Wilhelm Löhes Leben (Band 2)/Zweites Kapitel

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Zweites Kapitel.
Löhe’s Leben im Amte.




 Wie unsre Leser aus dem Schluß des ersten Bandes dieser Biographie wissen, trat Löhe fast gleichzeitig in den Ehestand und in das Pfarramt ein. So wird sich denn auch passend an das vorige Kapitel das zweite dieses Bandes anreihen, welches Löhe’s Leben und Wirken im Pfarramt zum Gegenstand haben soll.

 Als Löhe am 6. August 1837 zum ersten Male des Hirtenamts in Neuendettelsau waltete, sagte er der Gemeinde in seiner Antrittspredigt: „Ihr seid ein Land, über das Gottes Regen schon oft gekommen ist (Ebr. 6, 7), so daß von Euch zu erwarten wäre, daß ihr bequemes Kraut dem himmlischen Gärtner trüget.“ Die Gemeinde hatte nämlich schon vor Löhe’s Ankunft eine Segenszeit gehabt. Der jüngst Heimgegangene ehrwürdige Knecht des HErrn, Pfarrer Tretzel, war als Verweser von Dettelsau Löhe’s unmittelbarer Vorgänger gewesen und hatte dortselbst wie anderwärts eine bedeutende Wirksamkeit entfaltet. „Seine ernsten Gesetzespredigten“ – schreibt uns einer, der jene Erweckungszeit noch mit erlebte – „erschütterten die Zuhörer bis ins Mark. Es gab auch alsbald eine große Scheidung. Viele Männer und Frauen, Jünglinge und Jungfrauen, sogar| Schulkinder wurden erweckt und schlossen sich zu heiliger Gemeinschaft zusammen. Die Conventikel blühten im Segen. Fast jeden Abend fanden Zusammenkünfte zu gemeinsamer Erbauung statt, bei denen sich auch Tretzel und mit ihm eine seiner Schwestern sowie eine Freundin derselben, die nachmalige Frau Pfarrer P., öfters einfand, die eine besondere Gabe des Gebetes und der Vermahnung besaß.“
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 Es war also ein in gewissem Maß schon zubereiteter Boden, auf welchem Löhe seine Säemannsarbeit in Dettelsau begann. Fast keine Familie war von der geistlichen Bewegung, die Tretzel hervorgerufen hatte, ganz unberührt geblieben. In Folge dessen herrschte im Allgemeinen große Empfänglichkeit und Willigkeit das Wort anzunehmen. Doch galt es nun, das durch Tretzel geweckte, freilich ziemlich stark pietistisch gefärbte, geistliche Leben in der Gemeinde aus dem Anfangsstadium der Erweckung in die Bahnen gesunden kirchlichen Fortschritts zu leiten, damit es, aus der Enge der Conventikel in das Haus Gottes verpflanzt, in Seinen Vorhöfen grüne. Zunächst fand Löhe es für geraten, was sein Vorgänger begonnen hatte, fortzuführen, bis Liebe und Vertrauen der Gemeinde zu ihm so weit erstarkt sein würde, um Neuerungen des Pfarrers in kirchlicherem Sinn und Geist zu vertragen. Doch wurden die Zusammenkünfte der geistlich angeregten und geweckten Gemeindeglieder sofort ins Pfarrhaus und die sonntägliche Erbauungsstunde in die Kirche verlegt, und damit alle Unordnung vermieden würde, war von vorneherein auf Trennung der Geschlechter Bedacht genommen worden. Um den Müttern den Besuch der öffentlichen Gottesdienste zu erleichtern, richtete Löhe gleich in den ersten Wochen seines Amtslebens in Neuendettelsau eine Kleinkinderschule ein, und um die weibliche Jugend der Gemeinde zu heben, versammelte die Pfarrfrau die Mädchen zu Singstunden. Am 23. November| 1837, also wenig Monate nach seinem Amtsantritt, schreibt Löhe an C. v. Raumer: „Wir sind recht fröhlich und munter einen Tag um den andern, und in der fröhlichen Arbeit flieht die Zeit schnell dahin und die selige Ewigkeit kommt heran. Mein Haus besteht gegenwärtig aus mir, dem Haupte, Helenen, als dem Herzen, und aus drei Mägden. Denn da ich den Müttern, die der Kinder wegen nicht in die Kirche kommen können, das Hindernis wegschaffen wollte, so habe ich zwei Bauernmädchen gemiethet, die Kinder während der Gottesdienste in einem untern Zimmer meines Hauses zu warten. Das ist der Anfang einer Kleinkinderschule. Zehn Kinder kommen nun bereits alle Nachmittage. Da ist mein Haus lebendig. Im Sommer solls noch besser werden, wenn die Leute aufs Feld gehn. – Mit dem Gesang gehts auch ziemlich. Am Sonntag Abends kommen gegen 60 Mädchen zum Gesang. Dazwischen erzähle ich aus Zinzendorfs liebreichem Leben. Am Mittwoch kommen auch an 30, am Sonnabend an 20 Personen jeglichen Alters. Ich habe an den Sonntagabenden schon zweimal in der Kirche Liederhomilien (über: ,Fang dein Werk mit Jesu an‘ und ,Höchster Tröster‘ etc.) halten können. Nächsten Sonntag kommt die dritte. – Außerdem halte ich Erbauungsstunden, Montags mit dem Abendläuten im Pfarrhause den 1. Corintherbrief für Männer, am Dienstag Beispiele heiliger Frauen für die Weiber (gegenwärtig die Mutter Gottes), am Donnerstag den Galaterbrief für die Jünglinge, am Freitag für die Mädchen die Heilsordnung. Arbeit genug!“
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 Unter dem 19. Dezember 1838 schreibt er an denselben: „In der Gemeinde geht es, wills Gott, unter Thränensaaten einer Freudenernte entgegen. Mein Jahresbericht, den ich eben schreibe, ist wohl Eine Klage; aber das Uebel ist grob und augenfällig, das Gute ist demütige Verborgenheit. – Ich| predige an den Sonntagen hier über die Episteln mit Freuden, in Wernsbach über den Galaterbrief, in den Wochenkirchen über das 1. Buch Mose; mit den Männern lese ich den Prediger, mit den Weibern zum Theil Daniel, zum Theil Ezechiel, zum Theil Psalmen. In den Kinderlehren erkläre ich unsre Augustana und bin eben bei Artikel 20.“
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 Lange scheint jedoch die Einrichtung der abendlichen Erbauungsstunden nicht bestanden zu haben. Die hohe Ortspolizei legte sich mit einem Verbote hindernd drein. So ließ denn Löhe fallen was nicht bleiben konnte und sorgte für desto reichlichere öffentliche Verkündigung des Wortes. Er konnte sich um so leichter in die gebotene Aufhebung dieser Erbauungsstunden fügen, als er ohnehin jedem Methodismus der Seelsorge abhold und überzeugt war, daß alle menschlichen Maßregeln ihre Wirksamkeit verlören, sowie sie aufhörten, außerordentlich und neu zu sein. „Es gibt“ – sagte er – „keine andern Mittel der Seelsorge als: Predigt, Katechese, Liturgie; kurz Gottes Wort und die heiligen Sacramente. Freilich muß zum allgemeinen und öffentlichen Gebrauch des Wortes auch der besondere und außerordentliche kommen, den man unter dem Namen ‚Privatseelsorge‘ zusammenfaßt. Aber andrerseits ist es auch Thorheit, wenn man das Außerordentliche zum Ordentlichen machen will, wenn man verkennt, daß Predigt, Katechese und Liturgie, Gottes Wort und Sacrament das Beste in der Seelsorge thun. Die einfache Regel ist: Gebrauche die alten Mittel in alter Weise und bleibe im Lehren, Lernen und Erfahren, in Anfechtung und Gebet, auf daß du zum Seelsorger reifest. Du wirst öffentlich und sonderlich, vielleicht in hundert und tausend Weisen deinen Pfarrkindern nahe kommen können; aber übertreib es auf keine Weise, mit keinem Mittel, mit keiner Gabe. Thue in Einfalt das Deine. Brauche betend die uralten| Mittel auf jede Weise, die sich indiciert, und laß Gott sorgen, wie es geraten werde.“

 Diese Worte Löhe’s in seinem „Evangelischen Geistlichen“ enthalten die Pastoralen Grundsätze, die ihn bei seiner Amtsführung leiteten. Vielleicht hätte ein einfacher Hinweis auf diese Schrift Löhe’s, von welcher der erste Theil im Jahre 1853, der zweite 1857 erschien, das zweite Kapitel dieser Biographie großenteils überflüssig machen können. Wenn wir dennoch hier einen Abschnitt mit der Ueberschrift: „Löhe’s Leben im Amte“ folgen lassen, so thun wir es in der Hoffnung, daß dieser Commentar aus der Praxis zu Löhe’s Pastorale doch für unsere Leser von einigem Interesse sein könnte. Wir ordnen den Inhalt des nun folgenden Kapitels ganz nach den oben angeführten Gesichtspuncten und betrachten zunächst


Löhe als Prediger S. 106–127. Löhe als Liturg S. 127–139. Löhe als Katechet S. 139–157. Löhe als Beichtvater S. 157 bis 169. Löhe als Seelsorger an Kranken- und Sterbebetten S. 170–201. Löhes charismatische Begabung S. 201–213. Löhes Verdienste um das Gotteshaus und um den Schmuck und die Zier der heiligen Stätten S. 213–226. Varia aus dem Amtsleben Löhes S. 226–232. Löhes vergebliche Meldungen um städtische Stellen S. 232–246. Das Jahr 1848 S. 246–270.



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