Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere/3

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Autor: Carl Vogt
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Titel: Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere - Erste Vorlesung
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 377-379;392-395
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[377]

Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere.

Von Carl Vogt in Genf.
Nr. 3.
Widerwille gegen alle Reptilien - Regazzoni und seine geheilte Hellseherin - Giftige Schlangen - Ihr Giftapparat und dessen Mechanismus - Folgen eines Bisses - Wie man sich gegen Giftschaden zu wehren hat.

Meine Herren!

Die Thierclasse, mit der wir uns heute beschäftigen wollen, flößt allerdings einen unwillkürlichen Abscheu ein. Trotzdem daß ich lange und anhaltend, ja mit Vorliebe könnte ich sagen, den Haushalt und die Entwicklung von einigen dieser Thiere studirt habe, so kann ich mich doch einer unangenehmen Empfindung, eines gewissen Schauers nicht ganz in dem Augenblicke erwehren, wo ich eine Schlange oder einen Frosch, oder gar einen Salamander [378] oder eine Kröte in die Hand nehmen soll. Das kalte, leichenähnliche Anfühlen, das bei den letztgenannten Thieren noch durch den unangenehmen Geruch der milchigen, schleimigen Hautausdünstung vermehrt wird; die unheimlichen Bewegungen; der plötzliche Wechsel zwischen regungsloser Apathie und blitzschnellem Fortschießen; das Geheimnißvolle in ihrem Leben und den Aufentshaltorten, welche die Thiere vorziehen; das schleichende, bösartige, giftige Wesen, das nur einigen mit Recht, den meisten aber mit Unrecht zugeschrieben wird – all dies vereinigt sich, um die Reptilien nicht gerade als angenehme Gäste erscheinen zu lassen. Für den Unvorbereiteten namentlich ist das Kältegefühl, das von einem Frosche z. B. ausströmt, das Unleidlichste, was man sich vorstellen kann, und es liegen Beispiele vor, wo mittelst desselben Betrügereien entdeckt worden sind, denen man sonst vergebens auf die Spur zu kommen trachtete.

Ein gewisser Regazzoni durchzog vor einigen Jahren aller Herren Länder und beutete die Leichtgläubigkeit mit Magnetismus, Hellseherei, Somnambulismus und ähnlichen Kunststücken aus, zu deren Ausführung er einige vortreffliche Sujets hatte. Namentlich war eines seiner Weibsbilder ausgezeichnet in Vorstellungen körperlicher Unempfindlichkeit; sie lag in magnetischem Schlafe und gab nicht das geringste Zeichen von Empfindung, selbst wenn man ihr die peinlichsten Schmerzen verursachte. Für den Kundigen konnte dies Resultat stoischen Studiums nicht allzu überraschend sein. Es ist unglaublich, welche entsetzliche Erfindungsgabe zur Selbstquälung Weiber schon dargelegt haben, die sich bemerklich machen wollten. Die Annalen der Medicin sind vollgepfropft von Fällen, wo Schwindlerinnen sich Verletzungen, welche bis zum Rande des Grabes führten, nur deshalb selbst zufügten, um den leichtgläubigen Arzt zu bewegen, eine Broschüre über den außerordentlichen Fall zu schreiben. So ertrug denn auch Regazzoni’s Stoikerin ohne das mindeste Zucken wirkliche Qualen, und weithin erschallte ihr Ruf und derjenige des berühmten Professors, und von allen Seiten trugen die Leute ihre Thaler herbei, um gläubig das Wunder anzustaunen. Aber in Frankfurt ging es zu Ende. Einer meiner Freunde beschloß, den Betrug zu entlarven. Er hatte einen lebendigen Frosch in der Tasche, den er plötzlich der unempfindlichen Schläferin in den Rücken hinabgleiten ließ. Ein Aufschrei, ein Zucken – die Scene war ausgespielt.

Wir haben nun in unseren Ländern nur zwei Arten giftiger Schlangen, die verhältnißmäßig so selten sind, daß nur sehr wenige Menschen sie gesehen oder von ihnen bedroht gewesen sind. Man kann also kaum sagen, daß der Haß, den alle Reptilien auf sich geladen haben, ein wahrhaft naturwüchsiger sei, und in der That sehen wir, daß in den alten deutschen Sagen Frösche, Unken und Kröten gar nicht jene Rolle spielen, die man ihnen heutzutage zutheilen würde. Die verzauberten Prinzen sind häufig in Frösche verwandelt und benehmen sich in dieser Gestalt durchaus liebenswürdig und hülfreich; die Unken stehen mit den Kindern auf sehr vertrautem Fuße und fressen mit ihnen aus einer Schüssel; die Schlangen sind Freunde der Menschen, heißen deshalb Hausunken und holen sich ihr Recht selbst vor des Kaisers Thron; bei den Nordländern hält sogar die große Midgardsschlange die ganze Welt durch ihren Ring zusammen. Erst mit der Einführung des Christenthums ändert sich eigentlich die Scene, indem aus dem Oriente Sagen und Meinungen nach dem Occidente übertragen werden. Die Bibel trägt dazu nicht wenig bei. Die Poesie der alten Juden ist mit Löwen, Schlangen und Heuschrecken angefüllt, Alles eingeführte Artikel, die bei uns zwar fruchtbaren Boden, aber keine naturwüchsige Stelle gefunden haben. Wie kann ein nationaler Germane eigentlich mit Fug und Recht in diesen Bestien etwas Furchtbares erkennen, nachdem er den Löwen nur hinter Eisenstangen oder ausgestopft, die Schlange nur als unschuldige Blindschleichen und die Heuschrecken nur als sanft knackende Grashüpfer kennen gelernt hat! Bei dem Orientalen ist es freilich anders. Er zahlt von seiner Viehheerde regelmäßig den Theil des Löwen und von seiner Ernte denjenigen der Heuschrecken, und sein nackter Fuß muß sich stets wehren vor dem Bisse der Giftschlangen. Ich bin fest überzeugt, daß die kurzen Hörner, die der Teufel auf vielen alten und neuen Bilderwerken trägt und die eigentlich nur wie zwei Wülste an der Stirn stehen, von der Hornviper Cerastes) herrühren, mit welcher die Juden sowohl in Aegypten und beim Auszug durch die Wüste, als auch später auf dem unfruchtbaren, steinigen Fleck Erde, den man ironisch das gelobte Land genannt hat, viel zu kämpfen hatten. In der That gleichen die Hornvipern, die äußerst giftig sind, mit ihren kurzen Auswüchsen über den Augen nichr wenig der traditionellen Personificirung des bösen Princips. Eben so waren die Juden nicht wenig vertraut mit all’ den Gaukeleien, welche die Schlangenbeschwörer, die Psyllen Aegyptens und Indiens noch in unseren Zeiten auf allen Märkten produciren, und der Stab Aarons, der vor Pharao sich zur Schlange wandelt, wird auch heutzutage noch in Kairo und Alexandria producirt, ohne daß ein Aaron oder ein Pharao oder eine besondere Intervention einer wunderthätigen Macht dazu nöthig wäre. Der Haß gegen die Reptilien und ihr übler Ruf kommt also weit mehr von außen her und ist nicht in seiner ganzen Stärke national germanisch.

Nichts desto weniger beruht er auf einem reellen Grunde. Wir besitzen in der That in den gemäßigten Ländern Europa’s, von den Alpen bis nach Schweden hinein, zwei Arten giftiger Schlangen; die größere Kreuzotter (Pelias berus) mehr in dem Norden, die kleinere Giftotter oder Viper (Vipera communis oder aspis) mehr im Süden. Jenseits der Alpen, in Italien, nimmt das giftige Gewürm schon mehr zu, und die schrecklichsten Arten finden sich bekanntlich unter den Wendekreisen.

Unsere beiden einheimischen Arten gleichen sich sehr und erst bei genauerer Untersuchung kann man sie dadurch unterscheiden, daß die kleinere Platten, die größere aber nur Schuppen auf dem breiten Kopfe hat. Auch spielen die Farben der größeren Otter weniger häufig ins Braunrothe und Schwarze, als diejenigen der kleineren Viper, die indessen meistens mehr graulich erscheint. Beide Arten aber sind dicke, kurze Schlangen mit breitem Kopf und zickzackförmiger, dunkler Zeichnung auf dem Rücken, die nur bei der ganz schwarzen Varietät, welche an einigen Orten zuweilen vorkommt, fast gänzlich verschwindet. Denn die Farbe wechselt ungemein vom hellen Silbergrau durch alle Abstufungen des schmutzigen Braun und Kupferroth bis zum gesättigten Schwarz, und namentlich sind es die Weibchen, die um ein Drittel länger und dicker werden, als die Männchen, welche häufiger in dunkele Farben gekleidet sind. Im Norden Deutschlands, wo außer der Viper nur die gewöhnlich größer werdende Ringelnatter sich findet, ist eine Verwechselung der giftigen Vipern mit den ungiftigen Schlangen nicht möglich, wohl aber im Süden, wo es eine ungiftige Natter giebt (Coluber viperinus), welche in ihrer Zeichnung der Viper so ähnlich sieht, daß man die Thiere, wenn sie in Bewegung sind, leicht mit einander verwechselt. Diese Verwechslung begegnete in der That dem Naturforscher Duméril, der wohl über 40 Jahre lang an dem Pariser Pflanzengarten gerade mit dem Zweige der Reptilien betraut und durch Abfassung eines Hauptwerkes in acht Bänden über dieselben berühmt geworden war, gleichsam als Ironie auf seine langjährigen Bestrebungen. Bei einem Spaziergange in einem Walde bei Paris sah er eine Schlange über den Weg gleiten, und getäuscht durch das schlanke Ansehen derselben, sprang er hinzu und faßte sie um die Mitte des Leibes, indem er sie für die unschädliche Vipernatter hielt. Als er aber von der Schlange in den Daumen und Zeigefinger gebissen wurde, sah der 70jährige Mann freilich sogleich seinen Irrthum ein und traf auch sofort einige Vorkehrungen, die aber ein mehrtägiges Unwohlsein nicht verhinderten.

Das beste Unterscheidungszeichen unserer Giftschlangen ist eben der verderbliche Apparat, den sie in ihrem Rachen tragen und durch dessen Bildung unsere Vipern mit den giftigsten Schlangen der Tropen, den Grubenvipern und den Klapperschlangen, in nächste Verwandtschaft treten. Der Rachen ist ungeheuer groß und kann sich stärker ausdehnen als bei irgend einer anderen Schlange; er trägt aber außer den Giftzähnen nur äußerst wenige und schwache Zähne in den Kinnladen, die nicht im Stande wären, eine größere Beute ernsthaft zu verwunden oder fest zu halten. Die Giftzähne selbst stehen einsam auf dem kurzen, sehr beweglichen Oberkiefer, der durch besondere Muskeln in der Weise bewegt werden kann, daß der Zahn beim Schließen des Mundes sich mit der Spitze nach hinten zurücklegt, beim Oeffnen aber sich etwa in einen rechten Winkel mit der Kinnlade stellt. Es ist dies einigermaßen bedeutsam, indem die Schlange nur schwer auf ein gespanntes, pralles Glied mit abgerundeter Fläche, wie z. B. Arm oder Bein, verwundend einhauen kann, während sie dagegen die freieren Glieder, wie Füße und Hände, besonders die Finger und Zehen, mit Vorliebe als Zielscheibe sucht.

[379] Das Zahnfleisch bildet um den Giftzahn eine Art Scheide, welche ihn nebst seinen Ersatzzähnen (denn solche finden sich lose in der Masse des Zahnfleisches hinter dem functionirenden Zahne) beim Schließen des Maules gänzlich einhüllt. Offenbar werden die Giftzähne, auch wenn sie nicht in Gebrauch stehen, von Zeit zu Zeit gewechselt und durch neue ersetzt. Der Wärter der Schlangenmenagerie im Pariser Pflanzengarten erzählte mir wenigstens, daß er in den Behältern der Giftschlangen von Zeit zu Zeit abgestoßene Zähne finde, deren er auch in der That eine ganze Sammlung besaß, und unter welchen er nach Form und Größe sehr gut die Zähne der einzelnen Arten, namentlich der Klapperschlangen, der Brillenschlangen und der berüchtigten Lanzenvipern (fer de lance) der französischen Colonien zu unterscheiden wußte.

Der Mechanismus des Giftapparates ist einfach. Eine traubige, gelappte Drüse, einer Speicheldrüse ähnlich, liegt unter und hinter dem Auge und sendet einen, meistens heberförmig gebogenen Ausführungsgang, der gewöhnlich eine sackartige, als Reservoir dienende Erweiterung hat, in die Wurzel des Zahnes. Dieser ist in seiner ganzen Länge zusammengerollt und dadurch hohl, und der ihn durchsetzende Canal an der haarscharfen Spitze des Zahnes durch einen Spalt geöffnet, sodaß diese Spitze fast derjenigen eines fein geschnittenen Zahnstochers ähnlich sieht. Beim Bisse richtet sich die Schlange gewöhnlich mit halbem Leibe auf und schleudert den Kopf vorwärts, wie eine geschnellte Feder. In dem Augenblicke, wo sie beißt, drückt der Drüsenmuskel diese mit ihrem Reservoir zusammen und spritzt einen Tropfen des tödllichen Giftes in die feine Wunde, welche gewöhnlich aussieht, wie wenn man sich mit einer Nadel leicht geritzt hätte. Die giftige Flüssigkeit selbst sieht wie ein klarer, dünnflüssiger Speichel aus, reagirt etwas sauer, hat einen schwachen, ekelerregenden Geruch und hinterläßt auf weißer Leinwand durch Austrocknung einen schwachgelblichen Flecken.

Es ist eine festgestellte Thatsache, daß dieses Gift, welches unter günstigen Umständen eine rasche Zersetzung der Blutmasse herbeiführt, wie viele andere Gifte nur dann wirkt, wenn es direct in die Blutmasse eingeführt wird. Es äußert durchaus nicht die mindeste Wirkung, wenn es nur auf die Haut, auf die Zunge, oder in den Magen gebracht wird; es zersetzt sich wahrscheinlich augenblicklich entweder in dem Magen oder in der Leber, ohne irgend welche schädliche Wirkung auf den Organismus bei diesem Einführungswege zu äußern.

Furchtbar aber sind allerdings diese Wirkungen, wenn das Gift direct in den Blutlauf gebracht wird, und um so furchtbarer, je kräftiger die Viper, je reichlicher das Gift in dem Behälter, je heißer die Jahreszeit und je mehr durch Erhitzung oder Ermüdung der Mensch selbst zur Blutzersetzung disponirt ist. Aus diesem Grunde mögen namentlich die Schlangen der Tropengegenden um so viel gefährlicher sein, da dort durch die andauernde Hitze das Blut ohnehin zur Zersetzung geneigt scheint. Gewöhnlich schmerzt die Wunde augenblicklich, wie der Stich einer Biene, und kurze Zeit darauf bezeichnet allgemeine Hinfälligkeit, Todesmattigkeit zum Sterben, Unfähigkeit weiter zu gehen, die Vertheilung des Giftes in die Blutmasse und das dadurch bedingte Erkranken des centralen Nervensystemes. Unauslöschlicher Durst begleitet gewöhnlich diese Erscheinungen der allgemeinen Krankheit, die sich mit Diarrhöen, Erbrechen, später mit Delirien verbinden und entweder zu ruhigem Tode führen oder durch heftiges Fieber und reichliche Schweiße sich zum Besseren wenden kann.

Mit dieser allgemeinen Krankheit, die offenbar durch Blutzersetzung bedingt ist, gehen heftige Localerscheinungen Hand in Hand. Das gebissene Glied schwillt manchmal entsetzlich auf, zuweilen selbst verbreitet sich die Schwulst über den ganzen Körper. Die Bißstelle wird blau, schwarz, brandig, das Glied vollkommen unempfindlich, und oft schwindet diese Unempfindlichkeit erst im Laufe von Jahren – ein Beweis der tiefen Einwirkung auf das Nervensystem.

Wie nun sich gegen solchen Schaden wehren?

Zuerst gilt es natürlich, sich der Gelegenheit gebissen zu werden nicht auszusetzen, und dies ist verhältnißmäßig sehr leicht. Die Kreuzotter ist ein träges, apathisches Thier, das Sonne und Trockenheit liebt, steinige mit Gebüsch spärlich bewachsene Halden als Wohnort vorzieht und dort sich in oberflächlichen Verstecken birgt oder regungslos an der Sonne ruht. Sie verfolgt nicht und flieht nicht; sie beißt nur wenn sie angegriffen, gereizt oder geneckt wird, und da dieses meistens nur ohne Absicht geschieht, so sind es gewöhnlich nur Leute, die Reisig, Beeren oder Pflanzen sammeln, welche von ihr in die Hand oder den nackten Fuß gebissen werden. Stiefel und Hosen schützen ganz vollkommen gegen den Biß der giftigen Schlangen; sogar ein Strumpf genügt meistens, den größten Theil den Giftes aufzufangen und die Verwundung fast unschädlich zu machen. Ein Hieb mit dem Stocke oder selbst mit einer schwanken Gerte genügt vollkommen, der Schlange den Rückgrat zu brechen und sie unfähig zu machen zum Angriffe. Mir selbst ist es schon begegnet, daß ich eine Viper tödtete, die ruhig im Wege lag und unbeachtet von der spazierenden Gesellschaft, die vor mir herging, überschritten worden war. Man schaue also wohl um sich, wenn man sich in Gegenden findet, wo sich Schlangen dieser Art finden können, und stecke die Hand nicht an Orte, die man vorher nicht mit den Augen oder dem Stocke untersuchen konnte.

Hat man aber das Unglück gebissen worden zu sein, so ist sicherlich die erste Indikation, den Uebertritt des Giftes in die Blutmasse zu verhindern. Hat man ein Messer oder selbst nur einen großen Dorn zur Hand, so scheue man sich nicht, mit einem gehörigen Schnitte die Wunde weit zu öffnen und das Blut reichlich fließen zu lassen. Es ist besser, an einer tiefen Schnittwunde, als an einem vergifteten Stiche zu leiden. Man befördere den Ausfluß des Blutes soviel als möglich durch Hängenlassen des Gliedes, durch Waschen mit lauem Wasser, wenn es zu haben ist; man wasche und spüle, um herauszubringen, was möglich ist. Kann man das Glied zum Munde bringen oder ist eine andere Person gegenwärtig, so sauge man augenblicklich Blut und Gift aus der Wunde. Wir besitzen moralische Kindergeschichten, in welchen das Aussaugen des Bisses einer giftigen Schlange als die höchste That des mütterlichen Heroismus und der Todeshingebung für das Kind gepriesen wird. So schlimm steht die Sache nicht. Wer gesundes und derbes Zahnfleisch hat, das beim Saugen nicht blutet; wer von Zeit zu Zeit die ausgesogene Masse vollständig ausspuckt, der wird nicht die mindeste Unannehmlichkeit davon tragen, und im entgegengesetzten Falle ist es höchstens einiges Anschwellen der Lippen und der Zunge und etwas Brechneigung, die den Saugenden für sein Wagestück bestraft. Soviel kann man aber doch wagen, wenn es die Erhaltung der eigenen Gesundheit oder derjenigen eines Mitmenschen gilt.

Sodann unterbinde man augenblicklich das Glied oberhalb der Bißstelle so fest als möglich, um den Blutlauf zu hemmen und den Uebertritt des vergifteten Blutes in die gesammte Blutmasse zu verhindern. Der Natur der Sache nach können nur die oberflächlichen Gefäße und die rückführenden Venen der Haut verletzt sein, und es ist gewöhnlich leicht, die oberflächlichen Hautvenen durch ein Band, das man nöthigenfalls aus einem Kleidungsstücke reißen kann, so zusammenzudrücken, daß der Blutlauf fast gänzlich gehemmt ist. Ist dies aber auch nicht vollständig geschehen, so ist doch schon die allmähliche Ueberführung des Giftes in die Blutmasse von großer Bedeutung, indem dadurch die allgemeine Krankheit gewissermaßen vertheilt und gebrochen wird. Castelnau erzählt, daß man in Südamerika an einzelnen Orten die Behandlung des Schlangenbisses in der Art leitet, daß man die Ligatur des unterbundenen Gliedes von Zeit zu Zeit für einen Augenblick öffnet, dann aber wieder zusammenschnürt, um einige Zeit später dieselbe Operation zu wiederholen. Es entstehen bei jeder Oeffnung der Ligatur leichle Convulsionen, die aber bei der Vertheilung auf eine längere Zeit unschädlich vorübergehen, während sie bei dem plötzlichen Eindringen der ganzen Giftmenge überhandnehmen und den Tod herbeiführen würden.

Was man aber auch thun mag, man thue es rasch, ohne national-germanische Gründlichkeit und langes Bedenken. Einen Fetzen vom Kleide herabreißen und den Finger damit umwickeln, das Messer hervorziehen und einschneiden, saugen und ausspucken und wieder saugen, muß das Werk weniger Secunden sein; denn das menschliche Herz arbeitet rasch und in einer Minute ist der Umschwung der Blutmasse vollendet. Stellen sich nach solchem energischen Einschreiten dennoch allgemeine Krankheitserscheinungen ein, so ist es Sache des Arztes, dieselben zu bekämpfen, indem namentlich schweißtreibende Mittel angewendel werden müssen.

[392]
Nattern – Die Blindschleiche und ihre Ungefährlichkeit – Die Frösche, Kröten, Unken und Salamander – Die Feuerfestigkeit des Salamanders – Ehrenrettung der vielverleumdeten Kröte – Ihre Verwendung in Salat- und Gemüsepflanzungen – Die Geburtshelferkröte.

Die Viper beißt, wie schon angeführt, den Menschen nur in der Noth, zur Vertheidigung; denn sie nährt sich nur von kleineren Thieren, welche sie ganz hinabschlingen kann. Vögel mag sie bei ihrer Plumpheit und Trägheit nur selten erhaschen, und was man von der Zauberkraft ihres in der That schönen Auges erzählt, ist eitel Fabel. Ihre Lieblingsnahrung besteht aus Mäusen und selbst Maulwürfen, die sie ganz hinabschlingt. Wyder in Lausanne, einer jener seltenen Schlangenfreunde, der sein ganzes Haus förmlich mit lebenden Reptilien angefüllt hatte, fand eines Tages eine scheinbar dickgeschwollene Kreuzotter regungslos am Wege liegen. Er stopfle sie in eine Flasche, durch deren Hals der dicke Leib nur mit Mühe hindurchzubringen war, und brachte so seine Beute nach Hause. Als er dort seine Flasche hervorzog, fand er darin die vollkommen schlank gewordene Kreuzotter und die Leiche eines großen Maulwurfes, die in keiner Weise mehr durch den Hals der Flasche zu bringen war.

Den gefeieten Feind der Otter, den Igel, habe ich schon erwähnt. Außerdem aber fürchten Marder und Wiesel, Iltis und Hermelin, sowie Bussarde und Wespenhabichte den Biß der Otter durchaus nicht und nehmen sie in den allgemeinen Raub mit, sobald sie dieselbe auf ihren Wegen finden. Auch auf Thiere mit kaltem Blute, wie Frösche, wirkt das Gift in keiner Weise.

Die übrigen Schlangen, welche wir in Deutschland und der, Schweiz besitzen: die meist graublaue Ringelnatter (Coluber [Tropidonotus] natrix), mit dem gelben, gewöhnlich schwarz eingefaßten Halsbande; die schöne Schwalbacher Natter (C. flavescens), mit bräunlichem Rücken und schwefelgelbem Bauch; die glatte Schlingnatter oder österreichische Natter (Coronella laevis) mit röthlichgrauem Leibe und braunen, fast in Zickzack gestellten Flecken auf dem Rücken; die Vipernatter (Coluber viperinus), welche in ihrer äußeren Zeichnung der Viper so ähnlich sieht – alle diese Schlangen sind vollkommen unschädliche Thiere, die einen Menschen kaum verwunden können und sich entweder, wie die wasserliebenden Ringelnattern, von Fröschen oder von jungen Mäusen und ähnlichen kleinen Bestien nähren, die sie ganz hinabschlingen. Ein neuerer Verfasser hat über diese Schlingoperation an Fröschen äußerst poetische Ergüsse in einem kleinen Buche geliefert. Wir wollen ihm in dieser Beschreibung nicht folgen, doch erlaube ich mir, seine letzten Worte zu citiren, nur um zu zeigen, wie weit Ueberschwenglichkeit sich verirren kann: „Dieser Augenblick quält dem armen Thiere regelmäßig jenen kläglichen Weheruf ab, von dem wir oben gehört haben. Unter dem Eindrucke dieses schmerzlichen Seufzers scheint auch der letzte Blick, den der Frosch aus dem Schlangenrachen in die Welt wirft, etwas besonders Trauriges zu verkünden.“

Mag man auch, um jede Ungewißheit zu vermeiden, den Satz aufstellen, daß es gut sei, alle Schlangen, die man antrifft, ohne Weiteres zu tödten, indem auch die unschuldigen der menschlichen Oekonomie keinen wesentlichen Nutzen stiften, so möchte ich doch ein Wort des Schutzes für ein Thier einlegen, dem seine leidige Schlangengestalt eine Menge von unverdienten Verfolgungen zuzieht und das sich zum Unheile eine ungünstige Maske trägt. Ich meine die Blindschleiche (Anguis fragilis), jenes harmlose walzenförmige, bräunliche Schlänglein, dem wir auf Grasplätzen, Waldwegen, an Hecken und Gebüschen begegnen, das sich nur langsam schlängelnd weiter bewegt, beim Angreifen leicht zerbricht und die meistens dem Zorne gegen die Schlangen als Opfer fällt. Gewiß würde sich die Verfolgungssucht einigermaßen legen, wenn die Leute sich wohl einprägen wollten, daß die Blindschleiche keine Schlange, sondern eine fußlose Eidechse ist, vollkommen so organisirt wie die [393] übrigen Eidechsen, jene niedlichen Thierchen, denen kein Mensch etwas zu Leide thun mag, und nur durch den Mangel der Füße von ihnen unterschieden. Denn der unterscheidende Charakter von Eidechsen und Schlangen liegt nicht in den Füßen – es giebt Schlangen mit Fußstummeln, wie die Riesenschlangen; zweifüßige Eidechsen und vollkommen fußlose Eidechsen. Der Unterschied liegt im Gegentheile in der Organisation des Maules und der Dehnbarkeit des Rachens. Die Unterkiefer der Schlangen sind im Kinne gar nicht vereinigt und stehen auf einem complicirten Gerüste ineinander gelenkter Knochenstücke, welche jede Unterkieferhälfte so mit dem Schädel verbinden, daß der Unterkiefer nicht nur nach unten, sondern auch nach der Seite außerordentlich weit abgezogen und der Rachen selbst um das Fünf- und Sechsfache des Körperdurchmessers der Schlange erweitert werden kann. Anders verhält es sich bei den Eidechsen. Bei ihnen sind die Unterkieferhälften in der Mitte fest verbunden oder selbst verwachsen; der Rachen kann sich also nur etwa so öffnen, wie derjenige eines Säugethieres, und die seitliche Erweiterung ist unmöglich. Die Blindschleiche theilt aber diese Organisation des kleinen, mit äußerst feinen, kaum einen sichtbaren Eindruck auf die Haut lassenden, kleinen Zähnchen besetzten Maules mit allen übrigen Eidechsen.

Wie diese, nährt sie sich auch. Ich habe Dutzende von Blindschleichen geöffnet und nie etwas Anderes in ihrem Magen gefunden, als Reste von Käfern, Würmern, namentlich aber von nackten Landschnecken und besonders von Acker- und Gartenschnecken, die ihre Lieblingsnahrung zu bilden scheinen. Diesen nach kriecht sie im Grase und in der Nähe der Gartenbeete und erweist sich somit äußerst nützlich für die Vertilgung unserer zerstörendsten Gartenfeinde. Sie saugt eben so wenig an Schafen und Kühen, als die Ringelnatter, welche sich in die Nähe der Ställe begiebt, um ihre Eier in die gährenden Misthaufen zu legen; – sie schleicht auch die Schlafenden nicht blind, indem sie über ihre Augen kriecht, und schlüpft nicht durch den geöffneten Mund in ihren Magen, um ihnen, wie das Volk sich ausdrückt, den Herzbündel abzubeißen. Es ist eines der unschuldigsten, harmlosesten, ja sogar nützlichsten Thiere, die man in einem Garten hegen und pflegen kann, und wetteifert in seinem nützlichen Treiben mit seinen leichtfüßigen Verwandten, den Mauer- und Landeidechsen, welche nach Insecten, Schnecken und ähnlichem Gewürme laufen, springen und klettern.

Auch die froschartigen Amphibien: die Laub- und Grasfrösche, die Kröten und Unken, sowie die geschwänzten Salamander möchte ich ausdrücklich Ihrer Liebe und sorgsamen Pflege empfehlen. Die Kirche hat sehr wohl gewußt, daß Froschschenkel zu den delicatesten Bissen gehören, und sie deshalb mit den Fischen unter die Fastenspeisen gesetzt. Die harmlosen Laubfrösche sind sogar Lieblinge der Apotheker geworden, die sie in einigen Gegenden Deutschlands als lebendige Barometer benutzen und an ihren lebhaften Sprüngen nach Fliegen in ihrer Clausur sich zu ergötzen belieben. In der That unterscheiden sich aber die Laubfrösche von den physikalischen Barometern insofern, als das Barometer mit mehr oder minder Sicherheit das Wetter anzeigt, welches kommen soll, der Laubfrosch aber dasjenige, das wirklich vorhanden ist. Ich habe wenigstens immer gesehen, daß der Laubfrosch mir nicht mehr sagte, als ein Blick aus dem Fenster; daß er im Wasser saß, wenn es draußen regnete, und auf der Leiter, wenn die Sonne schien. Es ist aber für wissenschaftlich gebildete Leute, wie die Apotheker gemeiniglich sind, jedenfalls angenehm, eine Controle der unmittelbaren Beobachtung zu besitzen.

Die kleinen Wassersalamander oder Tritonen mit zusammengedrückten breiten Flossenschwänzen, die in Gräben und Tümpeln leben, gelten an einigen Orten Deutschlands für Anzeichen trinkbaren Quellwassers, in gleicher Art wie die Grundeln; obgleich sie sich ebenso gut in stehenden Lehmgräben und Schlammtümpeln, als in den stillen Quellenbächen schattiger Wälder aufhalten. Sonst hat die Volkssage wohl keinerlei Bedeutung an diese Thierchen geknüpft; dagegen hat sie sich reichlich entschädigt an den größeren Erdsalamandern mit abgerundetem Schwanze und gelben Flecken, welche wir besonders in feuchten Waldgegenden häufig antreffen. Sie sondern allerdings aus ihren Hautdrüsen einen weißen, schaumigen Schleim ab, der knoblauchartig riecht und einige ätzende Eigenschaften besitzt; allein auch diese hat man gewaltig übertrieben. Ich habe lebendige Erdsalamander stundenlang in der Hand gehalten und einmal auf einer Excursion nach dem Stockhorn, wo wir von einem starken Gewitterregen überrascht wurden, nach dem Aufhören des Regens mehr als hundert der kleineren, schwarzen Alpensalamander, welche die Feuchtigkeit aus ihren Verstecken hervorgelockt hatte, mit bloßen Händen gesammelt, ohne anderes Ungemach davon zu spüren, als den unleidlichen Geruch, der ziemlich fest an den Händen haftet. Die reichliche Schleimabsonderung aber, die stattfindet, wenn man den Salamander reizt oder quält, und die sogar einige Köhlchen auslöschen kann, wenn man ihn in’s Feuer setzt, scheint die Ursache zu all’ den Sagen gegeben zu haben, welche dieses Thier zum Gegenstande haben und wornach es im Feuer leben und in entsetzlichem Maße giftig wirken soll. Die Alten schon beschäftigten sich mit diesen Sagen, Aristoteles freilich nur mit großem Zweifel, der Compilator Plinius dagegen mit erstaunlichen Uebertreibungen. Erlauben Sie mir, Ihnen die bezüglichen Stellen nach Oken’s Verdeutschung anzuführen.

Aristoteles sagt von ihnen nur: „Daß die Natur gewisser Thiere dem Feuer Widerstand zu leisten fähig sei, zeigt auch der Salamander, der, wie man sagt, wenn er durch das Feuer geht, dasselbe auslöscht.“ (Buch V. Cap. 17 oder 19.)

Plinius dagegen sagt: „Der Salamander, ein Thier von Eidechsengestalt und sternartig gezeichnet, läßt sich nur bei starkem Regen sehen und kommt bei trockenem Wetter nie zum Vorschein. Er ist so kalt, daß er wie ein Eis durch bloße Berührung Feuer auslöscht. Der Schleim, der ihm wie Milch aus dem Munde läuft, frißt, er mag eine Stelle treffen, welche es sei, die Haare am ganzen menschlichen Körper weg, und die benetzte Stelle verliert die Farbe und wird zum Male.“ (Buch X. Cap. 86.)

„Unter allen Giftthieren sind die Salamander die boshaftesten, denn andere verletzen nur einzelne Menschen und tödten nicht mehrere zugleich. Nicht zu gedenken, daß andere Giftthiere, wenn sie einen Menschen verwundet haben, durch das Bewußtsein davon umkommen und von der Erde nicht wieder angenommen werden; will ich nur sagen, daß der Salamander ganze Völker tödten kann, wenn sie nicht auf ihrer Hut sind. Wenn er auf einen Baum kriecht, vergiftet er alle Früchte, und wer davon genießt, stirbt vor Frost, nicht anders als ob er Aconitum genommen hätte. Ja, wenn bei einem Holze, das er nur mit dem Fuße berührt hat, Brod gebacken wird, so ist es vergiftet; und fällt er in einen Brunnen, so ist es das Wasser nicht minder. Wenn man mit seinem Speichel einen Theil des Körpers befeuchtet, und wenn es auch nur die Fußsohle ist, so geht das Haar am ganzen Leibe davon aus. Doch wird dieses so giftige Thier von einigen anderen Thieren gefressen, wie z. B. von den Schweinen, da dann jene natürliche Antipathie die Oberhand behält. Außer dem, was man von einem Kantharidentranke und von einer gespeisten Eidechse erzählt, ist wahrscheinlich, daß sein Gift vorzüglich durch solche Thiere gedämpft wird, welchen es zur Nahrung dient. Die übrigen Gegenmittel sind bereits angeführt, und einige werden am gehörigen Ort noch vorkommen. Wäre das gegründet, was die Magier vorgeben, da sie nämlich gewisse Theile des Salamanders als Mittel wider Feuersbrünste vorschlagen, weil er das einzige Thier ist, welches das Feuer auslöscht, so würde Rom längst den Versuch gemacht haben. Sextius sagt: wenn man einem Salamander die Eingeweide ausnimmt, Füße und Kopf abschneidet und ihn in Honig aufbewahrt, so diene er, als Speise genossen, zu einem stimulirenden Mittel; leugnet aber, daß er das Feuer lösche.“ (Buch XXIX. Kap. 23.)

Die Erzählung Benvenuto Cellini’s in seiner Lebensbeschreibung, wonach sein Vater einen im Feuer tanzenden Salamander sah, mag Ihnen beweisen, daß das alte Märchen auch im Mittelalter in vollem Glauben stand. Die Beobachtung belehrt uns, daß der Salamander ein harmloses Thier ist, das feuchte, dunkele und schattige Orte bewohnt, Tags über sich verborgen hält, nur bei Nacht oder Regenwetter aus seinen Schlupfwinkeln hervorkommt und sich hauptsächlich von Würmern, nackten Schneckchen und weichen Insecten nährt.

Ich komme zu den Kröten, die sich zoologisch weit weniger durch die warzige Haut und den kriechend schleppenden Gang, als vielmehr durch die Zahnlosigkeit ihres Maules von den Fröschen unterscheiden. Giebt es etwas Häßlicheres, als eine recht große, platte Kröte mit dickgeschwollenem Bauche, die langsam nächtlicher Weile aus ihrem Verstecke unter Gebüschen und Steinen hervorschleicht, [394] den Genuß des Mondscheines in warmen Sommernächten stört und einen eklen Knoblauchgeruch um sich verbreitet? Der Sachsenhäuser erschöpft allen Abscheu, den er in Ausdruck, Stimme und Ton zu legen fähig ist, wenn er zu einem Gegner: „Du Krott!“ sagt.

Vor einiger Zeit machte eine Notiz Aufsehen, die durch alle Tagesblätter lief. Ein beträchtlicher Handel, hieß es, werde von Frankreich nach England mit Kröten getrieben. Man bezahle in London für eine kräftige ausgewachsene Kröte von guter Gesundheit bis zu einem Schilling – ein Pfund für das Dutzend, und setze diese Kröten in die Londoner Gärten, wo man ihnen eigene Schlupfwinkel zurichte. Es gab nicht Wenige, die über diese neue Bizarrerie der englischen Gärtner die Köpfe schüttelten. Die Engländer haben Recht. Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Aber es ist nicht so leicht wider den Stachel zu löken. Ich hatte eine faustgroße, braune Kröte in meinem Garten, die Abends aus einem Gebüsche unter einer Mondscheinbank hervorkroch und über deren Geschick ich sorglich wachte. Ein weibliches Wesen, das sie einst gewahrte, zerhieb sie mit dem Spaten und glaubte eine gute That verrichtet zu haben. Die Schnecken aber fraßen die Reseda’s, die bis dahin so wohlriechend vor der Bank geduftet hatten.

Was hat man den armen Kriechern nicht Alles angedichtet! Die Erzählung im Decamerone des Boccaccio, in welcher zwei Liebende durch die Ausdünstung einer großen Kröte getödtet werden, die unter dem Salbeibusche sitzt, an dem sie sich getroffen haben, ist nur ein schwaches Spiegelbild dessen, was man den Kröten zumuthet.

Es ist wahr, daß die meisten Arten, besonders die große braune Gartenkröte (Bufo vulgaris), sowie die grüne Knoblauchskröte (Bufo calamita) eine warzige, dick mit Drüsen besetzte Haut besitzen, welche einen weißlichen scharfen Saft absondert, der besonders bei der letztgenannten sehr scharf und unangenehm riecht, vielleicht auch eine zarte Haut ein wenig zu röthen im Stande ist. Vögel, denen man diesen scharfen Saft einimpfte, starben nach kurzer Zeit unter Zuckungen. Auch der Geschmack scheint nicht besonders angenehm; wenigstens schonen manche Thiere, die Frösche fressen, die Kröten oder verzehren sie wenigstens nicht. Aber gefährlich und giftig ist dieser Saft für den Menschen nicht. Ich habe manche Kröte lebendig zu Versuchen geöffnet und längere Zeit in den Händen gehabt und habe nie auch nur Röthung an den Händen gesehen oder Brennen gespürt. Die Hautabsonderung ist, wie die des Salamanders, scharf und unangenehm, aber schädlich kann sie den Menschen nicht werden.

In den „Lehren der Weisheit und Tugend“, die wir als Knaben auswendig lernen mußten, stand auch die berühmte Fabel (von Lichtwehr, wenn ich nicht irre) von dem Johanniswürmchen und der Kröte, die „all’ ihr Gift nach ihm spritzt“. Die Kröten spritzen also Gift! Sie spritzen in der That manchmal, wenn man sie ängstigt, eine klare wasserhelle Flüssigkeit aus dem After. Die Frösche thun das auch, und kein Mensch hält sie deshalb für giftig. Es ist fast reines Wasser, welches die Thiere auf diese Weise aus einer sogenannten Harnblase von sich geben, und von Gift ist gar keine Rede.

Der Biß der Kröten ist entsetzlich giftig! Wir wollen das glauben, sobald wir eine Bißwunde von einer Kröte gesehen haben. Die Kiefer aber sind durchaus zahnlos, mit weicher Haut überzogen, nicht einmal hart, hornig und scharf, wie ein Vogel- oder Schildkrötenschnabel, und so dünn und so schwach! Eine Kröte kann bei Weitem nicht einmal so stark mit diesen Kiefern klemmen, wie ein neugeborenes Kind mit seinen zahnlosen Kinnladen, das kaum Kraft hat, die Brustwarze seiner Mutter fest genug zum Saugen zu umfassen. Sage doch Einer, daß ein wenig Tage alter Säugling auf’s Blut beißen könne.

Gut – so beißen sie nicht! Aber sie saugen den Ziegen und Kühen im Stalle die Milch aus, und ihr Speichel legt durch seine giftige Wirkung die Thiere trocken!

Speichel? Sie haben kaum solchen, und saugen können die Kröten eben so wenig als die Frösche. Der Bau ihres Maules erlaubt es nicht.

Wahrlich, alle diese Anschuldigungen sind eitel Dunst und Verleumdung. Sehen wir davon ab und gehen wir auf den Grund, indem wir einsehen, daß ein nächtliches Thier von abschreckender Häßlichkeit, unheimlicher Lebensart, unangenehmem Geruche nothwendig alle Vorurtheile auf sein Haupt sammeln muß.

Fragen wir aber die Beobachtung, die nüchterne Beobachtung, und unser Abscheu wird sich wenigstens in Duldung verwandeln. Wir sehen nun ein Thier, das mit dem Sinken der Nacht, besonders bei feuchtem Wetter und Regen, seinen dunklen Schlupfwinkel verläßt und langsam, halb hüpfend, halb schlurrend, spähenden Auges in Feld und Garten am Boden schleicht. Es kann außerordentlich lange hungern und dabei fast zur Mumie eintrocknen – es kann große Mahlzeiten zu sich nehmen und fast übermäßig fressen. Aber nie wird man etwas Anderes in seinem Magen finden als unverdaute Reste von Insecten, von Käfern, Larven und Würmern, vor Allem aber von nackten Gartenschnecken. Davon vertilgt eine Kröte so bedeutende Mengen, daß man keinen besseren Hüter der zarten Salatpflanzen, der jungen Gemüse finden kann. Wenn Nacht und Feuchtigkeit die Schnecken aus dem Boden hervorlocken, dann beginnt auch die Kröte ihre langsame, aber sicher schleichende Jagd, die erst mit dem Sonnenlichte aufhört. Sie hat nur ein kleines Revier, dies aber begeht sie auch gründlich und lernt es um so besser kennen, als ein langes Leben sie befähigt, es Jahre lang zu durchstreifen.

Die englischen Gemüsegärtner haben sich dies zu Nutze gemacht. Die Naturforscher haben schon seit Jahrzehnten die Unschädlichkeit der Kröten gepredigt, aber man hörte sie nicht. Cuvier schon sagte vor fünfzig Jahren: „Die Kröten sind Thiere von häßlicher, ekelhafter Gestalt, die man aber mit Unrecht anklagt, durch ihren Speichel, ihren Biß, ihren Harn und selbst durch ihre Hautausdünstung giftig wirken zu können.“ Jetzt, wo die Engländer in Mißachtung historisch angewachsener Vorurtheile vorangegangen sind, werden andere Länder vielleicht ihrem Beispiele folgen. Man wird finden, daß die Kröten höchst nützliche Thiere sind, daß sie kein Gift bereiten und daß man sie auch nicht vor Spinnen zu hüten braucht, unter deren Geweben sie platzen sollen, wenn sie darunter wegkriechen. Man wird sich überzeugen, daß ein Garten, in dem Kröten, Blindschleichen und Maulwürfe hausen, weit mehr Gemüse bringt, als ein anderer, in welchem man alle diese Schleicher und Wühler sorglich entfernt hat, und man wird sich freuen, Kröten Jahre hindurch zu hegen und am Ende zu freundlich zahmen Hausthieren werden zu sehen.

In der That gewöhnen sich die Kröten an den Menschen und scheinen zarten Gefühlen nicht unzugänglich. Man kennt Beispiele, die den alten Volksmärchen entnommen scheinen, wo eine bejahrte Kröte, die schon seit dreißig Jahren unter einer Treppe hauste, jedesmal hervorkam, wenn die Familie zu Nacht speiste, um wie Hund und Katze ihren Theil mit zu haben, und wo die Familie trauerte, als ein Unglücksfall ihrer Hausunke das Leben raubte. Einige meiner Freunde behaupten, nach Wohlthaten, die sie einer Kröte bezeigt, ganz auffallende Beweise von Dankbarkeit von dem häßlichen Thiere erhalten zu haben. Ein Capitain Percy, der sich ein Nachkomme des Heißsporn rühmte, erzählte, daß er auf einer Reise in das Innere von Sicilien eine Schlange am Wege gefunden habe, die im Begriffe stand, eine Kröte zu verschlingen. Er erschlug die Schlange – die Kröte schlich davon. Sechs Tage darauf kehrte er Abends auf dem nämlichen Weg zu Esel zurück. Plötzlich patscht etwas auf seinen Schenkel – es war seine Kröte, die ihm auf diese Weise ihre Dankbarkeit bezeigen wollte und ihn ganz gewiß erkannt hatte.

„Aber, Capitain, wie konnten Sie denn erkennen, daß es gerade die Kröte war, die Sie gerettet hatten? Eine Kröte sieht ja der andern gleich, wie ein Ei dem andern!“

„Das ist wahr,“ antwortete der Capitain. „Aber sie hat mich mit so dankbaren Augen angeguckt, daß ich an ihrer Identität gar nicht zweifeln konnte!“

Wer aber noch zweifeln wollte, daß es unter den verrufenen Kröten auch empfehlenswerthe Vorbilder zärtlicher Tugend geben könne, dem will ich die Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans) in das Gedächtniß zurückrufen. Das Weibchen legt eine Eierschnur mit dichter Hülle, die allmählich zu einer kautschukähnlichen Masse sich verdichtet. Das Männchen hilft diese Eierschnur zu Tage fördern und wickelt sie sich in Achtertouren um die Schenkel. Dann verbirgt es sich mit seiner Bürde oft mehrere Fuß tief in feuchtem Mergel und sitzt nun Wochen lang ohne Nahrung in dem finstern Loche, um die Eier reifen zu lassen. Erst wenn die Larven so weit entwickelt sind, daß sie selbstständig leben können, verläßt es seine Brutstätte und sucht den nächsten Tümpel auf, um darin die [395] Eier abzusetzen. Ich habe während eines ganzen Sommers eine Colonie dieser brütenden Männchen in einem großen Kachelofen im Mergel gehalten und zuweilen welche gefunden, die sich die Schenkel so fest umwunden hatten, daß sie brandig geworden waren. Sie vertrieben sich die Zeit ihrer Clausur mit leisem Glockenrufe, der wie eine entfernte Harmonika klang und meine Besucher häufig stutzen machte, da sie den Ort nicht entdecken konnten, von wannen er kam. Die Unken sind ebenfalls geschickte Bauchredner, und ihr Unk! Unk! tönt wie aus weiter Ferne, wenn sie neben uns in einem Tümpel hocken. Erinnern aber meine Geburtskröten nicht lebhaft an den Otahaiti’schen Fürsten, den Cook im Kindbette liegend fand, weil seine Frau niedergekommen war, und der während der vierwöchentlichen Dauer seines Wochenbettes nicht schnupfen durfte, was er sonst gern that, weil es dem Kinde schaden könnte?