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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Heine konnte nicht einmal einen schnöden Witz unterdrücken, und hatte er ein Bonmot gemacht, das sich für den Druck nicht eignete, so wiederholte er es so oft, bis es durch mündliche Verbreitung allgemein bekannt wurde. –

Wir kamen auf sein Buch über Börne zu sprechen. Ich sagte ihm, daß es allerdings sehr geistreich sei, daß aber die gehässigen Angriffe auf einen Mann, dem selbst dessen erbitterteste Feinde einen edeln Sinn und ein aufrichtiges Streben nicht absprechen konnten, sich durchaus nicht rechtfertigen lassen.

„Du lieber Gott!“ rief Heine, „wer Bücher schreibt, schwebt immer in Gefahr, große Dummheiten zu begehen. Trotz alledem,“ fügte er gleich hinzu, „ist besagtes Buch lange so schlecht nicht, wie man in meinem lieben Vaterlande behauptet.“

Er machte sich dann über die talentlosen Schriftsteller lustig, die mit ihrer Charakterfestigkeit prunken; die Antithese von Talent und Charakter gab ihm Stoff zu den drolligsten Bemerkungen.

„Sie haben vollkommen Recht,“ sagte ich, „der Talentlosigkeit zu spotten, die mit stolzen Phrasen um sich wirft; aber Sie haben doch mit Ihrer Satire im ‚Atta Troll‘ ein großes Unheil angerichtet. Früher nämlich meinten die talentlosen Schriftsteller, der Charakter ersetze das Talent; jetzt aber meinen die charakterlosen Schriftsteller, sie seien große Talente, blos weil sie charakterlos sind. Sie werden übrigens zugeben, daß alle großen Dichter bedeutende Charaktere waren. Dante, Milton, Molière, Lessing, Goethe und Schiller waren große Menschen. Lessing wird sogar durch seinen ebenso edeln wie festen Charakter eine hochpoetische Erscheinung. Der Charakter macht das Talent nicht; aber er giebt ihm Halt und Würde, regelt sein Schaffen und bürgert ihn im Herzen des Volkes ein, das am Ende die poetische Schöpfung von der Persönlichkeit des Poeten nicht trennen mag. Molière’s außerordentliche Popularität ist großentheils seiner Persönlichkeit zuzuschreiben, und so sitzt auch Schiller wegen seines edeln Charakters im Herzen unseres Volkes fest. Besonders ist das Publicum berechtigt, Charakterfestigkeit von denjenigen Schriftstellern zu verlangen, die sich im Kampfe für die Ideen des Fortschritts die ersten Sporen verdient haben. Das Volk trägt freudig sein Herz dem Schriftsteller entgegen, in welchem es den Ausdruck seiner Ansichten, seiner Hoffnungen findet; aber es entzieht ihm die Liebe, sobald es merkt, daß er den Lorbeerkranz um jeden Preis erhaschen will.“

„Das Volk selbst ist charakterlos,“ sagte Heine; „und es bekränzt die Dummheit ebenso leicht wie das Genie, ja noch leichter. Ich weiß etwas davon zu erzählen. – Nun, einstweilen liege ich hier eine Halbleiche und kämpfe den Zweikampf mit dem schwarzen Ritter Thanatos, der mich im Bewußtsein seines baldigen Sieges höhnisch angrinst.“

Er sprang bald in seiner lebhaften Weise auf andere Gegenstände über, und ich hatte Gelegenheit die Elasticität dieses reichen Geistes zu bewundern, der den Körper in Stücke zerfallen sah, ohne dadurch auch nur das Allergeringste von seiner Frische zu verlieren.

Heine wurde immer lebhafter. Er ließ viele unserer modernen Schriftsteller die Revue passiren, und es versteht sich von selbst, daß es bei dieser Gelegenheit nicht an scharfen Geißelhieben fehlte. Gutzkow namentlich mußte stark herhalten.

„Kommen Sie bald wieder!“ sagte er, als ich mich von ihm verabschiedete, „kommen Sie recht bald wieder! Jetzt haben Sie blos einige Schritte zu meiner Wohnung; wenn Sie aber zögern, werden Sie den langen schmutzigen Weg zum Kirchhofe Montmartre zurücklegen müssen, wo ich bereits eine Wohnung mit der Aussicht auf die Ewigkeit bestellt habe. Das wird eine schlecht möblirte Wohnung sein; aber die Nachbarschaft ist dort still und ruhig und wird meinen Schlaf nicht stören.“

Ich verließ einige Monate später Paris und habe ihn nicht wieder gesehen; doch war ich mit mehreren meiner Landsleute zugegen, als man ihn hinaustrug zur ewigen Ruhestätte. Es war an einem traurigen Februarmorgen. Die kahlen Ulmen in den Elyseeischen Feldern zitterten fröstelnd im Nebelwinde. Wir hatten uns in der Wohnung des Dichters versammelt, und als man die Todtenlade aus dem Zimmer brachte, in welchem er ausgerungen, erfaßte uns ein tiefer, unsäglicher Schmerz. Wir fühlten den großen Verlust, den Deutschland durch den Tod des Dichters erlitten. Unter den Franzosen, die mit uns den Leichnam begleiteten, befanden sich Mignet und Theophile Gautier. Auf dem Wege schloß sich uns Alexander Dumas an, der aus einem Fiaker den Leichenzug herankommen sah und Heine’s Tod erst an dessen Sarge erfuhr. Er stieg sogleich aus und folgte uns in sichtbarer Bestürzung auf den Kirchhof. Schweigend gingen wir hinter der Bahre einher und schweigend sahen wir den Sarg in die Gruft senken. Die Worte des Dichters:

Keine Messe wird man singen;
Keinen Kadosch wird man sagen.
Nichts gesagt und nichts gesungen
Wird an meinen Sterbetagen,

waren in Erfüllung gegangen. –

Man hat seitdem viel über Heine geschrieben, und sein Genie wird gewiß noch gar manche Federn in Bewegung setzen, wenn diejenigen längst vergessen sein werden, die von ihm behaupten, er habe sich zum Dichter gelogen. Heine litt an großen Schwächen. In fortwährender nervöser Aufregung, war er leicht zu verletzen und schonte Niemand, der ihn einmal auf den Fuß getreten. Er war auch in mancherlei Dingen eben nicht heikel, und es haften an seinem Charakter sehr dunkle Flecken. Sein Benehmen gegen Börne läßt sich durchaus nicht rechtfertigen, und seine Ausfälle gegen Frau Strauß sind geradezu erbärmlich. Er hat auch seine Ansichten über Personen oft gewechselt; allein in der Hauptsache ist er sich doch treu geblieben. Ein eifriger Kämpfer der revolutionären Idee im weitesten Sinne des Wortes, hatte er für dieselbe selbst auf seinem Todtenbette rüstig fortgekämpft. Er hat niemals um die Gunst der Gewaltigen gebuhlt; er hat nicht nach Titeln und Ordensbändern gehascht. Wie groß erscheint er trotz aller seiner Schwächen und Gebrechen, wenn man ihn mit seinen Widersachern vergleicht, die im Jahre des Heils 1848 rothe Cocarden an eingequetschten Filzhüten trugen, in Volksversammlungen ihre Mähne schüttelten, von der Weltrepublik wie Löwen brüllten und jetzt wie geschorene Hunde kriechen und wedeln!




„Die Perle des Salzburger Ländchens.“


(Mit Abbildung.)


So nennt nicht blos Alt und Jung im Ländchen selbst, sondern Jeder, dem die Ueberraschung zu Theil ward, von kundiger Hand dorthin geführt zu werden, den Zeller See und seine ebenso reizende wie großartige Umgebung. Ist es auch schon die Zeit eines Menschenalters her, daß ich diesen halbversteckten Alpenwinkel zum ersten Male betrat, so stehen die dort verlebten Stunden mir doch noch so frisch, wie erst gestern genossen, vor der Seele, und dies danke ich nicht blos dem Eindrucke jener Naturbilder, sondern auch dem Manne, welcher mir den Weg dorthin erschloß, der seitdem in der Alpen-Literatur einen berühmten Namen erworben, aber leider nur allzu früh dahingeschieden ist, meinem Landsmanne Adolf Schaubach.

Mit dem Studentenränzchen auf dem Rücken, war ich auf einer Tirolerreise auch in’s Salzburgische gerathen und hatte auf meinem Marsche von meiner letzten Nachtstation Mittersill eben Walchen passirt, als ich plötzlich hinter mir meinen Namen rufen hörte. Das Erstaunen über ein so seltsames Ereigniß riß mich von selbst herum, und siehe, da kam er daher in seiner ganzen lieben Gestalt, der Herr Professor von Meiningen, der in den Alpen besser zu Hause war, als die meisten Professoren der gesammten Alpenländer.

„Wohin?“ fragte er.

„Ich strebe gen Taxenbach,“ war meine Antwort.

„So? Und da geht’s wohl auf dem Allerweltsfahrwege schnurstracks so zu, ohne Aufenthalt? Oder haben Sie Lust, einen kleinen Abstecher nach linkshin mit mir zu machen?“

„Mit dem größten Vergnügen!“ – Und vorwärts ging’s. Aber wozu stöbere ich meine alten Tagebücher durch, um die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_748.jpg&oldid=- (Version vom 18.11.2018)