| Varia aus dem Amtsleben Löhe’s.
Eine Klage von Katholiken wider Löhe.
Gleich in den ersten Monaten seiner Amtsführung wurde von den in Neuendettelsau wohnhaften Katholiken bei dem Landgericht wider Löhe eine Klage wegen seiner Predigt am Reformationsfeste anhängig gemacht. „Wegen meiner Reformationspredigt über Römer 1, 17 und der darauf folgenden Christenlehre,“ schreibt Löhe am 23. November 1837 an Raumer, „in der ich beweisen wollte, daß die Reformation Herz und Kopf zur Demut zurückführen wollte, und daß aller Irrtum des Verstandes und Herzens aus Hochmut komme, bin ich bei der Regierung von den hiesigen Katholiken (Amtmann, Amtsknecht, Jäger) verklagt. Alles Verhältnis ist ab. Die Katholiken klagten: der Pfarrer hätte gesagt (sie waren aber gar nicht gegenwärtig), die Neuendettelsauer wären dummer als die Katholiken. Darauf werde ich wol in der Verantwortung sagen: ,ich habe geirrt, die Katholiken sind dummer‘. – Ich will dies Mal, will’s Gott, meine Haut theuer verkaufen. Von meinem Amtsknecht will ich mir doch nicht meine reine Lehre stopfen lassen, denn von der handelt es sich.“
Die Klage kam wirklich beim Landgerichte zur Verhandlung. Welchen Ausgang die Sache nahm, darüber findet sich in Löhe’s Tagebüchern und Briefen keine Mittheilung.
| Beichtflegel und Zeugenpflicht.
„Vorigen Herbst“, schreibt Löhe am 1. März 1838 an C. v. Raumer, „bei der Beichtanmeldung gestand ein Pfarrkind Diebstahl. Seitdem hat es gespart und mir bis jetzt zur Zurückerstattung 13 Fl. 8
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2 Kr. übergeben. Dem Bestohlenen kündigte ich diese Zurückerstattung gleichfalls bei der Anmeldung an mit der Bitte seines ihm natürlich verschwiegenen Diebes um Vergebung. Er versprach, was ich wollte, aber hielt nicht reinen Mund, ebenso wenig etliche Lauscher vor der Thür. Die Sache wurde den patrouillierenden Gensdarmen angezeigt, eine Untersuchung gieng an und vorigen Dienstag wurde ich nach an mich ergangener Weisung des Stadtgerichts Ansbach in Heilsbronn als Zeuge in jener Diebsgeschichte vernommen. Ich war, obwol ich nicht wußte, weshalb ich nach Heilsbronn geschickt war, gerüstet und gab zu Protokoll: ,Als Privatperson weiß ich nichts, als Beichtvater darf ich nichts sagen, weil in der protestantischen Kirche das
sigillum confessionis ebenso heilig gehalten wird, nur nicht in der Ausdehnung wie in der katholischen Kirche‘. Dabei gab’s Reden zwischen mir und dem Assessor H., welcher der
ad criminalia verpflichtete Assessor ist. Da er von den Zeugen redete, die vor meiner Thüre gelauscht, wies ich ihn auf sie, sagte ihm aber, ich würde auf deren Bestrafung antragen. Als ich heimkam, berichtete ich an’s Consistorium, redete von der Einigkeit der protestantischen Pastoral- und Rechtslehrer über das
sigillum etc., daß ich, ein Hirte der Gemeinde, mich nicht zum Verräther reumütiger Sünder machen ließe, daß kein Mensch mehr einem protestantischen Geistlichen trauen würde, wenn er, da katholische Priester von solchen Zumutungen frei, auch nur zu dergleichen aufgefordert werden dürfte, und schrieb des hier zu Lande geltenden preußischen Landrechts hieher gehörigen Paragraphen ab, nach welchem ein
| Geistlicher des Amtes verlustig ist, wenn er das Beichtsiegel verletzt. – Durch diese Sache werde ich noch mehr in die Bier- und Weingläser kommen als berauschendes und interessantes Gift.“
In diesem Fall sprachen aber auch die menschlichen Gesetze zu klar für Löhe, als daß er nicht hätte Recht bekommen müssen. Schon im nächsten Brief konnte er Herrn v. Raumer mittheilen, daß ihm in der Beichtsache das Consistorium vollkommene Gerechtigkeit habe widerfahren lassen. „Wenn man das Landrecht für sich hat“, setzte er hinzu, „dann hat man auch das Kirchenrecht gefangen.“
Aus Löhe’s Tagebuch vom 11. März 1839.
Gegenüber dem hiesigen Pfarrhause wohnt ein Gütler von komischem Wesen und stammelnder Zunge, der schon, da ich noch in Bertholdsdorf war, einer meiner eifrigsten Zuhörer gewesen ist. Er ist auch hier unter denjenigen, welche sich des Evangeliums nicht schämen und bei all seiner Schwachheit traue ich ihm doch mehr Aufrichtigkeit zu, als manchem andern. Dieser hörte, daß ich den Leuten, die hier ziemlich unreinlich zu sein pflegen, das Waschen sehr empfahl, und fiel mit der ihm eigenen Hast über seinen Leib mit dem Waschen her. Er erzählte mir es selbst nach seiner Weise in unpassenden Ausdrücken, die man sich erst zurecht legen mußte. Z. B. „nun habe er angefangen, seinen Sündenschmutz abzuwaschen“. Da er aber ziemlich plauderhaft ist und an allen Orten und Enden von der Heldenthat und ihrem guten Erfolge sprach, so wurde es ruchbar, und ein boshafter Witzling ließ, dadurch veranlaßt, in die Dorfzeitung setzen, der Gütler N. N. in Neuendettelsau habe sich, durch die Predigt seines Pfarrers erweckt, von seinem Weibe wiedertaufen lassen. Nun bin ich auf einmal, was ich am allerwenigsten sein will, ein Wiedertäufer und zwar in vieler Leute Mund. Die N. N.
| mußte sich heute der Geschichte halber im Landgericht vernehmen lassen. – ’s ist eine unverdiente Schmach.
In der That wurde Löhe vom Decanat zur Verantwortung gezogen. Die Untersuchung löste sich natürlich in Heiterkeit auf.
Göttliche Verwarnung eines Wüstlings.
Ein junger Bursche von frechen Sitten wollte einst zu einem jungen schlankgewachsenen Mädchen in Bechhofen durch das Fenster in die Kammer steigen, mit ihr Böses zu treiben. Die Dirne wies ihn schon darum zurück, weil an demselben Tage ihre Mutter gestorben war. Da rief der Wüstling aus: „Bist Du’s nicht, dann ist’s eine andere.“ Mit diesen Worten gieng er zu einer seiner älteren Geliebten. Da ergreift ihn plötzlich eine unsichtbare Gewalt, er fühlt sich an beiden Armen von starken Händen gefaßt und die Höhen von Bechhofen hinangeführt. Er hörte Tritte neben sich, er vernahm eine Stimme, aber er sah niemand. Vor ihm her gieng ein Lichtglanz. Mit unwiderstehlicher Gewalt riß es ihn fort bis an die Hopfengärten in der Nähe von Dettelsau. Während dessen hielt ihm eine mahnende Stimme alle seine Sünden vor, sein ganzes vergangenes Lasterleben, wurde vor seinen Augen vorübergeführt. Die Stimme, die mit ihm redete, hatte er auch schon auf dem Hinwege vernommen, da sie ihn mit Namen rief. Als er sich wieder frei gelassen fühlte, eilte er bestürzt in’s Dorf, aß und trank Tage lang nichts, gieng auch von da an über ein Jahr in alle Gottesdienste.
Ob der Eindruck des wunderbaren Erlebnisses auf den Jüngling ein bleibender war, weiß Schreiber dieses nicht zu sagen.
„Ein Teufel war’s wol nicht“ – schreibt Löhe an C. v. Raumer, dem er die Geschichte erzählte – „ob Mensch oder Engel, immerhin ein guter Geist.“
| Die Narrenbuße.
Lorenz, der nachmalige Dienstknecht des Pfarrers Löhe, war unter den Schrecken seines erwachenden Gewissens, das ihn für sein vergangenes Sündenleben strafte, gemütskrank geworden. Er mied allen Umgang und seine Menschenscheu war nachgerade so groß geworden, daß er sich auch vor den Seinigen nicht blicken ließ. Er verbarg sich in seinem väterlichen Haus auf dem obersten Boden, unmittelbar unter dem Dach. Man mußte ihm die tägliche Speise auf die oberste Bodentreppe stellen, wenn er nicht verhungern sollte. Erst wenn er sicher war, von keinem Menschenauge gesehen zu werden, wagte er sich aus seinem Schlupfwinkel hervor und verzehrte, was man ihm vorgesetzt hatte. Er behauptete, ein Vogel sitze ihm im Kopf, er sehe sich nicht mehr gleich, der Teufel schaue ihm aus den Augen etc. In diesem jämmerlichen Zustand brachte man ihn nach Neuendettelsau. Da er auch Löhe gegenüber seine eben erwähnten Behauptungen wiederholte, so schenkte dieser ihm zunächst einen kleinen Taschenspiegel und gab ihm den Rat, so oft ihm wieder Zweifel an seiner Identität kämen, sich des Spiegels zu bedienen. Lorenz befolgte diesen Rat getreulich und zog den Spiegel wol Dutzend Male des Tags aus der Tasche, um sein leiblich Angesicht in demselben zu beschauen. Allein immer noch wollte der Trübsinn und die düstere Miene von ihm nicht weichen. Ein junger Landmann, Lorenzens Freund, dem derselbe Andeutungen über sein früheres Sündenleben gemacht hatte, meinte, Löhe möge diese Eröffnungen benützen, um seelsorgerlich auf den Kranken einzuwirken. Löhe aber erklärte: „Dazu ist es noch nicht Zeit; wenn wir ihn nur erst so weit hätten, daß er wieder einmal lachte.“ Allein kein Mittel wollte bei dem Kranken verfangen, obwol Löhe oft die drolligsten Späße ersann, um ihn aufzuheitern und ein Lächeln auf seinen Lippen zu wecken. So
| schickte er einmal sein kleines Töchterchen zu ihm und ließ ihn durch dieselbe fragen, ob er sie nicht heiraten wolle? Aber auch dieses Mittel verfehlte des gewünschten Erfolgs. Endlich gelang der oft wiederholte Versuch. Löhe erzählte dem Lorenz die Geschichte von Jacobs Kampf mit dem Engel des HErrn. In einer Anwandlung humoristischer Laune fiel es ihm ein, den Gang des Erzvaters in Folge der erlittenen Hüftverrenkung pantomimisch darzustellen, indem er durch die Stube hinkte. Bei diesem drolligen Anblick brach Lorenz in Lachen aus. Von da an besserte sich sein Zustand, so daß er von seinem Trübsinn bald vollständig genas.
„Siehst du“, sagte Löhe zu dem jungen Landmann, dem Schreiber dieses obige Geschichte nacherzählt, als er mit ihm auf den wunderlichen Zustand des nun genesenen Lorenz zu sprechen kam – „siehst Du, N., das ist die Narrenbuße.“
Eine glückliche Cur.
Ein sehr würdiger und vortrefflicher Mann der Gemeinde, welcher das Vertrauen Aller genoß, hatte mit einer gleichfalls vortrefflichen und von der ganzen Gemeinde geachteten Frau lange Jahre „zusammengehaust“, und beide Eheleute waren bei zunehmendem Alter willens, das Anwesen ihrem einzigen braven Sohne zu übergeben. Dadurch war der Sohn genötigt zu heiraten, und die Aeltern hatten manchen Vorschlag für ihn, welchen der stille und etwas schüchterne Sohn gegenüber den energischen und geistig ihn überragenden Aeltern nicht einfach abweisen zu dürfen glaubte. Man denke sich den Schrecken der Aeltern, als der Sohn, die einzige Stütze ihres Alters, der einzige Erbe ihres Gutes, eines Tages krank wird, in der Aufregung des Fiebers irre redet und die Verwirrung seiner Gedanken immer mehr überhand nimmt. Endlich gegen Mitternacht
| wird Löhe geholt. Löhe kommt und sieht den Kranken an, befühlt den Puls, kann die Krankheit nicht für sehr gefährlich halten, und da der Kranke selbst es nicht begehrt, so will er ihm auch auf den bloßen Wunsch der Aeltern hin das Sacrament nicht reichen, sondern setzt sich und hört seinen wirren Reden zu. Da kommt ihm wie ein Lichtstrahl die Erinnerung, daß der junge Mann ihm etwas anvertraut hatte; und er sagt zu den Aeltern, er glaube ein Mittel zu kennen, welches ihrem kranken Sohne zur Genesung verhelfen würde; sie sollten morgen früh auf die und die Mühle schicken, da diene ein armes, aber sehr braves junges Mädchen, welches zu ihrer Vortrefflichkeit auch bildhübsch sei, und deren Tugenden von höherem Wert seien als viele tausend Gulden Mitgift; dies Mädchen sollten sie holen lassen. Die Aeltern waren erst betroffen, versprachen aber gerne Löhe’s Rat zu befolgen und schickten in aller Frühe, um das angeratene Mittel holen zu lassen, welches denn auch seine Wirkung nicht verfehlte. Alle zusammen: der Arzt, der Kranke, die Medicin und die Aeltern, welche sie darreichten, liegen schon auf einem und demselben Ruheort und warten der Auferstehung, aber ihrer keinem ist jemals eine Reue gekommen über die angeratene und angenommene Heilmethode.