Überlinger Sagen (1889)
7 DER SCHARFRICHTER VON BAUFNANG
An der Straße von Überlingen nach Lippertsreute zweigt sich kurz vor leztgenanntem Orte in der Richtung gegen Salem ein Weg ab, welcher zunächst nach dem nahen Weiler Baufnang fürt. In dem von beiden Straßen gebildeten Winkel, abseits von Baufnang, lag ehedem das einsame Wonhaus des Scharfrichters; der Richtplaz mit Galgen aber war etwa ¼ Stunde südöstlich beim jezigen Bauerngut Berghof. Längst ist das Haus des Scharfrichters abgebrochen, stat dessen ward von den Nachkommen ein Wirtshaus näher an die Landstraße gebaut, welches zur Erinnerung an das Gewerbe der Uranen den Schild „zum Schwert“ fürt. Hier wurde auch noch biß in die lezte Zeit das Richtschwert aufbewart und dasselbe erst kürzlich von einem Antiquitätenhändler angekauft, welcher es außer Landes brachte.
Im vorigen Jarhundert wonte noch im alten Hause der Scharfrichter Fidel Krieger, welcher streng und gewißenhaft seines schaurigen Amtes waltete. Nachts ward er einmal mit der Aufforderung geweckt, „sein Schwert zu nemen und mitzukommen“. Mit verbundenen Augen ward er in eine Chaise gesezt, die mit im fortfur, er wußte nicht, wohin? Als nach geraumer Zeit die Chaise hielt und man im die Binde abnam, befand er sich in einem großen Gemach, wo eine Anzal Geistlicher versammelt waren. Hier ward im nun der Befel gegeben, merere Todesurteile zu vollstrecken. Alsdann ward Krieger wider mit verbundenen Augen in einen etwa viertelstundenlangen Gang gefürt, an dessen Ende eine Steinplatte sich öffnete. Nach Lösung der Binde erkannte er, daß er in einem unterirdischen Gewölbe war, vor sich 12 Mönche, die zum Tode Verurteilten. Nun vollzog er mit dem Richtschwert an Sämmtlichen das Todesurteil, wobei das vergoßene Blut seiner Opfer im biß an die Knöchel reichte. Den lezten Streich konnte er kaum vollenden, denn der dem Tode Geweihte nam, die Hände im Gebet faltend, sein Geschick mit solcher Sanftmut und Ergebung hin, daß der Scharfrichter von tiefstem Mitleid ergriffen ward. Auf gleiche Weise, wie Krieger gekommen, ward er wider heimgebracht, one jedoch erfaren zu haben, wer die Hingerichteten waren und was sie mit dem Tode gesünt. Auch später konnte er nie Näheres erforschen; nach seinem Dafürhalten aber geschah die Verkündigung des Todesurteils im Kloster Salem und die Hinrichtung in einem der unterirdischen Gänge, deren es von Salem biß gegen Heiligenberg und anderseits biß an den Heidenlocher Weiher [264] verschidene gibt. Auch in[WS 1] Baufnang und Umgegend glaubte man das.
Nach einer andern Mitteilung waren die Verurteilten nicht Klostergeistliche, sondern rebellische Bauern und ire Zal hundert, welche Tags vorher gefangen genommen und ins Kloster geschleppt, zum Tode verurteilt und in einem unterirdischen Gang enthauptet wurden biß auf den hundersten, dem man daz Leben schenkte.
Mündlich
Eine weitverbreitete Sage, aber immer wider mit örtlichen Eigentuemlichkeiten, ich nenne nur Hebels Hausfreund, Birlingers „Aus Schwaben“ II 449 ff. Alem. 9, 272. 13, 281.
8 DER SPUK AM KILLIWEIHER
Etwa eine halbe Stunde vom ehemaligen Zisterzienser-Kloster Salem entfernt ligt, ringsumgeben vom Walde, der Killiweiher mit einer Insel, auf der sich ein Jägerhaus mit Kapelle befindet. Hier sоll das Kloster in Kriegszeiten seine Schäze verborgen haben, denn unter der Kapelle sind, wie die Leute erzälen, verborgene Räumlichkeiten, auch der obere Brunnen habe in der Tiefe eine Türe, durch die man in ein großes unterirdisches Gewelbe gelangt.
Dicht am Ufer des Weihers zieht sich die Landstraße hin. Die einsame Lage, der dunkle Wald, der düstre Weiher mit seinem schwarzen Gewäßer machen auf den Wandrer einen unheimlichen Eindruck. Oft wurden Nachts Liechter gesehen, welche auf dem Waßerspiegel tanzten oder auch blizschnell über die Straße huschten, besonders in der St. Andreas – und St. Nikolausnacht wird Allerlei bemerkt und deshalb dann dise Straße von den Landleuten gemiden. Denn oft kam es vor, daß Leute, welche um dise Zeit am Killiweiher vorübergiengen, neben sich schwarze Gestalten sahen, die sie biß ans Ende des Waßers begleiteten, one jedoch etwas Leides zu tun. Manchen Personen gesellte sich auch ein schwarzer Mann one Kopf zu, mit einem Stecken in der Hand, und verschwand wider, da sie am Weiher vorüber waren. Oder ein Wandrer spürte im Vorübergehen eine schwere Last auf seinem Rücken. Einmal schritten zwei Reisende längs des Ufers hin; da war es dem Einen, als ob er zu Boden gedrückt würde, er stönte und schwizte und konnte kaum weiter kommen. „Komm doch – rief im sein voranschreitender Gefärte zu – in Gottes Namen!“ Da war derselbe von seiner Last plözlich befreit und konnte ganz leicht gehen.
Mündlich
[265] 9 DAS GRAB DES HUNNENKÖNIGS
In dem Überlingen Walde Sigmundshau, in der Nähe des uralten Hofguts Höllwangen, stet ein kegelförmiger Berg, mit einem Erdwall umgeben. Es ist diß ein sog. Ringwall oder eine Völkerburg und heißt noch jezt beim Volke nur „die Burg“. Wenn man auf dem Gipfel des Berges wandelt, tönt es unter den Füßen, als ob der ganze Berg hol wäre. In disem Berge ist das Grab des Hunnenkönigs. Der Leichnam ruht in einem Diamantsarge, welcher wider von einem goldenen Sarg umgeben ist; der goldene Sarg aber befindet sich in einem silbernem Sarg, der silberne in einem kupfernen, diser in einem zinnernen; dann folgt ein eiserner und zulezt ein eichener. So ist in 7 Särgen die Königsleiche verwart. Niemand aber kann die rechte Stelle finden, obgleich schon da und dort nachgegraben wurde. Denn diejenigen, welche das Grab gemacht, musten mit verbundenen Augen arbeiten, damit die Stätte nicht verraten wurde. Auch bei Winterlingen get die Sage.
Mündlich
10 DAS FRÄULEIN VON KARGECK UND DER RITTER VON HALDENBURG
(Hero und Leander am Bodensee)
Am jenseitigen Ufer des Überlingersees hebt sich vom waldigen Ufer ein steiler Fels ab, auf dem die Burg Kargeck gestanden. Vor vilen Jaren lebte auf diser Burg ein Ritter mit seiner Tochter Fortunate, welche den Besizer der gegenüberligenden Haldenburg liebte. Der Vater des Fräuleins aber wollte dise Minne nicht dulden, weshalb die Liebenden eine List ersannen um troz dem Verbot des Vaters zusammen zu kommen; jeden Abend, wenn das Burgfräulein allein war, stellte sie ein Liecht ans Fenster; sobald der Ritter von Haldenburg dises Zeichen sah, schwamm er über den See zu seiner Geliebten. Wenn dann der Himmel zu dämmern begann, kerte er auf gleiche Weise zurück. Lange gieng es so ganz gut. Als aber eines Morgens der Jüngling heimkeren wollte, überraschte in mitten auf dem See ein heftiger Sturm, vergebens kämpfte der Schwimmer gegen die gewaltigen Wogen; die Kräfte verließen in und die Fluten zogen in hinab. Nach kurzer Zeit gab der See sein Opfer zurück. Das Fräulein aber entsagte der Welt und gieng ins Kloster. Sie war die Lezte ires Stammes. Burg Kargeck ward im Bauernkrieg zerstört. (Diselbe Sage get auch von den disen benachbarten Burgen Bodmann und Hohenfels: ein Ritter von Hohenfels schwamm mit einem brennenden Liecht auf dem Kopf, als [266] Wegleuchte und zugleich als Signal, zu einem Fräulein von Bodmann über den See; einst aber ward er vom Sturme überrascht, welcher das Liecht ausleschte und den Ritter in der Tiefe begrub; das Fräulein nam den Schleier.)
Mündlich
Auch in XStaiger „die Stadt Überlingen“; Dr. Müller „die Mineralquell- und Seebade-Anstalten in Überlingen“; Dr. Magg „Grundrisse zu Holzschnitten“.
11 DAS TOTENGÄSSELE BEI BAMBERGEN
Von Bambergen fürt gegen das Pfarrdorf Owingen ein ziemlich steiles Sträßchen, welches das „Totengässele“ heißt. Diser Name stammt aus der Zeit, da die Pest herschte. Damals wurden die Toten, welche herumlagen, hier haufenweis hinaufgefaren nach dem Fridhof in Owingen. Der Umherligenden waren so vile, daß man one weitre Untersuchung und one Sarg alle zusammen auf den Wagen lud und fortschaffte. Bei einem solchen Leichentransport fiel einmal einer der Aufgeladenen vom Wagen; der Furmann, der es wol bemerkte, aber nicht anhalten wollte, fur weiter mit den Worten: „Den laßen wir ligen und nemen in morgen mit!“ Der Herabgestürzte war jedoch nur scheintot gewesen, kam wider zu sich, und am andern Morgen war der Furmann tot und ward nun von dem Totgeglaubten, welcher jezt dessen Stelle einnam, mit den übrigen Leichen das Gässele hinaufgefürt.
Nach Andern rürt der Name „Totengässele“ von einer Mordtat her. Oberhalb des Sträßchens stet ein verwitterter Stein, auf dem eine Schere eingemeißelt ist. Er soll zum Gedächtnis einer Näherin, die vor vilen Jaren auf disem Weg umgebracht ward, gesezt worden sein, und seither das Sträßlein „Totengässele“ heißen.
Mündlich
12 DER WILDERER AM HEIDENLOCHER-WEIHER
Eine Stunde nordöstlich von Überlingen ligt der Heidenlocher-Weiher in einem enggeschloßenen Waldtal, an dessen Südostseite der Molasse-Sandstein als hohe mit Gestrüpp und Tannen bedeckte Felswand sich erhebt, wärend auf der andern Seite der mäßig ansteigende Forst sich hinzieht. Der Weiher wird mit dem anstoßenden Sumpf vom sog. „Hennenbach“ bewäßert. In obengenannter Felswand sind 2 Löcher bemerkbar, welche die Eingänge zu 2 viereckigen kammergroßen Hölen, „Heidenlöchern“, bilden, dem kleinen und dem [267] großen Heidenloch, woher der Weiher seinen Namen hat. Über Ursprung und Zweck der Hölen ist nichts bekannt.
Einst hauste hier ein berüchtigter Wilddieb; er stellte im Walde dem Wilde nach, fieng im Weiher Fische und war überall gefürchtet. So trib er lange sein Unwesen, biß er erschoßen ward. Nach seinem Tode muste er umgen. Man siht bißweilen einen nackten Mann aus dem Waßer auftauchen oder im Walde jagen. Sobald man in aber erblickt, ist er verschwunden. Seitdem die neue Landstraße, welche am Ufer des Weihers vorüberfürt, erstellt worden, hat man jedoch von der Erscheinung nichts mehr gehört.
Mündlich
ÜBERLINGEN | THEODOR LACHMANN |
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: iu
Die Einzeltexte finden sich unter: