Die Geschichte des Kladderadatsch

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Autor: unbekannt
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Titel: Die Geschichte des Kladderadatsch
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 203–206
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Geschichte des Kladderadatsch.


Alle Geschichte beginnt bekanntlich mit Mythenbildung und hüllt sich in ein gewisses feierliches Dunkel. So ergeht es auch dem bekannten Witzblatt „Kladderadatsch“, da schon heute die Sage seinen Ursprung mit ihren bunten Fabeln schmückt. Bald läßt ihn dieselbe aus dem sogenannten „Rütli“, einer zwanglosen Gesellschaft witziger Literaten und geistreicher Lebemänner in Berlin, hervorgehen, bald gleich der bewaffneten Minerva aus Einem Haupte, aus dem Kopf eines speculativen Buchhändlers oder Humoristen entspringen.

Ein glücklicher Zufall gestattet uns, die Geschichte des Kladderadatsch von allem mythischen Beiwerk zu reinigen und der Wahrheit gemäß darzustellen. Unsere Quelle ist ein bisher unbenutztes Actenstück von fast amtlichem Charakter. Der Urheber desselben war ein bekannter, talentvoller Publicist, der unter Hinckeldey’s Herrschaft eine einflußreiche Stellung in dem sogenannten „Druckschriften-Bureau“ bekleidete und in dieser Eigenschaft vielfach mit dem Kladderadatsch in Berührung kam. Nicht nur ein officielles, sondern weit mehr noch ein persönliches Interesse fesselte ihn seit dem Beginn an das witzige Blatt, dem er bis zu seinem Tode ein Freund und Gönner blieb. Dieses Verhältniß mochte ihn wohl veranlaßt haben, ein eigenes Tagebuch über Entstehung, Schicksale und Verbreitung des Kladderadatsch zu führen, worin er die wichtigsten Momente mit historischer Treue verzeichnet hat. Seine durchaus glaubwürdigen Angaben liegen den folgenden Mittheilungen zu Grunde und werden nur hier und da aus anderen Quellen ihre Ergänzung finden, wo dies nöthig scheinen sollte.

Im Monat Mai des Jahres 1848 entstand Kladderadatsch in dem Kopfe des bekannten humoristischen Schriftstellers und Possendichters David Kalisch. Die Idee lag gleichsam auf der Straße, der Stoff in der Luft. Die März-Revolution hatte das alte System gestürzt. Die ganze bürgerliche Ordnung, der Staat, die Gesellschaft befand sich in einem Stadium der Zersetzung und Neubildung. In den Straßen herrschte die Anarchie, in den Fürstenschlössern die Furcht, in den Ministerhotels Zweifel und Rathlosigkeit, in den politischen Clubs und Volksversammlungen die geschwollene, inhaltsleere Phrase.

Eine zersetzende Kritik, das Kind Hegel’scher Sophistik und Heine’scher Frivolität, vereinigte sich mit dem kecken Berliner Witz und schuf eine neue Literatur, welche bald als „Placat“ an den Straßenecken prangte, bald von fliegenden Buchhandlern geschäftig colportirt wurde und unter dem Schutze der eben erst errungenen Preßfreiheit mit gleicher Rücksichtslosigkeit Personen und Zustände geißelte. Der Gedanke lag wohl nahe, diese zerstreuten Stimmen zu einem Chor, die zerstiebenden Witzstrahlen in einen Brennspiegel zu vereinigen, und David Kalisch, der bereits vor den Märztagen in seinen „Hunderttausend Thalern“ die politische Satire und das Couplet mit Erfolg auf die Bühne gebracht hatte, war auch ganz der geeignete Mann dazu.

Ein längerer Aufenthalt in Paris, wo er mit Heine und Proudhon persönlich in Berührung kam, mit den Socialisten Marx, Wolf, Karl Grün und mit dem Dichter Herwegh verkehrte, trug dazu bei, seinen politischen und socialen Gesichtskreis zu erweitern, während das Leben, die Theater, die Gesellschaft und die Literatur des modernen Babel einen nachhaltigen Einfluß auf ihn übten, ihn geeignet machten, die französische Leichtigkeit, Schlagfertigkeit, den Esprit und vor Allem das Couplet mit dessen scharfen Pointen und Spitzen in sich aufzunehmen und mit angeborenem Talent auf unsere deutschen Zustände zu übertragen. Dazu kam noch später in Berlin seine Bekanntschaft mit Bruno Bauer und der sogenannten Hippel’schen Clique, den letzten Ausläufern des Hegel’schen Systems und einer die Welt verachtenden Kritik. So waren ihm die Elemente und zum Theil auch die Form gegeben, die er noch mit geschickter Benutzung seiner Vorgänger, besonders der „Narrhalla“, einer von dem talentvollen Ludwig Kalisch, welcher nicht mit ihm verwechselt werden darf, in Mainz herausgegebenen Carnevals-Zeitung, zu ergänzen und zu erweitern suchte.

Mit dem vollständigen Manuscript der ersten Nummer und mit dem Titel „Kladderadatsch“, was so viel als allgemeine Auflösung oder Bankrott bedeutet, trat Kalisch eines Tages in das Geschäftslocal des Buchhändlers Albert Hofmann, der damals vorzugsweise humoristische Literatur verlegte, und bot demselben das neue Unternehmen an. Dieser schwankte und forderte einige Tage Bedenkzeit. Nach Ablauf der Frist entschloß er sich, das projectirte Blatt in Commission zu nehmen, wenn der Autor sich verpflichten wollte, die Kosten für Druck und Papier zu tragen. Das Honorar wurde vorläufig auf einen Friedrichsd’or für die Nummer festgesetzt. In den nächsten Tagen riefen die fliegenden Buchhändler zum ersten Mal in den Straßen von Berlin: „Kladderadatsch, Kladderadatsch!“ Das Publicum kaufte aus Neugierde das neue Blatt, las, lachte über den witzigen Leitartikel, amüsirte sich besonders mit der Novelle „Elwine“, welche in pikanter Form die Abenteuer einer damals vielgenannten Schauspielerin erzählte. Mit jeder Nummer stieg der Beifall, wuchs die Zahl der Freunde, aber auch der Gegner, da Kladderadatsch nach allen Seiten unparteiisch seine Hiebe austheilte.

Die Kühnheit, womit er Alles angriff, bedrohte schon in den ersten Tagen seines Daseins die fernere Existenz des kaum geborenen Kindes und dessen junges Leben schwebte in ernstlicher Gefahr. Ein Witz auf die Berliner Bürgerwehr reizte das bewaffnete Philisterthum eben so sehr, wie den wüthenden Stier der Anblick eines rothen Lappens. Eine Anzahl ergrimmter Bürgerwehrmänner drang in die Wohnung des Buchhändlers Hofmann und wußte diesen durch Drohungen zu der Erklärung zu bestimmen, den Debit des Kladderadatsch aufzugeben und sich von dem ganzen Unternehmen zurückzuziehen. Vergebens suchte Kalisch nach einem andern Verleger, Niemand wollte das Wagstück unternehmen und sich der Gefahr aussetzen, bis sich Hofmann durch wiederholte Bitten endlich bewegen ließ, noch einen Versuch zu machen.

Von dieser gefährlichen Krisis erholte sich Kladderadatsch in kurzer Zeit und wuchs an Geist und Körper, indem er, an Witz und Abonnenten zunehmend, außerdem eine frische, bedeutende Kraft an dem Zeichner Wilhelm Scholz gewann. Dieser war ein echtes Berliner Kind und hatte sich bereits als Mitglied des „Rütli“ in der von dieser Gesellschaft herausgegebenen Privat-Zeitung und durch die im Verein mit Kossak veröffentlichte humoristische Beschreibung der letzten Kunstausstellung einen Namen erworben. Ursprünglich zum Maler bestimmt und Schüler des eleganten Hofmalers, Professor Wach, zeigte er ein größeres Talent für die komische, als für die ernste Seite seiner Kunst, indem er statt schwindsüchtiger Märtyrer und langweiliger Ritter derbe Caricaturen und ausgelassene Chargen lieferte. Es war daher die glücklichste Wahl, ein wirklich kühner und gelungener [204] Griff, daß die Illustrationen des Kladderadatsch dem liebenswürdigen, geistvollen Künstler übertragen wurden.

Später trat noch Rudolph Löwenstein hinzu, gleichfalls ein Mitglied des Rütli und angehender Philologe, der, ein ausgezeichneter Lyriker, reizende Kinderlieder sang, nebenbei sich mit der Kunst der „Mnemotechnik“ beschäftigte und eine demokratische „Bürger- und Bauern-Zeitung“ redigirte. Vorläufig jedoch blieb Kalisch die Seele des Ganzen, der fast allein den ganzen ersten Jahrgang schrieb und eine wahrhaft staunenswerthe Thätigkeit entwickelte. Bald erregten einzelne Artikel eine große Sensation und übten einen wachsenden Einfluß auf die öffentliche Meinung aus. König Friedrich Wilhelm der Vierte wurde mit der Zeit ein eifriger Leser des Kladderadatsch und, selbst witzig, fühlte er trotzalledem eine gewisse Neigung für den verwandten Geist. Auch die damaligen Parteiführer erkannten die neue Macht, und der gefürchtete Agitator Held wurde hauptsächlich durch die kühnen Angriffe des genannten Blattes von seiner Höhe gestürzt. Dagegen huldigte Kladderadatsch der wahren Größe und dem Mannesmuth eines Johann Jacoby und anderer wahrhaft großer Charaktere.

Indeß wurde der politische Horizont immer finsterer, immer schwärzer und drohender zogen sich die Wolken der hereinbrechenden Reaction über Berlin zusammen. Im November wurde die Nationalversammlung aufgelöst und der Belagerungszustand über die Residenz verhängt. Vor Allem wurde die kaum befreite Presse von Neuem gefesselt und verfolgt. Auf der Proscriptionsliste der verbotenen Journale befand sich natürlich auch der Kladderadatsch, dieser Dorn im Auge der Reaction, der unermüdliche Spottvogel und Geißelschwinger des Philisterthums. Es blieb ihm nichts übrig, als auszuwandern; er ging zunächst nach Leipzig und fand daselbst ein freundliches und sicheres Asyl bei Ernst Keil. Die Nummer 29 erschien im Verlage dieser Firma. Hofmann und die übrigen Mitarbeiter hielten es ebenfalls für gerathen, Berlin zu verlassen und sich dem Arm der Rache zu entziehen. Löwenstein eilte nach Dessau, wo er unter dem liberalen Minister Habicht sich gemüthlicher und sicherer fühlte als unter Wrangel’s Militärregimente. Hofmann hielt sich in Leipzig auf und nur Scholz und Kalisch blieben in Berlin, wie Daniel in der Löwengrube der siegreichen Reaction.

Noch lebte Kladderadatsch, wenn auch unter tausend Aengsten und Nöthen. Das zum Druck bestimmte Manuscript mußte unter fingirter Adresse von Berlin nach Leipzig geschickt werden, da man von Angebern und Spionen umgeben war. Selbst diese Vorsicht genügte nicht und öfters wurde ein zuverlässiger Bote mit dieser wichtigen Mission betraut, so daß der Druck mit den größten Umständen und Hindernissen zu kämpfen hatte. Trotzdem verlor Kladderadatsch weder den Muth, noch seinen Humor, wenn er auch manchen Abonnenten einbüßte, manchen Freund abfallen sah. Unter dem Dache seines freundlichen Beschützers lachte er über alle seine Feinde, spottete er aller Verfolgungen, bis für ihn die Stunde der Erlösung schlug. Eine Deputation von Buchdruckern, Setzern und Affiliirten des Blattes hatte sich an den General Wrangel, den Befehlshaber der Marken, mit einer Vorstellung gewendet, worin sie den Nachtheil eines solchen Verbotes für ihren Erwerb mit so guten Gründen nachzuweisen wußten, daß Kladderadatsch wieder in Berlin erscheinen durfte. Mit der Caution in der Tasche kehrte Hofmann von Leipzig zurück.

„Selbst Wrangel fühlte ein Erbarmen
Und hat den Kladderadatsch erlaubt.“

Damit war jedoch die Gefahr keineswegs beseitigt und mit Recht erschien der bekannte Kopf des Kladderadatsch rings von bewaffneten Soldaten bedroht, im eigentlichen Sinne unter dem Belagerungszustand. Bald sah sich die Redaction gezwungen, noch einmal und zwar nach dem nahen Neustadt-Eberswalde auszuwandern. Jetzt trat Rudolph Löwenstein an die Spitze und lenkte muthig als geschickter Steuermann das bedrohte Schifflein, welches Kladderadatsch und sein Glück trug, durch die empörten Wogen und Klippen der Reaction. Als nach einiger Zeit das Blatt aus dem Exil zurückkehrte, stellte sich immer mehr die Nothwendigkeit heraus ihm einen neuen Redacteur zu geben, der in der Person des Schriftstellers Ernst Dohm höchst glücklich gefunden wurde. Derselbe hatte in Halle unter Tholuck und Wegscheider Theologie studirt, als Candidat bereits mit Erfolg die Kanzel bestiegen und später eine Hauslehrerstelle bei einer angesehenen Familie in der Nähe von Berlin bekleidet. Sein Talent und Liebe zur Unabhängigkeit führten ihn von der theologischen Laufbahn allmählich der Literatur zu und statt den Bauern zu predigen, schrieb er für die – ganze Welt. Jahrelang experimentirte er jedoch, ehe er den geeigneten Wirkungskreis fand; er errichtete ein Pensionat, quälte sich mit Privatstunden, arbeitete für das „Magazin für die Literatur des Auslandes“, für den „Gesellschafter“ von Gubitz, erwarb damit wenig Geld, aber manche Kenntnisse, besonders der neueren Sprachen und einen Schatz von literarischer Bildung, verbunden mit einem sichern kritischen Tact.

Mit ihm und durch ihn kam ein neues Element in das Leben des Kladderadatsch, ein höherer Aufschwung, ein ideelleres Streben, eine universellere Richtung. Der specifischere Berliner Witz wurde durch die reinere Form und den tieferen Gehalt über sich selbst emporgehoben, durch den Zusatz antiker Cultur gleichsam geadelt. Der Humor feierte gewissermaßen seine Wiedergeburt, die Vermählung der modernen Pointe mit der classischen Kunst, des Couplets mit der Parabase, des höheren Blödsinns mit der antiken Komödie, des Kladderadatsch mit Aristophanes. Aus einem bloßen Localblatt wurde jetzt ein Weltblatt, aus einem Organe von und für Bummler ein Organ von und für höhere Geister.

Demgemäß mußte auch die Stellung des Blattes immer einflußreicher, seine Bedeutung immer größer, die Theilnahme des Publicums immer lebendiger werden. Dichter wie Dingelstedt, Prutz und Herwegh verschmähten es nicht, von Zeit zu Zeit, wenn auch nur anonym, Beiträge zu geben, und manches „Eingesandt“, besonders aus Potsdam, floß aus hoher Quelle. Trotzdem ließen es die Gegner nicht an neuen Chicanen und Verfolgungen fehlen. Diensteifrige Bureaukraten wie einzelne Postbeamte legten der Verbreitung jedes ihnen zu Gebote stehende Hinderniß in den Weg, und es bedurfte der ganzen Umsicht, Thätigkeit, Energie und Gewandtheit des Buchhändlers Hofmann, um die verschiedenen Machinationen zu beseitigen, die beabsichtigten, bald offenen, bald geheimen Schläge zu pariren. Unter den vielen Buchhändlern Deutschlands ist der selbst witzige Hofmann einer der wenigen, die einer solchen Aufgabe gewachsen waren.

Noch einmal drohte ein heftiger Sturm dem Bestehen des Blattes, als der Kaiser von Rußland im Jahre 1852 Berlin besuchte. Es galt dem allmächtigen Czaren eine bessere Meinung von der revolutionären Bevölkerung beizubringen und ihm einen schmeichelhaften Empfang zu bereiten. Der Polizeipräsident von Hinckeldey ließ zu diesem Behufe alle verdächtigen Elemente ausweisen und sorgte auf dem Bahnhof für eine im Voraus angeordnete Ovation. Die Vossische Zeitung brachte ein von Rellstab verfaßtes Huldigungsgedicht, die übrigen Blätter stimmten mit ein oder schwiegen, der Kladderadatsch war so kühn, mit dem Autokraten anzubinden, vor dem damals noch ganz Europa zitterte. Einige Witze über die gemachte Begeisterung, über die gebotene Verfälschung der öffentlichen Meinung genügten für Hinckeldey, um ein furchtbares Strafgericht zu üben. Löwenstein und Kalisch wurden ohne Erbarmen ausgewiesen und Letzterer nur durch die Hülfe eines edlen Unbekannten vor der beabsichtigten Haussuchung und möglichen Verhaftung behütet. Plötzlich um Mitternacht geweckt, sah er einen jungen Mann, den Sohn eines seitdem verstorbenen Polizeibeamten, vor seinem Bette stehen. Derselbe theilte ihm mit, daß sein Vater soeben den Auftrag erhalten habe, eine Haussuchung bei Kalisch vorzunehmen. Dieser benutzte die freundliche Warnung, entfernte alle compromittirenden Papiere und brachte seine Person in Sicherheit. Nur Dohm, der das Berliner Bürgerrecht besaß, trotzte dem Zorne Hinckeldey’s und blieb auf seinem Posten.

Die armen Ausgewiesenen kehrten zwar nach einiger Zeit wieder heimlich nach Berlin zurück und wurden von den nachsichtigen Behörden stillschweigend geduldet, aber über ihrem Haupte schwebte fortwährend das Damoklesschwert der polizeilichen Willkür. Ein neuer Witz, irgend eine Anspielung vertrieb sie wieder, so daß Monate lang ihr Leben eine Hetzjagd war, eine ununterbrochene Wanderschaft zwischen Berlin und Spandau, wo sie sich im Verborgenen aufhielten. Endlich gelang es der Vermittelung des bekannten Hofraths Schneider und des berühmten Garten-Directors Lenné, den Bann aufzuheben und den Verfolgten die bisher versagte Niederlassung zu verschaffen. Doch erst nach dem Tode Hinckeldey’s hörten diese kleinlichen Chicanen auf und auch der Kladderadatsch durfte freier athmen. Dagegen drohte ihm eine

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Die Gelehrten des Kladderadatsch.
Ernst Dohm.     David Kalisch.     Rudolph Löwenstein.
Wilhelm Scholz.

Reihe von Preßprocessen, unter denen „die Klage des Liegnitzer Magistrats“ eine gewisse Berühmtheit erlangt hat und dem Blatte nun eine neue Menge von Abonnenten zuführte. Auch die viel genannte Fürstin Karoline von Reuß und der feudale Herr Senfft von Pilsach theilten das gerade nicht beneidenswerthe Loos des Liegnitzer Magistrats. Alle diese Anfechtungen hatten jedoch nur den entgegengesetzten Erfolg und fielen auf das Haupt ihrer Urheber zurück, während Kladderadatsch, mit der Märtyrerkrone geschmückt, die Lacher auf seiner Seite hatte und an Abonnenten so zunahm, daß er schon 1852 gegen fünfzehntausend Abnehmer, gegenwärtig aber gegen neununddreißigtausend zählt und sich über die weite Welt bis nach Indien und Südamerika verbreitet.

Ein eigenes Glück begünstigte von Anfang an das Unternehmen und führte ihm im rechten Zeitpunkt die geeigneten Kräfte zu. Ein wunderbarer Zufall fügte es, daß Kalisch, Dohm und Löwenstein nicht nur Geistes-, sondern Blutsverwandte waren und sich nach jahrelanger Trennung in Berlin zusammenfanden. Alle Drei stammen aus Breslau, sind daher geborene Schlesier und keine Berliner Kinder, wie allgemein, aber fälschlich, geglaubt wird. Nur der Zeichner Wilhelm Scholz darf diese Ehre für sich beanspruchen. Alle Drei besitzen auch eine gewisse Familienähnlichkeit, das Erbtheil eines angestammten Humors, obgleich ihr Witz in verschiedenen Formen und Färbungen gebrochen wird. Unstreitig besitzt Kalisch die größte Ursprünglichkeit, die meiste Vis comica und ist der Vielseitigste von Allen, obgleich seine Erziehung auch die größten Lücken zeigt. Er ist der Vater des höheren Blödsinns, der Erfinder des berühmten „Zwückauer“, der Pathe von „Müller und Schulze“, zwei Figuren, die der Buchhändler Hofmann [206] zufällig, ebenso wie den Kopf des Kladderadatsch, den ein junger Kaufmann gezeichnet, in einem Leipziger Verlag im Holzschnitt fand und so glücklich war, für den Kladderadatsch zu acquiriren. Er hat ferner den Quartaner „Karlchen Mießnik“ geschaffen und liefert außerdem fast sämmtliche prosaische Artikel im Berliner Dialekt, Parodien, travestirte Novellen und die „Sprüche der Weisheit“, für die sein Vorgänger und Namensvetter Ludwig Kalisch ihm die Form und das Muster gab. Auch hat er den „Kladderadatsch-Kalender“ in’s Leben gerufen, den „Kladderadatsch zur Industrie-Ausstellung in London“, so wie die ersten Bände von „Schulze’s und Müller’s Reisen am Rhein und im Harz“ geschrieben.

Dagegen ist Rudolph Löwenstein der Poet des Blattes; der sinnige Dichter der Kinderlieder versteht nicht nur zu scherzen, sondern auch zu rühren. Mit der Pritsche und Schellenkappe verbindet er ein tieferes Gefühl, selbst eine gewisse schwärmerische Weichheit. Er ist Meister der Form und handhabt den Reim mit bewunderungswürdiger Geschicklichkeit. „Prudelwitz und Strudelwitz“, die beiden Typen eines bornirt blasirten Junkerthums, sind seine Geschöpfe, und nebenbei giebt er häufig die Idee zu den Illustrationen an. Ernst Dohm aber führt die Redaction mit jenem feinen Tact und einer universellen Bildung, denen der Kladderadatsch hauptsächlich seine allgemeine Verbreitung und Bedeutung verdankt. Seine Kenntnisse, seine classische Erziehung und die kritische Schärfe seines Geistes stellen ihn naturgemäß an die Spitze des Blattes und verleihen seinen Arbeiten, selbst dem kleinsten Gedicht, einen eigenthümlichen Reiz. Die meisten seiner Leistungen besitzen einen dauernden Werth und seine Poesien sind Gelegenheitsgedichte im Sinne Goethe’s, „Stimmungslieder der Zeit“ in vollendeter Form, reich an Gedanken und geistsprühenden Pointen. Er ist, wenn auch nicht der originellste, doch wohl der gelehrteste unter den Gelehrten des Kladderadatsch.

Zu diesen gesellt sich noch Wilhelm Scholz mit seinem Talent als Zeichner. Seine meist nur flüchtig hingeworfenen Skizzen bekunden eine unerschöpfliche Fülle von komischen Einfällen und witzigen Motiven. Mit scharfem Blick faßt der Künstler das Lächerliche der Personen und Zustände so sicher auf, daß nur wenige Striche genügen, um stets das Charakteristische, den humoristischen Kern darzustellen. Selbst in seinen übermüthigen Chargen und Caricaturen verleugnet er nie die Natur und sogar aus der lustigen Maske blickt uns die Wahrheit entgegen. Seine angeborene Liebenswürdigkeit im Leben weiß er auch auf seine Illustrationen zu übertragen, so daß seine kecksten Bilder uns nicht so leicht verletzen. Andere Zeichner sind gewiß freier, vollendeter in der Ausführung, tiefer und gediegener in der ganzen Conception, aber nur wenige werden sich mit Scholz an Geist, Frische und ursprünglichem Humor messen können.

Das sind die Gelehrten des Kladderadatsch, dessen Geschichte eine culturhistorische Bedeutung hat, trotzdem wir auch die Schattenseiten des Blattes nicht verkennen. Daß ein so erfolgreiches Blatt wie der Kladderadatsch vielfache Nachahmungen hervorgerufen hat, ist natürlich; unter allen diesen Nachahmungen hat sich indeß bis jetzt nur eine lebenskräftig gezeigt – es sind die in Hamburg erscheinenden „Wespen“.