Vor fünfzig Jahren (Die Gartenlaube 1885/48)
Vor fünfzig Jahren.
Es gehörte gewiß ein größerer Scharfsinn dazu, mittelst Dampf- und Spinnmaschinen aus einem Pfund Baumwolle einen 882 000 Fuß langen Faden zu produciren, als der Dampfkraft ein Niveau mitten durch Europa zu bahnen“ – so schrieb einst der in engster Beziehung zu dem Werden des deutschen Eisenbahnwesens stehende Nürnberger Bürger Johannes Scharrer. Viel Wahrheit liegt in diesen wenigen Worten! Die Geschichte der Dampfmaschine kennt drei scharf geschiedene Perioden, als deren Mittelpunkte Savary und Newcomen, welche (um d. J. 1705) die Dampfmaschine mit senkrechter, hebender Bewegung erfanden, James Watt, welcher (um 1782) derselben die drehende Bewegung ertheilte, und Robert Fulton, welcher (1807) deren fortschaffende Bewegung auf Schiffe übertrug, gelten können. Aber merkwürdig: die heute untrennbaren Gedanken der eisernen Spurbahn, der Dampfmaschine und der Lokomotive schritten Menschenalter hindurch unfruchtbar neben einander her, ohne sich zu vereinigen. Erst im Jahre 1829, als der Schienenweg zwischen Liverpool und Manchester der Vollendung nahte, war es einem der verdienstvollsten Männer unseres Jahrhunderts, dem erfolgreichsten Pionier des geflügelten Rades: Georg Stephenson beschieden, durch die Erfindung der Lokomotive in praktisch brauchbarer Gestalt, d. h. als Schnellläufer, die Dampfkraft dem Verkehr zu Lande dienstbar zu machen und dadurch den Grund zu einer völligen Umwälzung aller Lebens- und Staatsverhältnisse, zu einem ungeahnten Umschwung des Handels, der Industrie und des Verkehrs zu ebnen.
Gegen Ende des Jahres 1830 bestanden in England, Nordamerika, Frankreich und Oesterreich 445 Kilometer Eisenbahnen, von welchen 328 Kilometer mit Pferden, 107 mit Dampfwagen, die übrigen mittelst Seilebenen betrieben wurden. Am 5. Mai 1835 erschloß Belgien der Lokomotive die Einzugspforte, nunmehr ist auch für Deutschland der Tag gekommen, das fünfzigjährige Jubiläum seiner ersten Eisenbahn mit Dampfkraft als ein wichtiges Erinnerungsfest, ja als ein Nationalfest, zu begehen. Mit der am 7. December 1835 erfolgten Weihe der freilich nur kleinen, kaum eine Meile langen, wohl aber ganz den örtlichen Verhältnissen und Bedürfnissen entsprungenen Schienenverbindung der beiden blühenden Schwesterstädte Nürnberg und Fürth begann für Bayern und für das gesammte deutsche Vaterland eine neue Aera friedlicher Kulturentwickelung. Wie die Tragweite jeder belangreichen Neuerung, so kann auch das Verdienst des ersten Eisenbahnunternehmens nur voll gewürdigt werden bei Betrachtung ihrer Vorgeschichte, welche hier in schlichten Worten gekennzeichnet werden soll.
Die ersten Vorschläge zu einer Eisenstraße zwischen Nürnberg und Fürth greifen ziemlich weit zurück und stehen in Zusammenhang mit der [798] Geschichte des Ludwig-Donau-Mainkanals, der bekanntlich wichtigsten und längsten künstlichen Schifffahrtsstraße Deutschlands! Schon zu einer Zeit, als noch Finsterniß auf dem Felde des Eisenbahntransportes ruhte, hatte ein Veteran in der Mechanik, der k. bayerische Oberstbergrath Ritte[r] Joseph von Baader (geb. 1764, gest. 1835) zufolge eines zweimaligen Aufenthaltes in Großbritannien das Wesen der englischen Bergwerksbahnen in sich aufgenommen und die letzteren zuerst dem deutschen Publikum näher gebracht. Seit dem Jahre 1812 stellte Baader in der königlichen Maschinenwerkstätte zu München wiederholt Versuche an mit arbeitenden Modellen seiner Eisenbahn nach „verbesserter englischer Bauart“, erhielt von König Max Joseph ein fünfundzwanzigjähriges Privileg auf seine „Eisernen Kunststraßen“ verliehen und brachte im Jahre 1817 den eingehend begründeten Vorschlag zur Verbindung des Rheins mit der Donau durch eine von Donauwörth über Nürnberg nach Kissingen ziehende Eisenbahn vor die Oeffentlichkeit, später auch vor den Landtag. Baader hatte lediglich schmalspurige Chaussée-Pferdebahnen – die Lokomotive war noch nicht erfunden – für Waarentransporte im Auge, deren Wagen zur Vermeidung der Umladung an jeder Stelle der Bahn auf die Straße übergehen konnten. Viel von sich reden machten die vergleichenden Versuchsfahrten, welche Baader im Frühjahr 1826 Dank der Geldunterstützung des Monarchen im Schloßparke zu Nymphenburg mit zwei Probe-Eisenbahnen, die eine nach englischer, die andere nach seiner eigenen Bauart in natürlicher Größe, veranstaltete. König Ludwig I. ließ die Hauptergebnisse jener Versuche dem Handelsstande Nürnbergs und Fürths mit der Aufforderung bekannt geben, „sich über die Zweckdienlichkeit einer solchen Bahn, deren Unternehmer sich des besonderen Schutzes Sr. Majestät zu erfreuen hätten, zu äußern.“ Allein die Zeit war noch nicht reif genug zu einem derartigen „gewagten“ Unternehmen. Als dann der Landesherr Karls des Großen uraltes Projekt einer Kanalverbindung der Donau und des Mains zu verwirklichen beschloß, da fielen nicht nur die Eisenbahnpläne in Ungnade, sondern auch Baader selbst, der als ein zu sehr leidenschaftlicher, selbstgefälliger Erfinder mit allen Waffen gegen die – beinahe zwei Jahrzehnte später erst vollendete – Kanalverbindung ins Feld zog.
Von Alters her glänzte das freie reichsstädtische Nürnberg durch seinen Gewerbefleiß und Handel, wie durch seine Findigkeit. Seine Blüthezeit im Mittelalter wurzelte in dem belebenden Einfluß der Künste und Wissenschaften auf Industrie und Handwerk. Die politischen und kriegerischen Stürme, die vielen Wendungen der wirthschaftlichen Zustände in den folgenden Jahrhunderten haben zwar Nürnbergs Betriebsamkeit tief erschüttert, nie aber gelähmt. Traurig waren die Verhältnisse noch im Jahre 1806 beschaffen als die alte Reichsstadt der Krone Bayern einverleibt wurde; dann aber nahm dieselbe wieder einen riesigen Aufschwung, Dank der Organisation der Volksschulen und höheren Lehranstalten, der Herstellung eines freien Handelsverkehrs der deutschen Völkerstämme und der zunehmenden Freiheit des Zunftwesens. Mit Nürnberg war gleichzeitig die benachbarte Handelsstadt Fürth von Preußen an Bayern übergegangen. Im Schutze des Friedens und des freien Verkehrs fühlten sich die Schwesterstädte, welche vor Beginn der Eisenbahn-Aera zusammen 56000 Seelen besaßen, fester und fester aneinander gekettet, und die Verbindungsallee wimmelte von Fußgängern, Reitern und Fuhrwerken aller Art.
Die größten Lorbeeren um Nürnbergs Auferstehung erwarb sich ein schlichter Bürger, der edle Kaufmann und Gemeindebeamte Johannes Scharrer (geb. 1785, gest. 1844), der eigentliche Urheber und die Seele des ersten deutschen Eisenbahnunternehmens. Als zweiter Bürgermeister ordnete er mit Umsicht die Finanzen der Stadt, organisirte das Schulwesen und schuf die heute noch blühenden technischen Lehranstalten daselbst, obenan die im Jahre 1823 eröffnete polytechnische Schule. Scharrer erstrebte jedoch nicht nur die Wiederbelebung der Gewerbe, auch die Hebung der tief gesunkenen materiellen Regsamkeit Deutschlands durch Verbesserung des Zoll- und Verkehrswesens lag ihm am Herzen. Hierin ist er nur mit seinem Zeitgenossen, dem Schwaben Friedrich List zu vergleichen. List (geboren 1769, gestorben 1846), der gewandte Volkswirth und Agitator für den deutschen Zollverein, wirkte unablässig in Wort und Schrift für den Gedanken, daß man die Eisenbahnen als die Grundlage zu einem großen deutschen Transportsystem, als das Mittel zur nationalen Emancipation des Handels und der Industrie betrachten müsse. Unter den von ihm hauptsächlich befürworteten Eisenbahnlinien erscheint auch eine Süd-Nordbahn vom Bodensee über Nürnberg bis an den Main. List machte sich um die Gründung der Leipzig-Dresdener Privatbahn neben Gustav Harkort wesentlich verdient, zudem rief er das erste deutsche Eisenbahnjournal ins Leben.
Scharrer, der freilich nicht wie List dem Systeme hoher Schutzzölle, auch nicht wie Adam Smith dem Systeme unbeschränkten Freihandels huldigte, sondern den goldenen Mittelweg vertheidigte, waren ebenfalls die von den jungen Großmächten der Dampfschifffahrt und der Dampfbahn zu erwartenden Vortheile für Deutschland, insbesondere für seine Vaterstadt klar vor Augen getreten. Das Jahr 1832 sah bereits in einer Anzahl norddeutscher Städte Eisenbahnvereine, in- und ausländische Ingenieure in emsiger Thätigkeit für Schaffung von Schienenwegen zwischen verkehrsreichen Städten; an opferwilligen Kapitalisten schien es dabei nicht fehlen zu wollen. Das war für Scharrer das Signal, seinen lange getragenen Wunsch zu verwirklichen und Nürnberg durch Anlegung einer Triest mit Amsterdam und Hamburg, die Donau mit Elbe und Rhein in der Richtung des mittelalterlichen Handelszuges verbindenden Eisenstraße und zwar mit Dampfbetrieb wieder zum Hauptpunkte des Binnenlandes, zum Haupt-Transitoplatz des kontinentalen Großhandels erhoben zu sehen. Hierbei dachte sich Scharrer, wie aus seinen Schriften und einer von ihm entworfenen Karte des zukünftigen deutschen Eisenbahnnetzes erhellt, Dampfschiffkurse auf Rhein, Main und Donau beigezogen.
Die kurze Strecke zwischen Nürnberg und Fürth sollte den Anfang machen als ein erster, billigster und voraussichtlich lohnendster Versuch. Am häuslichen Tische gewann Scharrer sofort seinen verehrten Freund, den ebenso ehrgeizigen als vermögenden Kaufmann und Handelsvorsteher Georg Zacharias Platner, zum Verbündeten, und Beiden gelang es im Umsehen, Nürnbergs Oberbürgermeister Binder und drei patriotisch gesinnte Freunde aus Fürth: den Bürgermeister Bäumen, Handelsvorsteher Meyer und Kaufmann Reissig sich beizugesellen. Aber welche Vorurtheile, welche Abneigung und Gleichgültigkeit gegen das geplante Transportmittel stauten sich nicht auf, als die Gründer ihr Projekt zum ersten Male in der Presse zur Sprache brachten! Zweifelnde, spottende, erbitterte Gegner fanden sich da ein, meist gerade aus jenen Kreisen, die nachmals die größten Vortheile aus den Eisenbahnen zogen. Mangelndes Bedürfniß in dem dürftigen, verkehrsarmen Deutschland, Unerschwinglichkeit der nöthigen Kapitalien, Erzeugung eines grenzenlosen Wirrwarrs, Ruin des Spannfuhrwesens, der fahrenden Posten und aller damit zusammenhängenden Nahrungen und Gewerbe, so und ähnlich lauteten die Klügeleien der Widersacher. Daß vermehrte und verbesserte Transportmittel auch den Verkehr vermehren und neue Transporte hervorrufen müssen, das leuchtete den Wenigsten ein. Das Mißlingen der schon bestehenden österreichischen Pferdebahn von Linz nach Budweis, wie auch die riesigen Kapitalien, welche die Lokomotivbahn Liverpool-Manchester verschlungen hatte, schwächten das Vertrauen erheblich. Außerdem galten die nach Beginn des vierten Jahrzehnts in England mit gewaltigem Lärm in [799] hundert Variationen auftauchenden Straßendampfwagen und Dampfkutschen für alleinige Personenbeförderung – eine der unglücklichsten und undankbarsten Ideen in der Geschichte des Verkehrswesens – beharrlich als Oppositionsmittel. Das Feldgeschrei der englischen Straßendampfwagen-Fabrikanten fand helles Echo in der deutschen Tagespresse; der Marburger Professor Alex. Lips und ein gewisser Schmitz in Erlangen prophezeiten sogar in Schriften den baldigen Sieg jener Mitteldinger zwischen Spannfuhrwerk und Lokomotive über die Eisenbahnen.
Unbeirrt durch alle Bedenken und Einreden brachte das Eisenbahnkomité nach vorausgegangenen Frequenzbeobachtungen auf der Nürnberg–Fürther Chaussée am 14. Mai 1833 die „Einladung zur Gründung einer Aktiengesellschaft“ – eine meisterhafte Arbeit Scharrer’s – vor das Publikum; der vom Professor Kuppler angefertigte Kostenanschlag forderte für die nach englischen Vorbildern zu erbauende Bahn ein Aktienkapital von 132 000 Gulden und stellte eine jährliche Rente von 121/2 Procent in Aussicht. Der König genehmigte den Namen „Ludwigs-Eisenbahn“. Die rege Theilnahme an der Aktiensubskription übertraf alle Erwartungen, schon bei der ersten Versammlung der Aktionäre am 18. November 1833 waren sämmtliche 1320 Aktien, größtentheils im Schoße Nürnbergs, gezeichnet, es konnten die Statuten und die (höchst einfache) Verfassung der Gesellschaft berathen und das Direktorium aus sieben Mitgliedern gewählt werden. An dessen Spitze traten Platner als Direktor und Scharrer als dessen Stellvertreter und Referent. Der allererste ins Leben getretene deutsche Aktienverein im Gebiete des Verkehrswesens, ja in Bayern die erste anonyme Gesellschaft überhaupt, war somit Thatsache. Drei Monate später erfolgte die königliche Privilegirung derselben auf dreißig Jahre.
Die von Baader warm empfohlene versuchsweise Anwendung seiner „neuesten Erfindung für Eisenbahntransport“ schien dem Direktorium ebenso wenig geeignet wie das von Fr. List lebhaft befürwortete wohlfeile amerikanische Oberbausystem mit eisenplattirten Holzschwellen. Hingegen beschloß man nach dem Vorgange der von Scharrer persönlich besichtigten Eisenbahn St. Etienne–Lyon neben der Dampfkraft auch die Pferdekraft anzuwenden. Die beabsichtigte Uebertragung der Bauleitung an einen Ingenieur Stephenson’s scheiterte an den übertriebenen Gehaltsansprüchen; da half der Zufall. Scharrer war in München durch Leo von Klenze auf den königlich bayerischen Bezirksingenieur Paul Denis, der eben erst die Eisenbahnen jenseit des Kanals bereist hatte, aufmerksam gemacht worden. Dieser nahm die ihm angebotene Bauleitung an und überhob dadurch das Direktorium der Mühe, den Engländern gute Worte und viel Geld geben zu müssen. Denis war klug genug, Stephenson’s Errungenschaften ohne wesentliche Abänderungen nach Deutschland zu verpflanzen.
Das Jahr 1834 verfloß mit den technischen Vorarbeiten, mit Einleitung der Hauptlieferungen, mit Erforschung von Kohlenbezugsquellen und mit Durchführung des ganz neuen und mangels eines Zwangsabtretungsgesetzes äußerst schwierigen Geschäftes der Grunderwerbung. Im Januar 1835 erfolgte die Verdingung der Schienen und Schienenstühle (chairs), im Mai wurde der erste Spatenstich gemacht und im Juli die erste Schiene gelegt. Zur Anfertigung der einköpfigen Walzschienen hatte sich im ganzen Zollvereinsgebiete nur Remy bei Neuwied bereit erklärt; die gußeisernen Chairs, mittelst deren die Schienen auf Steinquadern zu ruhen kamen, lieferten die Hütten der Gebrüder Gemeiner in Hüttensteinach, die Personenwagen – Güterbeförderung fand auf der Ludwigsbahn niemals statt – fertigten Nürnberger und Fürther Meister mit alleiniger Ausnahme der aus England bezogenen gegossenen Räder und der Wagenachsen. Im Oktober kam die in Stephenson’s Werkstätten gebaute Lokomotive „Adler“ und auch ihr künftiger Führer, der wackere Wilson aus Newcastle, nach umständlicher Reise zu Schiff und Wagen glücklich in Nürnberg an. Dieser erste und kleinste Dampfwagen Deutschlands, gegen welchen unsere heutigen Zugmaschinen wie Riesen erscheinen würden, leistete nur die Kraft von 15 bis 20 Pferden, wog mit Wasser und Kohlen 61/2 Tonnen (6500 kg) und kostete mit Transport 17 000 Mark.
Nur dem eifrigsten Zusammenwirken von Denis und Scharrer war es zuzuschreiben, daß die Bahnweihe an dem voraus bestimmten Tage stattfinden konnte. Hatte die am Vorabend derselben abgehaltene Generalversammlung einen erfreulichen Beweis geliefert von dem die Gründer wie die Aktionäre beseelenden Geiste und der patriotischen Gesinnung, so legte der Jubel, das Staunen und die Begeisterung des in unermeßlichen Scharen zur feierlichen Eröffnung des Schienenweges am 7. December 1835 herbeiströmenden Volkes beim Vorüberfliegen des geschmückten Festzuges Zeugniß ab von dem richtigen Erfassen der segenspendenden Kraft des in so kleinem Raume eingeschlossenen Elementes. Zahlreich langten Glückwunsch-Schreiben ein von verschiedenen Eisenbahnkomités, von hohen und höchsten Herrschaften des In- und Auslandes; eine ganz besondere Anerkennung ward den Unternehmern beim Besuche des Landesherrn am 17. August 1836 zu Theil.
Der Fahrpreis in den mit Glasfenstern versehenen Wagen I. Klasse betrug die Hälfte gegenüber den bisherigen Eilwagenfahrten und den siebenten Theil gegenüber den Kutschenfahrten zwischen Nürnberg und Fürth. Gar bald vermehrte man die Dampffahrten und verminderte die Pferdefahrten, welch’ letztere im Jahre 1856 völlig eingestellt wurden. Trotz karger Besoldung erfüllte das Bahnpersonal, obenan Betriebsinspektor Löhner und Lokomotivführer Wilson, mit Treue und Hingebung seine Pflichten. Denis’ Kostenanschlag von 140 000 Gulden wurde aus unvorhergesehenen Ursachen überschritten, so daß das Aktienkapital auf 177 000 Gulden erhöht werden mußte. Immerhin bleibt dieser Schienenweg die wohlfeilste je in Europa gebaute Lokomotivbahn und ist die bestrentirende Eisenstraße Deutschlands auch heute noch, trotz der Mitbewerbung zweier parallel laufender Bahnen, der Staatsbahn Nürnberg–Bamberg und einer Straßen-Pferdebahn. Zum öfteren ertrug die Ludwigsbahn mehr als 20 Procent, nie aber weniger als 12 Procent Dividende. Die Gesellschaft hatte in dankbarer Erinnerung dem hochverdienten J. Scharrer nach seinem am 30. März 1844 erfolgten Tode im ersten deutschen Bahnhofe am „Plerrer“ zu Nürnberg ein Denkmal errichtet. Schlicht und einfach ist die von Meister Burgschmiet in Erz gegossene Büste; schlicht und einfach wie Scharrer im Leben war, den bei allen Thaten sein Wahlspruch leitete: „Liebe ist des Gesetzes Erfüllung.“
Man blicke nicht geringschätzend auf das kleine Stückchen Eisenbahn, das bald nach seiner Inbetriebsetzung einen unverkennbaren moralischen Einfluß auf alle geplanten gleichartigen Unternehmungen äußerte, die Kleingläubigen bekehrte und alle Witzeleien verstummen machte.
Erst seit dem vortrefflich gelungenen Versuche des Dampftransportes zwischen Nürnberg und Fürth stammen die fruchtbringenden Anstrengungen verkehrsreicher Städte, um in den Besitz von Eisenbahnen zu kommen. Doch vergingen noch Jahre, bis die Maschen eines zusammenhängenden Netzes von Eisenstraßen geknüpft und dadurch der industriellen Wiedergeburt die kräftigsten Stützpunkte verliehen waren. Die Riesenfortschritte der deutschen Dampfeisenbahnen hinsichtlich ihrer räumlichen Ausdehnung und inneren Entwickelung sind mehr bekannt und mehr beachtet, als deren Anfänge. Deutschland steht heute, was die absolute Länge seiner Schienenwege – in diesem Augenblicke mehr als 36 200 Kilometer – betrifft, allen Ländern Europas weit voran; das auf sie verwendete Anlagekapital hat das hübsche Sümmchen von 9 Milliarden Mark bereits überschritten. Wenn wir heute, die wir schon ein halbes Jahrhundert all der Segnungen des geflügelten Rades theilhaftig geworden sind, die wir bequem und sicher von der Eilkraft des Dampfes durch Schluchten und Berge, über Thäler und Ströme getragen werden, uns im Geiste zurückversetzen in jene Zeit, als Nürnbergs Söhne von Unternehmungsgeist und Thatkraft beseelt das eiserne Band um zwei regsame Städte zu legen sich anschickten, da muß freudiger Stolz über das Vollbrachte uns erfüllen. Ehren wir aber auch mit dankbarem Angedenken die Thaten unserer Vorfahren und wünschen wir der Ludwigs-Eisenbahn, der kleinsten unter ihren Schwestern, die sich jedoch rühmen kann, Deutschlands erste Lokomotivbahn zu sein, auch für die Zukunft Blühen und Gedeihen!
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