Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere/6

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Autor: Carl Vogt
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Titel: Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere. Nr. 6
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aus: Die Gartenlaube, Heft 37–38, S. 582–585, 605–607
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[582]
Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere.
Von Carl Vogt in Genf.
Nr. 6
Ein Reiterobrist als Käfersammler – Zusammensetzung und Unterscheidungsmerkmale der Käfer – Jagd des Laufkäfers auf Maikäfer und Hofrath Perner – Der Todtengräber – Der Marienkäfer – Die Rüsselkäfer und deren Industrie – Der Rebensticher und seine Thätigkeit – Ein Proceß gegen die Rüsselkäfer.

Meine Herren!

Wenn auch die Käfer weder durch Kunsttrieb, noch durch die Vorzüge ihrer Organisation an der Spitze der Insecten stehen, wo man sie gewöhnlich hinzustellen pflegt, so bilden sie dennoch diejenige zahlreichste Ordnung der Insecten, welche die Blicke der Sammler und Naturfreunde am meisten auf sich gezogen hat. Die harten, hornigen Flügeldecken, welche nur in seltenen Fällen, wie z. B. bei den Maiwürmern (Meloë) einen Theil des Hinterleibes frei lassen, sonst aber denselben vollständig von der Rückenseite decken; die festen, panzerähnlichen Schilde, mit welchen Kopf und Vorderbrust bekleidet sind, gestatten eine Leichtigkeit der Aufbewahrung und bieten einen Widerstand gegen äußere zerstörende Einflüsse, den man bei anderen Insectenordnungen vergeblich suchen würde. Kommt nun noch dazu eine außerordentliche Mannigfaltigkeit der Formen des Körpers im Ganzen, wie in seinen einzelnen Theilen, und eine bei vielen Arten wirklich geschmackvolle Anordnung lebhafter, fast unzerstörbarer Farben, so darf man sich nicht wundern, wenn Käfersammlungen zwar zu den gewöhnlichsten Dingen [583] gehören, wohl geordnete und reiche Käfersammlungen aber schon deshalb eine Seltenheit sind, weil die Zahl der Arten außerordentlich groß und die Bestimmung bei der Feinheit der einzelnen Unterscheidungszeichen, namentlich an den Mundtheilen der kleinen, zuweilen fast mikroskopischen Arten äußerst schwierig ist. Eine der größten und reichhaltigsten Käfersammlungen der Neuzeit, namentlich was europäische Arten betrifft, war diejenige des Grafen Dejean. Wissen Sie, wie sie zusammengebracht wurde? Der Graf war unter Napoleon Oberst eines Reiterregiments, und so wie im österreichischen Heere die Artilleristen der Brigade Vega eine Blechbüchse trugen mit den Logarithmenrechnungen, die sie für ihren Chef anstellten, so hatte jeder Dejean’sche Reiter in der Satteltasche eine Spiritusflasche, worin er zu allen Zwischenzeiten, die ihm der Dienst ließ, Käfer sammelte. Da nun das Regiment in allen Ländern gebraucht wurde, in welchen Napoleon Krieg führte, so konnte es nicht fehlen, daß der größte Theil von Europa in das Bereich der sammelnden Reitertruppe fiel. Die Liebhaberei des Grafen war aber sogar bei den feindlichen Heeren so bekannt, daß man nach stattgehabten Gefechten und Schlachten die Käferflaschen der Getödteten und Gefangenen ihm mit ritterlichem Gruße zusandte.

Fassen wir in wenig Worten die Charaktere der Käfer, die uns hier interessiren können, zusammen. Betrachtet man einen Maikäfer von der oberen Fläche aus, so scheint derselbe aus drei Theilen zusammengesetzt: vorn der kleine, fast viereckige Kopf, der an seinem Grunde die dunkelschwarz glänzenden, vorzugsweise nach unten gerichteten Augen trägt, während vorn daran die Fühlhörner sitzen, deren vorderes Ende wie ein aus Blättern bestehender Kamm gebildet erscheint. Unten an dem Kopfe sitzen die Mundwerkzeuge, die scharfen Kinnladen nebst den gegliederten Tastern, welche fast in beständiger Bewegung sind. Hinter dem Kopfe zeigt sich ein breiter, schildförmiger Theil, braun oder schwärzlich mit grauen Haaren bewachsen: es ist der erste Brustring, der niemals Flügel, wohl aber an seiner unteren Fläche das erste Fußpaar trägt. Hinter diesem Halsschilde, das bei den Käfern oft sehr eigenthümliche Formen und Auswüchse zeigt, sind nun die harten Flügeldecken eingelenkt, welche nur zum Schutze des Hinterleibes, nicht aber zum Fliegen dienen und bei einigen Käfern sogar in der Mitte zusammengewachsen sind, so daß die eigentlichen Flügel, die auf dem dritten Brustringe angebracht sind, aus seitlichen Spalten hervorgestreckt werden müssen. Diese hinteren Flügel, die ganz unter den Flügeldecken versteckt getragen werden, sind gewöhnlich mehrfach zusammengefaltet und eingeknickt, lang und von starken Flügeladern durchzogen. Zwischen den Flügeldecken zeigt sich an ihrer Anheftungsstelle meist in der Mitte ein kleiner dreieckiger Raum, der beim Maikäfer glänzend schwarz ist und das Schildchen genannt wird. Häufig tritt, wie gerade beim Maikäfer, hinter den Flügeldecken noch das zuweilen in eine Spitze ausgezogene Ende des Hinterleibes hervor. Die drei Paar Beine, welche an den drei Brustringen befestigt sind, sind gewöhnlich nur zum Laufen, seltener zum Springen oder Schwimmen eingerichtet. Fast möchte man sagen, daß sie nach dem Typus der menschlichen Beine gebaut sind, denn sie haben eine Hüfte, einen Schenkel und ein Schienbein, die häufig noch mit Dornen und Borsten besetzt sind, und dann noch eine Reihe von Fußgliedern, fünf, vier oder drei, und tragen gewöhnlich am Ende zwei scharfe Krallen, mit welchen die Käfer fest einhaken und demnach leicht klettern können. Die Fühlhörner, deren Gestalt außerordentlich mannigfaltig ist, die Mundwerkzeuge und Füße dienen meistens in erster Linie als Unterscheidungszeichen, um die größeren Gruppen, Familien und Gattungen, zu erkennen. Nach diesen also hat man zuerst zu sehen, wenn es sich darum handelt, einen gefundenen Käfer zu bestimmen; nachher erst sucht man die übrigen Unterscheidungsmerkmale in Größe, Färbung und besonderen Gestaltungen zur Bestimmung der Art auf.

Die Käfer haben vollständige Metamorphose, und die meist walzigen Larven, deren einzelne Körperringe sehr leicht unterscheidbar sind, besitzen stets einen hornigen Kopf mit scharfen Kiefern, zuweilen ziemlich lange, gewöhnlich nur kurze, manchmal auch gar keine Füße, die nur an den drei Brustringen angebracht sind. Niemals besitzt eine Käferlarve falsche Bauchfüße, wie die Raupen und Afterraupen; selten auch sind sie behaart oder vielfarbig, gewöhnlich nur einfarbig, röthlich, gelblich oder schwarz. Manche sind Räuber und jagen von ihren Erdlöchern aus auf dem Boden anderen Insecten nach; die meisten aber leben verborgen in der Erde, im Mulm, in Aesern, im Miste, im Holze und in anderen lebenden Pflanzenstoffen. Die Puppen ruhen, sind nur selten eingesponnen, häufig aber in einem festen Erdklumpen wie eingebacken.

Unsere Freunde unter den Käfern sind bei weitem nicht so zahlreich, als unsere Feinde, und die wenigen, die wir besitzen, werden noch obendrein größtentheils von den Landleuten verfolgt und in ihrer nützlichen Thätigkeit gestört. Auch muß man zugestehen, daß die meisten von ihnen sich grade nicht durch allzu angenehme Eigenschaften auszeichnen. Fast alle Fleischfresser stinken, und die fleischfressenden Käfer, welche sich von lebender Beute nähren, oder diejenigen, welche, wie die Todtengräber, mit Vertilgung von Aas sich beschäftigen, können gerade nicht auf Wohlgeruch Anspruch machen. Die räuberischesten Familien sind die Sandkäfer (Cicindela), meist glänzend grün gefärbte Käfer mit hellen Tupfen, die man überall auf sonnigen Wegen und Plätzen findet, wo sie bald mit großer Schnelligkeit laufen oder auch streckenweit fliegen und nach Raub umherjagen. Ihre Larven sind seltsam gebaut, indem sie einen buckligen Halsring besitzen, der zur Schließung ihres in den Sand gegrabenen Ganges dient, aus dem heraus sie sich auf Mücken und andere Insecten stürzen.

Unsere wesentlichsten Freunde sind aber fast sämmtliche der Familie der Laufkäfer (Carabida) angehörige Arten und vor allem der goldene Laufkäfer (Carabus auratus), der Gärtner oder Goldschmied, jener prächtige Käfer mit goldgrünen Flügeldecken, schwarzem Bauche und braunrothen Füßen, der, einen Zoll lang, in allen unsern Gärten und Wiesen umherläuft und erstaunliche Verwüstungen unter dem Ungeziefer anrichtet. Denn nicht nur andere Insecten, sondern auch Gartenschnecken, Regenwürmer, Ohrwürmer und Tausendfüße greift er mit seinen starken Kiefern an, und wo er allein zur Bewältigung nicht hinreicht, helfen ihm auch wohl die Genossen, die sich mit großer Schnelligkeit versammeln. In dem Augenblicke, wo ich dieses niederschreibe, nähern sich schon die Maikäfer der Oberfläche, und gerade für dieses Jahr sagt man uns für die Umgegend von Genf die Wiederkehr eines Maikäferjahres an. Es wird also leicht sein, die Jagd des Laufkäfers auf den zwar schwereren, aber weit unbehülflicheren Maikäfer zu beobachten. In wenig Schritten hat der Räuber seine Beute erreicht, stürzt sich mit einem Sprunge auf sie und packt sie mit den scharfen Kiefern an dem spitzen Hinterende. Der Maikäfer sucht zu fliehen, der Laufkäfer aber hält fest und reißt seinem unglücklichen Opfer die letzten Hinterleibsringe ab. Der Darm und die übrigen Baucheingeweide sind aber an diesen Ringen befestigt, und so haspelt sich der Maikäfer, während er mit sinkender Kraft zu entfliehen strebt, die Eingeweide förmlich aus dem Leibe, während der Laufkäfer, beständig fressend und festhaltend, ihm nachfolgt und sein gräßliches Mahl in exquisit grausamer Weise fortsetzt, bis endlich der Maikäfer sterbend zusammenstürzt. Es bietet sich hier, wie man sieht, ein weites Feld für die Thätigkeit des Herrn Hofrath Perner und seiner hochgestellten Vereinsgenossen.

Denn wenn auch der Maikäfer keine Schonung verdient, so dürfte es doch von dem Standpunkte der sittlichen Weltordnung aus nicht ganz gerechtfertigt sein, daß man den Verbrecher auf so entsetzliche Weise vom Leben zum Tode bringt. Da wir aber an der Verantwortung unserer eigenen Sünden schwer genug zu tragen haben und man uns diejenigen der Laufkäfer nicht auch noch aufbürden kann, selbst in dem Falle, wo wir sie leben lassen, so glauben wir Gärtnern und Landbauern den wohlgemeinten Rath geben zu müssen, diese Käfer durchaus zu schonen und ihnen nicht, wie anderem Ungeziefer, mit Hacke oder Spaten einen Hieb zu versetzen, wenn sie ihnen gerade in den Wurf kommen. Denn ein lebender Laufkäfer wiegt eine Menge schädlicher Feinde auf.

Auch die schwarzen stinkenden Raubkäfer (Staphylinus) mit den kurzen, frackschößenähnlichen Flügeldecken und dem langen Hinterleibe, den sie bei der Berührung wie drohend in die Höhe richten, sowie die glänzend schwarzen, meist mir dunkelrothen Tupfen gezierten Todtengräber (Necrophorus) möge man ruhig gewähren lassen. Die ersteren sind nicht minder nützlich, als die Laufkäfer, die letzteren aber schaffen mit großer Emsigkeit die Aeser der kleineren Säugethiere und Vögel unter die Erde, um dann ihre Eier hineinzulegen und ihre Larven auf Kosten derselben zu ernähren. Sie scheinen viel Intelligenz in diesem Geschäfte zu bewähren, indem sie die leichteren Aeser in Gruben schleppen, [584] welche sie zur Seite graben, die schwereren dagegen so unterminiren, daß sie allmählich hinabstürzen. Ja man sagt sogar, daß einige dieser Todtengräber, deren sich manchmal ein halbes Dutzend zu gemeinschaftlicher Arbeit zusammen findet, einen in die Erde gesteckten Stock, auf den man unverständiger Weise eine Kröte gespießt hatte, so unterminirten, daß sie ihn zuletzt zum Falle und die Kröte auf diese Weise in ihre Gewalt brachten.

Ein Wort der Gunst noch für die niedlichen, kleinen Marien- oder Sonnenkäferchen (Coccinella), die schon mit den ersten Strahlen der Frühlingssonne aus den Verstecken, in welchen sie überwinterten, hervorkriechen und durch die gewölbten polirten Flügeldecken mit schwarzen und rothen Tupfen allen Kindern ebenso bekannt sind, wie durch ihren leichten Flug und die gelbe stinkende Flüssigkeit, die in Tropfen aus ihren Beingelenken hervortritt. Ihre Larven sind schildförmig, mit Borsten besetzt und meist über und über struppig von Büscheln feiner Wachsfäden, die sie aus dem Leibe schwitzen. Beide aber, Käfer wie Larven, sind unersättliche Feinde der Blattläuse, denen sie von Knospe zu Knospe, von Zweig zu Zweig zerstörend folgen. Wir werden unter den Florfliegen und Mücken noch andere Blattlausfeinde finden, welche den Sonnenkäferchen an Gefräßigkeit nicht nachstehen, und alle diese Larven verdienen höchste Schonung, ja sogar Pflege und Wartung. Denn man kann eine Topfpflanze vollständig von Blattläusen reinigen, indem man mittels eines Pinsels einige dieser leicht kenntlichen Larven auf die Pflanze überträgt.

Gehen wir nun zu den schädlichen Käfern über, so tritt uns hier vor allen Dingen die außerordentlich zahlreiche Familie der Rüsselkäfer (Curculionida) entgegen, welche ohne irgend eine Ausnahme zu den schädlichsten Zerstörern gehört, die wir in dem Thierreiche kennen. Die Käfer lassen sich nicht verkennen, ihr Kopf ist in einen harten, unbeweglichen Rüssel ausgezogen, der zuweilen außerordentlich lang und dünne wird, länger selbst als der ganze Körper, und an dessen vorderer Spitze die sehr kleinen, aber messerartig scharfen und kräftigen Kiefer stehen. An der Seite des Rüssels und zwar gewöhnlich an dessen Mitte sind die meistens knieförmig gebogenen Fühlhörner eingelenkt, welche oft in eine besondere Grube an der Seite des Rüssels zurückgelegt werden können. An dem Grunde des Rüssels stehen die kleinen, oft halbmondförmigen Augen; der Körper ist gewöhnlich stark gewölbt und die Flügeldecken oft so hart, daß es kaum möglich ist, sie mit einer Nadel zu durchbohren. Nur die größten Arten unserer Gegend erreichen die Länge eines halben Zolles, die meisten werden höchstens eine bis zwei Linien lang.

Die Länge des Rüssels steht im Verhältniß zu dem Orte, an welchen diese Käfer ihre Eier zu bringen haben. Denn ihre Larven leben im Innern von Kernen und Früchten, von Blättern, Sprossen, Stengeln und Stämmen, sind alle fußlos, gewöhnlich im Halbkreise gekrümmt und können nur in der nächsten Umgebung bohren, nicht aber von einem Platze zum andern sich bewegen. Die Industrie der Rüsselkäfer besteht nun darin, mittels der scharfen Kiefer die Pflanzen anzuschneiden und so tief hineinzubohren, bis sie den Ort erreicht haben, an welchem die Larve sich nähren soll. Dann nehmen sie das Ei, das gewöhnlich mikroskopisch klein ist, zwischen die Kiefer und schieben es an den Ort, bis zu welchem der gebohrte Canal reicht. Deshalb haben die Haselnußkäfer (Balaninus), deren röthliche, ekelhafte Larve schon mancher meiner Leser statt des süßen Kernes in einer Haselnuß gefunden haben wird, einen so außerordentlich langen, feinen, gebogenen Rüssel, weil sie bei den noch jungen und weichen Haselnüßen alle äußern Hüllen, Kapsel, Haut, Fleisch und Schalen, durchbohren müssen, um ihr Ei bis an den innersten Kern hineinstecken zu können, während die Erbsenkäfer (Bruchus), welche nur die äußere Samenhaut anzubohren brauchen, um das Ei in die Erbse oder Bohne zu legen, nur einen kurzen, breiten Rüssel besitzen. Außer dem unmittelbaren Schaden, welchen die Larven dadurch anrichten, daß sie Samen und Kerne auffressen und häufig die Früchte schon in der Blüthe zerstören, werden aber viele dieser Rüsselkäfer, wie der Reb- und Apfelsticher (Rhynchites bacchus), dadurch außerordentlich schädlich, daß sie die Schossen der Gewächse und die jungen, jährigen Zweige, in welchen ihre Larven leben sollen, so weit anschneiden, daß die Schossen welk werden und verdorren.

Wir wählen unter der großen Menge schädlicher Rüsselkäfer nur zwei aus, die uns ein Bild von dem Leben der übrigen geben können und die zugleich durch die massenhaften Zerstörungen, welche sie an den ersten Lebensbedürfnissen, Brod und Wein, anrichten, fast jedem von uns bekannt sind.

Der Rebensticher, Drechsler, Augenschneider (Rhyncites Betuleti) ist ein namentlich im Süden Deutschlands, Elsaß und Burgund durch seine Verwüstungen an dem Weinstocke leider nur zu wohlbekannter Käfer, von der Größe einer Stubenfliege, mit langem, nach unten zu gebogenem Rüssel und hohen Beinen, der in mannigfaltigen metallischen Farben spielt. Gewöhnlich ist er prächtig stahlblau, häufig aber auch goldgrün, bronzefarben und selbst kupferroth, stets aber vollkommen glatt und unbehaart. Nicht nur die Reben leiden unter seinem Treiben, sondern auch verschiedene Wald- und Obstbäume und vorzugsweise die Birnen, auf denen er sich leicht durch die Eigenthümlichkeit bemerklich macht, daß er ein Dutzend zarte, junge Blätter und mehr förmlich in eine Cigarre zusammenrollt. Im ersten Frühling scheint er sich mehr in den Wäldern aufzuhalten; sobald aber die Rebe beginnt auszuschlagen, wandert er wohl auf die Lieblingspflanze hinüber und findet sich dann oftmals in ungeheurer Menge in den Weinbergen. Hier ist nun seine Thätigkeit eine äußerst mannigfaltige. Zu seiner Nahrung schabt der Käfer auf der Oberseite der Blätter gerade Streifen von mehreren Linien Länge und von der Breite des Rüssels ab, auf welchen er das Blattgrün wegfrißt und nur die durchsichtige Unterhaut stehen läßt. Das Blatt verdorrt. Dann werden die weichen, noch krautartigen Schossen, sowie später die Stiele der jungen Trauben zur Hälfte abgeschnitten, so daß sie herabknicken und schließlich verdorren. Wie es scheint, liebt der Käfer mehr die Nahrung von halbverwelkten, als von frischen Pflanzentheilen. Unterdessen haben sich die Blätter des jungen Weinstockes vollständig entwickelt, und nun beginnt die Sorge für die Brut. Die Blätter werden an ihren Stielen halb durchgenagt, so daß sie zu welken und sich aufzurollen beginnen. Der Käfer hilft nach, oft mit großer Anstrengung, und fertigt endlich eine Rolle, die aus mehreren großen und einigen kleineren Blättern besteht. Männchen und Weibchen arbeiten meistens gemeinschaftlich, und wenn die Rolle gefertigt ist, werden von außen her mehrere Löcher hineingestochen und die Eier durch diese Löcher in das Innere geschoben. Die Larven schlüpfen nach etwa acht Tagen aus, und nun – schweigt die Geschichte.

Kaum ist es glaublich, daß man von einem Insect, welches in manchen Jahren in der Pfalz und in Baden scheffelweise zusammengelesen werden konnte, welches man von Obrigkeitswegen im Elsaß und Markgrafenland zusammenlesen lassen mußte und gegen welches, wie ich sogleich ausführlicher mittheilen werde, im Mittelalter Staatsprocesse geführt wurden – kaum ist es glaublich, sage ich, daß von einem solchen Insect die Lebensweise nicht näher bekannt sein sollte. Und doch ist es so. Denn über die Entwickelung der in den Blätterrollen verborgenen Larven, über ihre Einpuppung und über die Generationsdauer des Thieres herrscht die größte Unsicherheit. Man schwankt in der Angabe über die Lebensdauer der Larven zwischen 14 Tagen und 6 Wochen; die Einen lassen sie in der Erde, die Andern in Rindenritzen sich verpuppen, und nur so viel scheint festgestellt, daß im Spätsommer, August und September, junge Käfer erscheinen, welche aber zu dieser Jahreszeit niemals Blattwickel verfertigen, keine Cigarren drehen, aber nichts destoweniger häufig in der Begattung getroffen werden. Ueberwintern nun die im Herbste ausgeschlüpften Käfer, um im Frühjahr zu erscheinen, oder legen sie Eier, deren Larven noch genug Nahrung finden, um sich vor Eintritt des Winters verpuppen und unter der Erde das Erwachen des Frühlings erwarten zu können? Keine dieser Fragen ist bis jetzt gelöst. Man weiß also nicht, ob der Käfer eine einfache oder doppelte Generation im Jahre durchmacht.

Wie groß der Schaden sei, den sie anrichten können, beweisen indessen jene Processe, die im Mittelalter gegen sie geführt wurden, und von welchen ich Ihnen einen aus unserer Nähe mittheilen kann. (Ich bedauere nur, daß der eigenthümliche Reiz, der in dem naiven Altfranzösisch sich findet, in der Uebersetzung nothwendiger Weise verschwinden muß.)

Im Jahre 1554 hatten die Rüsselkäfer die Weinberge von St. Julien in der Nähe von St. Jean de Maurienne in der savoyischen Provinz Maurienne verwüstet. Eine gerichtliche Untersuchung wurde eingeleitet und vor dem bischöflichen Gerichte von St. Jean de Maurienne von den Einwohnern Klage erhoben. Den Käfern wurde ein Fiscal bestellt, der eine Vertheidigungsrede [585] hielt, das Urtheil aber suspendirt, da die Käfer plötzlich verschwanden. Aber nach 42 Jahren, 1587, erschienen sie aufs Neue. Die Gemeindebehörden strengten abermals den Proceß beim Generalvicar des Bischofs der Maurienne an, der sogleich den Käfern einen Sachwalter und einen Advocaten ernannte, zugleich aber ein Kreisschreiben an die Gläubigen ergehen ließ, worin er öffentliche Gebete und Prozessionen empfahl und zugleich dem Volke auseinandersetzte, daß diese Plage eine Strafe des Himmels für die unregelmäßige Entrichtung der Zehnten sei und daß sie derselben in Zukunft entgehen könnten, wenn sie Zehnten und geistliche Gefälle pünktlich und reichlich bezahlen würden. Der Proceß ging unterdessen seinen gemessenen Gang fort. Es wurde hin- und herplaidirt, und da der Anwalt der Käfer das Recht zum Leben für seine Clienten, die auch Geschöpfe Gottes seien, in Anspruch nahm, so beriefen die Bürgermeister die Bürger von St. Julien zu öffentlicher Versammlung auf den Platz, wo sie auseinander setzten, „wasmaßen es nöthig und nützlich sei, obbemeldeten Thieren hinreichenden Weide- und Nährplatz außerhalb der Weinberge von St. Julien anzuweisen, damit sie dort leben könnten, ohne genöthigt zu sein, besagte Weinberge aufzufressen und zu verwüsten.“

Die Bürger boten hierauf einstimmig den Insecten ein Stück Gemeindeland von etwa 50 Morgen an, „wovon die Herren Sachwalter und Prokuratoren der Thiere ein Einsehen nehmen und sich begnügen möchten, wasmaßen besagtes Feld mit manchen Sorten Holz, Pflanzen und Kräuter bewachsen, als da sind: Elsbeeren, Kirschen, Eichen, Buchen, Eschen und andere Bäume und Gesträuche, sowie schönes Gras und Weide in ausreichender Menge.“ Bei diesem Anerbieten behielten sich aber die Einwohner von St. Julien das Recht vor, über das Stück Land, welches sie abtreten, passiren zu dürfen, „ohne daß sie indeß damit der Nahrung der Käfer in irgend einer Weise Abbruch thun wollten. Da aber dieser Ort ein sicherer Zufluchtsort in Kriegszeiten ist und gute Brunnen hat, deren sich die Käfer ebenfalls bedienen können, so behalten sich die Bewohner ferner das Recht vor, in Zeiten der Noth und Bedrängniß dorthin flüchten zu dürfen, versprechen aber jedenfalls unter bemeldeten Bedingungen über die Abtretung des Stück Landes einen Vertrag in guter Form und für alle Zeiten gültig ausfertigen zu lassen.“

[605]
Das Ende des Käferprocesses und desses Nutzanwendung – Der Korn- und Holzbohrer – Der Maikäfer und sein Leben – Die Gefährlichkeit der Engerlinge – Maikäfer als Dünger – Mittel gegen Maikäfer – Einige andere Käfer – Die Larve des Todtenkäfers und die Krankheitsgeschichte einer Frau und eines Hypochonders.

Dieser Beschluß wurde am 29. Juni gefaßt, am 24. Juli machte der Advocat der Einwohner eine Eingabe, die dahin ging, „es möge dem Richter gefallen, im Falle daß die Vertheidiger die ihnen gemachten Anerbietungen nicht annehmen wollten, seine Schlußanträge zu genehmigen,“ in denen er verlangte, „daß besagte Vertheidiger gehalten sein sollten, augenblicklich aus den Weinbergen der Gemeinde sich zurückzuziehen, und daß ihnen unter strengen Strafen verboten sein solle, sich künftighin in dieselben einzuschleichen.“ Der Advocat der Käfer verlangte eine Frist zur Stellung seiner Gegenanträge und am 3. September, wo die Verhandlungen wieder aufgenommen wurden, erklärte er, die Bedingungen durchaus nicht annehmen zu können, da die angebotene Localität gänzlich unfruchtbar sei und durchaus nichts producire, wovon seine Clienten sich nähren könnten. Damit hatte einstweilen die Geschichte ein Ende; denn nach Ernennung von Sachverständigen, welche die Localität untersuchen sollten, waren die Käfer böswilliger Weise verschwunden, ohne je wieder in solch zerstörender Weise aufzutreten.

Sie könnten vielleicht glauben, meine Herren, daß der Proceß, dessen Gang ich Ihnen eben skizzirt habe, eine Ausnahme darstelle, welche für die Intelligenz unserer savoyischen Nachbarn kein allzu rühmliches Zeugniß ablegen dürfte. Sie würden sich indessen in dieser Annahme sehr irren. In jenem merkwürdigen Zeitalter, in dessen Bornirtheit man uns so gerne wieder zurückführen möchte, wo man den gewöhnlichen Menschen zum Thier herabwürdigte und andererseits das Thier dem Menschen gleichstellte, waren Processe gegen Thiere etwas ganz Alltägliches, und die geistlichen Behörden wetterten mit Bannflüchen und Verdammungsurtheilen gegen die Thiere nicht minder, als gegen die Menschen, und nur mit dem Unterschiede, daß erstere schon eine Stufe weiter gekommen schienen in der Erkenntniß, indem all’ diese Excommunicationen auch nicht den mindesten Einfluß auf ihr ferneres Gebahren übten.

Ein naher Verwandter des Rebenstichers ist der Kornbohrer, der schwarze Kornwurm, der Kornkäfer oder Getreiderüßler (Calandra granaria), ein kleines, langgestrecktes Käferchen, kaum von der Größe eines Flohs, mit langem Bruststücke, verkümmerten Unterflügeln und so harten Flügeldecken, daß sie beim Zertreten knirschen. Ein merkwürdiges Thierchen, das durch seine Zerstörungen auf dem Kornboden schon manchem Kornwucherer, aber auch manchem ehrlichen Manne einen bedeutenden Strich durch die Rechnung gezogen hat und wieder einmal so recht auffällig den Beweis liefert, wie schädlich jene kleinen Feinde werden können, sobald sie in Menge erscheinen. Das Leben des Kornkäfers beschränkt sich auf ein einziges Getreidekorn. In dieses schiebt der Käfer, der den Winter in halber Erstarrung in Ritzen und doppelten Böden der Speicher, in Stroh oder in Spreu zugebracht hat, am Beginne des Frühjahrs sein Ei, indem er das Korn an dem Keime oder an der haarigen Spitze anschneidet. Nach zehn bis zwölf Tagen kriecht die dicke, weiße, braunköpfige, fußlose Larve aus dem Ei und höhlt nun nach und nach das Korn aus, indem sie alles Mehl verzehrt und nur die Kleie und ihren Unrath darin läßt. Dann verpuppt sie sich, und nach etwa vierzig Tagen, also im Juli, erscheinen die jungen Käfer, die sich alsbald begatten und so bis zum Spätherbste eine zweite Generation hervorbringen. Der erwachsene Käfer selbst nährt sich nur vom Mehl des Korns, das er mit seinem Rüssel anschneidet und aushöhlt.

Ein einziger Kornkäfer kann also nicht viel schaden. Aber Millionen erscheinen und erzeugen Milliarden, und am Ende wird [606] es in dem angesteckten Getreidehaufen wie in einem Bienenstocke: die den Insecten eigenthümliche Wärme häuft sich so an, daß man sie mit der Hand fühlt. Hohe, luftige Getreideböden und Speicher, häufiges Umschaufeln und Werfen, große Reinlichkeit und Vertünchung aller Ritzen mit frischgelöschtem Kalk im Beginne des Frühlings dürften die besten Mittel zur Beseitigung des Käfers sein.

Hinsichtlich der übrigen Rüsselkäfer, die im Raps, in Kirschkernen und Haselnüssen, in den Apfelblüthen, in den Baumschulen, in Kirschen, Pflaumen und den Schossen der Obstbäume, man kann fast sagen in allen unsern Nutzgewächsen hausen, verweise ich auf die landwirtschaftlichen Bücher, die freilich oft mit vielen Verwechslungen der Arten die Lebensweise behandeln und meist mit ziemlich unverständigen Vorbeugungs- und Zerstörungsmitteln sich plagen, die im Ganzen ebensoviel nützen, als die Bannflüche des Mittelalters.

Ich erwähne nur die Holzbohrer (Xylophagi), die Borkenkäfer (Bostrichus), Stutzkäfer (Scolytus), Bastkäfer (Hylesinus), die in Splint, Bast, Rinde und Holz theils selbst bohren, theils dort ihre Eier ablegen und durch ihre Larven, namentlich in den Waldbäumen, oft entsetzliche Verwüstungen anrichten, die niedlichen Bockkäfer (Cerambyx) mit den langen Fühlhörnern, von welchen ich persönlich wohl ein langes Capitel erzählen könnte, da ich schon seit Jahren mit einer ihrer Larven im Kriege lebe, die in dem Marke der Schossen meiner Zwergbirnbäume bohrt und dieselben zu unförmlichen Knollen anschwellt, welche später abbrechen und eine glatte kreisrunde Narbe lassen. Die Art, welcher sie angehören, zu bestimmen, ist mir freilich bis jetzt noch nicht möglich gewesen, da ich vergebens dem erwachsenen Insecte nachgejagt habe.

Den Maikäfer (Melolontha vulgaris) aber, diesen bekanntesten aller Käfer, der in allen Ländern Europas das Spiel der Jungen und der Aerger der Alten ist, dürfen wir uns wohl ein wenig näher betrachten. Er erscheint bekanntlich, je nach der Witterung, in Süddeutschland und der Schweiz häufig schon in der Mitte April, wo er aus tiefen Erdlöchern hervorkriecht, die besonders in sandigen Gegenden sich oft in ungeheuerer Menge finden und die weit genug sind, daß man mit dem Finger in die Oeffnung eindringen kann. Tief in der Erde lag der Maikäfer schon betäubt und bewegungslos seit dem Herbste, und nicht selten findet man deshalb beim Umstechen im ersten Frühjahre lebendige Maikäfer, welche indeß nur wie im Traume die Glieder bewegen und auch in der Stube kaum zu regerem Leben erwachen. An lauen, warmen Abenden kommen die Käfer hervor, fliegen auf Bäume und Gesträuche und fressen namentlich in der Nacht Blätter und Knospen fast aller baum- und strauchartigen Gewächse ohne Unterschied ab, mit Ausnahme wohl des Birnbaumes, der Nußbäume und der echten Kastanien, die sie erst dann angreifen, wenn alles Uebrige kahl abgefressen ist. An lauen Abenden fliegen sie umher; – Tags über, namentlich beim Aufgange der Sonne, hängen sie fast erstarrt an den Zweigen und lassen sich dann leicht herabschütteln. Das Männchen, das sich durch die größeren Fühlhörner auszeichnet, bringt sein Leben höchstens auf 14 Tage, das Weibchen, das für die Eier sorgen muß, auf einen Monat. Da aber nicht alle Maikäfer zu gleicher Zeit aus der Erde hervorkommen, so kann die Flugzeit häufig über zwei Monate, ja selbst länger sich hindehnen.

Nach der Begattung sucht das Weibchen einen geeigneten, am liebsten leichten, sandigen Boden, in welchen es ein Loch, oft wohl bis zu einem halben Zoll Tiefe bohrt, um darin seine Eier bis zu dreißig und mehr abzulegen. Bald nach dieser Operation stirbt es, häufig in dem Loche selbst. Die jungen Larven kriechen vier bis sechs Wochen später, also im Juni oder Juli, aus dem Ei. Gelber Kopf mit starken, scharfgezähnten Kiefern, gekrümmter, weißgelblicher Leib, lange, gelbe Beine, schmutziger, sackförmiger Hinterleib, durch welchen der dunkelgefärbte Koth durchschimmert, charakterisiren diese Larven hinlänglich, die allgemein unter dem Namen der Engerlinge bekannt sind. Während der Dauer des ersten Sommers halten sich die aus einem Eierhaufen gekrochenen Engerlinge noch ziemlich zusammen und suchen sich in der Nähe des Nestes zu ernähren. Im Herbste kriechen sie tiefer in die Erde, häuten sich und zerstreuen sich dann mehr im zweiten und dritten Jahre, an dessen Ende sie ihre völlige Größe erreichen.

Während dieser Zeit sind die Engerlinge ein fürchterlicher Feind fast aller Gewächse, von deren Wurzeln sie sich nähren. Wenn als ihre Lieblingsnahrung Salat, Kohl, Rüben, Bohnen, Hanf, Flachs, Getreide, Erdbeerwurzeln, Gras, Kartoffeln und Zwiebeln genannt werden; wenn außerdem erzählt wird, daß sie zolldicke Wurzeln der Waldbäume, besonders der jungen Tannen, mit Leichtigkeit durchschneiden und ganze Baumschulen und Rosenpflanzungen, wie ich selber aus eigener schmerzlicher Erfahrung bestätigen kann, durch das Benagen der Wurzeln zerstört haben: so möchte ich wissen, was denn am Ende noch übrig bleibt, das ihrer Gefräßigkeit nicht anheim fiele. Der leichte und humusreiche Boden meines Gartens, der ziemlich tief liegt und ausnahmsweise von der daneben strömenden Arve sogar überschwemmt wird, ist ein wahrer Tummelplatz für Engerlinge, und es wird kein Beet umgestochen, ohne daß einige Dutzend derselben herausgeworfen würden. Schon mehrmals bin ich Zeuge gewesen, daß saftige Pflanzen oder Verbenen, die ebenfalls keine Verwundung vertragen können, in dem Augenblicke ihr Haupt neigten, in welchem ich sie betrachtete, wo ich dann mit der Handschaufel leicht die Ursache des plötzlichen Verwelkens in einem großen Engerlinge an das Tageslicht förderte, der soeben die Wurzel an dem Halse angebissen hatte. Die starken, hornigen Kiefern sind äußerst scharf und können empfindlich kneipen. Ich werde niemals das Entsetzen vergessen, womit einer meiner kleinen Jungen, der dem Gärtner beim Umgraben des Beetes gefolgt war, einen Engerling anschaute, der sich dergestalt in seinen Finger eingeklammt hatte, daß es einige Mühe kostete, ihn wieder loszumachen.

Im Spätherbste, wenn der Frost in die Erde dringt, senken sich die Engerlinge auch tiefer in die Erde hinab, um sich zu häuten und dann im Frühjahre wieder der Oberfläche sich zu nähern. Im dritten Herbste aber gehen sie am tiefsten und zwar, wenigstens nach unseren Erfahrungen, schon im Spätsommer oder Frühherbste. Tief in der Erde verpuppen sie sich, und nach vier bis sechs Wochen erscheint der Käfer, der, wie früher bemerkt, den Winter über in der Erde bleibt.

Es dauert demnach drei volle Jahre, von einem bis zum vierten Maimonat, bis die Nachkommen eines Maikäfers wieder an der Oberfläche erscheinen. Von dieser Lebenszeit haben sie sechs Monate in halber Erstarrung unter der Erde, einen Monat fressend und liebend über der Erde als vollkommene Insecten zugebracht, sechs Wochen als Eier, sechs Wochen als Puppe, so daß also von dem ganzen 36 Monate betragenden Lebenscyclus 26 Monate als Engerlinge verlebt werden.

Leicht begreiflich ist es nun, daß solche Jahre, in welchen einmal die Maikäfer besonders begünstigt erschienen und also in großer Menge sich zeigten, auch noch lange Zeit hindurch ihren Einfluß durch dreijährige Perioden wahrnehmen lassen. Setzen wir den Fall, daß dieses Jahr gerade ein Maikäferjahr sei, so werden die äußerst zahlreichen Käfer, welche in diesem Jahre 1862 erscheinen, auch außerordentlich viele Eier legen, sehr viele Engerlinge und also in drei Jahren wieder sehr viele Käfer erzeugen. Das sind dann die Flugjahre, die Maikäferjahre, über deren Folge man freilich noch nicht ganz einig ist, denn für Franken hat man eine vierjährige Periode aufstellen wollen, während in der Schweiz und Frankreich die Periode gewiß dreijährig ist. Merkwürdiger Weise gehört sogar die Schweiz zwei verschiedenen Systemen an, indem die Ostschweiz ihr Flugjahr mit dem benachbarten deutschen Gebiet, die Westschweiz dagegen mit Burgund und dem östlichen Frankreich gemein hat. Fast bereue ich, dies gesagt zu haben – wer weiß, ob nicht eines Tages das annexionslustige Frankreich sogar die Maikäfer als Grund für die Zugehörigkeit unserer Westschweiz anrufen wird! Man hat schon schlechtere Gründe vorbringen sehen!

Indessen darf man auf diese Flugjahre nicht unbedingt zählen und muß wohl bedenken, daß besondere Umstände ihre Zeit durchaus verändern können. Mehrere feuchte, naßkalte Jahre hinter einander können die Larven und Puppen tödten und in ihrer Entwicklung stören, also ein Flugjahr von seiner Häufigkeit zu minderem Maße herabdrücken – besondere Witterungsumstände können im Gegentheile die Entwicklung begünstigen, die Feinde der Maikäfer beeinträchtigen und so ein gewöhnliches Jahr für eine lange Zeitperiode zum Flugjahre erheben.

Wie dem auch sei, so viel ist gewiß, daß manchmal die Zahl dieser Thiere in’s Ungeheuerliche anwächst und daß die Frage entsteht – nicht, wie man Centner davon sammeln, sondern was man mit den Gesammelten anfangen soll. Hühner und Schweine können die Massen nicht mehr bewältigen und fressen sich einen Ekel daran; aus dem Wasser retten sie sich; das Zerstampfen ist auch [607] ekelhaft und nicht ausführbar, wenn sie scheffelweise eingeliefert werden, und sie in Erdlöcher vergraben, heißt den Fisch in’s Wasser werfen, um ihn zu ersäufen. Ich habe im Canton Bern die Verwaltungsbehörden einiger Orte förmlich rathlos gesehen, bis man endlich auf den Gedanken kam, eine Oelstampfe zu miethen und darin die Maikäfer zerstampfen zu lassen, die dann später einen ganz vortrefflichen Dünger abgeben. Leider habe ich die Menge von Simri, wie man dort das kleinste Getreidemaß nennt, zu notiren vergessen, die man nur in Thun, wo ich mich damals gerade aufhielt, gegen einen Centime per Simri ablieferte – es grenzte an’s Fabelhafte! Wenn man aber bedenkt, daß am 18. Mai 1832 Abends 9 Uhr die mit sechs Pferden bespannte Diligence zwischen Gournay und Gisors gezwungen wurde, umzukehren, weil ein ungeheurer Schwarm von Maikäfern ihr entgegenkam, der die Pferde scheu machte – wenn man bedenkt, daß im Mai 1841 die Brücken über die Saone in Macon an einigen Abenden nicht passirt werden konnten wegen der Maikäferschwärme, welche die Luft erfüllten: so begreift man die ungeheuren Zerstörungen in Garten, Feld und Wald, welche diese Thiere zuweilen anrichten.

Die Mittel, welche man gegen die Maikäfer vorgeschlagen hat, sind meistens vollkommen unzureichend bei größeren Verheerungen, und im Allgemeinen kann man sie nur gegen das vollkommene Insect richten, indem der Engerling unter der Erde, besonders in solchen Gegenden, wie Wiesen und Waldbüsche, wo der Boden nicht aufgerissen wird, vollkommen entgeht, während in Gärten und Feldern Spaten und Pflug ihn doch einigermaßen an die Oberfläche bringen. Und da muß man denn sagen, daß die Abschaffung der Brache in der neueren Landwirthschaft und das mehrfache Umwerfen des Bodens von Zeit zu Zeit auch den wesentlichsten mittelbaren Vortheil durch Zerstörung der Larven bringt. Man sehe nur, wie emsig alle rabenartigen Vögel, wie Krähen, Dohlen und Stahre, dem Pflug folgen, rechts und links pickend und mit wahrer Wollust die fetten Engerlinge aufzehrend, die in den Schollen zappeln; wie Rebhühner und kleinere Vögel nach der Entfernung des Pflügenden in dem frischgewendeten Erdreich umherscharren: und man wird sich auf’s Neue überzeugen, wie segensreich für den Landmann dieses häufige Umstürzen des Bodens ist.

Wie aber in Wiese und Wald dem Engerling beikommen, dem selbst starker Frost nichts schadet und der sogar vierwöchentlicher Ueberschwemmung der Wiesen ungefährdet widersteht? Ich kenne in der That nur ein einziges Mittel, und das ist die Vervielfältigung des Maulwurfes! Die Frage stellt sich meines Erachtens leicht: Was kostet mehr – die zeitweise Umarbeitung der ganzen Wiese und der an Graswuchs erlittene Verlust, oder das Umrechen der Maulwurfshügel, das man im Frühjahr etwa einen Monat lang wiederholen muß? Hat man die Frage mit Soll und Haben berechnet, so wird man wissen, was man zu thun hat.

Gegen den Maikäfer selbst ist aber am Ende nichts Anderes hülfreich, als vom Staate begünstigtes Ablesen der Käfer, das am besten frühmorgens bei Sonnenaufgang geschieht, wo die Insecten noch starrsüchtig sind und beim Schütteln herabfallen. Denn die Feinde, welche die Käfer haben, und wohin alle insectenfressenden Vögel gehören, haben nicht dieselbe Periodicität in der Entwicklung und können auch bei größter Anstrengung den übermäßigen Anforderungen, welche die entsetzliche Käfermenge an sie stellt, nicht im Entferntesten genügen. Die Maßregeln aber, die getroffen werden müssen und die hauptsächlich darin bestehen, daß man für das eingelieferte Maß Maikäfer eine gewisse Summe bezahlt, müssen von dem Staate aus getroffen werden, da das Uebel ein allgemeines ist und nicht bloß einzelne Striche oder Districte, sondern weite Länderstrecken betrifft. Was hilft es z. B., wenn eine Gemeinde auf ihrem Gebiete Käfer sammeln, die benachbarte dagegen sie ungestört walten läßt? Was hilft es uns Genfern, selbst im ganzen Gebiete des Cantons die Käfer sammeln zu lassen, wenn unsere französischen Nachbarn, die wir nach allen Richtungen hin in einer Stunde begrüßen können, nicht gleiche Maßnahmen treffen? Vor einigen Jahren sah der nur eine Stunde von Genf gelegene Salève im Mai nicht grün, sondern braun aus, und bei einer Excursion dorthin hörten wir in dem niedrigen Walde ein Rauschen wie von niederfallendem Gewitterregen, was von den Millionen Maikäfern herrührte, welche die letzten Knospen der Gesträuche abfraßen. Glaubt man, diese Schwärme seien nicht auf Genfer Gebiet gekommen, und ihre Nachkommen würden die Grenzpfähle der Republik respectiren?

Die Zahl der übrigen schädlichen Käfer ist zu groß, als daß ich sie alle nur anführen könnte. Da sind die Schnellkäfer oder Springkäfer, Schmiede (Elater), die mittelst eines eigenthümlichen, an der Brust angebrachten Apparates sich in die Höhe schnellen, sobald man sie auf den Rücken legt, und deren unter dem Namen der Drahtwürmer bekannte steife Larven, namentlich in nördlichen Gegenden, dem Getreide empfindlichen Schaden zufügen; die breiten schwarzen Stinkkäfer oder Aaskäfer (Silpha), die sich hauptsächlich von Aas nähren, deren Larve aber unter den jungen Rüben und Runkelrüben viel Schaden anrichtet; die Glanzkäfer (Nitidula), welche die Blüthen des Rapses angreifen und die inneren Organe verzehren, sodaß dieselben keinen Samen tragen; die Speck- und Pelzkäfer (Dermestes), deren steifbehaarte Larven uns so empfindlichen Schaden in unseren Vorräthen und Winterkleidern zufügen, und endlich die Mehlkäfer (Tenebrio molitor), deren Larven, Mehlwürmer genannt, vorzugsweise im Mehl, in der Kleie und im Brode hausen. Da die Nachtigallen die Mehlwürmer aller anderen Nahrung vorziehen, so ist das Züchten von Mehlwürmern in solchen Städten, wo man barbarischer Weise Nachtigallen in Bauern hält, ein kleiner Nebenverdienst für Bäcker und Müller; sonst aber sind die gelben, harten Larven mit ihrem schwarzen Unrathe höchst unangenehme Gäste in den Mehlkästen. Die Larven der verwandten Küchenkäfer (Tenebrio culinaris) und Todtenkäfer (Blaps mortisaga) leben im Mulm und Kehricht unreinlicher Häuser. Vor einigen Jahren wurden mir einige dieser Larven gebracht, welche eine an einer organischen Magenkrankheit leidende Frau ausgebrochen haben sollte. Die Frau behauptete steif und fest, sie habe die Würmer im Magen gehabt, und diese seien die Ursache ihrer jahrelangen Krankheit. Der Arzt schien nicht abgeneigt, dieser Ansicht beizupflichten, und ich hatte ziemliche Mühe, ihn zu überzeugen, daß die Würmer nicht in dem Magen gelebt haben könnten, sondern im Gegentheile aus den Ritzen des Fußbodens zu dem leckeren Mahle, welches ihnen das Erbrechen bot, hinzugekrochen sei. Es fiel mir dabei die Geschichte jenes Hypochonders ein, der nach der Weise jener Leute mit großer Aufmerksamkeit seine tägliche Leibesentleerung untersuchte und eines Tags voll Schrecken seinem Arzte einige haarige Würmer brachte, die ihm als Ursache seiner Unbehaglichkeiten im Unterleibe galten. Der Arzt erkannte sogleich die behaarten Larven des Diebskäfers (Ptinus fur) und überzeugte sich bei genauerer Untersuchung, daß eine ganze Colonie dieser Käfer in dem schadhaft gewordenen Polster des Leibstuhls hauste, von wo aus sie in das Gefäß gefallen waren.

Der schwarze, stinkende Todtenkäfer (Blaps mortisaga), der nächtlich in den Wohnungen herumschleicht und den man zuweilen in der Küche antrifft, wenn Kranken in der Nacht etwas zubereitet werden soll, gilt ebensowohl für eine Vorbedeutung des Todes, wie der halsstarrige Klopfkäfer (Anobium pertinax), den man auch die Todtenuhr genannt hat und dessen leises Klopfen im Holze, worin er bohrt, dem Picken einer Taschenuhr gleicht. Indem aber der Käfer dieses thut, denkt er viel weniger an den Tod, als an das zukünftige Leben, welches er selber erwecken will: mit diesem Klopfen lockt er sein Weibchen.