Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Ulrich von Hutten
Mit dem Kranze unvergänglichen Nachruhms geschmückt,
tritt einer der deutschesten Deutschen aus dem
Spiegel der Geschichte ernst und achtunggebietend vor
den Blick der Nachwelt, mit jugendlich milden Zügen
und doch jeder Zoll ein Mann, ein deutscher Mann.
Hutten, der Sprößling einer alten Adelsfamilie
Frankens, sollte sich dem geistlichen Stande widmen,
und besuchte die Stiftsschule zu Fulda, von wo ihm,
da er durchaus keine Neigung hatte, Kleriker zu werden,
ein Verwandter, Ritter Eitelwolf von Stein, 1504
von dannen half. Sein Mitflüchtling aus dem Kloster
war Crotus Rubianus, und beide gingen nach Köln,
wo eine große Anzahl begabter Männer die Hochschule
belebte, Männer, die in hartnäckigen gelehrten Kämpfen
einander anfochten, wo die Reuchlinisten und überhaupt die
Humanisten den Dunkelmännern gegenüberstanden, und
erstere von den letzteren sich mehrfach verdrängt sahen.
Da wandle sich Hutten auch hinweg, ging nach der
neubegründeten Hochschule zu Frankfurt an der Oder,
und nahm dort in seinem 18. Jahre die Magisterwürde
an. Einige Verwandte und der Markgraf von
Brandenburg, Kurfürst und Erzbischof Albrecht zu
Mainz unterstützten Hutten, der, nachdem er in Frankfurt
seine humanistischen Studien vollendet hatte, dem
Triebe folgte, die Welt zu sehen und im ritterlichen
Gebaren sich hervorzuthun. Leider lachte ihm dabei,
weil er vom Hause aus ohne alle Unterstützung blieb,
nicht das Glück. Er zog 1509 unter dem Heere
Kaiser Maximilian’s I. gegen Venedig, war bei der
Belagerung von Padua und kehrte dürftig nach Deutschland
zurück, ein armer und leider auch noch kranker
Abenteurer. Da weilte er denn erst in Rostock, durchzog
dann auf einer scholastischen Pilgerfahrt Deutschland,
verweilte einige Zeit in Braunschweig, dann in
Mainz, in Frankfurt am Main, in Wittenberg, überall
nur kurze Zeit, wanderte dann nach Böhmen und
endlich nach Mähren, wo er im Bischof von Olmütz,
Stanislaus Turso, einen Gönner und Beschützer fand.
In diesem Zeitraum machte sich Hutten schon als
Dichter bekannt, gab eine »Verskunst« heraus, eine
Dichtung: »Der Niemand« und anderes, schrieb aber
noch alles in lateinischer Sprache. Endlich fügte sich
[Ξ] der Dichter dem Willen seines Vaters, wenn er nicht
geistlich werden wolle, mindestens eine Wissenschaft
gründlich zu studiren, und ging nach Pavia, wo er sich
der Rechtskunde, obschon ohne alle Neigung, befleißigte.
Aber in Pavia erging es ihm doppelt übel, die Franzosen
nahmen ihn gefangen, die Schweizer beraubten ihn;
kaum das nackte Leben rettend, flüchtete er nach Bologna,
durchzog weiter Italien, schrieb seinen »guten
Mann« und dichtete beißende Epigramme auf den
Clerus, wozu ihm ein abermaliger Aufenthalt in Rom
Stoff in Fülle bot. Rom machte auf ihn durch die
Sittenverderbniß, die er aus der leidigsten Selbsterfahrung
kennen gelernt hatte, denselben Eindruck, den
es auf Luther gemacht, und er verließ es gern, zumal
der gegen ihn entflammte Haß der Mönche ihn dazu
drängte. Jetzt ging Hutten einer schöneren Zeit in der
Heimath entgegen. Er durfte 1514 seine kleineren
Gedichte und Epigramme zusammendrucken lassen und
sie dem Kaiser zueignen. Eitelwolf von Stein, der
treue Verwandte, verschaffte ihm Aufnahme am
Mainzer Hofe und Hutten sang das Lob Deutschlands
begeistrungsvoll, wie nie vor ihm ein anderer
Dichter. Der Bund der Humanisten weihte Hutten
für den klassischen Geist des Alterthums – da riß ihn
aus gehofften Zukunfthimmeln eine böse That wieder
in leidenschaftliche Kämpfe. Herzog Ulrich von
Würtemberg ermordete mit eigener Hand seinen Amtmann
Hans von Hutten, Ulrich von Hutten’s Blutsverwandten,
in Folge eines unseligen Doppelverhältnisses
beider Männer zu ihren gegenseitigen Frauen.
Hutten, fest von seines Vetters Unschuld überzeugt,
schleuderte gegen den Herzog furchtbare Schriften und
suchte das ganze Reich aufzulärmen. Die Schriften
hätten der Beredsamkeit des Demosthenes und dem
klassischen Latein Cicero’s Ehre gemacht, sie stellten den
freisinnigen Kämpfer für das Recht gegenüber der
tyrannischen Willkür, in welchem Lichte des Herzogs
That dargestellt wurde, hoch in den Augen der deutschen
Nation, aber außerdem frommten sie ihm nicht;
zudem starb auch sein treuer Verwandter E. von Stein,
und Hutten begab sich abermals nach Italien, das ihm
verhaßte Rechtsstudium noch einmal aufzunehmen. Ein
Jahr lang trug er das Joch dieses unlieben Studiums;
1516 war er gegangen, 1517 war er wieder in
Deutschland, fand gastliches Asyl bei dem gelehrten
Peutinger in Augsburg, wurde auf dessen Anlaß vom
Kaiser Maximilian I. selbst zum Ritter geschlagen, und
Peutinger’s herrliche Tochter mußte ihn mit dem Dichterlorbeer
krönen. Das war der höchste Gipfel von
Hutten’s Erdenglück. Peutinger wollte ihm sogar die
Tochter vermählen, aber Hutten durfte die liebe Hand
nicht annehmen – das war der glühendste Dorn des
Schmerzes, den er je empfand. Von Augsburg begab
sich Hutten endlich wieder in die Heimath, auf seine
Güter, und richtete auf Burg Stecklenberg eine
Druckerei ein, aus der nun seine Schriften in die Welt
flogen. Dem Papst widmete er eine Schrift voll geistiger
Kraft über Konstantin’s erdichtete Schenkung, welche
ersterer sehr übel aufnahm; um so mehr gefiel sie
Luther und dessen befreundeter Genossenschaft. Im
Jahre 1518 trat Hutten ganz in die Dienste des Erzbischofs
Albrecht von Mainz, munterte Deutschlands
Fürsten in einer eigenen kraftvollen Rede zum Zuge
gegen die Türken auf, schrieb sein satyrisches Gespräch
»über das Hofleben«, nahm Theil an den nicht minder
satyrischen »Briefen der Dunkelmänner«, und anderes,
und trat als Kriegsmann in das Heer des schwäbischen
Bundes gegen den ihm verhaßten Herzog Ulrich von
Würtemberg; aber die Göttin des Krieges versagte ihm
die Lorbeerkränze, mit denen die Musen um so reichlicher
sein Haupt schmückten. Die auf diesem Zuge mit
Franz von Sickingen geschlossene Freundschaft war für
Hutten der beste Gewinn desselben. Nach Mainz und später
auf seine Burg zurückgekehrt, schrieb Hutten seine kühne
»Römische Trias«, gab noch andere Werke heraus und
fuhr fort, gegen den Papst und das Papstthum zu
schreiben, was des Papstes Rache und Verfolgung herausforderte,
und endlich des Ritters Entfernung vom
Mainzer Hofe bewirkte. Hutten ging zu Sickingen auf
dessen feste Ebernburg, schrieb herrliche Briefe, ermahnte
die deutsche Nation zur Aufrechthaltung ihrer Freiheit,
schrieb zu Gunsten Luther’s, war unermüdlich thätig
in der großen Angelegenheit der Reformation, einer
ihrer tapfersten und geistig hochstehendsten Vorkämpfer
mit dem Schwerte des Wissens und der Ueberzeugung,
– aber Sickingen verwickelte sich in seine unselige
Fehde, als deren Opfer er fiel, und die Ebernburg
konnte Hutten nicht mehr schützen. Er entwich,
durchirrte das Elsaß und die Schweiz, machte noch an
Erasmus von Rotterdam eine tiefschmerzliche Erfahrung
verrathener Freundschaft, und fand endlich, todmüde
gehetzt von seinem Schicksal, auf der kleinen Insel
Ufnau im Züricher See Asyl und – Grab. Kein
Deutscher sieht und betritt dieß Eiland ohne Ernst und
Wehmuth.