Vorzeitiges Altern. Alters-Diätetik

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Carl Ernst Bock
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Vorzeitiges Altern. Alters-Diätetik
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 147-149
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[147]
Vorzeitiges Altern. Alters-Diätetik.

Junge Greise und alte Jungen, sie existiren; aber leider von jenen viel zu viel, von diesen viel zu wenig. Und das ist sehr natürlich; denn obschon sich auch die Meisten vor dem Alter mit seinen Schwächen und Mängeln (s. Gartenl. 1858. Nr. 5.) entsetzlich fürchten, thun sie doch nichts, um ihr Altern so weit als möglich hinauszuschieben. Im Gegentheil strebt man gewöhnlich danach, und zwar schon von Jugend auf, vorzeitig in ein Alter vorzurücken, wohin man noch gar nicht gehört.

Kleine dumme Mädchen, aufgeputzt wie Modedämchen, schwänzeln auf Kinderbällen als naseweise Zierpüppchen umher. – Kaum aus der Schule gekrochene Backfische (ein Mittelding zwischen Schulmädchen und Jungfrau), manchmal noch gar nicht im Alter des Reifens, am allerwenigsten aber in das der Reife getreten, stolziren wie Pfauen aufgeblasen schon am Arme eines Bräutigams einher, der in der Regel weniger in das Gänschen, was er führt, als in deren Moneten verliebt ist. – Jungfrauen, in Folge der [148] durchlebten Kaffee- und Theeklatsche mit nichtsnutziger Frauensuperklugheit begabt und durch Gesellschaften, Bälle, Romane, Liebeleien, Vergnügungssucht abgelebt, verblüht und verwimmert, lassen bei ihrer Bleichsucht, Magerkeit und Schlaffheit nur wenig als spätere Gattinnen und Mütter von sich hoffen. – Frauen in ihren besten Jahren und trotz der Schonung ihrer Kräfte (mit Hülfe von Amme, Kinder- und Stubenmädchen, Köchin und Bedienten) wackeln doch schon nach wenig überstandenen Wochenbetten mit runzligem, zahnlosem Gesichte und, wahrlich nicht zur Freude des Mannes, ungeschnürt und ungenirt im Hause herum.

Beim männlichen Geschlechte sieht es aber auch nicht viel besser als beim weiblichen aus, nur daß hier wenigstens die erste Jugendzeit etwas vernünftiger verlebt wird. Aber kaum ist der Schulbube in das Jünglingsalter getreten, wo er nun bei jahrelanger passender körperlicher (besonders geschlechtlicher) und geistiger Diät gehörig reifen soll, so betrachtet er sich schon als reif, und spielt den jungen Mann nach allen Richtungen hin. Dem dadurch im Reifen gestörten Körper, wenn er alsdann in das wirkliche Mannesalter tritt, wo er doch reif und kräftig sein sollte, fehlt jetzt die männliche Kraft und bald fängt er vorzeitig an zu welken; der junge Greis ist fertig. Wo man heutzutage hinsieht, z. B. auf Bällen, Turnplätzen, Kegelbahnen, Schwimmanstalten und Eisbahnen, bei Aushebungen zum Militair und Communal- oder Nationalgardendienst, was sieht man da nicht für eine Menge jämmerlicher, blasirter Jünglinge und Männer ohne Saft und Kraft, knickbeiniger Kahlköpfe und entnervter Unmänner!

Unsere unzweckmäßige körperliche und geistige Erziehung, welche gewöhnlich schon mit der Geburt des Weltbürgers beginnt und nicht schnell genug bleichsüchtige und scrophulose Wunderkinder und Genies fertig bringen kann, trägt vorzugsweise die Schuld an dem vorzeitigen Altern, so wie auch an dem allzufrühen Sterben der jetzigen Menschheit. Mit unseren Sitten, unseren Selbstqualen sterben wir nicht, sondern tödten wir uns, sagt Flourens ganz recht. Und warum ist unsere Erziehung so unzweckmäßig eingerichtet? Weil die Mädchen zu ihrem Berufe als Gattinnen und Mütter nicht gehörig vorgebildet werden; sie lernen eine Menge unnützes Zeug für die kurze Zeit des Brautstandes, aber nichts Reelles für die lange Zeit des Ehestandes. Weil ferner die Erzieher und Lehrer, obschon sie tüchtige Menschen bilden sollen und wollen, doch die bei der körperlichen wie geistigen Ausbildung eines Menschen innerhalb und außerhalb des menschlichen Körpers wirkenden Gesetze ignoriren und deshalb auch ihren Zöglingen von allen göttlichen Gesetzen gerade die verschweigen, durch deren Befolgung der Mensch ein gesundes und langes Leben leben kann. – Diese Gesetze lassen sich nun aber nicht mit wenigen Worten angeben und auswendig lernen, sondern sie müssen durch die Gewinnung einer ordentlichen Einsicht in die Natur und in die Einrichtung des menschlichen Körpers vorerst gehörig begriffen werden. Denn um Vernunft- und naturgemäß zu leben, was ja eben das Leben gesund erhält und verlängert, dazu gehört ein eigens gebildeter Verstand, der nicht von selbst in uns hineinfährt. Und wenn sich auch ganz im Allgemeinen Regeln für Alle, um ihre Gesundheit zu bewahren und ein hohes Alter zu erreichen, aufstellen lassen, so reichen diese doch durchaus nicht hin, da ja nicht Alle nach einem Schema ihre Lebensweise einrichten können und Jeder nach seiner Körperconstitution und nach den übrigen Umständen leben muß. Was dem Einen zuträglich, kann möglicher Weise einem Andern höchst nachtheilig sein; was in dem einen Klima nützt, schadet nicht selten in dem andern u. s. f.

Von allen im Allgemeinen aufzustellenden Regeln lautet nun aber diejenige, welche die Grundlage zur Erreichung eines hohen und gesunden Alters bietet, so: „beobachte eine vernünftige Mäßigkeit in allen Dingen, vorzugsweise aber im Essen und Trinken, und lebe so regelmäßig als möglich.“ Es heißt übrigens „sei mäßig in allen Dingen“, weil nicht etwa blos im Körperlichen, sondern auch im Geistigen gesündigt werden kann, wie die unserer Jugend auferlegten geistigen Anstrengungen deutlich beweisen. Die meisten lebensverkürzenden Krankheiten[WS 1] verdanken der Unmäßigkeit in dieser oder jener Beziehung ihr Entstehen. – Wer nun die Lebens- und Gesundheits-Regeln genauer kennen lernen will, findet sie in Kürze in der Gartenl. 1855. Nr. 6. und in meinem Buche „vom gesunden und kranken Menschen“ aufgezeichnet.

Forschen wir nach den hauptsächlichsten Ursachen des vorzeitigen Alterns, so ergeben sich als solche vorzugsweise: eine dem Lebensalter vorgreifende, also nicht entsprechende Lebensweise und zwar ebenso in körperlicher und geistiger, wie geschlechtlicher und gemüthlicher Hinsicht; ferner eine ausschweifende, überreizende Lebensweise (zumal Excesse in geschlechtlicher Hinsicht, Heirathen in zu frühem und zu hohem Alter); allzudürftige, eingeschränkte, körperlich und geistig mühselige und niederdrückende Umstände, Kummer, Sorgen, ungewohnte Strapazen, Kaltwasserfanatismus, erschütternde Ereignisse, häufige und schnell auf einander folgende Wochenbetten und erschöpfende Krankheiten. Auch scheint das nahe Zusammenleben junger Personen mit Alten den ersteren frühzeitig etwas Greisenhaftes zu verleihen. Am meisten trägt aber der rasche Verbrauch der Lebenskräfte (namentlich der Zeugungskraft) zum frühzeitigen Altern bei, weshalb auch dauernd übertriebene körperliche und geistige Anstrengungen, häufiges Nachtarbeiten, Entbehrung der nöthigen Restaurationen des Körpers durch Ruhe, Schlaf und passende Nahrung, sowie der unmäßige Genuß von Spirituosen das Altern sehr befördern.

Bei der Behandlung des Greisenalters ist die Hauptsache: jede gewaltsame Aenderung der gewohnten Lebensweise zu vermeiden; besonders ist das Streben nach Abhärtung und Stärkung (Verjüngung), sowie die Entziehung gewohnter Reize sehr gefährlich. Der Greis sei mit dem Grade von Lebenskraft und Gesundheit zufrieden, den er aus seinem spätem Mannes- (Frauen-) Alter mitgebracht hat; er sei nicht auf Vermehrung, sondern auf Erhaltung und ökonomische Benutzung desselben bedacht. Nur die sanfte Anregung des Lebensprocesses durch Spirituosa, mäßig und mit der gehörigen Menge passender Nahrungsmittel genossen, ist anzurathen, weshalb auch ein ganz altes Sprüchwort den Wein als die Milch des Alters bezeichnet (vinum lac senum), sowie die Milch als den Wein der Jugend (lac vinum infantum). Uebrigens sind unnöthige Muskelanstrengungen, anstrengende geistige Arbeiten, heftige oder unangenehme Gemüthsbewegungen, sinnliche Erregungen soviel als möglich entfernt zu halten. Der Greis erheitere sein Gemüth durch jugendliche, freundliche Umgebung, durch Unterhaltung und Zerstreuung.

Was die Nahrung betrifft, so muß diese zwar nahrhaft, aber einfach und leicht verdaulich, weich und feucht, etwas gewürzt sein. Sie bestehe aus Bouillons und Kraftbrühen von Fleisch, rohen oder weichgesottenen Eiern, Kraftgelées, Austern, feingearbeiteten Würsten, Fleischhachées, weichen Braten (besonders Wild und Geflügel); aus leichten, durchgeschlagenen und feingewiegten Gemüsen und mehligen Dingen; aus Warmbier, Chocolade, Milch, Kaffee mit guter Sahne oder Eigelb. Alles Feste werde sehr klein geschnitten, und so gut als es der schlechten Zähne wegen noch möglich, gekaut; weißes Roggen- oder Weizenbrod ist schwarzem und kleienhaltigem vorzuziehen. Greise bekommen von einigermaßen reichlichen Mahlzeiten oder festern Speisen leicht Beschwerden; sie mögen deshalb immer wenig auf einmal und lieber öfters essen, und Hartes, Zähes, Faseriges vermeiden. Ueberhaupt darf die Blutneubildung durch Nahrungsstoffe nicht zu bedeutend sein, weil das Blut im Greisenkörper der schlechtem Beschaffenheit aller Organe wegen nicht ordentlich im Körper herumgetrieben und verarbeitet werden kann. Es sterben eine Menge Greise weit früher als es nöthig wäre, blos weil sie zu viel essen. Kurz vor Schlafengehen des Abends viel oder überhaupt zu essen, ist nachtheilig. Dagegen ist ein Schläfchen nach dem Mittagessen von Vortheil (s. Gartenl. 1854. Nr. 6.). Die Kleidung alter Leute sei wärmer als die jüngerer Personen, da ihr Körper weniger Wärme als früher entwickelt und das Alter ebenso wie die Kindheit am besten bei Wärme gedeiht. Deshalb sind hier Flanellunterjäckchen, wollene Unterkleider, warme Deckbetten, ausgewärmte Betten, gut geheizte Wohn- und Schlafzimmer, trockene und sonnige Wohnung sehr zu empfehlen. In kalter Jahreszeit und bei kaltem Verhalten sterben weit mehr Greise als in der Wärme. – Warme Bäder, überhaupt Reinigung der Haut durch warme Waschungen und Abreibungen, sind wegen der herabgesetzten Hautthätigkeit im Alter von äußerster Wichtigkeit. Greise sollten mindestens wöchentlich ein Mal ein warmes Bad nehmen, hierbei die Haut erst mit Seife und dann mit einer fettigen Substanz (Mandelöl) abreiben. – Bei der ohnedies geringen Schlafneigung der Greise ist für möglichst ruhigen Schlaf (im geräumigen, gut gelüfteten und mäßig erwärmten Zimmer und mit hochliegendem Kopfe) Sorge zu tragen. – Vorzüglich [149] sind nun aber alte Leute vor Allem zu warnen, was Schlagfluß (s. Gartenl. 1855. Nr. 19.) veranlassen könnte.

Krankheiten, die meistens gefährlicher als in den früheren Lebensaltern sind, ziehen sich Alte vorzüglich durch Erkältungen der Haut, Einathmen kalter, unreiner Luft, Verstöße im Essen und Trinken, sowie durch zu starke körperliche und geistige Anstrengungen zu. – Arzneimittel sind hierbei möglichst selten anzuwenden; dringt aber ein Greis aus Altersdummheit auf Arzneien, dann nehme er homöopathische, denn diese sind ja = 0, d.h. gleich Nichts und für Dumme. Vorzüglich mögen sich alte Leute vor Abführmitteln, überhaupt vor Entziehungscuren, hüten; Greise befinden sich bei träger (aber nicht harter) Leibesöffnung am besten; sie ist durch Klystiere zu reguliren. – Schließlich will ich alten Leuten noch rathen, sich hübsch mit Ruhe und Verstand in die Beschwerden zu fügen, welche das Alter naturgemäß mit sich bringt. Leider haben aber Alte selten noch soviel Verstand, und anstatt sich zu fügen, wollen sie vom Arzte mit Gewalt jung curirt sein, und das läuft in der Regel schlecht ab.

Bock.




Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Kranheiten