Weihnachtlied
Weihnachtlied.
Nun ist die liebe Weihnachtzeit
Mit ihren Wundern kommen:
Durch alles deutsche Land ist weit
Ein heller Glanz erglommen:
Das ist der Glanz vom Weihnachtbaum,
Im Schnee ein Sommersonnen-Traum,
Der Kindheit sel’ger Wonnen-Traum –
Nie sei er uns genommen! –
Die Kindheit flieht; die Jugend flieht:
Der Weihnacht-Traum soll dauern.
Wie süß er Mannesbrust durchzieht
Mit tannenduft’gen Schauern!
Es schmückt den Baum in fernem Land
Des Kriegers waffenmüde Hand:
Wie hat er doch so hell gebrannt,
Paris, vor deinen Mauern!
Denn was die Weihnacht wahrhaft weiht,
Ihr Mädchen und ihr Knaben,
Ist nicht die bunte Herrlichkeit
Der hochgehäuften Gaben:
Das ist die Reinheit, kindlich wahr,
Der Gier, des Neids, der Lüge bar,
Die sich an Lichtglanz still und klar
Als höchstem Glück kann laben.
Solch reiner Sinn – er bleib’ uns treu –
Auf allen Lebensbahnen:
Dann wird uns rühren immer neu
Der Weihnacht hehres Ahnen:
Dann wird der Glanz vom Weihnachtbaum,
Nicht nur ein flücht’ger Wonnentraum,
Im Alters-Schnee ein Sonnentraum
Uns sel’ger Jugend mahnen.
Königsberg, Weihnachten 1882. Felix Dahn.