Von Wiesentheid und insonderheit von der dortigen Schuleinrichtung

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Anonym
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Von Wiesentheid und insonderheit von der dortigen Schuleinrichtung
Untertitel:
aus: Journal von und für Franken, Band 5, S. 222–233
Herausgeber: Johann Caspar Bundschuh, Johann Christian Siebenkees
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1792
Verlag: Raw
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Nürnberg
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld, Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


|
VI.
Von Wiesentheid und insonderheit von der dortigen Schuleinrichtung.
So viel ich aus ihrem Journal sehe, so theilen Sie in demselben nicht nur von größern Orten und Städten, sondern auch von den Ortschaften des platten Landes bisweilen Nachrichten mit. Ich bin gewohnt, in jeder Vacanz von meinem Wohnorte zu Fuß mich zu entfernen, ohne mir einen bestimmten Plan zu machen oder eine Gränze vestzusetzen, wohin und wie weit ich gehen und wie lang ich an einem Ort bleiben wolle. Ich bleibe dann nicht allemahl auf der Hauptstraße, sondern ich mache manchmahl auf die Seite eine Ausflucht. Auf solche Art sehe ich freylich keine Palläste von innen, und spreche mit keinen Großen, die man nicht ohne Zwang sehen und sprechen kann. Ich behaupte vielmehr die unumschränkte Freyheit,| zu kommen, zu sehen, zu reden, und zu gehen, wann ich will. Von den auf solche Art gesammelten Nachrichten will ich nun bisweilen in diesem Journal etwas mittheilen.

Auf einer solchen Fußreise kam ich auch nach Wiesentheid. Der Ort gefiel mir sehr wohl, daher blieb ich einige Tage, erkundigte mich um alles sehr genau, und habe es mir noch nicht versagt, einstens zum zweyten mahl dahin zu reisen. Glückt es mir alsdann, mit einigen dortigen Beamten bekannt zu werden, so werde ich noch mehr zuverläßige Nachrichten von der dortigen Gegend geben können.

Wiesentheid ist in der That ein schöner Marktflecken. Er liegt in unserem geseegneten Frankenlande, zwischen den Wirzburgischen Landstädten Kitzingen, Dettelbach, Stadtvolkach und Gerolzhofen, von jeder 3 Stunden; man hat 11/2 Stund nach dem Anspachischen Landstädtchen Prixenstadt, 2 Stunden in das Wirzburgische Städtchen Stadtschwarzach, 21/4 Stund in das Städtchen Geißelwinn Fürstl. Schwarzenbergischen Gebietes, 7 Stunden nach der Reichsstadt Schweinfurt und eben so weit nach der Hauptstadt Wirzburg, gegen welche Hauptstädte eine unübersehbare Ebene sich öffnet. Auf einer| Seite aber gegen das Bamberger Land auf die Nürnberger Straße zu, zieht sich eine Bergwaldung und ein kurzes Weingebirg 1 Stunde von Wiesentheid. Auf einer Anhöhe gegen Prixenstadt über sieht man Prixenstadt, Reßdorf, Kirchschönbach, Altenschönbach, Rüdern, Ilmbach, Untersambach, Abschwind, Rüdenhausen, Kastell, Feuerbach, Kleinlangheim, Atzhausen, Kloster Schwarzach, Laub, Stadelschwarzach und Ulsfeld. Geßdorf, ein Dörfchen halb zu Wiesentheid, halb der Prälatur Ebrach gehörig, Kirchschönbach, ein Wirzburgisches Dorf, Altenschönbach, ein freyherrlich Crailsheimisches Dorf, Rüdern und Untersambach, der Prälatur Klosterschwarzach gehörige Dörfchen, Ilmbach, eine Carthause mit etlichen Häusern, Abschwind, ein großes Dorf, wovon 1/3tel der Vogteyherrschaft Gräflich Rüdenhausisch, 1/3tel dem Damenstift zu Wirzburg gehörig und 1/3tel Ebrachisch ist, die Cent aber ist ganz Rüdenhausisch. Daselbst fängt oben bemeldeter Weinbergbau an und zieht sich bis nach Rödelsee 4 Stunden an Mayn. Es ist daselbst auch ein weit berühmter Steinbruch, dessen Stein aschgrau ist, und zu Thüren, Fenstern, Wassersteinen, Platten, Rinnen, u. d. g.| gebraucht wird. Rüdenhausen, ein Dorf mit der Residenz des Herrn Grafen von Castell-Rüdenhausen und dazu gehörigen Regierungscanzley und Amt. Castell, ein Dorf und Residenz des Herrn Grafen von Castell zu Castell mit seiner Regierungscanzley und Amt. Daselbst steht eine neue Kirche mit einem Blitzableiter. Feuerbach, ein Castellisches Dorf, woselbst dermahlen ein guter Bierbrauer ist, bey dem in 2 besonderen Zimmern sich die Geistlichen und Beamten aus der ganzen Gegend wöchentlich Montags und Freytags versammeln und über Zeitungen und wissenschaftliche Dinge sprechen. Daselbst sind auch 2 Papiermühlen. Kleinlangheim, ein großer Ort, Anspachisch, woselbst ein fürstliches Amt ist, so wie zu Prixenstadt. Atzhausen, ein Dörfchen zu Wiesentheid gehörig, mit einem geringen Zoll versehen. Klosterschwarzach, eine Benedictiner Prälatur mit etlichen Häusern am Maynfluß. Laub, ein Dorf, dem Bürgerspital zu Wirzburg gehörig. Stadelschwarzach, ein klosterschwarzachisches Dorf, durch welches die neue Chaussee geht, die der jetztregierende Fürstbischoff zu Wirzburg von Bamberg nach Würzburg über Neuses und Dettelbach| anlegen ließ. Lilsfeld, ein zu Wiesentheid gehöriges Dorf.
.
Die Wiesentheider Gemarkung gränzet gegen Norden an Laub und Stadelschwarzach, gegen Osten an Prixenstadt, Geßdorf und Untersambach, gegen Süden an Abschwind und Rüdenhausen, und gegen Westen an Feuerbach und Atzhausen. Prixenstadt, Abschwind, Rüdenhausen, Castell, Wiesenbronn, Feuerbach und Kleinlangheim sind evangelisch, alle übrigen Orte sammt Wiesentheid katholischer Religion und liegen in der Diöcese des Wirzburgischen Bisthums. Diese Mark enthält einen kleinen sogenannten Weinbergsflur gegen Stadelschwarzach und Prixenstadt, worin aber kaum noch 20 Morgen Weinberg liegen werden. Dieser hat guten schwarzen und grauen Boden. Die ganze übrige flache Markung aber ist größten Theils Sand. Sie besteht aus Äckern, Gärten, Wiesen und etlichen Gemeindwäldchen. An diese Gemarkung stößt mit einer Spitze ein großer herrschaftlicher Wald, Obersambach genannt, vermischten Holzes. Dieser ganze Wald war vor dem 30 jährigen Krieg eine eigne Gemarkung mit 4 Höfen und einigen Hirten- und Seldnershäuslein, welche verheert worden sind. Huthplätze| sind keine mehr da, sondern seit 2 Jahren vertheilt, und gegenwärtig ist man mit einem Straßenbau beschäfftiget, wodurch die 4 Hauptwege gegen Laub, Obersambach, Rüdenhausen und Feuerbach gerade in einer Linie und Breite mit Gräben und Bäumen versehen werden sollen.
.
Der Ort selbst enthält ein Schloß mit einem großen Lust- und Gemüßgarten, die Sommerresidenz des Herrn Grafen von Schönborn zu Wiesentheid, der Herr des Orts ist; ein großes Gebäude, worin der Canzleydirector und ein Amtmann, jeder seine besondere Wohnung hat; ein herrschaftliches Brauhaus, einen herrschaftlichen Bauernhof, die Kirche ohne Kirchhof, denn dieser liegt ausser dem Ort, einen Pfarrhof, und das Rathhaus, welche alle ausser dem Schloß sämtlich neue Gebäude sind, etwa 60 bis 70 Jahre alt, und 145 numerirte Unterthans-Häuser; davon die meisten zweystöckig sind, und deren unterer Stock von Mauersteinen ist, die blaulicht aussehen und in der Gemarkung selbst, im sogenannten Weinbergsflur gegraben werden. Unter diesen sind 16 ganz neue Gebäude seit 40 Jahren erbaut, und 12 davon sind erst seit dem Jahr 1760 gebaut und machen eine eigene| Gasse aus. Acht Häuser sind, die zweystöckig und groß sind, worin auch meistens Beamte wohnen, und die auch für einen Sommeraufenthalt einem Adelichen oder andern reichen Manne, der von seinem Capitalzinsen leben und sich viele Lustbarkeit machen kann, gar wohl dienen könnten. In diesen alten und neuen Gebäuden wohnen der Herr Graf selbst jährlich im Sommer 3 bis 4 Monate, das ganze Jahr aber das in 10 Herren Beamten und Officianten dermahl bestehende Canzleypersonale und 7 zum Amt gehörige Herren Beamte und Officianten, 3 Geistliche, ein Förster, 1 Canzley- und 1 Policeydiener. Die Bürgerschaft besteht aus 14 Gerichtspersonen und 151 gemeinen Unterthanen, worunter ein Apotheker, ein Chirurg und ein Hofuhrmacher distinguirte Bürger sind.
.
Die dortige Jugend besteht aus beyläufig 130 Söhnen, 199 Töchtern, 17 Gesellen, 9 Knechten und 30 Mägden, worunter 170 Schulkinder, die in 2 Schulen vertheilt sind; nicht nach dem Geschlecht, sondern nach dem Alter. Die Kinder im 7, 8, 9, 10ten Jahre sind in einer Schule beysammen: jene vom 11, 12 und 13ten Jahr auch in einer. Über die große ist ein| Schulmeister, über die kleine ein Cantor gesetzt. Die Herrschaft besetzt beyde Dienste und nimmt gemeiniglich die Leute dazu aus dem Schullehrerseminar von Wirzburg. Die Gemeinde besoldet sie aus der Gemeindecassa. Sie haben freye Wohnung im Rathhause, worin zugleich die Schulstuben sind, einen Beytrag aus der Kirchenrechnung und von der Herrschaft selbst; dann ziehen sie verschiedene Sporteln von den einzelnen Bürgern, die taufen, begraben, copuliren und Messe lesen lassen. Auf diese Weise zahlt der einzelne Mann für die Schule nichts, als nach Belieben ein Geschenk zu Weihnachten und Neujahr. Der Unterricht selbst wird classenweise nach der allgemein bekannten neuen Lehrart ertheilt. Beyde Schulen sind bloß Teutsche Schulen, worin Lesen, Schreiben, Kirchenlehre und Rechnen, alles ohne Unterschied des Geschlechts, nur nach der Stufe des Alters gelehrt wird. Diese beyden Schulen werden die Alletagsschulen genannt, weil ausser ihnen noch eine nur alle Sonntage eine Stund lang nach 12 Uhr vom Schulmeister, ein Jahr lang, für die Kinder vom 14ten Jahr gehalten wird. Bey dem classenmäßigen Schulunterricht wird nur eine Classe jedesmahl unterrichtet, unter| dessen die andern Acht geben sollen. Allein man hat beobachtet, daß wenn eine Classe gelehrt wird, die andere doch nicht Acht gebe. Daher hat Herr Caplan Bayer den Vorschlag gemacht, daß die Mädchen unter dieser Zeit stricken, und die nähen könnten, auch nähen sollten. Auf diesen Vorschlag lernten einige bey Nätherinnen stricken und nähen; diese großen Mädchen lehrten hernach die kleinern, und so lehrte endlich eines das andere unter der Hand in der Schule stricken und auch zu Hause etwas flicken.
.
Der Anfang dieser Schulstrickerey wurde vor 5 Jahren gemacht, und wird nun von allen Kindern so stark getrieben, daß schon die Schulkinder im 8ten Jahr des Alters zu stricken, und die im 11ten zu flicken anfangen. Die Schulmädchen strickten im vorigen Jahr 745 Paar neue Strümpfe von allen Sorten, ohne die angesetzten. Es wird darüber von den Schullehrern eine Tabelle gehalten, und am Ende des Jahrs bey der Prüfung vorgezeigt. In der Strickerey machen es nun einige Knaben den Mädchen nach und stricken Strümpfe, Kappen und Beutel; unterdessen diejenigen, die nicht stricken, in der Stille sich im Schreiben üben müssen. Dieser Kinderfleiß im Stricken stieg so hoch,| daß die Judenweiber, die bisher größten Theils strickten, und so gar die Strumpfweber über Mangel der Nahrung und Abgang klagten.

Im vorigen Jahr machte man den Antrag, daß die großen Knaben bey dem Hofgärtner die Baumzucht lernen sollten. Aber da es den Knaben frey steht, ob sie den Hofgarten gehen wollen, und keine gewissen Tage bestimmt sind, so hört man nicht viel davon, und der erste Eifer ist vorbey.

Wenn man nun fragt, wie weit hat es die dortige Jugend in den Kenntnissen gebracht, wie weit in der Aufklärung, wie weit in der guten Aufführung? so muß ich antworten: wie aller Orten in Franken, und vielleicht in ganz Teutschland, auf dem platten Lande. Die heutige Lehre und Lehrart ist gegen die alte, gegen die nur vor 50 Jahren herrschende zwar überall und in allem unterschieden. Man lehrte damahls das Rechnen in den Schulen gar nicht, das Schreiben wenig, und das Lesen elend genug. Wie viele Dörfchen hatten damahls noch gar keine Schullehrer, wie viele nur Hirten und Taglöhner zu Schulmeistern, und das in Hauptdörfern; und es war nur 5 Monate lang, nur zur Winterzeit, Schule. Jetzt lernen| die Kinder auf dem platten Lande in der Muttersprache die Buchstaben- und Syllabirtafel, das bekannte vortreffliche Lesebuch, und das Evangelienbuch. Bey dem Kirchgang haben sie auch ein Gebetbuch, aber nicht alle lernen darin lesen, obschon alle es mit in die Kirche nehmen, und zum Schein auch wohl hineinsehen. Die Lesekunst hat seit einigen Jahren in Franken abermahls eine neue Stufe der Aufklärung erreicht: man ist, vermuthlich in Wirzburg, auf den nützlichen Einfall gerathen, daß man in der Tabelle und im Lesebuch statt einerley gedruckter Buchstaben, wie bisher, nun von allen Sorten Lettern, gedruckte und wie geschrieben gestochene Buchstaben und Schriften hat. Und doch kann noch kein Kind die alten gedruckten Bücher lesen. Im Schreiben sind sie noch nicht weiter gekommen, als vorhin. Den Katechismum können die Kinder alle auswendig von Wort zu Wort. Rechnen lernen sogar auch die Mädchen. Man darf sich aber nicht vorstellen, daß nun auch alle Unstudirte vollkommen lesen, schreiben, und rechnen können. Sie lernen es wohl zum Theil, aber nicht alle Kinder, und nicht alles. Man sollte freylich denken, bey der heutigen guten Lehrart sollten alle Leute vollkommen| lesen, schreiben und rechnen können können. Die meisten aber vergessen nach den Schulen fast alles, sie sind kaum 2 oder 3 Jahre aus der Schule geblieben, so können sie gar nichts rechnen, schreiben kaum ihren Namen und Ort, und lesen nichts weiter, als ihre Gebetbücher. Worin liegt aber wohl die Ursache dieses allgemeinen Fehlers?
(Die Fortsetzung folgt.)