Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Johann Sleidan

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Textdaten
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Autor: Ludwig Bechstein
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Titel: Johann Sleidan
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aus: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen, S. 351–352
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Georg Wigand's Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google und Commons
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Johann Sleidan.
Geb. d. 1506, gest. d. 31. Oct. 1556.


Ein Historiker, der zu seiner Zeit Epoche machte, und vielfach als solcher gepriesen wurde, obschon ihm auch der Tadel nicht fern blieb. Johann Philipson, dieß war sein eigentlicher Vor- und Zuname, wurde im Oertchen Sleida in der Grafschaft Manderscheid geboren, und widmete sich, herangewachsen, rechtswissenschaftlichen und humanistischen Studien, die er auf den hohen Schulen zu Lüttich, Cöln und Löwen betrieb. Nachdem ihm über den jungen Grafen Dietrich von Manderscheid eine Hofmeisterstelle anvertraut war, führte er diesen seinen Zögling nach Paris und von da nach Orleans, und benutzte seine günstige Stellung, sich immer mehr auszubilden und mit Kenntnissen zu bereichern. In Orleans, wo er 3 Jahre studirte, erwarb der nach seinem kleinen Geburtsort sich fortan nennende junge Gelehrte den Grad eines Licentiaten der Rechtsgelehrsamkeit, und kehrte darauf nach Paris zurück, wo einflußreiche Gönner ihn förderten, unter denen der berühmte Sturmius und Cardinal Bellai die bedeutendsten waren. Er durfte den französischen Gesandten gleichsam als Attaché zum Reichstag nach Hagenau begleiten. Nach längerem Aufenthalt in Frankreich, wohin König Franz I. ihn wieder zurückberufen, hatte, kehrte Sleidan nach Deutschland zurück, weil er sich wegen der in Frankreich ausgebrochenen Religionsverfolgungen dort nicht mehr sicher glaubte, da er den reformatorischen Bewegungen in seiner Heimath mit Antheil zugewendet blieb. In Deutschland hatte bereits der schmalkaldische Krieg begonnen, und die Kriegsherren desselben erachteten für wohlgethan, neben der Waffe von Eisen auch der Waffe der Feder den Feinden gegenüber sich zu bedienen, und ernannten Sleidan, der sich schon durch mehrere beifallwerthe Schriften ausgezeichnet hatte, zu ihrem Geschichtschreiber. Sein bekanntes Buch von den vier Monarchien, das durch viele Auflagen in zahllosen Exemplaren deutsch und lateinisch verbreitet war, galt seiner Zeit als ein Muster der Geschichtschreibung. Es war Ton und üble Sitte der Zeit geworden, daß die erbitterten Gegner auf dem kirchlich politischen Gebiete sich in Schriften und Gegenschriften auf das allerheftigste befehdeten, alle Schmach und allen nur erdenklichen Schimpf gegenseitig [Ξ] auf einander häuften und alles Maaß des schicklichen aus den Augen verloren. Die Aufgabe des Geschichtschreibers, der, wie Sleidan, noch mitten in den Begebenheiten und dem Wirrsal der Kämpfe stand, war daher zunächst nur sorgliches Quellensammeln und zweckgemäßes vorarbeiten mit ausscheiden unnützen, überflüssigen und unsaubern Stoffes. In diesem Sinne vollbrachte Sleidan sein Hauptwerk: Commentarius de statu religionis et reipublicae Germanorum sub Carolo V., an dem er 16 Jahre arbeitete, und von dem Kaiser Carl V. äußerte, der Autor müsse einen Spiritus familiaris zum Gehülfen gehabt haben. Sleidan schrieb lateinisch, sein Werk aber wurde fast in alle Sprachen Europas übersetzt, und fand die größte Anerkennung, obschon es auch nicht an Tadlern fehlte und einer derselben, Bartholomäus Latomus, 11,000 Fehler darin nachzuweisen sich erbot. Auch Wilhelm von Grumbach nannte in einer seiner gedruckten Vertheidigungsschriften, die er während seiner Händel schrieb und verbreitete, Sleidan geradezu einen Lügenhistoriker; andere Gegner, wie Mascard und Possevin, beschuldigten ihn der Parteilichkeit, allein immer überwog die große allgemeine Anerkennung den einseitigen Tadel.

Im Jahre 1542 begab sich Sleidan nach Straßburg, erhielt dort eine Professur der Rechtsgelehrsamkeit und wirkte theils als Lehrer, theils bei verschiedenen Anlässen als Abgesandter des Rathes in nützlicher und fruchtbringender Thätigkeit. Er wurde sogar in Angelegenheiten der protestantischen Kircheneinrichtungen nach England entsandt, und ebenso wohnte er dem tridentinischen Concil bei. Leider brachte der gelehrte, thätige und einsichtvolle Mann sein Leben nicht hoch. Schon im fünfzigsten Lebensjahre befiel ihn, wahrscheinlich in Folge allzugroßer geistiger Anstrengung, eine theilweise Lähmung des Gehirns, welche sich durch gänzliche Vergeßlichkeit äußerte. Der ganze Wissensreichthum des Mannes versank ihm wie ein Hort in nächtliche Tiefe, selbst die Namen seiner Kinder entfielen ihm. Allgemein verbreitete sich die leicht und gern geglaubte Fabel, es sei dem berühmten Geschichtschreiber durch seine Gegner heimlich Gift beigebracht worden, damit er nicht, wie er vorgehabt, noch mehr des unlieben schriebe. Natürlicher erklärte sich jedoch jener bedrohliche Krankheitszustand durch einen offenen Schaden am Beine, dessen vielleicht übereiltes zuheilen Ursache wurde, daß der Krankheitsstoff auf den edelsten Theil sich warf.

Sleidan endete im fünfzigsten Lebensjahre, mit Ruhm genannt, ja von seinen Zeitgenossen so hoch gepriesen, daß einige ihn gleichsam einen Fürsten der Geschichtschreiber seines Jahrhunderts nannten. Großes Ingenium, ausgezeichnete Frömmigkeit, Süße der Rede, wahrheittreu und keine Wahrheit verschweigend – so ward Sleidan gerühmt, und darum verdient er auch von der spätern Nachwelt nicht vergessen zu werden.