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Zwei Schachmeister

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Textdaten
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Autor:
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Titel: Zwei Schachmeister
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 163
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Über Zuckertort und Steinitz
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Bearbeitungsstand
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[163] Zwei Schachmeister. Das königliche Spiel hat in neuester Zeit eine internationale Bedeutung gewonnen: vorüber ist die Idylle des Schachs, die wir noch auf manchen treuherzigen Gemälden abgebildet sehen; zwei Schachspieler sitzen in der Rebenlaube, im Boudoir, im Arbeitszimmer und messen ihre Kräfte; rings tiefe Stille und Einsamkeit. Das ist jetzt anders geworden; es kamen die Turniere in London und anderen Weltstädten. Da fand das Schachspiel statt in voller Oeffentlichkeit; um die Bretter der Meister drängte sich ein großes Schachpublikum; jeder Zug, jede Partie wanderte in die Zeitungen. Und so bildeten sich auch in Deutschland anfangs provinzielle Vereinigungen, später der große deutsche Schachbund, der 85 Schachklubs vereinigt und Meisterturniere veranstaltet, bei denen die anerkannten Matadore mit einander kämpfen und jüngere Kräfte unter gewissen Bedingungen die Meisterschaft erringen können. Ebenso häufig waren die sogenannten „Match“, die Wettkämpfe zwischen zwei Größen des Schachs: einer der berühmtesten war der in Paris zwischen unserem unvergeßlichen deutschen Schachmeister Andersen und dem genialen Nordamerikaner Morphy, zwei Kämpfern, die einander gleich standen in ursprünglicher Begabung, in glänzender und überraschender Spielweise mit den weitreichendsten Kombinationen, wenn auch das Schlachtenglück den Amerikaner begünstigte.

Ein solcher Match zieht gegenwärtig die Blicke von Europa und Amerika auf sich und mag zugleich als glänzendster Beweis dafür dienen, wie im Zeitalter der Eisenbahnen und Telegraphen das Schach selbst in den großen Weltverkehr mit hereingezogen worden ist und die Schachmeister eine Rolle spielen wie die internationalen Berühmtheiten der Kunst. Dieser Match findet in Nordamerika statt, obschon die beiden Kämpfer, Zuckertort und Steinitz, keine Amerikaner sind. Der erstere ist in den Ostseeprovinzen geboren, lebte lange in Posen und Breslau und kann als ein Jünger Andersen’s betrachtet werden; seit Jahren hatte er London zum Aufenthalt gewählt als Schachlehrer, Schachredakteur und Korrespondent; im Blindlingsspiel hat er seine Meisterschaft in ganz Deutschland bewährt, bei mehreren großen Turnieren Preise gewonnen. Sein Gegner Steinitz ist ein Oesterreicher, aus Mähren gebürtig, in jüngster Zeit in Amerika lebend, wo er eine Schachzeitschrift herausgiebt.

Die Bedingungen des Match sind: 2000 Dollars Einsatz; Sieger ist, wer zuerst zehn Partien gewonnen hat; hat jeder der Spieler neun Partien gewonnen, so soll der Match für unentschieden gelten, damit nicht der Gewinn einer einzigen Partie den Ausschlag giebt. Der Beginn des Match fand in New-York statt. Nach vier Partien begeben sich beide Spieler nach St. Louis, und dort an den Ufern des Mississippi sitzen sie sich jetzt gegenüber. Dann ist in den Bedingungen festgesetzt, daß, wenn auch hier der eine der Gegner drei Partien gewonnen hat, der Abschluß des Match in New-Orleans stattfindet. In der Stadt des gelben Fiebers soll der eine der Kämpfer den Todesstoß erhalten.

Ein solcher Wandermatch ist in der Geschichte des Schachspieles etwas Neues; vielleicht bemächtigt sich später einmal ein Barnum eines solchen Schachwunders und führt es durch alle Erdtheile spazieren; denn auch unter den Lotosblumen an der ewigen Ganga giebt es Meister des Schach. Zunächst sind auf den Ausgang des Match kolossale Summen verwettet: englische Lords und amerikanische Dollar-Millionärs sind die Wettenden – „hier Steinitz, hier Zuckertort!“ ist die Losung diesseit und jenseit des Oceans. Bisher ist der Letztere ein wenig im Vortheil, er hat in New-York vier Partien hinter einander gewonnen; doch das Schlachtenglück ist wechselnd und ihm in St. Louis nicht in gleicher Weise treu geblieben. Was die Persönlichkeit der beiden Schachgrößen betrifft, so haben sie kaum das preußische Rekrutenmaß. Steinitz ist breit und massiv, Zuckertort fein, mager, geistig beweglich. Der Ausgang des Match ist zweifelhaft: zwischen Spielern von gleicher oder nahezu gleicher Stärke entscheidet oft der Zufall, der von der Schachtheorie verbannt ist, aber in der Praxis des edeln Spiels oft seine koboldartige Rolle mit unerwarteter Wirkung durchführt.