatte ihn nach vorhergegangener Tortur hingerichtet, weil er beschuldigt worden war, seinen angeblich zum Katholicismus übergetretenen Sohn ermordet zu haben. Der junge, an Schwermuth leidende Mann war in dem Waarenmagazine erhängt gefunden worden. Religiöser Fanatismus bemächtigte sich des traurigen Falls und beutete ihn aus. Die Geistlichkeit that alles Mögliche, um das Volk aufzuregen, besonders die Mönche, und das Parlament zu Toulouse war so schwach und leichtsinnig, auf die Aussagen theils in Fanatismus befangener, theils bestochener Zeugen hin, mit acht Stimmen gegen fünf das Todesurtheil zu fällen und vollstrecken zu lassen – an einem bisher als wohlwollend und rechtschaffen bekannten und mit den Seinigen im besten Einverständniß lebenden Manne.
Die ganze Familie stürzte in’s Unglück. Ihr Vermögen wurde confiscirt. Da wandte sich die nach der Schweiz geflohene Wittwe an Voltaire; dieser nahm sich ihrer an und brachte, unter Beihülfe einiger Juristen, es durch seine energische Agitation dahin, daß das Parlament zu Paris den Proceß einer strengen Prüfung unterwarf. Und Calas und seine Familie wurden für vollkommen unschuldig befunden.
Chodowiecki wählte den Moment des Abschiedes des unschuldigen Calas von seiner Familie. Eben wird der Unglückliche gefesselt. Die Kinder umringen ihn weinend. Er weist mit liebevoller Geberde auf die ohnmächtig hingesunkene Mutter, welcher ein Freund des Hauses und die alte Magd beistehen. Soldaten, hinter denen Mönche hereinblicken, halten die Thür besetzt. Die Scene ist klar ausgesprochen, der Ausdruck in den Bewegungen und den Köpfen lebendig und rührend. Das Blatt zündete und förderte Chodowiecki’s Ruf und Ruhm außerordentlich.
Von allen Seiten gingen ihm nun Aufträge zu Stichen und Radirungen zu. Es ist geradezu erstaunlich, wie er allen zu genügen vermochte. Kaum irgend ein Buch erschien, wozu er nicht etwas geliefert hätte, und wäre es auch nur eine Vignette gewesen. Freilich ist auch Vieles darunter, was unseren heutigen Anforderungen nicht im Entferntesten entspricht. Für Ritter- und Heldengestalten, so wie für alles Romantische, Mythologische, Allegorische und selbst für das Historische fehlte ihm die Anschauung, das Verständniß. Auch die malerische Auffassung des Landschaftlichen und des Architektonischen lag ihm fern. Er versteht das Leben und die Menschen nur da, wo er sie in der allernächsten Nähe gesehen; da aber, im Focus seines Gesichtskreises, erkennt und ergreift er sie mit großer Feinheit und mit seelischem Verständniß. Und sein geistreicher Zeitgenosse Lichtenberg hat gewiß Recht, wenn er von ihm rühmt, er wisse auch in den kleinsten Figuren Seelen darzustellen und erscheine darum lehrreicher, als mancher der Romane, zu denen er die Illustrationen geliefert.
Es ist hier nicht der Ort, auch nur einen Theil seiner besten Schöpfungen einzeln anzuführen. Die Gartenlaube ist ja kein Kunstfachjournal. Die Gesammtzahl seiner Blätter beläuft sich auf mehr als Dreitausend. Es mag genügen, zu sagen, daß er die Werke fast aller seiner großen deutschen Zeitgenossen illustrirt, so von Gellert, Lessing, Schiller, Goethe, Voß, Basedow, Pestalozzi und Anderen, außerdem noch nach eigener poetischer Erfindung eine große Zahl von Blättern geschaffen hat, in denen er das bürgerliche Leben seiner Zeit theils in den unterhaltendsten und ergötzlichsten Variationen schildert, theils es in scherzhafter, wohlwollender Weise persiflirt. Darüber kam er freilich nur sehr selten zur Oelmalerei, doch zeigen seine wenigen hinterlassenen Bilder – Genrestücke in der Weise Watteau’s und Lancret’s – eine präcise Behandlung und mitunter einen feinen sonnigen Silberton in der Farbe.
Auch in das Innere seines eigenen Familienlebens führt er uns wiederholt ein. Eines der frühesten Blätter dieser Art ist dasjenige, welches diesem Artikel in einem vortrefflichen Holzschnitte nach einer Originalzeichnung des Künstlers beigegeben ist, die sich in der überaus vollständigen und aus den schönsten Exemplaren bestehenden Chodowiecki-Sammlung des Verlagsbuchhändlers Herrn Dr. Engelmann in Leipzig befindet. Die [82] Zeichnung trägt das Datum vom 3. November 1758, zeigt uns also Chodowiecki’s häusliches Leben ein paar Jahre nach seiner Verheirathung. Die Abendstunden scheinen bereits vorgerückt und des Tages Geschäfte und Sorgen allerseits erledigt. Man ruht aus, spielt, plaudert, erholt sich. Links sitzt der Künstler selbst, behaglich die Beine vor sich hinstreckend. Ich glaube, er beobachtet weniger das Kartenspiel der Frauen und Mädchen, als deren Haltung, Geberden und Mienen. Zunächst neben ihm sitzt seine junge Frau, ein interessantes Profil und einen schönen Augenaufschlag zeigend, neben dieser seine Schwiegermutter. Die beiden Damen gegenüber sind mutmaßlich seine Schwestern, und die stehende schlanke Gestalt, die uns den Rücken zuwendet und liest, ist wohl seine Schwägerin, die Frau seines nebenan sitzenden Bruders Gottfried, der etwas schläfrig dareinschaut und seinen eigenen Gedanken hingegeben scheint.
„Was ist denn“ wird vielleicht mancher unserer Leser fragen, „so vorzüglich, so außerordentlich an diesem Bilde? Haben wir nicht heutigen Tages Hunderte von Künstlern, die solche Scenen mindestens ebenso anschaulich und noch interessanter darstellen?“ Ohne Zweifel, aber an Schlichtheit und Anspruchslosigkeit der Auffassung und an Feinheit der Zeichnung bei solcher Einfachheit werden doch nur Wenige den Meister des vorigen Jahrhunderts übertreffen.
„An Feinheit der Zeichnung?“ frug mich einst erstaunt eine Dame, als ich bei einer anderen Gelegenheit mich ähnlich ausdrückte. Es stellte sich heraus, daß sie unter „feiner Zeichnung“ eine glatte, sauber gestrichelte, sorgfältig ausschattirte verstanden hatte. Ich meinte nun allerdings etwas ganz Anderes. Und was? Das möchten vielleicht auch einige Leserinnen und Leser der Gartenlaube wissen. Es ist Das nicht so leicht zu definiren, doch ich will es versuchen. Unter „feiner Zeichnung“ in höchster Potenz verstehe ich eine solche, die alle jene, oft für das ungeübtere Auge des Nichtkenners kaum bemerkbaren, feinen Formbewegungen wiedergiebt, welche sich innerhalb der größeren Formengestaltungen – als letzte und leiseste Lebensäußerung gewissermaßen des verborgenen Pulsschlages der Natur – offenbaren. Ich sage: in höchster Potenz, gebe also mittlere Potenzen zu, in denen die feine Zeichnung zwar nicht alle jene feineren Formbewegungen wiedergiebt, aber doch den wesentlichsten Theil derselben. So kann eine bloße Contourzeichnung mit Recht fein genannt werden, wenn sie alles Dasjenige giebt, was sich im Contour geben läßt. Andererseits kann eine ausgeführte Zeichnung streng und vollständig correct und dennoch nicht fein gezeichnet sein. Endlich möchte ich nicht behaupten, daß Chodowiecki in vorstehender Gruppe eine feine Zeichnung in höchster Potenz geliefert, immer aber eine Zeichnung von seltener Feinheit. Und nun Verzeihung, daß ich diese ästhetischen Spitzfindigkeiten hier herbeigezogen.
Noch sei mir gestattet, eines späteren Blattes aus dem Familienleben des Künstlers kurz zu erwähnen, für diesmal weniger wegen seines bedeutenden Kunstwerths, den es anerkanntermaßen hat, als weil es hier eine biographische Ergänzung bildet. Er nennt es: le cabinet d’un peintre. Wir sehen ihn hier als glücklichen Familienvater und als wohlsituirten Künstler. Fünf liebenswürdige Kinder bilden, mit der Mutter am Tische sitzend, eine reizende Gruppe, die der Vater, der unweit davon am Fenster sitzt, eben zu zeichnen im Begriff ist. Ich denke, er bereut es heute nicht, die kaufmännische Thätigkeit dem Künstlerberuf geopfert zu haben.
Aus dem ehemaligen Ladengehülfen ist jetzt ein weit und breit berühmter, mit gewinnreichen Arbeiten gesegneter Künstler geworden. Da überkommt ihn die Sehnsucht, einmal seine alte Mutter und seine beiden Schwestern, die er in Danzig zurückgelassen, wiederzusehen. Durften doch beide Theile ein freudiges Wiedersehn erwarten. Dreißig Jahre lagen dazwischen. Damals war eine Reise von Berlin nach Danzig ein großes gefahrvolles Unternehmen. Wie er sie angetreten, wie er feierlichen Abschied von den Seinigen genommen, wie sein Gaul ausgesehen – denn nach der Sitte seiner Zeit machte er die Reise zu Pferde – mit was für zum Theil seltsamen Leuten er zusammengetroffen, was für Quartiere er gefunden, welche kleinen Abenteuer er bestanden, wie er endlich bei dem elterlichen Hause angekommen, und wie er dort die schon erwähnten beiden Bäume, die sein Vater gepflanzt, noch frisch und kräftig vorgefunden, und schließlich von Mutter und Schwestern empfangen und liebevoll umarmt wird: das alles erzählt er in einem Tagebuch, das er nicht geschrieben, sondern auf gerade hundert Blättchen meist mit der Feder gezeichnet. Auch erzählt er von den Besuchen, die er in Danzig bei hohen Personen, beim Fürsten Primas, beim Prediger, bei angesehenen Kaufleuten, bei dem überaus schönen Fräulein Ladikowska etc. gemacht, wie er empfangen und eingeladen worden und was für Leute er portraitirt. Dieses originelle Tagebuch, das bis vor kurzem von seinen Nachkommen als Familienschatz aufbewahrt wurde und sich jetzt in der Berliner Akademie-Bibliothek befindet, der es von der letzten Trägerin seines Namens überwiesen wurde, versetzt uns recht mitten ist seine sinnige und gemüthliche Lebensanschauung, die, stets beobachtend, eine Freude darin findet, die Außenwelt mit all ihren kleinen Abwechselungen in den Charakteren und Scenen in sich aufzunehmen und künstlerisch festzuhalten.
Am Spätabend seines Lebens, bereits einundsiebenzig Jahre alt, wurde dem Meister noch die Ehre zu Theil, die höchste Kunststelle im preußischen Staate als Director der Berliner Kunstakademie, an der er viele Jahre Vicedirector gewesen, zu bekleiden. Wohl schwerlich ahnte er, als er am 7. Februar 1801 seine Augen im Tode schloß, den mächtigen Umschwung der Kunst des eben anbrechenden Jahrhunderts zur entgegengesetzten Richtung, zum Großartigen und Idealen, zur Poesie des Erhabenen in der Weltgeschichte und im Empfindungsleben der Menschenseele. – Welche Richtung den Anschauungen unserer Zeit näher liegt, ist unschwer zu entscheiden.