Wetterprognosen

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Autor: M. Wilhelm Meyer
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Titel: Wetterprognosen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 395–398
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Wetterprognosen.

Von M. Wilhelm Meyer.

Die Ueberschrift dieses Artikels fordert direkt zu einem Vergleiche mit der Heilkunde auf. Auch der Arzt prognosticirt. Aus beobachteten Krankheitssymptomen sucht er die Art des herannahenden Unheils zu bestimmen und die Krankheit bei ihrem rechten Namen zu nennen. Dann weiß er auch zugleich aus dem Schatze der tausendfältigen Erfahrungen, von denen er theils durch sein Studium, theils durch eigene Praxis Kenntniß erlangt hat, wie die Krankheit nun weiter verlaufen, welchen Theilen voraussichtlich die meiste Gefahr drohen wird und wie man derselben möglicherweise noch entgehen kann.

Das schlechte Wetter ist in der That auch nichts Anderes als eine Krankheit der irdischen Lufthülle, eine Gleichgewichtsstörung jener luftigen Lebenssäfte unseres Planeten, welche um seinen Körper pulsend kreisen und zugleich für uns arme Parasiten des Erdballes die erste unumgängliche Existenzbedingung bilden. Die Wetterforscher sehen es nun heut zu Tage immer mehr ein, daß sie es in Bezug auf jene „Luftkrankheiten“ den Aerzten ganz gleich thun müssen, die sich am Krankenlager nicht lange den Kopf darüber zerbrechen, wie die Krankheit entstehen konnte oder weßhalb nun die zu erwartenden Folge-Erscheinungen sich aus den zu Tage getretenen Krankheitskeimen entwickeln werden; denn sie haben längst eingesehen, daß über der Lösung dieser letzten Probleme der Lebensthätigkeit nicht nur jener Patient, sondern die ganze leidende Menschheit leicht zu Grunde gehen möchte. Wenn Jemand wiederholt niest, so vermuthet er, daß er den Schnupfen bekommen wird, während es ihm der beste Arzt nicht sagen könnte, wie es eigentlich zugeht, daß der Mensch überhaupt niest und in welcher Wechselwirkung diese sonderbare Zuckung mit dem herannahenden Schnupfen steht. Ist dann letzterer mit gewohnter Pünktlichkeit erschienen, so kommt es uns gewiß nicht so sehr darauf an zu wissen, wo wir uns denselben geholt haben, als vielmehr, wie wir ihn am schnellsten wieder los werden.

Wenn nun zwar der Wetterdoktor die herannahende „Luftkrankheit“ nicht verhindern oder auf ihren Verlauf irgend welchen Einfluß üben kann, so ist es dagegen für die Menschheit von augenscheinlichster Wichtigkeit, ihren weiteren Fortgang genau im Voraus zu wissen, damit wir unser Gut und Leben bei Zeiten gegen die Wuth der entfesselten Elemente schützen können. Zu diesem Ende kommt es offenbar zunächst darauf an, eine möglichst große Menge von Wetterbeobachtungen anzustellen, welche als Symptome den äußeren Charakter der Krankheit in ihren verschiedenen Stadien bestimmen. Solche Beobachtungen sind in der That an vielen Orten der Erde theilweise schon seit einem Jahrhundert mit größester Regelmäßigkeit und Ausdauer angestellt worden. Es ist daher um so seltsamer, daß die Forscher angesichts des ungeheuern Materials von beobachteten Symptomen doch erst in jüngster Zeit, seit kaum fünfzehn Jahren, an die praktische Bearbeitung desselben herangetreten sind, indem sie zahlenmäßig zu beweisen versuchen, daß auf ein gewisses Zusammentreffen solcher Wettersymptome beispielsweise nach vierundzwanzig Stunden regelmäßig ganz bestimmte Wettererscheinungen zu Tage treten und man folglich aus dem Vorhandensein der Symptome den künftigen Verlauf des Wetters vorher zu sagen vermag, ohne deßwegen über den inneren Zusammenhang zwischen dieser Aufeinanderfolge von Erscheinungen, so sicher derselbe auch vorhanden ist, irgend etwas zu wissen.

Von der alten Schule der Meteorologen wurde zwar ein derartiges Vorgehen als ein Fischen im Trüben und der strengen [396] Wissenschaft unwürdig bezeichnet, welche das allgemeine Gesetz, „den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht“, aufzufinden strebt. Aber diese alten zugeknöpften Schulmeisterseelen übersahen es, daß jede Wissenschaft in ihrer Kindheit sich mit derartigen einfachen Erfahrungsregeln behelfen mußte. Das schlagendste Beispiel bietet hierzu die Astronomie, die älteste und am meisten entwickelte Wissenschaft. Bereits in grauer Vorzeit wußten die Chinesen und die Hindus Sonnen- und Mondfinsternisse ziemlich genau vorher zu sagen, weil sie in den Aufzeichnungen solcher auffälligen Erscheinungen in verflossenen Jahrhunderten eine gewisse Regelmäßigkeit bemerkt hatten, welche sie nun zur Vorausberechnung praktisch benutzen konnten, ohne eine Ahnung von der eigentlichen Ursache der Finsternisse zu haben. Später lernte man auf dieselbe Weise die Bewegungen der Planeten voraus bestimmen; Kepler verstand es, die große Menge der hierzu nöthigen Regeln in drei hauptsächliche zusammenzufassen, aber erst ganz zuletzt konnte ein Newton die allgemeine Erklärung für all diese Erscheinungen in dem einen großen Naturgesetze der Gravitation aussprechen.

Viertausend Jahre hat die Menschheit darüber nachgrübeln müssen, bis sie sich das „Warum“ der Himmelserscheinungen erklären konnte, die Meteorologie aber ist noch eine Wissenschaft im Kindesalter und kaum hundert Jahre alt. Wenn sie dennoch merkwürdig viel Erfolge zu verzeichnen hat, so kann man allerdings wohl auf das frühreife Kind stolz sein, aber man darf darüber doch nicht vergessen, daß wir es eben trotz alledem mit einem Kinde zu thun haben, welches nun einmal seine Flegeljahre durchmachen muß, ehe es zum thatkräftigen Manne werden kann.

Daß diese neue Symptomatologie des Wetters eine sehr verwickelte Aufgabe zu lösen hat, kann man sich leicht denken; denn gerade hier, wo man die eigentlichen Gesetze noch nicht kennt, kommt es darauf an, das rein Zufällige aus dem Regelmäßigen durch unbefangene und streng systematische Behandlung einer möglichst großen Anzahl von Fällen herauszusondern. Wenn man niest, so ist das bekanntlich nicht allemal ein Zeichen des herannahenden Schnupfens; es kann auch daher kommen, daß man in die Sonne gesehen oder wohl gar eine Prise genommen hat. Diese Nebenumstände müssen bei der Prognose also wohl berücksichtigt werden. Eben so wird das Fallen der Quecksilbersäule im Barometer nicht allemal von schlechtem Wetter gefolgt sein, obgleich dies wohl die Regel ist. Um hierüber zu entscheiden, muß der Wetterkundige ganz eben so wie der Arzt die begleitenden Erscheinungen auch bis in weitere Entfernungen hinaus in Untersuchung ziehen können, so weit eben die krankhafte Erscheinung zu Tage tritt. Man begreift, daß er hierzu die gleichzeitige Kenntniß der Barometerhöhe, der Temperatur, der Windrichtung und -Stärke etc. vieler weit entfernten Orte besitzen muß, was überhaupt erst zu ermöglichen war, seitdem die Erde mit einem vielverzweigten Telegraphennetze überzogen und letzteres bereitwilligst den Meteorologen zur Verfügung gestellt worden ist. Die täglich in den Zeitungen erscheinenden Wettertelegramme und Wetterkarten stellen also das ärztliche Bulletin vor, welches über den Gesundheitszustand unserer lieben Mutter Erde oder eigentlich nur ihrer äußersten luftigen Umhüllung das Nöthige aussagt oder die Krankheitssymptome angiebt, welche soeben aufgetreten sind.

Unter den Letzteren werden bekanntlich in erster Linie die Luftdruckminima genannt. Man hat gefunden, daß die meisten derselben im hohen Norden über dem amerikanischen Festlande entstehen, indem auf weite Strecken die Luft sich hier, aus nicht genügend aufgeklärten Gründen, ziemlich schnell verdünnt, und zwar derart, daß in der Mitte jenes Gebietes der geringste Luftdruck, der niedrigste Barometerstand, herrscht, um welchen centralen Punkt sich ringförmige Gebiete gruppiren, wo gradweise nach außen hin immer höherer Luftdruck konstatirt wird. Das Ganze sieht also etwa aus wie ein trichterförmiges Loch in der Atmosphäre. Es ist eine Wunde in der luftigen Hülle unseres Planeten, nach welcher sich nun, ebenso wie nach einer Wunde an unserem Körper, alle Lebenssäfte drängen, um dieselbe wieder zu heilen, und die umliegende Luft um so schneller hinströmt, je tiefer die Wunde ist. Wir begreifen also, daß sich in solchen Lufttrichtern Stürme entwickeln müssen, die um so heftiger sein werden, je größer die Vertiefung, also je geringer der Barometerstand im Centrum des Trichters, der sogenannten Cyklone, sich herausstellt. Es zeigt sich nun ferner, daß die einströmende Luft eine wirbelnde Bewegung annimmt, und für diese Wahrnehmung haben wir sogar schon den Grund erkannt. Um ihn zu erfassen, müssen wir uns vorstellen, daß der ganze Vorgang auf einem Weltkörper stattfindet, der sich um seine Achse von Westen nach Osten dreht. In Folge dessen müssen die Luftmassen über dem Erdäquator, wenn es für uns windstill sein soll, sich mit einer Geschwindigkeit von 463 Metern in der Sekunde bewegen, das heißt fünfmal schneller als der entsetzlichste Orkan, und so arg würde diese Luft für uns in der That fühlbar wüthen, wenn sie, ohne an ihrer ursprünglichen Geschwindigkeit etwas zu verlieren, in unsere Breiten oder gar bis zum Pol transportirt würde, weil bei uns die absolute Geschwindigkeit der Achsendrehung der Erde bereits viel kleiner, am Pole aber gleich Null ist. Wenn nun auf unserer Halbkugel eine Cyklone entsteht, so wird die Luft, welche von Norden her in dieselbe strömt, eine geringere Geschwindigkeit mitbringen, als das Centrum der Cyklone ursprünglich besitzt, und folglich nach Westen zurückbleiben. Im Norden des Trichters werden also nicht nördliche, sondern nordöstliche Winde wehen. Die von Süden eindringenden Winde haben dagegen eine größere Geschwindigkeit, als das Centrum, sie eilen nach Osten hin voraus, hier herrschen also südwestliche Winde. Ebenso findet man, daß im Osten vom Centrum südliche, im Westen nördliche Winde wehen müssen. Wir sehen leicht, daß dadurch eine wirbelnde Bewegung der Luftmassen um das Centrum herum entsteht, dessen Richtung derjenigen des Uhrzeigers entgegengesetzt ist, während die Cyklone der südlichen Halbkugel aus ganz denselben Gründen die umgekehrte Bewegung besitzen müssen. Da man für diese beobachtete Regel, wie wir sahen, schon die physikalische Erklärung gefunden hat, so darf man ihr den Titel eines Gesetzes der Stürme wohl verleihen und nennt dasselbe nach seinem Entdecker das Buijs-Ballot’sche Gesetz.

Die neue Richtung der meteorologischen Wissenschaft, welche ich vergleichsweise eine Symptomatologie des Wetters nannte und zu deren hervorragendsten Vertretern Dr. van Bebber, der Vorsteher derjenigen Abtheilung der deutschen Seewarte in Hamburg, welche mit dem Sturmwarnungs- und Prognosenwesen betraut ist, gehört, hat nun ferner feststellen können, daß die Cyklone, welche alle nicht über dem Orte ihrer Entstehung still stehen, sondern sich auf unserer Halbkugel immer nach Osten hin weiter bewegen, dabei ganz bestimmte Straßen einzuschlagen pflegen, von welchen die eine beispielsweise längs der warmen Golfströmung hinläuft, die den Atlantischen Ocean durchkreuzt und zwischen Skandinavien und Grönland sich im hohen Norden wieder verliert.

Van Bebber unterscheidet fünf solcher Hauptstraßen, und man kann mit ihrer Kenntniß sehr oft den künftigen Weg eines Sturmcentrums bestimmt voraussagen, wenn man nur seinen Anfang kennt. Dies ist aber offenbar von der allergrößten Wichtigkeit für die Aufstellung der Wetterprognosen für einen bestimmten Ort. Findet man beispielsweise, daß eine herannahende Cyklone am folgenden Tage wahrscheinlich nördlich von uns vorüberziehen wird, so sind nach dem Gesetze der Stürme offenbar südwestliche bis westliche Winde zu erwarten, deren Stärke nach der Tiefe der Depression und der Nähe ihres Centrums zu bemessen ist. Geht das Centrum über unserem Orte vorbei, so haben wir zunächst südliche Winde, die sich bis zum Orkan steigern, zu erwarten, dann verhängnißvolle Windstille, wenn das Centrum des Wirbels gerade über uns steht, denn hier stoßen die Winde allseitig auf einander und können nur nach oben entweichen. Der aufsteigende Luftstrom kommt in kältere Regionen der Atmosphäre, hier kann die Luft ihren Wassergehalt wegen der schnellen Abkühlung nicht mehr festhalten, schwarze Wolken entstehen und es beginnt heftig zu regnen, während plötzlich ein kräftiger Nordsturm anhebt, sobald die Cyklone nach Osten weiter eilt. Man begreift, wie sich alle diese Erscheinungen aus jenem Gesetze voraussagen lassen, und man versteht auch, weßhalb das Fallen des Barometers gewöhnlich schlechtes Wetter im Gefolge hat, denn die Quecksilbersäule in demselben giebt uns bekanntlich an, wie viel Luft sich jederzeit über uns befindet. Wenn das Quecksilber fällt, so zeigt es, daß sich über uns ein Loch in der Luft befindet, das immer größer wird; es nähert sich uns also eine Cyklone, wir werden südlichen Wind und Niederschlag bekommen. Manchmal kann man sich allerdings in dieser Beziehung wohl irren, der Luftdruck kann auch gelegentlich durch lokale Einflüsse etwas sinken. Die Wettertelegramme geben hier allein maßgebenden Bescheid, weil [398] sie eine Cyklone und ihren Lauf schon von fern her signalisiren. Das Verhalten des Barometers ist nur als eine erwünschte Bestätigung für die faktische Annäherung des Centrums anzusehen.

So ist man also heute in den Stand gesetzt, auf Grund jener tausendfältigen Beobachtungen über den Zustand unserer Atmosphäre über weite Distrikte hin Wetterprophezeiungen auf einen oder selbst zwei Tage im Voraus zu liefern, welche in der Mehrzahl der Fälle eintreffen werden, obgleich wir über das „Warum“ der vorausgesagten Erscheinungen durchaus nicht immer im Klaren sind. Aus denselben Gründen der vergleichenden Symptomatologie könnte man eigentlich unseren uralten Wetterkenner, den Laubfrosch, oder unser in Wetterangelegenheiten merkwürdig hellsehendes Hühnerauge ganz wohl in den Bereich unserer Beobachtungen einschließen.

Es wäre gar nicht uninteressant, ziffermäßig zu konstatiren, in wie vielen Fällen das Hühnerauge oder die „alte Wunde, welche wieder schmerzt“, mit ihren Prophezeiungen Recht oder Unrecht gehabt hatten. Eine Erklärung für so seltsame Beziehungen können wir eben so wenig verlangen, wie wir solche für manche andere Resultate der praktischen Meteorologie anzugeben vermögen. Daß aber Theile des thierischen Organismus für atmosphärische Feuchtigkeit sehr empfindlich sind, beweisen die Wettermännchen, welche, an Sehnen gezogen, beim Wetterhäuschen aus- und eingehen, je nachdem es schönes oder schlechtes Wetter giebt, oder der sogenannte Haarhygrometer, ein Meßwerkzeug, das allen Meteorologen wichtige Dienste leistet nur durch die außerordentliche Empfindlichkeit des menschlichen Haares für den Feuchtigkeitsgehalt der Luft. Ehe wir indeß an solche Wetterprophezeiungen des Laubfrosches, der Hühneraugen etc. ernstlich glauben sollen, müssen eben ziffernmäßige Beweise deßwegen geliefert werden.

Ganz eben so oder noch viel bedenklicher verhält es sich mit jenen Privatwettermachern, welche ohne tiefere Kenntnisse der Sachlage aus dem zufälligen Erfolge vereinzelter Voraussagen nach Kräften Münze schlagen, die ungünstigen Fälle aber möglichst unerwähnt lassen. Diese Leute können die junge hoffnungsvolle Wissenschaft der Wetterkunde beim Publikum leicht in unverdienten Mißkredit bringen. Wir wissen heute wenigstens so viel mit Sicherheit, daß wir höchstens auf ein paar Tage im Voraus, und das durchaus nicht etwa mit vollkommener Sicherheit, das Wetter angeben können. Dasselbe aber im Kalender auf ein ganzes Jahr, oder, wie es letzthin von privater Seite geschah, auf einen Monat pränumerando (gegen dito Zahlung, was die Hauptsache dabei ist) zu bestimmen, das kann entweder nur ein Hexenmeister oder ein Charlatan.