Weihnachtsgeheimnisse (Die Gartenlaube 1894/49)
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Weihnachtsgeheimnisse.
Wenn irgend eine Zeit im Jahre von Geheimnissen umsponnen ist, dann ist es die Weihnachtszeit. Wenn die Tage kürzer und kürzer werden und die Abende länger, wenn allabendlich die Lampe für Stunden im traulichen Kreise brennt, dann bereitet sich eine ganze Welt von Geheimnissen vor; heimlich beraten die Eltern, und die Kleinen flüstern, ratend, was es wohl zu Weihnachten geben werde, und ratschlagend, was sich Mutter wohl am meisten wünsche, einen gestrickten Waschlappen oder einen ausgesägten Zwirnwickel? Und wenn dann das Fest näher kommt und all die Pläne zu wohlvorbereiteten Ueberraschungen ausreifen, hüben die Arbeit wächst und drüben die Spannung, wenn die „gute Stube“ beharrlich verschlossen bleibt, und die Kleinen früh unterm Sofatisch der Wohnstube bunte Papierschnitzel und Spuren von Flittergold finden; wenn spät abends noch die Hausthür klingelt und frühmorgens eine wohlverschlossene Kiste im Hausflur steht, deren Herkunft unbekannt bleibt; und wenn dann der Heilige Abend kommt, mit seiner letzten großen Aufregung; wenn die Kleinen zusammen im verschlossenen Zimmer hocken, während es draußen rumpelt und poltert und pocht und stößt – dann ist der große Tag der Weihnachtsgeheimnisse erst recht gekommen und zugleich der Tag ihres Endes. Dann plaudert der Bescherungstisch rücksichtslos alles aus, und die Weihnachtsgeheimnisse verduften mit dem Rauch, der von den leise glimmenden Tannenzweigen aufsteigt. Andere treten an ihre Stelle: Ob der heilige Christ wirklich all die schönen Sachen gebracht hat? Also ist es doch nicht wahr gewesen, daß er dies Jahr wegen des Glatteises nicht hat umfahren können, und schließlich hat sein Esel dabei gar kein Bein gebrochen? Und der Knecht Ruprecht? Ob das wirklich der echte Knecht Ruprecht gewesen ist? Er spricht doch wirklich dem Onkel recht ähnlich.
Das sind die Weihnachtsgeheimnisse der Kleinen, aber auch für die Großen giebt es noch solche, nachdem die Klingel zum Bescherungstisch gerufen hat. Wenn das Weihnachtsfest reden könnte, so könnte es ihnen mancherlei aus seinem Leben berichten, das sie arg verwundern würde. Wenn es vor sie hinträte und fragte: wißt Ihr denn, wie alt ich hin – wer würde ihm antworten: Du bist heute 1540 Jahre alt, heute ist ja Dein Geburtstag! Dann würde das Weihnachtsfest sagen: Ja, das ist richtig. Und ich will Euch erzählen wie das kam, daß ich im Jahre 354 zu Rom geboren wurde. Jahrhundertelang hatten sich die Christen nicht um den Geburtstag ihres Religionstifters gekümmert. Niemand wußte ihn, und niemand weiß ihn heute; er ist eine jener geschichtlichen Thatsachen, die rettungslos im Meer der Vergessenheit untergegangen sind. Auf den 17. November setzte ihn der eine, auf den 28. März der andere, und einer hatte dazu so wenig Grund wie der andere. Da kam im Anfange des vierten Jahrhunderts eine neue Ansicht auf. Hatte man bis dahin den 6. Januar als den Gedenktag der Taufe Christi im Jordan gefeiert, so beschloß der römische Bischof Liberius nunmehr, auch seiner Geburt an einem kirchlichen Festtage zu gedenken, und setzte diesen auf den 25. Dezember, den der volkstümliche Kalender als den Wintersonnenwendtag, als den Tag der unbesiegten Sonne auszeichnete. Am 25. Dezember 354 ließ er ihn in der alten Hauptstadt des römischen Reiches zum erstenmal mit allem kirchlichen Pomp feiern und in den Kalender unter diesem Tage eintragen: „Christus geboren zu Bethlehem in Judäa.“ Damit war das Jesusgeburtsfest geschaffen, und es bedurfte nur noch seiner Ausbreitung über die christlichen Lande am Mittelmeer und später, als das Christentum auch zu den Germanen weiter nordwärts gekommen war, auch dorthin und noch später weiter über den Ocean in ferne Erdteile.
Aber kannten denn die Germanen Deutschlands nicht schon ein Fest am 25. Dezember, das Fest der Wintersonnenwende, das Julfest? Auch darauf kann das Weihnachtsfest eine bündige Antwort geben. Nein! Ein deutsches Wintersonnwendfest hat es in geschichtlicher Zeit niemals gegeben; die alten Deutschen kannten keine Art Sonnendienst und teilten ihr Jahr nicht nach astronomischen Beobachtungen, sondern nach den Wirtschaftsverhältnissen ein in Frühsommer, Spätsommer und Winter. Eine vierte Jahreszeit wie die Römer kannten sie nicht. Sie feierten am 25. Dezember niemals ein Wintersonnwendfest und wußten von einer Sonnenwende überhaupt nichts. Dafür hatten sie zu Winters Anfang eine große Festzeit, deren Reste uns im Martinstag, Andreastag und Nikolaustag erhalten sind, eine große Schlachtzeit, in der alles Vieh, das sie nicht überwintern konnten, dem Beile zum Opfer fiel. Erst im fünfzehnten Jahrhundert gelang es den Bemühungen der christliche Kirche, ihr Jesusgeburtsfest ein wenig volkstümlicher zu gestalten, indem sie einen Teil der auf den Winteranfang bezüglichen Bräuche und Anschauungen von jenen Festen herübernahm und es so zur deutschen Weihnacht umbildete. Das deutsche Wintersonnwendfest ist das Erzeugnis der Phantasie einiger Gelehrten des siebzehnten Jahrhunderts, denen eine nunmehr gänzlich veraltete Richtung der [838] germanischen Mythologie und Volkskunde ihre Einbildungen unkritisch geglaubt hat.
Aber die Zwölfnächte der Weihnachtszeit? Das deutsche Mittelalter kennt weder den Ausdruck noch die Sache. Wo es die Zeit um Weihnachten bezeichnen will, sagt es: Zu Weihnachten, oder: In den Weihnachten, und dieser Ausdruck bedeutet die kirchlichen Feiertage, an Zahl meist vier, hier und da auch mehr. Epiphanias dagegen heißt ganz allgemein: der zwölfte Tag (nämlich nach Weihnachten, mit welchem Tage das kirchliche Jahr begann und auch vielfach das staatliche und bürgerliche). Im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts geben deutsche Volkskalender Wetterregeln über die Weihnachtszeit, in denen die zwölf ersten Tage des Jahres als vorbedeutend für die zwölf Monde des Jahres aufgefaßt werden. Aus dieser Kalenderlitteratur gehen die „zwölf Nächte“ in den deutschen Volksglauben über und werden selbst ein Stück Volkstum, so daß gelehrte Sammler im neunzehnten Jahrhundert sie für einen Rest einer heiligen Zeit der alten Deutschen halten konnten.
Wenn heute am Heiligen Abend des Nachts die zwölfte Stunde schlägt, dann geht nach dem modernen Volksglauben ein Blütentraum durch die Natur. Mitten aus Schnee und Eis schießt der Hopfen in fingerlangen Sprossen hervor, die Bäume schlagen aus und blühen, auf den wilden Apfelbäumen im Walde reifen in einer Stunde winzige Aepfelchen, und die Rose von Jericho erblüht das einzige Mal im Jahre. Auch das ist kein Stück alten Germanenglaubens, sondern es gehört den wandernden Sagenmotiven an, die aus dem fernen Osten, namentlich aus Indien kommend, etwa seit dem zehnten Jahrhundert die volkstümliche Einbildungskraft in Deutschland befruchteten. Die meisten unserer Kinder- und Hausmärchen, die den Brüdern Grimm noch zum Teil für Reste deutscher Göttersagen galten, sind auf diese Weise zu uns gekommen und haben sich dann von Mund zu Mund fortgepflanzt, bis seit dem sechzehnten Jahrhundert die gedruckte deutsche Volkslitteratur sie aufnahm und dem Volksbewußtsein immer aufs neue vor Augen hielt. Die blühenden Bäume der Weihnacht kommen zuerst in einer arabischeu Quelle des zehnten Jahrhunderts vor, und von Nordafrika aus kommt dieser Zug dann über Spanien und Frankreich nach Deutschland. Hier greift ihn die Kirche auf, die eben den Versuch macht, ihrem Jesusgeburtsfest wirkliche Volkstümlichkeit zu geben. Sie thut das in der Weise, daß sie volkstümlichen Glauben auf das kirchliche Fest zu übertragen versucht und die Heilige Nacht mit einer Reihe von Wundern ausschmückt, die auf die Einbildungskraft des Volkes wirken sollen. Da kommen ihr die blühenden Bäume denn äußerst gelegen, und bald genug erzählt die mittelalterliche kirchliche Tendenzsage Geschichten, wie ein Bischof in der Christnacht in den Wald ging und dort einen Apfelbaum blühend fand, der unmittelbar darauf seine Blüten zu Früchten reifen ließ. Der älteste deutsche Beleg für blühende Bäume der Weihnacht findet sich im „Leben der heiligen Hedwig“, die um 1180 in Franken geboren war. Da wird uns berichtet: „Einst, als sie noch jung war, kam am Weihnachtstage jemand herein und sagte in ihrer Gegenwart, während sie auf dem Tische saß, daß ein Kirschbaum im Garten in frischem Blütenschmuck stehe. Sie hörte dies und schickte ihn zurück, um zu beobachten, ob die vorerwähnten Blüten am unteren oder am oberen Teile des Baumes sproßten. Er ging und meldete zurück, daß der Baum an seinen untern Aesten blühe. Jene aber sprach: ‚Das ist ein Zeichen künftigen Sterbens. Viele Arme werden dieses Jahr sterben.‘ Und wie sie vorausgesagt, so geschah es.“
Von dem Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts an läßt sich diese Sage oder dieser Glaube durch die populäre Litteratur in ununterbrochener Kette bis zur Gegenwart verfolgen, und an mehr als einer Stelle münden in diesen Strom volkstümliche Zuflüsse ein, die sich da und dort aus jener kirchlichen Sage gebildet haben.
Wer hat je den Geburtsschein des Knecht Ruprecht gesehen? An dieser Frage läßt sich mancherlei aussetzen. Einmal giebt es nämlich viele Knecht Ruprechte, und sodann ist es fraglich, ob zu der Zeit, in welcher der Knecht Ruprecht zuerst auftaucht, schon Geburtsscheine üblich waren. Der Knecht Ruprecht gilt überdies gemeinhin für einen Gott, für einen Rest des Gottes Wuotan, der mit einem Beinamen Hruodperaht, d. h. der Ruhmglänzende, geheißen haben soll. Ein so schöner Beiname ist einem Gotte, der wahrscheinlich in weiten Strichen der deutsche Zunge ein bloßer Sturmdämon war, gewiß zu gönnen, indessen der Knecht Ruprecht stammt nicht von ihm ab. Der Knecht Ruprecht ist trotzdem volkstümlich deutschen Ursprungs, wenn er auch eigentlich mit Weihnachten nichts zu thun hat. Er ist nämlich der Typus eines Knechtes und erscheint zuerst in einem volkstümlichen Bettelspruch, einem Wechselgespräch zwischen Herr und Knecht. Der Herr beklagt sich, daß die Bauern nichts mehr geben wollen, und der Knecht berichtet darauf, sie hätten sich doch noch besonnen und allerlei in die Küche geliefert. Weiter kommt er in einem „Gespräch von dem gemeinen Schwabacher Kasten“ vor, das um 1530 gedruckt ist. Die Abbildung zeigt ihn mit dem Meister Tuchmacher am Webstuhl. Er könnte ebensogut bloß „Knecht“ heißen. Er hat keine Beschäftigung, die darüber hinaus geht. Der ins Ohr fallende Reim: Knecht – Ruprecht scheint der Anlaß zu der Zusammenstellung und der Grund gewesen zu sein, weswegen der Name nicht in Vergessenheit geriet. In den im sechzehnten Jahrhundert gebräuchlichen kirchlichen Weihnachtsumzügen, in denen schön gekleidete Gestalten als Jesus, Petrus, heiliger Nikolaus etc. auftraten, erscheint eine solche Gestalt noch nicht. Aber in ähnlicher Weise, wie das mittelalterliche Jesusgeburtspiel immer volkstümlicher wurde, indem es volkstümliche Gestalten und Züge in sich aufnahm, werden auch diese Weihnachtsumzüge volkstümlich, welche eigentlich vom Martins- und Nikolaustag stammen und daher auch stets diese Heiligen noch aufweisen. So wird in diese Umzüge dem heilige Christ ein Knecht beigegeben, der in einem 1668 gedruckten Umzugsspiel neben Ruprecht noch Acesto heißt, bald aber allein mit dem Namen Knecht Ruprecht bezeichnet wird. Er bildet in dunkler, schrecklich aussehender Vermummung ein düstres Gegenstück zu der Lichtgestalt des heiligen Christ, und das Volk findet an ihm bald solches Wohlgefallen, daß es statt seiner eine ganze Reihe Ruprechte den heilige Christ begleiten läßt. Als man dann gegen das Ende des siebzehnten Jahrhunderts die Umzüge eines heiligen Christ vielerorts als anstößig zu empfinden begann, wurde seine Gestalt beseitigt. Der Knecht Ruprecht aber blieb unangetastet. Er konnte kein feiner gestimmtes religiöses Empfinden verletzen, und so zieht er in Stadt und Land vielfach noch heute herum, mit Rute und Sack bewaffnet, und spendet den artigen Kindern Aepfel, Nüsse und Pfefferkuchen und den schlimmen Hiebe.
Mit den ursprüuglich rein kirchlichen Winteranfangs- und späteren Weihnachtsumzügen hängt auch die Entstehung der Weihnachtsbescherung zusammen, wenn in letzter Linie auch noch ein anderer Bach volkstümlicher Ueberlieferung in sie eingemündet ist. In dem gesamten römisch-gallsch-deutschen Sprachgebiete bestand von altersher der Brauch von Neujahrsgeschenken, die zum Teil in eine freundlichere Form gekleidete Abgaben waren, auf die man aber ebensogut rechtlichen Anspruch hatte wie unsere Dienstboten auf ihre Weihnachtsgeschenke und viele Beamte auf sogenannte „Weihnachtsgratifikationen“. Es war ein römischer Brauch, der vielleicht durch Uebertragung ähnlicher deutscher Züge vom Wintersanfang auf den neuen Jahresanfang verstärkt wurde. Jedenfalls finden wir seit dem fünfzehnten Jahrhundert Weihnachtsabgaben in der Form von Weihnachtsgeschenken ziemlich häufig. Wo sie Gaben der Oberen an die Unteren sind und einen bestimmten Lohn vertreten, erscheinen sie meist als Geschenke zum Dank für einen dargebrachten Weihnachts-Neujahrs-Wunsch. Diese beiden Wünsche fallen für das ausgehende Mittelalter in Deutschland ja zusammen wie noch heute in England. Kinder erhalten hier und da nur eine kleine Gabe, wenn sie die Träger des Glückwunsches sind, und noch im sechzehnten Jahrhundert belohnen Eltern ihre Kleinen für die Gratulation mit einem Pfenning. Eine eigentliche Weihnachtsbescherung giebt es noch nicht, diese entwickelt sich, wie bemerkt, erst gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts aus den volkstümlichen Weihnachtsumzügen. Die umziehenden Gestalten, welche in den einzelnen Häusern eine kleine Aufführung abspielen, sammeln hinterher Gaben ein. Wie sich dann die Aufführung immer mehr an die Kinder wendet, die in dem „heiligen Christ“, der sie examiniert, den wirklichen Christus sehen und in seinen Begleitern dessen Heilige, bringen die Umziehenden den Kindern, den artigen wenigstens, auch selbst Kleinigkeiten mit, um dafür desto mehr von den Elten zu erhalten, oder draußen vor der Thür wird ihnen auch von den Eltern eingehändigt, was sie drinnen den Kleinen bescheren sollen. Wie ferner die protestantische Kirche namentlich in Mitteldeutschland die Umzüge selbst beseitigt, bleiben doch jene kleinen Gaben. Früh beim Erwachen finden die Kinder neben dem Bett ein Bündel, in das allerhand kleine Geschenke eingebunden sind, und [839] es wird ihnen gesagt, der heilige Christ habe dasselbe über Nacht gebracht. Das Bündel heißt „Christbürde“ und dabei fehlt niemals die „Christrute“, die vordem der Heilige Christ als Nachfolger des heiligen Martin und Nikolaus geführt hatte. Ursprüglich ein Segenszweig oder Segensbäumchen, hatte sie dann die Bedeutung eines Zuchtmittels bekommen und steht neben anderen Schulsachen, welche den Kindern geschenkt werden. Dann erhalten die Kinder ihre Geschenke auch im Abendgottesdienst selbst. Eine Liste aus dem Jahre 1584 zählt davon auf: Klappern, Kästchen, Kleidet, Störche, Schäfchen, Pferdchen, Wägelchen, Aepfel, Birnen, Nüsse und Honigkuchen. Nach und nach werden die Weihnachtsgeschenke für Kinder zum Luxusartikel. Die aufblühende Industrie bemächtigt sich ihrer und gegen das Ende des siebzehnten Jahrhunderts hin wird der alte Nikolausmarkt zum Weihnachtsmarkt und bietet eine übersichtliche Schaustellung alles dessen, was Große schenken können und was Kleine erfreut. Zahl und Umfang der Weihnachtsgaben wachsen, und damit wird es zur Unmöglichkeit, die Gaben in Bündel einzuschnüren und sie die Kleinen früh beim Erwachen am Bettchen finden zu lassen. Auf dem Tische bauen sie sich nunmehr auf, erst in Schüsseln, dann auf weißem Tuche, und so entsteht zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts die moderne Weihnachtsbescherung mit ihrer aufgebauten Gabenfülle, ihrem Lichterglanz und ihrem – Weihnachtsbaum.
Wie alt ist der Weihnachtsbaum und wo ist seine Heimat? so habe ich die Leser der „Gartenlaube“ vor sechs Jahren an dieser Stelle gefragt (in Nr. 49 des Jahrganges 1888) und ihnen erzählt, was ich davon wußte. Dann bin ich noch einmal darauf zurückgekommen („Noch einmal auf den Spuren des Weihnachtsbaumes“, 1889, Nr. 51), ohne eine endgültige Antwort darauf geben zu können. Was die Forschung bis in das vorige Jahr darüber festgestellt hatte, konnte ich dann in meinem Buch „Die Geschichte der deutschen Weihnacht“ zusammenstellen, das inzwischen im Verlag der „Gartenlaube“ erschien. Heute weiß ich, woher der Weihnachtsbaum stammt, und daher will ich den Lesern der „Gartenlaube“ zu den anderen auch noch dies Weihnachtsgeheimnis verraten.
Das Aufrichten eines Segensbäumchens zum Schutze gegen unholde Gewalten ist ein alter Brauch der arische Völker. Der Brauch scheint an keine bestimmte Zeit im Jahre gebunden gewesen zu sein, sondern war an festlichen Tagen aller Art üblich. Der Maibaum und der Erntemai, das Eierbäumchen der Osterzeit und das Martinsbäumchen, sie alle stammen von jenem alt-arischen Segensbäumchen ab, und die Dorflinde als Ortsheiligtum, als Mittelpunkt der Gemeinde, als Ratsstelle und als Schirm des Tanzplatzes ist wohl ebenfalls mit ihm verwandt. Im Frühling wird das Segensbäumchen dargestellt durch einen blühenden Busch, im Herbste durch einen blättertragenden Zweig, den Bänder schmücken, und im Winter durch ein immergrünes Nadelholzstämmchen, an dem allerhand bunte Flitter hängen, oder auch durch ein künstliches Gebäu aus kahlen Ruten oder Aesten, an dem Wintergrün, bunte Eier, Schnitzel und Lichter befestigt sind. Die Sage von den blühenden Bäumen der Weihnacht verbindet den blühenden Busch zuerst mit der dunkelsten Zeit des Jahres, und der 24. Dezember als der Tag „Adam und Eva“ giebt mit seinen kirchlichen Paradiesspielen und ihrem Lebensbaum einen weiteren Anlaß zur Verknüpfung des blühenden oder Frucht tragenden Busches mit dem eben entstehenden deutschen Weihnachtsbaum. Als sich dann seit dem fünfzehnten Jahrhundert eine ganze Fülle Winteranfangsbrauch und Winteranfangsglaube vom Martinsfest auf Weihnachten zu verschieben begann, da brachte der heilige Martin, der bis dahin nur an seinem eigenen Tage sein Martinsbäumchen herumgetragen und es schließlich im Hause aufgepflanzt hatte, dasselbe auch mit nach Weihnachten. Und als er dann zum heiligen Christ umgewandelt wurde, behielt er’s bei, und es ward in seiner Hand zur Christrute, die wir samt ihrer neuen pädagogischen Bedeutung schon kennenlernten. Hier und da bekamen die Kinder den Busch mit den Christbürden zum Spielen und zur Vermahnung. Anderorts ward er schön geschmückt im Hause aufgerichtet und von den Kindern bestaunt, begrüßt und schließlich – abgeleert. Statt der alten Schnitzel fand sich jetzt Zuckerwerk, fanden sich Aepfel und Nüsse auf seinen stachligen Zweigen. Der erste solche Weihnachtsbaum ist uns 1604 in Straßburg bezeugt. Vier Menschenalter später sind die Lichter, die ehedem unter ihm brannten, auf seine Zweige emporgestiegen, und nach weiteren fünfzig Jahren giebt ihm Goethe in den „Leiden des jungen Werther“ eine weltweite Verbreitung.