Preußische Lustschlösser/2. Schloß Rheinsberg

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Autor: Max Ring
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Titel: Preußische Lustschlösser. 2. Schloss Rheinsberg
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 823–825
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Preußische Lustschlösser.
2. Schloß Rheinsberg.
(Mit Abbildung.)


Ein Tag in Rheinsberg.


In der so verschrieenen sandigen Mark fehlt es nicht an einzelnen reizenden Landschaftsbildern, an freundlichen Oasen in der berüchtigten Wüste. Einen solch überraschend schönen Punkt bildet Schloß Rheinsberg, wo Friedrich der Große als Kronprinz nach seiner Versöhnung mit dem strengen Vater gewiß die angenehmsten Tage seines vielbewegten Lebens zubrachte, die reizende, friedliche [824] Idylle vor dem blutigen Drama des schlesischen und siebenjährigen Krieges. – Am Ufer des Grinerick-Sees erhebt sich der stattliche, von Knobelsdorf geleitete Bau in französischem Geschmack, umgeben von alten Bäumen, sich in den stillen Fluthen spiegelnd. Das Schloß besteht aus einem Mittelstücke und zwei Seitenflügeln, ähnlich dem Charlottenburger Schlosse, dessen kühn gewölbte Kuppel ihm jedoch fehlt. Dafür besitzt es zwei Thürme, welche sich an die Seitenflügel anlehnen und von denen der eine das Studirzimmer Friedrich des Großen enthielt. Dasselbe ist klein, höchstens 12 Fuß im Quadrat und hat nach drei Seiten eine entzückende Aussicht über Wald und See. An den Wänden sind Consolen angebracht mit den Büsten Voltaire’s, Diderot’s, Rousseau’s und Cicero’s. Ueber dem Eingange befinden sich die Zeichen des Freimaurer-Ordens, dem bekanntlich Friedrich angehörte. An der Decke erblickt man ein Gemälde von dem Hofmaler Pesne, eine sitzende Minerva darstellend, der ein Genius ein Buch überreicht, auf dessen Blättern man die Namen Horaz und Voltaire liest. In der Mitte des Zimmers steht der Arbeitstisch, an dem der große König als Prinz gesessen; derselbe ist kaum so groß wie ein jetziger Damen-Schreibtisch und besaß eine mit rothem Sammt überzogene Schreibplatte, die jedoch längst von Reliquiensammlern zerstört und abgerissen worden ist. Die übrigen Zimmer sind höchst einfach und keineswegs bemerkenswerth, mit Ausnahme des großen Concertsaals, in welchem Friedrich mit seinem Capellmeister Graun und den beiden Breda’s die classischen Compositionen jener Zeit zur Aufführung brachte, wobei er selbst die Flöte meisterhaft blies. Die Wände dieses Saales sind von Stuck, die Fensterpfeiler mit Spiegeln in prächtigen Goldrahmen reich verziert; den Hauptschmuck jedoch bildet das Deckengemälde von Pesne, den Aufgang der Sonne nach Ovid’s Metamorphosen darstellend. Auf einer Seite sieht man die Nacht, in dunkle Schleier gehüllt, von den ihr geweihten Vögeln begleitet; sie flieht, um der Morgenröthe Platz zu machen, neben der der Morgenstern in Gestalt der Liebesgöttin strahlt. Auf der andern Seite erscheint Apollo, der Gott des Lichtes, auf goldenem Sonnenwagen in leuchtender Glorie. Vier milchweiße Rosse ziehen ihn, und ein Lichtstrom fließt von seinen wallenden Locken nieder. Der Künstler hatte dem Sonnengott die Züge des Kronprinzen gegeben, aber die höfische Schmeichelei sollte diesmal zur Wahrheit werden und verkündete prophetisch den kühnen Flug des Sonnenaars.

An das Schloß grenzt der schöne Park in französisch-englischem Geschmack, der sich in weitem Halbkreis um die links gelegene Seite des Sees zieht und die herrlichsten Baumpartien zeigt. In den Zeiten, wo noch Friedrich in Rheinsberg weilte, war der französische Gartenstyl vorherschend. Zwischen verschnittenen Taxuswänden, welche grünen Tapeten glichen, verlief der breite, wohlgepflegte Weg. Die Hauptallee bestand aus alten Linden und schloß mit einem schlanken Obelisk, dessen Wände mit Hieroglyphen beschrieben waren. Hier und dort lag ein lauschiges Bosket, wölbten sich Lauben von duftendem Jasmin. Zwischen den Taxuswänden schimmerten weiße Götterbilder, die holde Venus, Apollo mit der goldenen Cither und ein Hercules, der mit dem nemeischen Löwen rang. In den Gewächshäusern reifte das seltenste Obst, von dem der berühmte Besitzer ein so großer Liebhaber war und das er von Zeit zu Zeit mit seinem „gnädigen Herrn Vater“ pflichtschuldigst theilte. – Durch ein künstliches Labyrinth gelangte man zu dem Tempel des Bacchus, dessen Dach die Form einer umgekehrten Punschbowle zeigte. Ein dichtes Gewinde von rankendem Wein, Epheu und blühenden Schlingpflanzen verhüllte den Bau, der ausschließlich dem Vergnügen und heiteren Genüssen gewidmet war. Kleine Gondeln mit bunten Wimpeln belebten den See und luden zu angenehmen Fahrten auf den kühlen Fluthen ein, in denen die weißen Schwäne im Abendsonnenstrahl sich wiegten und ihre stillen Kreise zogen. Dieser herrliche Aufenthalt wurde von Friedrich und den Freunden seiner glücklichen Jugendzeit bewohnt; hier lebte er dem Zauber der Natur und seinen Studien hingegeben, hier bereitete er sich im Stillen für seine große Laufbahn vor und reifte zum Genius seines Jahrhunderts. In Gedanken versetzen wir uns in das Jahr 1735, wo Friedrich mit seinen Freunden in Rheinsberg seinen Sitz aufgeschlagen hat. Es war eine liebenswürdige, geistreiche Gesellschaft, die er um sich versammelt hatte und deren strahlenden Mittelpunkt der geniale Prinz bildete; Officiere und Gelehrte, Franzosen und Deutsche, Adlige und Bürgerliche, und auch an holden Frauen fehlte es nicht. – In lautem Gespräche, daß man glauben kann, sie zanken sich, wandeln dort Knobelsdorf, der geistreiche Erbauer des Rheinsberger Schlosses, und Jordan, der früher die Stelle eines Pastors in Prenzlau bekleidete. Der ehemalige Theologe ist ein kleiner Mann mit einem dunklen ausdrucksvollen Gesicht und schwarzen feurigen Augen; seine lebhaften Bewegungen, sein heiteres Wesen bilden den merkwürdigsten Gegensatz zu der ernsten Ruhe seines Begleiters, dessen Stirn mit tiefen Runzeln bedeckt ist und der in seiner Derbheit und Rauhheit keineswegs für einen Hof geschaffen scheint. Aber die rauhe Schale birgt auch bei ihm den edlen innern Kern. Er ist Maler, Dichter und Musiker – ein Genie, das auch in den Kriegswissenschaften Ausgezeichnetes geleistet hätte, wenn er nicht dem Geräusche der Waffen den Umgang der sinnigen Musen vorgezogen. Wenn man die Beiden sieht, welche ohne Streit und wissenschaftlichen Disput nicht zwei Minuten leben können, so muß man glauben, daß sie ihre Bestimmung verfehlt haben. Man ist nur zu leicht geneigt, den gewandten, in allen ritterlichen Künsten wohlerfahrenen Jordan für einen ehemaligen Officier, dagegen den ernsten, tiefsinnigen Knobelsdorf für einen Gelehrten, wo nicht gar für einen Geistlichen zu halten. Während der Erstere von Witz und Geist übersprudelt, horcht man gern der belehrenden, streng wissenschaftlichen Unterhaltung des Letzteren. Zu dem originellen Paare gesellt sich ein alter Stelzfuß in der Uniform des Ingenieurcorps; es ist der wackere Senning, Friedrich’s Lehrer in der Mathematik, der im flandrischen Kriege ein Bein verloren hat. Er liebt es von seinen Kriegsthaten zu erzählen, obgleich er nichts weniger als ein Aufschneider, sondern ein tapferer Soldat und ausgezeichneter Mathematiker ist. Plötzlich unterbricht der alte Krieger seine etwas weitschweifigen Erzählungen, um den Hofmarschall von Wolden, Friedrich’s Mentor in Küstrin, und dessen junge liebenswürdige Gemahlin zu begrüßen, welche dem gefangenen Prinzen manche trübe Stunde durch ihre anmuthige Gesellschaft vertreiben half. An ihrer Seite befindet sich der gewandte ritterliche Chazot, ein französischer Officier, der das Unglück hatte, einen Verwandten des Herzogs von Boufflers im Duell zu tödten, und den Friedrich aus den Trancheen von Philippsburg, wo er als Flüchtling in dem Lager des Prinzen Eugen eine Zuflucht suchte, nach Rheinsberg brachte. Wie die Windsbraut stürmt jetzt ein junger Mann herein mit langen, braunen Locken, ungepudert. Obgleich die untersetzte, gedrungene Gestalt, das gelbe markirte Gesicht mit den kleinen, geschlitzten Augen und dem breiten Munde keinen Anspruch auf Schönheit machen, so entschädigt er hinlänglich durch seine hinreißende Laune, seine entzückende Unterhaltung und durch eine Fülle von Kenntnissen. Es ist der Liebling Friedrich’s, sein „Cäsarion“ und heißt ursprünglich von Keyserling, von Geburt ein Kurländer und so begabt, daß er in seinem siebzehnten Lebensjahre, als er die Universität bezog, Griechisch, Lateinisch, Französisch und Russisch wie seine Muttersprache redete. Ihm liest Friedrich seine Manuskripte vor, und sein Urtheil ist ihm maßgebend. Er verkündigt den Anwesenden die große Neuigkeit des Tages, welche nicht verfehlt, das höchste Aufsehen zu erregen.

„Der Kronprinz hat soeben einen Brief von dem göttlichen Voltaire erhalten und wird in wenig Augenblicken erscheinen, um der Gesellschaft die herrlichen Zeilen des genialsten Mannes unserer Zeit vorzulesen.“

„Und was schreibt ihm der Fürst der Denker und Dichter?“ fragte der neugierige Jordan.

„Wie läßt sich das wiedergeben,“ erwiderte der lebhafte Cäsarion, „was der Einzige allein nur auszudrücken vermag? Jedes seiner Worte ist ein Blitz, jede Wendung, jeder Ausdruck von unnachahmlicher Grazie. Nur so viel kann ich Ihnen mittheilen, daß der Kronprinz wahrhaft entzückt ist und, wie Alexander die Gesänge Homer’s in einem goldenen Schreine, den Brief Voltaire’s auf seinem Herzen trägt.“

In der That erschien jetzt Friedrich selbst mit freudestrahlendem Gesicht; sein großes blaues Auge leuchtete in lebhaftem Glanze, und seine damals noch so schönen, nicht von Sorgen, Alter und Menschenverachtung gefurchten Züge glichen einem sonnigen Frühlingsmorgen. Sein jugendliches Herz schlug warm und groß für alles Edle, Gute und Schöne. In Voltaire verehrte er den Genius der neuen Zeit, den hochbegabten Geist, der mit siegreichen Waffen das Vorurtheil und die Heuchelei bekämpfte, den Vertheidiger der [825] unterdrückten Unschuld, den muthigen Streiter für Recht und Freiheit. Später im persönlichen Umgange mußte leider Friedrich als König auch die Schattenseiten des großen Mannes, seine kleinliche Lust an Intriguen, seine Habsucht, seine Falschheit und all die Fehler kennen lernen, welche leider das Genie entstellen, wie die Flecken den Sonnenball. Damals aber glühte Friedrich noch für Freundschaft, und seine Verehrung für Voltaire trug den Stempel jugendlicher Schwärmerei.

„Bon jour, Mesdames et Messieurs,“ sagte der Kronprinz, indem er die Anwesenden mit dem ihm eigenen bezaubernden Lächeln grüßte. „Cäsarion wird Ihnen bereits gesagt haben, welch ein glücklicher Tag der heutige für mich ist. Ich bin aber zu wenig Egoist, um meine Freude für mich allein zu bewahren: Sie Alle sollen daran Theil nehmen und hören, was der größte Geist des Jahrhunderts mir schreibt.“

Auf einen Wink des Prinzen nahm die Gesellschaft Platz, um den Inhalt des Briefes aus dem Munde des fürstlichen Vorlesers zu vernehmen. Auf allen Gesichtern drückte sich die größte Spannung und Theilnahme aus. Man lebte noch in einer Zeit, wo Geist und Wissen die höchste Verehrung einflößte, wo in der That der Dichter mit dem König ging, wo Fürsten sich durch den Umgang mit Männern wie Voltaire, Diderot u. s. w. geehrt fühlten. Nicht das neunzehnte Jahrhundert, sondern das achtzehnte kannte allein den Cultus des Genius und saß in Andacht zu den Füßen seiner großen Denker und Dichter. –

So hoch aber auch Friedrich Wissenschaft und Künste stellte, so ließ er darum sein eigentliches Ziel nicht aus den Augen, und mit dem heiteren Spiele der Musen wechselten auch ernste Stunden, in denen er sich auf seinen Beruf im Verborgenen vorbereitete. Vor Allem erkannte er schon damals die Nothwendigkeit, sich mit der Praxis und dem Leben vertraut zu machen. Wie er in Küstrin, wenn auch nicht ganz freiwillig, bei der dortigen Regierung in der Stellung eines jüngsten Rathes die Bedürfnisse des Landes, seine Hülfsquellen und seinen Mangel aus eigener Anschauung kennen lernte, so beschäftigte er sich in Rheinsberg angelegentlich mit seiner militärisch-praktischen Ausbildung, indem er das ihm von seinem Vater geschenkte, in dem benachbarten Ruppin garnisonirende Regiment auf eine möglichst hohe Stufe zu bringen suchte, was ihm auch gelang. Mit den Officieren desselben stand er in einem freundschaftlichen, fast cameradschaftlichen Verhältnisse, das sich besonders schön in dem von ihm gestifteten Bayardorden bekundete, dessen Mitglieder wie Bayard ritterliche Ehre und kriegerische Bildung zu ihrer Devise machten. Ihr Sinnbild war ein auf einem Lorbeerkranze liegender Degen mit der Umschrift: „Sans peur et sans reproche“, ihr Ordenszeichen, das sie nie ablegen durften, ein zu einem Ringe zusammengebogenes Schwert mit der Inschrift: „vivent les sans-quartier“. Zwölf Ritter versammelten sich an bestimmten Tagen in Rheinsberg unter ihrem Großmeister, der nicht der Kronprinz, sondern der wackere Fouqué war. Um jeden Standesunterschied zu beseitigen, führten die Mitglieder besondere Namen, die sich meist auf ihre Charaktereigenthümlichkeiten bezogen; so hieß Fouqué „le Chaste“, Friedrich selbst „le Constant“. Sämmtliche Ritter des Bayardordens blieben ihrer Devise treu und bewährten sich im ernsten Waffenspiel und in blutigen Schlachten als wirkliche „Chevaliers sans peur et sans reproche“.

So war das Leben in Rheinsberg beschaffen, so lange Friedrich daselbst verweilte. Einige Zeit nach seiner Thronbesteigung machte er die reizende Besitzung seinem Bruder Heinrich zum Geschenk, der bis zum Jahre 1802 daselbst ein nicht minder interessantes Leben führte, das der liebenswürdige Dichter Fontane ausführlich in seinen trefflichen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ schildert. – Nicht ohne Wehmuth scheiden wir aber von dem stattlichen Schlosse, das in seinen Mauern einst so viele edle und große Männer, so viele schöne und geistreiche Frauen und vor Allen den jugendlichen Friedrich gesehen, den die Welt mit Recht den Großen nennt. Ein eigener Zauber umschwebt noch immer den stillen See und den grünen Park; es ist, als ob sein Geist noch immer dort verweilt, als müßte er jeden Augenblick aus den schattigen Baumgruppen hervortreten und den Wanderer mit seinen blauen durchdringenden Augen ansehen. –

Max Ring.