Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Hiob Ludolf
Hiob Ludolf war ein gründlicher und vielseitiger deutscher
Gelehrter, Historiker, Sprachforscher und Staatsmann,
der auf vor ihm ziemlich unbebauten Feldern
des Wissens wichtiges leistete und ein in Ehren geführtes
Leben zu hohen Greisenjahren brachte. – Sohn des
zweiten Ober-Vierherrn Hiob Ludolf zu Erfurt, wurde
Ludolf in der thüringischen Metropolis geboren und
nach dem Vornamen des Vaters benannt. Er war
Sprößling eines patrizischen Geschlechtes, dessen Glieder
in Achtung und Ansehen gelebt hatten. Als ein fähiger
Schüler besuchte er die Schule bei »den Predigermönchen«,
und hatte viel über den Zwang dieser
Schule zu seufzen, den er bis in das 11. Jahr trug
und dann aus der Scylla der Trivialschule in die
Charybdis des Gymnasiums gelangte, wie ein alter
lateinischer Lebensbeschreiber Ludolf’s sich ausdrückt.
Der junge Schüler lernte tüchtig griechisch und lateinisch,
las fleißig die Alten, überstand 1638 eine gefährliche
Krankheit, ging dann mit seinen beiden älteren
Brüdern Conrad Rudolf und Georg Heinrich auf die
Hochschule nach Gröningen, später nach Leiden, und
gab sich mit Vorliebe dem Studium fremder Sprachen,
namentlich auch der orientalischen hin, unter denen besonders
die äthiopische ihn anzog, der er ausdauernden
Fleiß und volle Liebe zuwandte. Doch verabsäumte
Ludolf dabei nicht das gründliche Studium der Geschichte
und Rechtswissenschaft. Reisen nach England,
nach Frankreich und Italien, dann nach Dänemark und
Schweden, in welchem Lande mittlerweile Ludolf’s
Bruder Georg Heinrich eine Stellung als königlicher
Gesandtschaftssecretair gefunden hatte, – begonnen
1646 und durch eine Reihe von Jahren fortgesetzt,
bildeten den jungen Gelehrten völlig aus und ließen
ihn ebenso einflußreiche als anziehende und wichtige
Bekanntschaften in den durchreisten Ländern machen,
unter ihnen die des Cardinal Mazarin. In Schweden
war H. Ludolf die angenehmste Aufnahme gesichert, als
er 1650 dorthin kam. Axel Orenstierna, der Reichsstatthalter
nach König Gustav Adolf’s Tode, hatte zu
Erfurt im Ludolfschen Hause gewohnt; Ludolf wurde
sogar der Königin Christine vorgestellt, die ihn gern
in dem Gelehrtenkreise sah, den sie um sich versammelt
[Ξ] hielt, und er benutzte diese Gelegenheit, sich auch die
Kenntniß der schwedischen, finnischen und russischen
Sprache anzueignen, während er zu gleicher Zeit vom
portugiesischen Gesandten dessen Landessprache erlernte.
Er durchreiste Schweden, besuchte die Kupferbergwerke,
lernte Olav Worms kennen und kehrte 1651 in seine
Vaterstadt zurück.
Im Jahr 1652 trat Ludolf in die Dienste des Herzog Ernst I. zu Sachsen Gotha, und sein erster Dienst war ein Auftrag seines Herrn und dessen Bruders Herzog Wilhelm zu Sachsen Weimar, nach Breisach zu reisen und die irdischen Ueberreste des Bruders beider, Herzogs Bernhard des Großen abzuholen und nach der thüringischen Heimath zu führen. Hiob’s frommer Gebieter, der sich warm die Ausbreitung der christlichen Religion in fremden Zonen angelegen sein ließ, freute sich, den sprachenkundigen Mann, der nach dem Morgenlande zu correspondiren im Stande war, denn Ludolf sprach zum Theil oder verstand doch 25 verschiedene Sprachen Europa’s, Asiens und Afrika’s, als seinen Diener zu besitzen; doch mußte Ludolf zunächst als Staatsmann Dienste leisten, wurde als Gesandtschaftssecretair auf den Reichstag nach Regensburg entsendet, ebenso im Jahr 1665 als Hof und Justizrath nach Leipzig zu einem Kursächsischen und Herzogl. S. Konvent und stand lange Zeit an der Spitze der Gothaischen Hofdiener und Räthe in den wichtigsten Sendungen und Geschäften; bereits 1654 war er zum Hofmeister der Prinzen Herzog Ernst’s ernannt worden; der Herzog hatte eigenhändig eine Norm der Erziehung für dieselben entworfen. Im Jahr 1658 wurde Ludolf zum Hofrath ernannt und mußte in Altdorf eine Dissertation vertheidigen. Mit dem dritten Sohne seines Gebieters, Prinz Albert, ging Ludolf auf Reisen, lernte am Hofe zu Braunschweig den gelehrten Herzog Anton Ulrich kennen, dann in Altona die berühmte Anna Maria von Schurmann, besuchte mit seinem Zögling den dänischen Hof Christian V., dann jenn Carl XI. zu Stockholm, und kehrte im Jahr 1675 nach Gotha zurück.
Nach dem 1675 erfolgten Tode Herzog Ernst I. erhielt Ludolf die Stelle eines Kammerdirektors zu Altenburg vom ältesten Sohne des verewigten Landesherrn übertragen, wurde im folgenden Jahre mit einer Gesandtschaft an den Brandenburgischen Hof zu Berlin betraut und hatte das Unglück, seine Frau durch den Tod zu verlieren, während er vom Hause fern war, wodurch ihm alle Staatsgeschäfte verleidet wurden. Er kam um seine Entlassung ein und erhielt diese, doch erst 1677, unter den ehrenvollsten Ausdrücken der gerechtesten Anerkennung seiner geleisteten Dienste, mit dem Titel eines Geheimen Rathes, worauf er seinen Wohnsitz in Frankfurt a. M. aufschlug, um ganz den Wissenschaften zu leben, doch hinderte dieß nicht, daß ihn die Sachsenherzoge als ihren außerordentlichen Gesandten und Botschafter betrachteten, Kurpfalz ihn zum Kammerdirektor ernannte und Kaiser Leopold ihn 1690 zum Vorsitzenden des Kaiserlichen historischen Collegiums erhob.
Einen großen Theil der Zeit des thätigen Mannes füllte die Abfassung seiner zahlreichen Werke aus; er schrieb unter andern eine gründliche Geschichte Aethiopiens, einen Commentar über dieselbe nebst einem Anhang, eine Grammatik des Reiches Amhara, nebst einem amharisch-lateinischen Wörterbuch, ein äthiopisch lateinisches Wörterbuch nebst einer betreffenden Grammatik; ferner gab er die Psalmen äthiopisch und lateinisch heraus, schrieb die Allgemeine Schaubühne der Welt in 2 Folianten, und viele andere kleinern Abhandlungen und Briefe, und war dabei von Frankfurt aus ein eifriger und unermüdlicher Berichterstatter aller politischen Neuigkeiten an die Sachsenherzoge. Zu einer Zeit hatte er gar nicht übel Lust, selbst nach dem geliebten Aethiopien und Amhara zu reisen, mindestens reiste er noch nach Frankreich, verkehrte viel mit Orientalisten und forschte nach äthiopischen Schriften in den dortigen Bibliotheken. Ludolf war dreimal verheirathet; er erfreute sich eines glücklichen, geistesfrischen Alters und leise beschlich ihn der Tod nach einem ruhmvollen und thätigen Leben.