Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Philippus Aureolus Theophrastus Paracelsus
Theophrast war einer der merkwürdigsten Gelehrten,
welcher nicht nur seinen Zeitgenossen ein Räthsel blieb,
sondern auch vielen der Nachkommen ein solches noch
bis diese Stunde ist. Uebel beurtheilt, häufig sogar
geradezu verurtheilt, als medicinischer Marktschreier mißachtet, ist er fast stets der Menge vorgeführt worden,
und nur wenige tiefer in seinen Geist, sein Wesen und
sein Wissen eindringende haben ihn besser gewürdigt,
obschon auf die Gefahr hin, selbst, gleich ihm, verkannt
zu werden. Theophrastus Paracelsus wurde zu Einsiedeln
in der Schweiz geboren, einem berühmten
Mirakel- und Wallfahrtort, wo sein Vater Licentiat
der Medicin war. Der Vater gab dem Sohne eine
sorgfältige Vorbildung und zugleich Anleitung, auf der
eigenen wissenschaftlichen Bahn fortzuschreiten, wozu
eine gute Sammlung der in jener Zeit bedeutendsten
ärztlichen Schriften trefflich diente. Mit der Arzneikunde
war damals das Studium der Physik und
Alchymie auf das innigste verknüpft; eine reine Medicin
und eine reine Chemie gab es noch nicht; die gelehrtesten
Aerzte des Mittelalters huldigten als Söhne
ihrer Zeit den sogenannten geheimen Wissenschaften
und suchten das Wesen der Natur und alles erschaffenen
durch erstere zu erforschen. Als der Sohn vom
Vater nichts mehr lernen konnte, soll ersterer den Unterricht
des berühmten freilich halbmythischen Basilius
Valentinus empfangen und von diesem die Kunst
erlernt haben, den Stein der Weisen zu bereiten.
Sicherer ist, daß Trithemius und Sigismund Fugger
Paracelsus unterwiesen, worauf er ein Wanderleben
begann, und – seine Kunst übend und dabei fortlernend
– ganz Europa, wie Theile Asiens und
Afrikas durchzog. Daß diese Reisen für den hellen
Kopf des Kunstjüngers nicht ohne Frucht und nicht
ohne die Schätze reicher Erfahrung blieben, daß er für
sein Wissen ungleich mehr gewann, als wenn er geeilt
hätte, sich nach dem Studium weniger Jahre behaglich
in irgend einem Ort den häuslichen Heerd zu gründen,
ist außer Zweifel, und der Spruch: »Kenntniß ist
Macht«, bewährte sich bei Paracelsus in glänzender
Weise. Die berühmtesten Aerzte der damals bekannten
Welt hatte der junge Priester des Heilgottes aufgesucht
[Ξ] und von ihnen gelernt; wundersame Heilmittel
des Orients hatte er gesammelt, manches Geheimniß
erlauscht oder erkauft, und so ausgerüstet kehrte er mit
28 Jahren nach der Heimath zurück und schlug nun
in Basel seinen Wohnsitz auf, wurde Magister und
Professor der Medicin und lehrte an der dortigen
Hochschule, nebenbei erwarb er sich bald Ruf und Ansehen
durch die glücklichsten Kuren selbst verzweifelter
Krankheiten. Das weckte naturgemäß den Neid seiner
ärztlichen Kollegen. Paracelsus mußte verschrieen werden
und ward es lege artis. Er lebte gut und glänzend,
folglich mußte er Gold machen können, den Stein der
Weisen besitzen; er vollbrachte Wundercuren, folglich
mußte er ein Teufelsbündner sein. Er wußte in seinen
Vorträgen tausend neue vorher unbekannte Heilmittel
zu nennen, mancher Krankheit neue Namen zu geben,
Worte zu gebrauchen, die man vorher noch nicht vernommen;
folglich mußte sein Latein barbarisch sein und
insofern, daß der Wortschatz der alten Klassiker ihm
nicht ausreichte, ist es freilich barbarisch. Den schlimmsten
Verstoß gegen den Schlendrian des Herkömmlichen
beging aber Paracelsus dadurch, daß er begann, seine
Vorträge in deutscher Sprache zu halten, das war
kaum erhört und erschien ganz unverzeihlich. Endlich
fand sich ein Anlaß, den Verhaßten aus Basel fortzubringen.
Ein Kanonikus, Cornelius von Lichtenberg,
lag, von allen Aerzten aufgegeben, am Tode und verhieß
dem Retter und Helfer 100 Goldgulden. Paracelsus
gab ihm nur drei vergoldete Pillen, und jener
genaß. Karg und undankbar weigerte der Genesene
die verheißene Belohnung, und auch die Richter sprachen
sie dem großen Heilkünstler ab. Da schüttelte Paracelsus
den Staub von Basel von seinen Schuhen,
wandte sich in das Elsaß, durchzog auf mancher Wanderung
Süddeutschland, verkehrte viel mit dem Volke,
half ihm und lernte von ihm, und weil er dieses Volk
nicht in den Prunksälen der Großen fand, so erwuchs
ihm der Vorwurf, daß er in Schänken sich umhertreibe
und viel zeche, ja es ward ihm Schuld gegeben, daß
er seinem Famulus Johann Oporin seine Werke im
Rausche dictirt habe. Freilich vielleicht im Rausche,
aber nicht im gemeinen, sondern in der Göttertrunkenheit
mystischer, übersinnlicher Anschauungen, innerer
Offenbarungen, welche der große Haufe nicht verstand,
noch weniger zu würdigen verstand. Ein Trunkenbold
schreibt nicht, wie Paracelsus gethan, so viele Schriften
und gelehrte Abhandlungen aus dem mannichfachen
Gebiete der Philosophie, Arzneiwissenschaft, Staatswissenschaft, Mathematik und spagyrischen Weisheit
– als ein Jahr Tage zählt – ein gemeiner Trunkenbold
sieht nicht, wie Paracelsus sah, gleich ahnungsvoll
und weise im großen Kosmos des Alls die wirkende,
lebende Seele der Gottheit im ewigen Schaffen thätig.
Wessen vom Genius tieferer Forschung wach geküßtes
Auge es vermag, in Paracelsus dunkeln, vom Nebelwust
alchymistisch-kabbalistisch-theosophisch-astrologischer
Wundersprache umhüllten Schriften zwischen den Zeilen
zu lesen, der wird den Geist klar erkennen, den drei
Jahrhunderte verkannt haben. Paracelsus beschloß sein
merkwürdiges Leben in Salzburg; dort, wie in Wien,
gehen noch Sagen von ihm im Volke, dort schmückt sein
Bildniß noch das Haus, wo er wohnte, dort wird noch sein
Schädel gezeigt. Er, der so lange ruhelos umher gepilgert,
fand die Ruhestätte auf dem Kirchhofe des
St. Sebastian-Hospitals. Der Erzbischof selbst ließ ihm
ein ehrendes Denkmal errichten, das seine Wissenschaft
als Arzt rühmte, wie seine Wohlthätigkeit gegen die
Armen. Außer seinen in 3 Folianten gesammelten
Werken hat man von Paracelsus auch Medaillen mit
Zauberquadraten und Planetenbildern, die allzumal auf
höheres, als aus einen Quacksalber hindeuten. Ob er
selbst sich den langen seltsamen Namen beilegte, und
warum er Bombast von Hohenheim genannt ward, ist
dunkel, bekannt aber, daß schwülstige Sprech- und
Schreibweise nach ihm mit dem Ausdruck Bombast
bezeichnet wurde. Sein Leben und seine Lehren geben
viele Räthsel auf; vielleicht findet sich einst der Kundige,
der sie befriedigend löst.