Ein Unvergeßlicher

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Autor: Albert Traeger
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Titel: Ein Unvergeßlicher
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aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 85-88
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Der Schauspieler Ferdinand Raimund
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Ein Unvergeßlicher.
Von Albert Traeger.

Ferdinand Raimund am Sarge seiner Jugend.

Doch Vieles in der Welt,
Ich mein’ nicht etwa ’s Geld,
Ist doch der Mühe werth,
Daß man es hoch verehrt.
Vor alle brave Leut’,
Vor Lieb’ und Dankbarkeit,
Vor treuer Madeln Gluth,
Da zieh’ ich meinen Huth!
Kein Aschen! Kein Aschen!

Ferdinand Raimund.

Zu einem angesehenen Arzte Wien’s kam eines Tages ein Mann, der über qualvoll düstere Stimmung und unbesiegbare Schwermuth, Rath erheischend, sich beklagte. „Vielleicht ist Ihr Beruf zu einförmig und ermüdend?“ – „Ach nein, er gewährt Abwechslung und Zerstreuung wie kein anderer.“ – „Nun, so reisen Sie.“ – „Auch das hab’ ich schon zur Genüge versucht.“ – „Dann weiß ich allerdings nur noch ein einziges Mittel, schlägt das nicht an, so sind Sie unheilbar; gehen Sie in die Leopoldstadt und sehen Sie den Raimund spielen!“ – „Habe die Ehre, mich Ihnen bestens zu empfehlen, Herr Doctor, der Raimund bin ich selber.“

Diese Anekdote mit ihrer herzzerreißenden Spitze enthält die ganze Geschichte eines Mannes, der zu den Unvergeßlichen des [86] deutschen Volkes zählt. Gegen die Bezeichnung „unsterblich“ dürfte vielleicht mancher Aristokrat der Literaturgeschichte sich empören, denn auch hier herrschen Standesunterschiede und ähnliche alberne Vorurtheile leider noch in Menge. Mag dies die Ruhe des Todten nicht stören! wie viele jener verbrieften Unsterblichen leben, längst vergessen, nur noch im Staube der Bibliotheken fort! er aber bleibt ein Unvergeßlicher gleich Jedem, der den Weg zum Herzen des Volkes gefunden.

Ferdinand Raimund wurde am 1. Juni 1790 zu Wien geboren. Der Sohn eines wenig bemittelten Drechslermeisters, genoß er einen für seine Verhältnisse guten Unterricht und ward alsdann zu einem Conditor in die Lehre gebracht. Der aufgeweckte Knabe hatte jedoch schon frühzeitig eine heftige Leidenschaft für den Beruf der Menschendarstellung empfunden, die mit den Jahren und den ihr entgegentretenden Hindernissen zu solcher Unbezähmbarkeit anwuchs, daß der Zuckerbäcker wider Willen eines Tages seiner süßen Beschäftigung entlief. Den angehenden Schauspieler, der 1808 zum ersten Male als „politischer Zinngießer“ in Preßburg auftrat, begrüßte das ganze Haus mit einem so entsetzlichen, einstimmigen Pfeifen, daß er den Muth verlor, zum zweiten Male sich zu zeigen. Schlimmeres widerfuhr ihm bei einigen Wandertruppen niedrigster Gattung, die in Wirthshäusern und Scheunen innerhalb der Bannmeile Wien’s gaukelten; auf die roheste Weise ausgezischt und verhöhnt, kam er plötzlich zur Besinnung und Einsicht, daß außer dem besten Willen Alles ihm noch fehle. Auch auf einen ungemein störenden Sprachfehler, der ihm zunächst jene Mißhandlungen zugezogen, ward er jetzt erst achtsam und bekämpfte diese Schwierigkeit mit so ausdauerndem Eifer, daß er binnen kurzer Frist sie bemeistert hatte. Durch fast undenkbare Entbehrungen ermöglichte er es, wieder eine Zeit lang in seiner Vaterstadt sich aufzuhalten und das Burgtheater jeden Abend zu besuchen, an welchem Ochsenheimer spielte. Diesen berühmtesten Charakterdarsteller seiner Zeit, den großen Vorläufer des größeren Ludwig Devrient, ahmte Raimund noch lange, sogar in allen Unarten, mit sclavischer Unterwerfung nach, bis er endlich das Feld gefunden, das er selbstschöpferisch als unerreichter Meister behauptet hat. Natürlich entschied er sich auch für das Fach seines Vorbildes, und so kam es, daß Raimund sein schönes, gewinnendes Aeußere und den reichen blonden Lockenschmuck nur sehr selten unentstellt auf den Bretern zur Geltung brachte, er hatte sogar eine Abneigung gegen jugendliche Rollen. Nach den gewissenhaftesten Vorbereitungen trat Raimund zu Anfange des Jahres 1811 als Mitglied der Kunz’schen Gesellschaft in Oedenburg auf. Er spielte den Gottlieb Koke in Ziegler’s damals sehr beliebter „Parteienwuth“, einen Bösewicht der jetzt ganz abgestorbenen, allerschwärzesten Sorte, mit ungetheiltem Beifall und sechsmaligem Hervorruf. Glühende Begeisterung und ein ihr entsprechendes unermüdliches Streben ließen ihn schnelle Fortschritte machen, und als er 1813 nach Wien an das Theater in der Josephstadt berufen ward, sicherte er sich schon durch seine ersten Rollen, Franz Moor und Pachter Feldkümmel, die allgemeinste Theilnahme, die ihn seitdem bei jedem seiner Schritte auf und außer der Bühne in steter Steigerung begleitete.

Wien hatte damals ein ganz eigenthümliches, scharf ausgeprägtes Volksleben, das gebieterisch auch nach einem Ausdruck auf der Bühne verlangte. Erzeugt und jubelnd empfangen von der allgemeinen Stimmung und schnell emporgehoben durch das glückliche Zusammentreffen aller Umstände, entstand das Localstück und gelangte sofort zu anerkanntester Herrschaft. Bäuerle, Gleich, Meisl und Perrinet, Dichter mit glücklichen Einfällen und von einer Fruchtbarkeit, die selbst den bis dahin alleinherrschenden Kotzebue zur Eifersucht bringen mußte, verursachten eine wahre Sündfluth von Possen, Schwänken und Parodieen. Die Breter des Leopoltstädter und Josephstädter Theaters, welche im Besitze der Brüder Leopold und Joseph Huber alsbald die beliebtesten Volkstheater wurden, wimmelten von betrunkenen Zauberern und liederlichen Feen, zu deren Gunsten der damalige Geschmack mit besonderer Vorliebe sich erklärt hatte. Bald schlug auch Raimund’s Stunde. Den allgemeinen Anforderungen entsprechend, ließ er sich von Gleich zu seiner Einnahme ein Localstück liefern: „Die Musikanten am hohen Markte“ und spielte darin den Adam Kratzerl, einen verkommenen Vorstadtgeiger, mit so durchschlagender Wirkung, daß der Dichter noch vier Theile zu dieser Posse hinzu schreiben mußte, um die unersättlichen Wiener zu befriedigen. Dadurch ward Raimund zur Erkenntniß seines wahren Berufes gebracht und die deutsche Bühne um einen Komiker bereichert, wie sie ihn zum zweiten Male nicht wieder besessen. Am 22. Februar 1817 betrat er zuerst die nach ihm begierige Leopoldstadt als Adam Kratzerl in „der Pudel als Kindsweib“ und theilte mit seinem zum vollendeten Künstler abgerichteten „Fripon“ überreiche Lorbeern; noch in demselben Jahre ward er dauernd gewonnen. Als der Besitzer bald darauf zu Grunde gegangen, kam das Theater unter die Verwaltung einiger kunstsinnigen Männer, deren einsichtsvollen Bemühungen es gelang, eine Volksbühne herzustellen, die alles Aehnliche vorher und bis auf den heutigen Tag in Schatten stellt. Alle vereinzelten Kräfte wurden hier zu glänzendster Gesammtwirkung vereinigt. Neben Raimund, dessen Volksthümlichkeit von Tag zu Tage wuchs, wetteiferten der übermenschlich lange Korntheuer und der kleine verwachsene Ignaz Schuster, dieser unter anderen ein ganz besonderer Liebling, Friedrich Wilhelm’s III. von Preußen und jedes Jahr von dem mürrischen, schwer zu erheiternden Herrn während dessen Badeaufenthaltes nach Teplitz berufen, Johanna Huber, von ihren Zeitgenossen „die Sophie Schröter des Localstückes“ genannt, und vor allem Therese Krones. Wenige Jahre vorher hatten die gutmüthigen Wiener ein vierzehnjähriges Dirnchen unbarmherzig ausgezischt, weil es mit unbeschreiblicher Zuversichtlichkeit gewagt hatte, durch grundfalschen Gesang die Ohren in der Josephstadt zu zerreißen, und jetzt lag die gesammte Kaiserstadt wonneberauscht zu den Füßen des erblühten Mädchens. Mehr üppig als schön, keine Künstlerin, aber eine durch und durch ursprüngliche, unwiderstehlich mit sich fortreißende Natur, jedes Maß, selbst in der Keckheit, überschreitend, Alles begehrend und Nichts versagend, am wenigsten sich selbst, so war Therese Krones. Von Raimnnd „die Essenz aller Lustigkeit“, „der personificirte Humor“ getauft, gipfelte sich in ihr aller Leichtsinn, alle Genußsucht des berühmten „alten, gemüthlichen Wien’s“. Zwangloser Scherz, ungebundene Ausgelassenheit hatten in den Mauern der Kaiserstadt ein buntbelebtes Feldlager aufgeschlagen, das bald in neue, freudige Aufregung versetzt ward.

Bisher hatte Raimund wohl hie und da schon Einlagen und Wiederholungsverse für seine Rollen sich gedichtet, noch niemals aber seine unverkennbare Begabung, trotz mannigfachen Anrathens an etwas Größerem, Selbständigem versucht. Abermals war es sein Benefiz, das ihn zur Erkenntniß seines Berufes brachte. Meisl sollte ihm das Stück dazu schreiben und hatte die Bearbeitung des Wieland’schen Märchens „die Prinzessin mit der langen Nase“ versprochen, auf das ihn Raimnnd dringend aufmerksam gemacht. Er konnte sein Wort nicht halten, und der Schauspieler, dessen sachkundiger Blick die große Dankbarkeit des Stoffes richtig erfaßt hatte, ward aus Noth sein eigener Dichter. Am 18. December 1823 ward „der Barometermacher auf der Zauberinsel“ mit rauschendem Beifall aufgenommen und zauberte ununterbrochen noch viele Abende lang ganz Wien in die unzureichenden Räume der Leopoldstadt. Für einen ersten Versuch war das Gelingen fast wunderbar. Raimund hatte sogleich all seine Vorgänger übertroffen durch die Tiefe seines Humors, sein wahrhaft dichterisches Feuer und die Gediegenheit der gesammten Schöpfung, welche jene flachen, auf den gedankenlosen Lachkitzel berechneten Erzeugnisse des flüchtigen Augenblickes weit hinter sich zurückließ. In seinen kühnsten Erwartungen übertroffen und dadurch mächtig angespornt, bearbeitete er nun ein Märchen der tausend und einen Nacht und brachte am 17. December 1824 den „Diamant des Geisterkönigs“ zur Aufführung, das dem Dichter und Darsteller verschwenderische Ehren einbrachte. Er spielte den Florian, und Therese Krones war seine Mariandel, so hinreißend, daß ihr auf allen Straßen nachgejubelt ward:

„D’ Mariandel ist so schön,
D’ Mariandel gilt mir All’s,
Und wenn ich’s nur erwischen kann,
Fall’ ich ihr um den Hals.“

Raimund’s ungewöhnliche Erfolge und die theilweise vielleicht auch ausschreitenden und ungeschickten Huldigungen, mit denen man ihn überschüttete, erweckten ihm nach dem Laufe der Dinge aus eifersüchtigen Neidern hämische Tadler und böswillige Feinde. Abgesehen von einem einfältigen Gerüchte, welches ihn nur als den vorgeschobenen und dagegen einen Prediger Wimmer als den wahren Verfasser jener Stücke bezeichnete, fanden seine Angreifer [87] immer neue Waffen in dem Umstande, daß er doch nur fremdes bearbeitet, mithin nichts Eigenes geschaffen habe. Dies reizte den Leichtverletzlichen, nun auch einmal in selbstständiger Erfindung sich zu versuchen, und mit der verzehrenden Hast seines ganzen Wesens machte er sich sogleich an’s Werk. Kaum aber war er fertig, als er so vielen Aufregungen und Anstrengungen erlag und in eine hartnäckige, mit dem Schlimmsten drohende Krankheit verfiel. Nach fünf Monaten endlich war er gerettet, und die allgemeine Freude darüber so groß, daß zur Feier seines Wiederauftretens eine Gedächtnißmünze geprägt und mit einem Beglückwünschungsschreiben ihm überreicht ward. Am 10. November 1826 erschien endlich das Original-Zaubermärchen „der Bauer als Millionär“ vor der auf das Aeußerste gespannten Menge. Es erlebte bis zu Raimund’s Tode hundertsechsundsechzig Aufführungen nur in dem einen Theater Wien’s. Des Dichters glänzendste und phantasiereichste Schöpfung erdrückt es fast durch die Ungeheuerlichkeit der Erfindung, während die Aufführung durch die das Ganze durchdringende Gemüthswärme und eine leise Wehmuth, die darüber ergossen, jedes Herz willenlos gefangen nimmt. Raimund’s Spiel als Wurzel gehört zu den unvergänglichen Ereignissen der Theatergeschichte, sein „Aschenlied“, längst ein Eigenthum des Volkes, ließ kein Auge trocken. Die Scenen, in welchen die Jugend von dem übermüthigen Bauer Abschied nimmt und das Alter bei ihm einzieht, gehört zu dem Schönsten und Ergreifendsten, was unser Dichter aufzuweisen hat, und wie wurden sie dargestellt! Korntheuer, als Alter, verbreitete eine eisige Luft und einen durchdringenden Lazarethgeruch im ganzen Hause. Aber die Jugend erst, Therese Krones als Jugend! Kam sie mit ihrem leichtfüßigen Gefolge hereingehüpft, im leichten rosenrothen Fräckchen, der weißen Atlasweste, mit Rosen eingefaßt, auf der die silbernen Knöpfe blitzten, und dem kurzen weißkasimirenen Beinkleid, hoch in der Hand das weiße Hütchen mit den flatternden Rosenbändern schwingend: – Greise fühlten sich da mit einem Male wieder verjüngt; sah sie sich aber alsdann in der Thüre noch einmal um nach dem Verlassenen, der zum Abschiede in ihre Hand eingeschlagen, da wähnten auch die jüngsten Leute, alle Freude sei plötzlich ihnen genommen und das Alter erfasse sie schon mit kalter Faust. Der Entzückteste von Allen war der Dichter selbst. Als einige Jahre später Therese Krones starb, schnell wie sie schnell gelebt hatte, war Raimund nicht von ihrem Sarge fortzubringen und schluchzte so bitterlich, daß ein besorgter Freund ihn endlich mit Gewalt entfernte. Auf dessen Frage nach der Ursache solcher Erregung antwortete er unter Thränen: „Soll ich denn nicht weinen, wenn man meine Jugend begräbt?!“

Armer Raimund! die Jugend seines Herzens lebt ewig fort in seinen Werken, des Lebens Jugend hat ihm, niemals recht geblüht. Das Geschick des berühmten Komikers ist ein erschütterndes Trauerspiel. Hochbegünstigt vor tausend Anderen, ward das äußere Glück nicht müde, ihm zu lächeln, jeder Erfolg, den das Verdienst begehren kann, ist in fast beispielloser Fülle ihm geworden, aber innerlich war er unglücklicher als Alle, die in Noth und Elend umgekommen. Umrauscht von der jauchzenden Fröhlichkeit der lustigen Kaiserstadt, deren Ergötzen und Abgott er war, umringt von den lockendsten Genüssen, nach denen er nur die Hand auszustrecken brauchte, stand er einsam in sich selbst versunken da, in all den bunten Farbenschillern ein grauer, grämlicher Aschenmann, mit sich und der Welt zerfallen, ein bitteres Lächeln auf den Lippen und die Brust voll Wehmuth bis zum Zerspringen. Immer schon hatten er selbst und Andere unter seinen unberechenbaren, jäh wechselnden Stimmungen gelitten. Im Jahre 1820 verheirathete er sich mit Luise Gleich, der Tochter des Dichters, einer schönen und begabten Schauspielerin, aber zu nichts weniger geeignet, als in fremde Eigenheiten sich zu fügen. Nach einer kurzen, an Stürmen und Unglück überreichen Ehe trennten sich die kaum Vereinten wieder. Seitdem gewannen die finstern Mächte in Raimund die Oberhand, und er hatte nur noch selten ruhige Augenblicke, zufriedene nie mehr. Oft versank er in stumpfes Brüten, nicht selten erhitzte er sich bis zur Raserei der Verzweiflung, unablässig quälten ihn die Schrecknisse seiner eigenen Einbildung. Unter seinen Zeitgenossen ging die Sage, daß der Fluch seines Vaters, der die unbezähmbare Neigung des Sohnes verdammt, ihn durch’s Leben verfolge; dessen bedurfte es nicht, auf seinem Haupte lasteten wirksamere Verwünschungen: der Fluch eines weichen Herzens und der Fluch des Genie’s, nur von denjenigen geleugnet, die für Beides kein Verständniß haben.

Raimunds nächste Stücke: „Moisahur’s Zauberfluch“ und „die gefesselte Phantasie“ erzielten eine geringere Wirkung, als die vorigen, dagegen wurde am 17. October 1828 „der Alpenkönig und der Menschenfeind“ wieder mit schrankenlosem Jubel aufgenommen. Der Dichter hat in diesem reizenden Märchen, das aus tieftraurigem Grunde sprudelnde Ausgelassenheit emporzaubert, über seine eigene Schwarzgalligkeit zu Gericht gesessen; leider fand er für sich die Versöhnung nicht, zu der sein selbstgeschaffener Doppelgänger „Rappelkopf“ schließlich sich bekehrt, und die liebenswürdige Lehre, die er diesem von dem muntern „Lieschen“ vorsingen läßt:

„Ach, die Welt ist gar so freundlich,
Und das Leben ist so schön,
Darum soll der Mensch nicht feindlich
Seinem Glück entgegensteh’n!“

verhallte wirkungslos für den Sänger, als er sie zu Papier gebracht! Nachdem er in den letzten Jahren noch die künstlerische Leitung der Leopoldstadt geführt, schied Raimund 1830 für immer von dieser Bühne, deren Seele er gewesen, und die ihm hauptsächlich ihre unvergängliche Berühmtheit verdankt. Er ging keine dauernde Verbindung mehr ein, sondern gastirte die nächste Zeit meist im Auslande, von dessen ersten Theatern er wiederholt die dringendsten Einladungen erhalten hatte. Der auf das Aeußerste Verwöhnte fand überall den überschwenglichen Beifall der Heimath wieder, zumal in den eigenen Stücken, die, aller Orten längst zwar schon beliebt, durch des Dichters Mitwirkung einen neuen Reiz und erst das rechte Verständniß erhielten. München und Hamburg namentlich wetteiferten, ihm zu huldigen, aber auch Berlin blieb nicht zurück, dem er am 4. April 1832 als „Florian“ zum ersten Male sich zeigte. Auf diesen Erfolg legte er mit Recht einen ganz besonderen Werth. War die nordische Königsstadt auch jener Zeit noch nicht wie heutigen Tages der auserlesene Sitz des Alles verneinenden Geistes, so wehte doch schon damals eine Luft darin, deren geringer Wärmegrad die Wiener Gemüthlichkeit dem Erfrieren nahe bringen konnte, und außerdem schworen die Spreeanwohner in Allem, was Komik hieß, nur bei ihrem vergötterten Schmelka. In demselben Jahre ward ein Rheindampfer „Ferdinand Raimund“ getauft. Nach Hause zurückgekehrt brachte er am 20. Februar 1834 den „Verschwender“ in der Josephsstadt zur Aufführung. Zweiundvierzig Male hintereinander gegeben, erlebte dieses Stück noch selbigen Jahres über hundert Vorstellungeu in Wien. Des Dichters letztes Werk ist sein gediegenstes, und namentlich hat er in dem treuherzigen „Valentin“ ein Grundbild des österreichischen Volkscharakters geschaffen, das ihn und seine Landsleute für alle Zeiten ehrt. Unsere spätesten Enkel noch werden das „Hobellied“ singen, aber derer, die es, bis zu Thränen erschüttert, von Raimund singen gehört, werden täglich weniger. In seinem Schwanensang betrat er auch zum letzten Male die Breter als Schauspieler. In Hamburg war es am 10. Mai 1836. Am Schlusse stürmisch gerufen, vermochte er, wie von einer plötzlichen Vorahnung ergriffen, nur die letzten Worte seines Liedes zu wiederholen: „Da leg’ ich meinen Hobel hin und sag der Welt Ade!“

Auf seinem Landhause in dem reizenden, von ihm schwärmerisch geliebten und sogar mehrfach besungenen Gebirgsthale zwischen Pernitz und Gutenstein verlebte er eine stille Zeit der Erholung, als er eines Tages von seinem Haushunde leicht in die Hand geritzt ward. Stets zu den allerschlimmsten Voraussetzungen geneigt, überfällt ihn mit unsagbarer Angst der Gedanke, das Thier könne toll gewesen sein. Hastig machte er sich auf, in der Hauptstadt ärztliche Hülfe zu suchen. Ein Unwetter zwingt ihn, in Potenstein zu halten. Hier, in nächtlicher Einsamkeit, umtobt von dem fessellosen Rasen des Gewitters und den ungezügelten Ausgeburten seiner Einbildung, übermannt ihn die schwärzeste Verzweiflung, und er schießt sich mit einem Taschenterzerole, das er steis bei sich führte, durch den Mund. Acht Tage lang währte der Todeskampf des Unglücklichen, erst am 5. September verschied er. Seinem Wunsche gemäß ward er in Gutenstein bestattet. Ganz Wien schluchzte an seinem Sarge, den die wunderbar rührende Weise: „So leb’ denn wohl, Du stilles Haus!“ in die Tiefe hinabgeleitete. Diese des Herzens zarteste Saiten ergreifende Melodie [88] rührt, gleich vielen der ansprechendsten in seinen Stücken, von Raimund selbst her.

Unter dem Hügel, den seine einfach in Erz gegossene Büste ziert, schläft ein Mensch solch braven, treuen Herzens, solch’ edler, tüchtiger Gesinnung, solch’ hoher Begeisterung für das wahrhaft Schöne, und zugleich so namenlos elend, wie es Wenige nur gegeben; schläft ein Schauspieler, der bei den erhabensten Meistern genannt werden wird, wenn auch längst schon seine Gebilde mit denen begraben sind, die sie noch in lebendiger Erinnerung bewahren. Der Dritte aber dieser seltenen Vereinigung lebt noch und wird ewig leben – der Dichter. Seine entflammten Zeitgenossen nannten ihn den „neuen [[Shakespeare“, ein Ausdruck der Bewunderung, nicht der Beurtheilung; auf eine andere Bezeichnung dagegen hatte er die vollgültigsten Ansprüche: „Raimund ist der deutsche Molière].“ Fast wunderbar ist schon das Zusammenfallen der Aeußerlichkeiten: Beide stiegen aus den Anfängen eines aufgezwungenen Handwerkes zur höchsten Vollendung der Kunst empor, Beide schufen zweifach ihre Schöpfungen mit doppelter Meisterschaft, Beide, von äußerem Glanz umgeben, waren unglücklich durch unablässige Selbstqual. Beide kannten ihre trostlosen inneren Zustände so genau, daß sie künstlerische Anregung darin fanden, ohne durch die Selbstschilderung zur Selbstbemeisterung zu gelangen; Beiden ward die Ehe neuen Unheils Quell; ja, die Uebereinstimmung ist vom Beginn bis zu Ende so zutreffend, daß Beide in eigenen Stücken von den Bretern ewigen Abschied nahmen. Was aber hauptsächlicher und gewichtiger: Beide gingen als Dichter gleiche Bahnen zu gleichem Ziele; Beide sind Volksdichter im wahrsten und besten Sinne dieses oft gemißbrauchten und noch häufiger mißverstandenen Begriffes; Beide entwickeln die schönen Seiten der menschlichen Natur, indem sie ihre schwachen verspotten: Molière’s Geißel führt der unerbittliche Witz des Franzosen, der Raimund’s fällt die österreichische Gemüthlichkeit in den Arm. Auch Raimund ist ein Classiker auf seinem Felde. Was an seinen Stücken etwa befremdend auffallen könnte, die häufige Allegorie und manche läppische Zuthat, ist lediglich dem damaligen Publicum und dessen Geschmack zur Last zu legen, Raimund war hoch erhaben darüber, unterwarf sich aber, um zu beherrschen. „Der Bauer als Millionair“, „der Alpenkönig und der Menschenfeind“ und „der Verschwender“ bleiben ewige Zierden der deutschen Schaubühne. Seit freilich der „kladderadatsch“, dieser Witz in Waffen, auch die Breter sich eroberte und des Tages beißende Kritik dort übt, seit Kalisch für Deutschland das Couplet erfunden, den burlesken Leitartikel im Polka-Takt, ist die maßgebende Richtung eine andere geworden. Aber auch dadurch können Raimund’s Dichtungen nicht verdrängt werden. Ihre Zwecke fallen mit denen des Augenblicks nicht zusammen, es sind die ewigen menschlichen, sie verhöhnen nicht, sie versöhnen, und für uns, die Kämpfer im Strudel stets wachsender Gährung, haben sie noch den besonderen Reiz der Erinnerung an eine glücklichere Zeit. Wo ist es geblieben, das alte, lustige Wien, das gemüthliche, gedankenlose Oesterreich? Dahin – Alles dahin, verfallen jenem unerbittlichen Gesetz, das Raimund in den beiden Strophen ausgedrückt, die „seine Jugend“, Therese Krones, dereinst so hinreißend gesungen:

„Scheint die Sonne noch so schön,
Einmal muß sie untergeh’n!“