Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche/Kapitel VIII
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Die Bedeutung der Doppellinie erläutert Veckenstedt im Vorwort auf Seite V folgendermaßen: „Die Sagen und Märchen der deutschredenden Wenden finden sich in jedem Abschnitte nach dem Zeichen, welches zwei parallele Striche bilden.“ Ferner führt er auf Seite X den Grund der Kennzeichnung an: „Nicht unwillkommen wird, hoffe ich, der Forschung die Art sein, wie ich die reine Sorbentradition von derjenigen Ueberlieferung geschieden habe, welche zwar auf wendischer Grundlage ruht, aber eben weil sie einem Geschlecht deutschredender Menschen entnommen ist, vielleicht eine oder die andere Modification erlitten hat.“ |
Till Eulenspiegel.
Der Eulenspiegel hat eigentlich Hansspiegel geheissen: er ist einmal zu Ostern weggegangen, um Hefen zu holen, Pfingsten ist er aber erst wiedergekommen. Als er über die Schwelle des Hauses trat, stolperte er und fiel, so dass alle Hefen verschüttet wurden. Da sagte er: „Eile thut nicht gut.“
Zu einem Bauer, welcher auf dem Felde pflügte, gesellte sich ein kleiner Junge. Die Pferde wollten nicht ziehen, der Junge aber stellte sich hin, sah zu und fragte den Bauer, ob er ihn als Knecht miethen wolle, er werde die Pferde gleich in Gang bringen. Der Bauer miethete ihn auch, und Eulenspiegel, denn kein anderer war der kleine Junge, wollte die Pferde in Bewegung setzen, aber ohne Leine. Darüber wunderte sich der Bauer und sagte: „Das wird nicht gehen“, allein der Junge setzte sich dem Handpferde in das Ohr und trieb es an. So führte er die Pferde, welche seinen Befehlen willig folgten, ohne Leine.
Till Eulenspiegel war einmal bei einem Schneider in Arbeit gegangen. Als in dem Hause seines Meisters Kindtaufe war, wurde auch Till mit seiner Mutter dazu eingeladen. Bei Tische konnte er aber nicht satt werden, deshalb klagte er der Mutter sein Leid. Diese sagte ihm, er solle nur nach Hause gehen, in der Kammer befinde sich noch Wurst, [96] die möge er essen. Till Eulenspiegel ging nach Hause. Nun hatte aber die Katze gerade Junge bekommen und befand sich mit denselben in der Kammer. Als nun Till die ganz jungen Katzen sah, ass er sie auf, als ob es Würste seien; darnach machte er sich über die alte Katze her und verzehrte dieselbe gleichfalls. Darauf ging er zum Taufschmause zurück. Die Mutter fragte ihn, ob er die Würste gefunden und gegessen habe und ob er nun satt sei? Satt, meinte Till, sei er eigentlich noch nicht, aber die Würste habe er gegessen. Darauf fragte ihn die Mutter, ob die Würste geschmeckt hätten. Till antwortete, die kleinen hätten gut geschmeckt, nur die grosse habe etwas im Halse gekratzt. Man wunderte sich über diese Antwort des Till und wusste nicht recht, was er damit meine. Als die Mutter aber mit ihm nach Hause kam, fand es sich, dass er die jungen Katzen mitsammt der alten statt der Würste gegessen habe; nun ward ihr klar, was ihren Sohn im Halse gekratzt hatte.
Eulenspiegel wollte einst bei einem Bauer Dienst nehmen, der aber wollte ihn nicht als Knecht dingen. Darauf ging er fort, zerschlug aber von draussen dem Bauern die Fenster, kam wieder und fragte, ob er ihn nun als Knecht annehmen wolle. Jetzt fiel dem Bauer das Wesen des Knechtes auf und er behielt ihn: sogleich waren auch die zerschlagenen Fenster wieder heil. Der Bauer befahl seinem neuen Knecht, er solle Häcksel schneiden. Eulenspiegel machte sich sogleich an die Arbeit, ergriff eine Scheere und schnitt lustig darauf los. Da sah der Bauer, dass sein neuer Knecht zu solcher Arbeit nicht tauge und befahl ihm, er solle eine Gans braten, aber auch nicht vergessen, dieselbe fleissig herumzudrehen. Eulenspiegel machte in der Ecke der Stube Feuer an, nahm die Gans und ging damit immer um das Feuer herum, so dass er sich jedesmal, wenn er an die Wand kam, mit der Gans herumdrehte. Nun sah der Bauer wohl, dass er einen solchen Knecht nicht gebrauchen könne und entliess den Eulenspiegel; dieser aber hatte kaum das Zimmer verlassen, [97] so waren alle Fenster wieder entzwei, welche vorher zerschlagen, dann aber ganz gewesen waren.
Till Eulenspiegel ist einmal mit einem Fuchs und einem Wolf auf die Wanderschaft gegangen. Da ist ihnen eingefallen, sie wollten bei einem Bauer einbrechen und den vorhandenen Kirmeskuchen verzehren. Das haben sie denn auch gethan. Till hat aber in der Kammer absichtlich so gerumpelt, dass die Leute aufmerksam geworden sind und die Diebe in der Kammer gefunden haben. Der Till und der Fuchs hatten sich so versteckt, dass sie nicht gesehen wurden, der Wolf aber hat von den Bauern furchtbare Schläge bekommen, und dann ist er aus dem Gehöfte hinausgeworfen worden. Unterwegs gesellte sich der Fuchs zu ihm. Der war der Schlaue: er stellte sich krank und so blieb dem Wolf nichts weiter übrig, als den Fuchs mit sich zu schleppen, so sauer es ihm auch wurde. Darum sagt man noch heute: „Der Geschlagene trägt den Ungeschlagenen.“
Eulenspiegel hatte sich einmal mit einem Manne aufgemacht, um mit ihm Käse von dem Giebel eines Hauses zu stehlen. Der Mann hatte die Leiter angelegt und Eulenspiegel war hinaufgeklettert. Als er oben war, rief er, so laut er konnte: „Welche soll ich nehmen, die grossen oder die kleinen?“ Sein Gefährte rief ihm leise zu, er solle schweigen, aber Eulenspiegel rief nur um so lauter: „Soll ich die kleinen nehmen, oder die grossen?“ Das hörte der Wirth, er kam angelaufen und prügelte den Mann gehörig durch, Eulenspiegel aber kletterte vom Giebel auf den Boden und versteckte sich dort im Heu.
Es währte nicht lange, so kam die Magd, um Futter für die Kuh zu holen. In dem Heu, welches sie in der Schürze trug, befand sich auch Eulenspiegel. Er war mitsammt dem Heu der Kuh vorgeworfen und von dieser mit aufgefressen worden. Fortan gab die Kuh keine Milch mehr, denn [98] Eulenspiegel trank sie alle weg. Da liess der Bauer die Kuh schlachten. Er wusste nicht, was er mit dem Euter anfangen sollte, deshalb schenkte er es armen Leuten. Diese befestigten es an einem Stock und trugen es, nachdem sie den Stock mit dem angebundenen Euter auf die Schulter genommen hatten, am Abend nach Hause. In diesem Euter aber befand sich Eulenspiegel. Die Bauern waren noch nicht weit gegangen, so zupfte Eulenspiegel erst den vordersten, dann den, welcher hinten ging, an den Haaren. Jeder von den Bauern dachte, er sei von dem andern gezupft worden; deshalb ergrimmten sie gegen einander, warfen das Euter weg und fingen an sich zu prügeln. Jetzt schlüpfte Eulenspiegel aus dem Euter heraus.
Er war noch nicht weit gegangen, so kam er in einen Wald. Hier setzte er sich unter einem Pilz nieder und begann seine Schuhe zu flicken. Da kam ein Jude des Weges. Der achtete des Ortes nicht, wo Eulenspiegel sass. Dieser aber nahm seinen Pfriemen und stach den Juden so empfindlich, dass er schreiend davon lief.
Es währte nicht lange, so kam ein Wagen mit Heringen beladen, angefahren. Eulenspiegel kletterte auf den Wagen und warf einen Hering nach dem andern herunter. Als er genug hatte, stieg er von dem Wagen wieder herunter, sammelte die Heringe und legte sie alle auf einen Haufen. Da kam ein Fuchs; der fragte, woher Eulenspiegel alle die Heringe habe. Eulenspiegel sagte, er habe sie aus dem Teiche gefischt: wenn er auch welche haben wolle, so brauche er nur zum Teiche zu gehen und seinen Schwanz hinein zu halten, die Heringe würden schon anbeissen.
Der Fuchs liess sich von Eulenspiegel überreden, ging zum Teiche und steckte seinen Schwanz hinein. Es fror aber gerade stark. Da währte es denn nicht lange, so war der Schwanz festgefroren. Der Fuchs fing endlich an zu ziehen. Erst glaubte er, der Schwanz sei deshalb so schwer, weil eine Menge von Heringen angebissen hätte, bald aber merkte er, was geschehen war. Nun zerrte und zog er so lange, bis der ganze Schwanz abriss.
Eulenspiegel aber war weiter gezogen.
[99]Die Mutter von Till Eulenspiegel war arm. Einstmals schickte sie ihren Sohn zum Bäcker und bestellte ihm, er solle zwei Brode bringen, das Geld dazu wolle sie ihm später geben. Till Eulenspiegel brachte auch wirklich die Brode. Seine Mutter aber nahm dieselben, steckte sie in einen Sack und ging damit fort. So war Eulenspiegel ohne Geld und ohne Brod.
Eulenspiegel verdingte sich bei einem Bäcker als Gesell. Der Herr befahl ihm, er solle Teig kneten, allein Eulenspiegel sagte: „Bei Tage knete ich keinen Teig, das geschieht des Abends; bei Tage gehe ich aus.“ Und richtig, Eulenspiegel ging aus und kam erst den Abend wieder heim. Nun sollte er sich an die Arbeit machen; er aber sagte: „Ich arbeite nur bei Mondenschein, jetzt nicht.“ Als darauf der Mond aufgegangen war, machte er sich wirklich an die Arbeit und knetete, schmierte aber darauf den Teig vor dem Hause des Bäckers auf den Plan. Nun ward der Bäcker wüthend und wollte den Till aufhängen lassen. Eulenspiegel aber bat so lange und bot dem Bäcker so viel Gold, dass dieser ihn endlich los liess, das Gold nahm, dem Gesellen aber befahl, er solle sein Haus räumen.
Das that denn Eulenspiegel auch sogleich.
Der Bäcker wollte am andern Morgen sein Gold besehen, da fand er aber statt des Goldes nur Kohlen.
Till Eulenspiegel hatte sich auf die Wanderschaft begeben; da geschah es ihm denn einmal, dass er starken Hunger bekam. Sobald er nun in das nächste Dorf kam, ging er zum Schmied, weil er wusste, dass diese Leute gut essen, und verdingte sich daselbst als Gesell. Der Schmied aber wollte den neuen Gesellen erst erproben und hielt ihn deshalb eine Zeit lang sehr knapp. Eines Tages musste er verreisen. Da gab er dem Till auf, er solle in seiner Abwesenheit das alte Eisen zusammensuchen, einiges zu einer [100] Stange zusammenschmieden, das andere aber fortwerfen. Sobald der Schmied fort war, machte sich Till an die Arbeit, schlug allen Nägeln, die er finden konnte, die Köpfe ab, und dann schmiedete er sie zu einer Stange zusammen, das andere Eisen aber, und zwar das beste, warf er auf den Hof.
Als nun der Schmied heimkam und sah, was der Till angerichtet hatte, gab er ihm zwar nichts zu essen, dafür aber desto mehr Schläge; darauf warf er ihn zum Hause hinaus.
Till Eulenspiegel war bei einem Schuhmacher als Gesell in den Dienst getreten. Der Meister musste einmal in die Stadt gehen, um Leder zu holen; er trug daher dem Till auf, dieser solle in seiner Abwesenheit Leder zuschneiden. Till fragte welches, und der Schuhmacher sagte, von allem Vieh, was der Hirt austreibe, und meinte damit das noch vorhandene Rind- und Kalbleder. Kaum war der Schuhmacher fort, so trieb der Hirt aus. Sogleich machte sich Till über die Heerde des Hirten her, tödtete ein Stück nach dem andern, zog den Thieren die Häute ab und begann darauf, dieselben zuzuschneiden. Als der Schuhmacher zurückkehrte und den Schaden sah, welchen Till angerichtet hatte, jagte er ihn fort.
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