Weihnachtsausstellung im Österreichischen Museum
IM ÖSTERREICHISCHEN MUSEUM
Man kann es nicht leugnen: die sammlung von kopien alter möbel, die jetzt im Österreichischen Museum zu sehen ist, hat sensation gemacht. Sie bildet das tagesgespräch. Man dünkt sich in die besten zeiten des österreichischen kunstgewerbes zurückversetzt; damals, als Wien in der gewerblichen kunst in der ersten reihe stand, damals, als noch der unvergessene Eitelberger das regiment am stubenring führte, kann die teilnahme des publikums kaum größer gewesen sein. Man liest wieder die berichte der tagesblätter über die neuen pfade und wege, man debattiert, man streitet. Ja, noch mehr, man geht wieder in die weihnachtsausstellung!
Was ist nun eigentlich geschehen? Das Österreichische Museum hat einen neuen direktor erhalten, und dieser direktor hat uns ein neues gebiet eröffnet. Er hätte dem modernen stil eingang verschafft, sagen die einen. Er hätte den anglizismus eingeführt, sagen die zweiten. Er betone das praktische im gebrauchsgegenstande, sagen die dritten. Wer hat nun recht? Eigentlich alle. Aber das richtige wort haben sie nicht gefunden. Er hat, so sage ich, den bürgerlichen hausrat entdeckt.
Ich weiß, daß diese erklärung allgemeines kopfschütteln hervorrufen wird. Haben wir nicht die besten gegenstände aller zeiten und aus dem besitz aller klassen und stände gesammelt, in den museen aufbewahrt und [145] studiert; haben wir nicht die besten bürgerlichen stücke der gotik, der renaissance, des barock und des empire benützt und nachgeahmt? Haben wir uns nicht stets bürgerlich eingerichtet?
Nein, das haben wir nicht. Unsere frauen und töchter schliefen in betten gleich dem, in dem Marie Antoinette, das unglückliche kaiserkind in Trianon, von glanz, glück und pracht geträumt hat. Der herr fleischhauermeister blickte mit stolz auf ein altdeutsches sofa, dessen motive der wandvertäfelung des prunkzimmers im rathaus zu Bremen entnommen waren und eine kombination eines stückchens derselben – die ganze vertäfelung hätte sich ja zu teuer gestellt – mit einer gepolsterten truhe bildeten. Und im salon eines wohlhabenden börsianers rekeln sich die gäste in fauteuils, die vollständig jenem gleichen, von dem aus einst Napoleon der welt seine gesetze diktiert hat. Sogar das kaiserliche „N“ darf nicht fehlen. Und doch hat der korse diesen thron nur einmal benützt, sonst haben er und seine gäste sich mit weniger anspruchsvollen möbeln begnügt.
Warum ist uns aber der wirkliche bürgerliche hausrat so wenig bekannt? Weil unverhältnismäßig wenig davon auf uns gekommen ist. Denn der bürger brauchte seine möbel auf, er benützte sie täglich, und schließlich heizte er damit ein. Für pracht- und prunkzimmer besaß er kein geld. Und wenn doch ein oder das andere stück sich erhalten hatte, so fand sich selten ein museum, das dem alten haustiere ein asyl gewährte.
Es zeichnete sich eben nicht durch kunstvolle arbeit aus. Und hatte sich da oder dort doch eines ein bescheidenes plätzchen in einer sammlung erobert, so wurde es gewiß übersehen. Ganz anders das fürstenmöbel. Das [146] wurde nie oder selten in gebrauch genommen und zeigte seinen vornehmen, nichtstuerischen charakter dadurch an, daß es motive der hohen architektur aufwies und mit reichem zierat versehen war. Wenn es aber auch für den praktischen gebrauch untauglich war, war es doch nicht zwecklos. Sein zweck war, zu repräsentieren und von dem reichtume, der pracht, der kunstliebe und dem geschmacke seines besitzers zeugnis abzulegen. Das fürstenmöbel hat sich daher zweifellos mit recht erhalten und bildet den stolz und die freude eines jeden museums.
Von diesen ausstellungsobjekten hat das neunzehnte jahrhundert einen falschen gebrauch gemacht, indem es sie sich zu praktischen mustern nahm. Die schranken, die das königtum dem hochadel gegenüber, dieser wieder dem niederen adel und dieser dem bürgertume gegenüber errichtet hatten, waren gefallen, und jeder konnte sich nach seinem geschmacke einrichten und kleiden. Es kann uns also eigentlich nicht wunder nehmen, wenn jeder hausknecht sich wie bei hofe einrichten und jeder kellnerjunge wie der prinz von Wales gekleidet sein wollte. Falsch aber wäre es, in diesem umstande einen fortschritt zu erblicken. Denn die fürstenmöbel, hervorgegangen aus einem immensen überfluß, haben große summen gekostet. Da aber der allgemeinheit dieser reichtum nicht zu gebote steht, so kopiert sie auf kosten des materials und der ausführung, wodurch die halbheit, die hohlheit und jenes schreckliche ungeheuer, das unserem gewerbe das mark aus den knochen zu saugen droht, die imitation, ihren einzug halten.
Auch steht das leben, das wir führen, mit den gegenständen, mit denen wir uns umgeben, im widerspruche. Man vergißt, daß man neben dem thronsaal ein wohnzimmer [147] haben muß. Man läßt sich von den stilvollen möbeln ruhig malträtieren. Man stößt sich beulen in die knie und sitzt sich ornamente in den rücken und dort hinein, wo er aufhört. Durch die verschiedenen ornamentierten handgriffe unserer gefäße haben wir, im laufe der letzten zwei dezennien, nacheinander renaissance-, barock- und rokokoschwielen bekommen. Aber wir haben nicht gemuckst, denn jene, die sich dagegen aufgelehnt hätten, wären als ignoranten und menschen, denen jedes höhere verständnis für die kunst fehlt, an den pranger gestellt worden.
Allein, was ich hier anführe, gilt nur für den kontinent. Drüben, jenseits des ärmelkanals, wohnt ein volk von freien bürgern, das der alten schranken schon lange entwöhnt ist, so daß parvenüanwandlungen hier keinen boden mehr finden. Die engländer verzichteten auf fürstenprunk und fürstenpracht in ihren wohnungen. Kleiderordnungen kannten sie schon lange nicht mehr und fanden daher auch keine sonderliche befriedigung darin, die großen der vorzeit nachzuahmen. Ihre eigene bequemlichkeit ging ihnen über alles. Und unter dem einflusse solchen bürgertums machte sogar der adel in diesem lande langsam einen wandel durch. Er wurde einfach und schlicht.
Ein land, das ein so selbstbewußtes, freies bürgertum aufweist, mußte den bürgerlichen stil in der wohnung bald zur höchsten blüte bringen. Die besten kräfte können sich hier für ihn einsetzen, sie können sich auf diese aufgabe konzentrieren, während in anderen ländern dem meister ersten ranges das fürstenmöbel zufallen und der bürgerliche hausrat von kräften zweiten ranges erzeugt werden wird. Man betrachte nur die beiden bedeutendsten [148] musterzeichner Englands und Frankreichs aus derselben epoche. Nehmen wir zum beispiel Thomas Chippendale und Meissonier, den dessinateur Ludwigs XV. Bei diesem finden wir nur entwürfe für des königs prunk- und festräume, für Chippendale ist schon der anspruchslose titel seines kupferstichwerkes charakteristisch: „The gentleman and cabinetmakers’ director, being a collection of designes of householdfurniture“.
Man wird also wohl begreifen, daß in einer sammlung bürgerlicher möbel den engländern der löwenanteil zufallen muß. Haben sie doch sogar manchem deutschen bürgermöbel, das seitdem bei uns vergessen war und jetzt auf dem wege über England zu uns zurückkommt, ein heim bereitet. Dafür gibt es interessante beispiele; eines sei hier erwähnt: der grellrote, lackierte stuhl mit gelbem strohgeflecht, der uns heute so enorm englisch anmutet (sprösselstuhl oder hühnersteige nennt man ihn bei uns spottend), findet sich in zahlreichen deutschen interieurbildern des achtzehnten jahrhunderts, vor allem bei Chodowiecki.
Noch ein anderer umstand macht die große zahl der englischen muster erklärlich. England war auch das erste land, das gegen die imitation zu felde zog. Heute beginnen auch wir langsam gegen sie front zu machen. Falsche brillanten und falsches pelzwerk gelten bei uns, gott sei dank, schon nicht mehr für fein. Wir müssen es unserer weihnachtsausstellung danken, daß sie uns anregt, diese neue lehre auch auf die wohnungseinrichtungen anzuwenden. Wer nicht das geld für einen ledergepreßten stuhl hat, der nehme einfach einen strohsessel. Mancher wird davor zurückschrecken. Ein strohsessel, wie ordinär! Nur zu, meine lieben wiener, ein strohsitz [149] ist ebensowenig ordinär, wie keine diamanten besitzen oder einen einfachen tuchkragen am winterrock tragen. Bloß die imitierten diamanten, pelzkragen und ledersitze, die sind es.
So bricht sich denn auch bei uns die erkenntnis bahn, daß man, zumal wenn das geld für das reiche und dekorative nicht ausreicht, das hauptgewicht auf das solide und praktische legen muß. Die gemalten intarsien, die aus sägespänen und leim gepreßten holzschnitzereien, die „verpfusche dein heim“-fenster und andere patente aus der rüstkammer der imitation, die türen und fenster, die so gestrichen sind, daß sie hartes holz vortäuschen, verschwinden langsam aus dem bürgerhause. Der bürgerstolz ist erwacht, das parvenüsystem kommt aus der mode.
Der clou dieser ausstellung ist ein interieur, eine kompagniearbeit eines wieners, des malers Heinrich Lefler, mit dem bildhauer Hans Rathausky und den architekten Franz Schönthaler jun. und Josef Urban. Im tagesgespräch heißt es kurzweg das Leflerzimmer. Diese kurze bezeichnung war unbedingt notwendig, denn die letzten wochen über war sie in aller munde. Umjubelt von den jungen, geschmäht von den alten, gilt dieses zimmer als erste regung der moderne in der angewandten kunst auf wiener boden.
Modern sieht es allerdings aus. Wenn man aber näher zusieht, ist es nur unser gutes, altes, deutsches renaissance-gschnaszimmer im modernen lichte. Nichts fehlt. Die holzvertäfelung mit den aufpatronierten holzintarsien, der altdeutsche dekorationsdivan (gott hab ihn selig!), dem immer die angenagelten blechernen löwenköpfe abgerissen wurden, die mit vieler mühe und not den persischen überwurf hielten, und dessen römer und altdeutsche [150] krüge so schön herumwackelten, wenn man die geringste bewegung ausführte – alles, alles wurde mit herübergenommen. Nur hat es sich so schön maskiert, daß man es im ersten augenblick gar nicht wieder erkennt. Während zum beispiel beim alten „dekorationsdivan“ einem altdeutsche krüge auf den kopf fallen konnten, fallen jetzt englische vasen herunter, aber das freilich sicher. Ein großer fortschritt, wenn man bedenkt, daß damit gewissermaßen die halbheit vermieden ist und das keramische gewerbe durch den starken verbrauch gewinnt.
Wir sehen schon, wo dieses zimmer hinaus will. Es bringt uns moderne formen im alten geiste. Man hat daher nicht das recht, von einem modernen zimmer zu sprechen. Das rechte wäre es gewesen, wenn man alte formen im neuen geiste angewendet hätte.
Gehen wir auf die einzelnen arbeiten über. Lefler lieferte eine entzückende tapete, die bei weitem das beste im ganzen zimmer ist. Unsere österreichische tapetenindustrie hat ihr nichts ähnliches an die seite zu stellen. Man denke: eine moderne tapete, die nichts englisches an sich hat, der man auf den ersten blick die wienerische provenienz ansieht. Vorzüglich sind auch die applikationspolster und die teppiche. Der mohairteppich „drachenkampf“ verrät ein tüchtiges beherrschen der technik. Aber über die technik strauchelte Lefler schon bei den entwürfen zu den glasfenstern. Er liefert zwei: das eine nennt sich „Aschenbrödel“, das zweite „Dornröschen“. Beide verraten ein schwanken zwischen zwei techniken, der glasmalerei und der amerikanischen arbeit mit glasflüssen. Das „Aschenbrödel“ wirkt noch harmonisch, da hier die glasmalerei nur dort angewendet [151] wurde, wo sie unbedingt notwendig war, etwa in den gesichtern. Aber das „Dornröschen“ ist unverzeihlich. Die gemalte rosenhecke ist ein schlag gegen jede ehrliche glaserarbeit; mit welcher freude würde ein glastechniker diese gelegenheit ergriffen haben, seine kunst an den rosen zu zeigen! Jedes rosenblatt ein anderer glasfluß! Die rosen schreien nach der amerikanischen technik, um so mehr, als diese daneben an weniger wichtigen punkten gezeigt wird. Daher wirkt das fenster so unharmonisch. Nachahmenswert scheint mir der versuch, das mittelfenster frei zu lassen für den ungestörten ausblick ins freie. Alles in allem zeigen die Leflerschen arbeiten ein frisches drauflosgehen und ein entschiedenes talent, sich neuen techniken unterzuordnen.
Das kann man von den übrigen arbeiten nicht behaupten. Die imitierten intarsien in der wandvertäfelung und die banale tapeziererarbeit des plafonds lassen auf einen mangel an wahrer vornehmheit schließen. Ein prächtiger holzschrank wird durch künstlich patinierte bronzereliefs verdorben, die, wenn sie echt wären, der reinlichkeit ihres besitzers kein gutes zeugnis ausstellen würden. Man bedenke, daß sich die grüne patina auf den bronzegegenständen durch das jahrtausendelange liegen in der feuchten erde gebildet hat, daß sie aber vollständig fehlte, solange die gegenstände noch im gebrauche waren. Von unseren modernen konnte man doch erwarten, daß sie diesem schwindel entgegentreten würden! Über das bordbrett als bekrönung des leicht gearbeiteten sofas habe ich schon eingangs gesprochen. Auch die uhr, auf der man die zeit nicht ablesen kann, ist vertreten. Früher war das des „stilvollen“ zifferblattes wegen unmöglich, jetzt, weil das zifferblatt viereckig ist.
[152] Man täte also unrecht, wenn man dieses ZImmer als modern bezeichnete. Der moderne geist verlangt vor allem, daß der gebrauchsgegenstand praktisch sei. Für ihn bedeutet schönheit die höchste vollkommenheit. Und da das unpraktische niemals vollkommen ist, so kann es auch nicht schön sein. Sodann verlangt der moderne geist unbedingte wahrheit. Ich habe ja oben schon gesagt, daß die imitation, die pseudoeleganz, gott sei dank, endlich unmodern werden. Und drittens verlangt er individualität. Das heißt, daß sich im allgemeinen der könig wie ein könig, der bürger wie ein bürger und der bauer wie ein bauer einrichtet und daß im besonderen wieder jeder könig, jeder bürger und jeder bauer seine charaktereigenschaften in seiner wohnungseinrichtung zum ausdruck bringt. Die aufgabe moderner künstler ist es, den geschmack der menge, innerhalb seiner verschiedenen charakteristischen standesabstufungen, zu heben, indem sie die bedürfnisse der jeweils geistig vornehmsten erfüllen. Haben das unsere vier künstler getan? Entspricht ihr damenzimmer der vornehmheit der aristokratin? Nein. Der vornehmheit der fabrikantin auch nicht und schon gar nicht der vornehmheit der bürgersfrau.[H 1] Es entspricht der vornehmheit der kokotte.
Anmerkungen (H)
- ↑ [452] Der schluß ist im druck der „zeit“ abgeschwächt und lautet (nach „der vornehmheit der bürgerfrau“): „Es scheint vielmehr, daß sich in dieser billigen eleganz doch noch einmal der alte geschmack des parvenutums gezeigt hat. Hoffentlich zum letzten male.“