Vor dem Friedensrichter
[860] Vor dem Friedensrichter. (Mit Illustration S. 853.) Auch bei dem glücklichen Volk der Gefilde, das, wie der Dichter singt, noch nicht zur Freiheit erwacht ist, spielen Ehestreitigkeiten eine große Rolle: hier sehen wir einen älteren Bauersmann mit seiner Frau vor dem Friedensrichter; sie führt offenbar das große Wort und droht durch ihre Beredtsamkeit den alten Mann, der ihr andächtig mit gefalteten Händen zuhört, ganz in den Hintergrund zu drängen. Der Friedensrichter, der sich seine Brille putzt, wahrscheinlich, um klarer in dem Fall zu sehen, wendet seine ganze Aufmerksamkeit der mit solchem Eifer und, wie es scheint, mit solcher Siegesgewißheit plaidirenden Bäuerin zu. Nach ihrer Tracht zu urtheilen, ist sie eine württembergische Oberländerin, denn sie trägt die sogenannte Radhaube. Diese besteht aus einem Drahtgestell, auf das ein schwarzer Spitzengrund und in der Mitte farbige Bänder aufgezogen sind; der Theil, der den Hinterkopf umschließt, besteht aus Goldstoff mit schwarzem Spitzenstoff überzogen und hat auf der hintern Radfläche eine Fortsetzung, den sogenannten Boden der Haube, der etwa handgroß aus reicher Goldstickerei mit farbigen Steineinlagen besteht; die Haube wird durch farbige Bänder unter dem Kinn festgehalten.
Der schlichte Bauer wird schon durch den landesüblichen bunten Aufputz seiner Ehehälfte in den Schatten gestellt. Wie auch das Urtheil des Friedensrichters ausfallen mag: der Ehemann wird auf dem Heimweg keine besonders gute Stunde verleben. †