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ADB:Bachstrom, Johann Friedrich

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Artikel „Bachstrom, Johann Friedrich“ von Hermann Ullrich in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 664–667, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bachstrom,_Johann_Friedrich&oldid=- (Version vom 14. November 2024, 00:59 Uhr UTC)
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Bachstrom *): Johann Friedrich B. (Bachstrohm) wurde geboren am 24. December 1686 als Sohn des Goldschmieds Heinrich B. zu Rawitsch im heutigen Posen. Seine Erziehungsgeschichte wie überhaupt sein ganzer Lebenslauf sind nur unsicher zu erhellen gewesen. Sicher ist, daß er 19jährig als Schüler in das St. Elisabeth-Gymnasium zu Breslau aufgenommen wurde und dieses bis etwa Michaelis 1709 besuchte. Die Verhältnisse des Elternhauses, nicht eigene Neigung, waren es wohl, die ihn zur Theologie führten. Aber hier schon bekundete er eine große Klarheit des Urtheils, insofern nämlich, als er sich nicht dem strengen Lutherthum, das in ödem Wortgezänk um Inhalt und Bedeutung des protestantischen Lehrbegriffes verknöchert war, anschloß, sich aber ebenso von der Gefühlsschwelgerei des Pietismus abgestoßen fühlte und sich statt dessen zu der vermittelnden Richtung, wie sie Johann Franz Buddeus in Jena vertrat, hingezogen fühlte und daher sich in Jena immatrikuliren ließ (28. März 1710). Schon hier müssen ihn neben seinem Brotstudium die Naturwissenschaften gefesselt und er muß beispielsweise auch medicinische Collegien gehört haben, andernfalls wäre seine später erfolgte Promotion zum Doctor medicinae (De plica polonica. Hafniae 1723) nicht zu erklären. Nach Beendigung seines Studiums bekleidete er im Kirchspiel Stroppen in Schlesien eine Informatorstelle. Ins Fürstenthum Oels als Geistlicher gewählt, wurde er vom dortigen Consistorium nicht bestätigt, erhielt aber dafür eine ehrenvolle Berufung als Professor extraordinarius an das in hohem Ansehen stehende Gymnasium zu Thorn. Hier erregte er durch scharfe Angriffe auf die verrotteten geistlichen Zustände der Stadt Aergerniß und Unruhen und wurde durch den Rath von seinem Amte suspendirt. Am 7. Juni 1720 schied er gänzlich von Thorn, um eine Predigerstelle in Wengrow zu übernehmen, wurde aber, sammt einem Amtsgenossen, durch die Jesuiten vertrieben (1724) und begab sich in den Schutz der preußischen Gesandtschaft in Warschau. Von hier verfolgte er mit lebhaftester Theilnahme die Vorgänge in Thorn und machte den beiden Gesandten Preußens, Bogislaw v. Schwerin, dem gewöhnlichen Bevollmächtigten des preußischen Hofes, und Kurd Christoph v. Schwerin, dem Specialgesandten für den polnischen Reichstag, den Vorschlag, er wolle den Rath zu Thorn veranlassen, die Stadt unter preußischen Schutz zu stellen, um dadurch das drohende Bluturtheil gegen die von den Jesuiten gefangen Gesetzten abzuwehren; ein Vorschlag, den der jüngere Schwerin feurig aufgriff, dem aber die damals so schwache preußische Politik keine Folge gab. Jener Vorschlag sollte aber nun die Quelle des unversöhnlichen Hasses der Jesuiten gegen B. werden, der ihn überallhin verfolgte. In Warschau war es, wo B. außer der Bekanntschaft der beiden Schwerin, die ihn beide hochschätzten, auch die des Generalfeldmarschalls und (evangelischen) obersten Staatsministers von August II., des Reichsgrafen v. Flemming machte, der ihm ebenfalls ein Gönner wurde, aber schon 1728 starb. Mehr und mehr hatte sich B. in diesem Zeitraume den Naturwissenschaften zugewandt, ohne deshalb der Theologie untreu zu werden. Wichtige theologische Fragen fanden ihn vielmehr stets auf dem Posten, so z. B. die Union der christlichen Bekenntnisse; wie diese dem großen Leibniz Jahre hindurch eine Herzenssache blieb, so widmete ihr B. die anonyme, aber von mir identificirte Schrift: „Liebreiche Vereinigung der drey Hauptreligionen“ (Friedensburg [Görlitz] 1731). Aus jenen zwanziger Jahren stammt außer seiner Doctordissertation noch eine anscheinend gänzlich verschollene „Tractatio de lue aphrodisiaca“, die in den fünfziger Jahren noch einmal in Venedig aufgelegt worden sein [665] soll, endlich seine „Exercitatio sive Specimen de causa gravitatis cui adjecta sunt nonnulla de originibus rerum tam quam fundamenta physices novae antatheisticae“ (1728).

Von 1729 bis etwa 1731 finden wir B. in Constantinopel eifrig thätig für die Ausbreitung des Christenthums und allgemeiner Bildung unter den Türken, die Begründung einer Druckerei und die Einrichtung einer wissenschaftlichen Akademie. Diese Thätigkeit, obwohl nicht im einzelnen zu controlliren, ist doch von mehreren seiner Zeitgenossen genügend bezeugt, um ihm ein Anrecht auf eine Stelle in der Geschichte der Aufklärung der Türkei zu geben. Die Gründung einer Akademie kam nicht über das bloße Project hinaus, denn als er im Begriffe war, in Schlesien Mitarbeiter für jenes Project zu gewinnen, wurde er auf Anstiften der Jesuiten in Warschau unter der Beschuldigung des Landesverraths gefangen gesetzt. Es gelang ihm zwar, seine Unschuld darzuthun, aber um seine Wirksamkeit in der Türkei war es geschehen.

Die nun folgenden Jahre etwa bis Ende 1786[1] sind die äußerlich und innerlich ruhelosesten seines Lebens. Wie sein Aufenthalt damals zwischen Breslau, Görlitz, Freiberg i. S. und Dresden wechselte, von mehreren wissenschaftlichen Excursionen in das Riesengebirge und Erzgebirge nicht zu reden, so ist sein beweglicher Geist unaufhörlich mit theologischen, medicinischen und physikalischen Fragen beschäftigt. Seine theologischen sind entweder der Ehrenrettung des pietistischen Aufklärers Johann Konrad Dippel gewidmet („Christianus Democritus Redivivus d. i. der zwar gestorbene, aber in seinen Schriften noch lebende und nimmer sterbende Dippel in einem summarischen Auszuge seiner theologischen Schriften“, Altona 1735) oder sie streben nach einem gründlicheren Verständniß des biblischen Grundtextes („Gründliche Anweisung oder Regeln wie man die Weissagungen der Heiligen Schrift überhaupt recht verstehen … soll. Aus der Frantzös. Sprache übersetzt“, Frankfurt und Leipzig 1735; „Die Deutlichkeit und Klarheit als das wichtigste Kennzeichen der göttlichen Wahrheit durch Uebersetzung und Erklärung des 12., 13. u. 14. Cap. aus dem 1. Briefe St. Pauli an die Corinther“, Frankfurt und Leipzig 1735) oder sie erörtern, zuweilen mit scharfer Polemik Probleme der Dogmatik („Christiani Democriti Redivivi Umständliche Erzehlung wie es mit seinem vermeinten Tode zugegangen sey und wie er nebst seiner neuen Gesellschaft jetzt in seiner Einsamkeit den Fall Adams und Ursprung der Sünde und alles Bösen gantz anders und besser als vormahls eingesehen“, 1736; „Christiani Democriti Redivivi Mystisches Paradies oder nachdenklicher und sinnreicher, bishero aber allen fleischlichen Geistlichen fest verschlossener und verriegelter Lust-Garten des menschlichen Lebens“ etc., 1736). Wenn Dippel die Grenzen des mystischen Pietismus nie überschritten hat, so geht B. durch eine Combination pietistischer und Wolff’scher Ideen bewußt und grundsätzlich darüber hinaus. Sein feuriger Geist wurde durch eine in den Anfang dieser Periode fallende Reise nach Holland und England noch mehr beflügelt. So weit ihn seine Mittel dabei unterstützten, hat er alles Wissenswürdige und Kennenswürdige in Augenschein genommen. Natürlich waren es vorzugsweise Probleme der Naturwissenschaft, die ihm hier entgegentraten und an deren Lösung er in den folgenden Jahren herantrat („Nova aestus marini theoria ex principiis physico-mathematicis detecta et delucidata. Cui accedit examen acus magneticae spiralis quae a declinatione et inclinatione libera esse creditur“, Lugduni Batavorum 1734; „Observationes circa scorbutum“ etc., ibid. 1734). Ebenfalls damals beschäftigte ihn der Versuch eines auf physikalische Principien gegründeten Schwimmapparats, [666] dessen Beschreibung nach vielem Experimentiren aber erst eine Reihe von Jahren später herauskam („L’Art de nager“, Amsterdam 1741). Mehr und mehr nahmen die Probleme der Bergwissenschaft seine Aufmerksamkeit in Anspruch; der Beschäftigung mit ihnen gelten mehrfache Reisen ins Schlesische Gebirge, und dieser Beschäftigung verdankte er zweifellos auch die ihn fördernde und beglückende Bekanntschaft mit dem Bergrath J. Fr. Henkel in Freiberg i. S. Seine Briefe an diesen, vom März 1733 bis zum Weihnachtstage 1741 reichend, sind uns in Auszügen erhalten.

In jene so bewegten Jahre fällt auch ein beachtenswerther Versuch Bachstrom’s, nicht nur die Mädchenbildung nach ihrem allgemeinen Charakter zu fördern, wozu schon mehrere Anläufe vorlagen, sondern den Mädchen auch eine bestimmte Fachbildung, und zwar die medicinische, zu erschließen. Wie in allen seinen Bestrebungen, so begnügte er sich auch hier nicht mit theoretischen Aufstellungen, sondern lieferte den Beweis für die Ausführbarkeit seines Projectes durch die Ausbildung seiner beiden, 10 und 12 Jahre alten, Töchter in allen Fächern der allgemeinen Bildung und in den speciell medicinischen. Er scheiterte aber in seinem Bemühen, seinen Töchtern noch den Besuch einer Universität zu eröffnen, von Halle sowohl wie von Leipzig wurde er mit seinem Gesuche abgewiesen.

Als sich für ihn selbst im Vaterlande keine Verwendung finden wollte, folgte er dem Antrage der Familie Radziwill in Litauen, den jüngeren Prinzen Hieronymus von einem Sprachfehler zu heilen. Ehe er Deutschland verließ, gab er, gewissermaßen als Abschluß seiner Schriftstellerei (die später erschienenen, zwei Uebersetzungen und die Schrift über seinen Schwimmapparat, sind zweifellos früher entstanden) sein bestes Werk, ein der schönen Litteratur angehörendees, heraus, betitelt: „Das bey zwey hundert Jahr lang unbekannte, nunmehro aber entdeckte vortreffliche Land der Inquiraner . . nach allen seinen Sitten, Gebräuchen, Ordnungen, Gottesdienst, Wissenschaften, Künsten, Vortheilen und Einrichtungen umständlich beschrieben . . Von A. B. C.“, Franckfurt u. Leipzig [Breslau] 1736–1737, 2 Theile. Es ist eine der im 17. und 18. Jahrhundert so zahlreich auftauchenden Utopien mit vorausgeschickter Robinsonade und zweifellos eine der besten der ganzen Gattung einmal durch den Reichthum der Erfindung und dann durch die Lessing vorwegnehmende Unbefangenheit, mit der hier ein Menschenthum über allen Religionen verkündet wird, daneben noch wegen der für jene Zeit auffallenden Reinheit der Sprache. Leider liegen im Druck nur zwei Theile vor, das Erscheinen einer Fortsetzung, die in der Handschrift bereits vorhanden gewesen zu sein scheint, hat offenbar der durch das herrschende theologische System geübte Einfluß zu verhindern gewußt. Daß B. der Verfasser ist, habe ich über allen Zweifel hinaus festgestellt.

Infolge jenes Antrags der Familie Radziwill siedelte nun B. etwa zu Anfang des Jahres 1737 nach Litauen über, wo er, von einigen Reisen abgesehen, den Rest seines Lebens zubrachte. Als die ihm übertragene Cur nach Verlauf von etwa drei Jahren gelungen war – Bachstrom’s Verfahren war ein ganz modernes, eine Gymnastik der Stimme –, blieb er, angezogen durch die industriellen Unternehmungen der Fürstin (Prinzessin Anna, geb. Sangusko, Wittwe von Karl I. Stanislas) in ihren und des Prinzen Hieronymus (geb. 1715) Diensten, vorzugsweise beschäftigt mit der Technik der Porzellan- und Glasfabrikation, und war anscheinend nicht ohne Erfolg bemüht, die in Sachsen ängstlich gehütete Fabrikationsweise des Porzellans nachzuerfinden. Obwohl von dieser Thätigkeit befriedigt und in materiell zufriedenstellender Lage, trieb es ihn immer stärker hinweg, und zwar nach Constantinopel, wo [667] er hoffte, die abgebrochenen Beziehungen von früher neu anknüpfen zu können und vor allem frei von jedem Geistesdruck zu leben, wie er in dem gänzlich den Jesuiten ausgelieferten Litauen auf ihm lastete. Seine Bemühungen, mit Constantinopel wieder anzuknüpfen, wurden lebhafter, als, vielleicht infolge einer Indiscretion Bachstrom’s (der junge Prinz lag in Scheidung mit seiner Gemahlin) eine Entfremdung zwischen ihm und dem Prinzen entstanden war, und nun bedurfte es bei dem grausamen und rachsüchtigen Charakter des Prinzen nur der Schürung des Zwistes durch dessen liebedienerische Umgebung – genannt wird vorzugsweise ein jesuitischer Priester Riancour, vielleicht der Beichtvater des Prinzen –, um den ersten besten Anlaß zu einem Vorgehen gegen B. zu benutzen. Den Anlaß gab B. durch seinen Briefwechsel mit der Türkei. Einige von den Spähern des Prinzen aufgefangene Briefe Bachstrom’s mußten als Unterlage für eine Anklage auf Hochverrath dienen und berechtigten anscheinend den Prinzen, Bachstrom an Händen und Füßen gefesselt gefangen zu setzen. Hier im Gefängniß wurde er eines Tages (Juni 1742) todt gefunden, sei es, daß er, einen schmählichen Tod voraussehend, selbst Hand an sich gelegt hat oder daß einer der Untergebenen des Prinzen, einem halben Wink des Gebieters gehorchend, B. aus dem Wege geräumt hat. Eine etwa zwanzig Jahre später von Bachstrom’s Hinterbliebenen angestellte Restitutionsklage that seine völlige Unschuld dar und ergab besonders die Anschuldigungen jenes Priesters als Verleumdungen.

B. hat ein Anrecht auf die Erinnerung der Nachwelt aus verschiedenen Gründen, einmal als Fortsetzer der universellen Bestrebungen eines Leibniz in seiner zum Inneren der Dinge dringenden Forschungsweise, ferner wegen der hohen, würdigen Stellung, die er in religiösen Fragen einnimmt; im besonderen wegen seiner Bemühungen um die Förderung der exakten Wissenschaften und mehrerer Zweige der Technik, sodann wegen seiner Verdienste um die Civilisation der Türkei und wegen des ersten Versuches, den Frauen einen männlichen Beruf zu erschließen. Zu seinen Gönnern und Freunden zählte er die beiden Grafen Schwerin, den Reichsgrafen v. Flemming, den sächsischen Hofprediger Marperger, den ebenfalls sächsischen Historiker Glafey, den sächsisch-polnischen Commissionsrath Jahn, einen großen Freund der Wissenschaften, des letzteren Schwiegervater, den Pastor und Inspector Oertel zu Marienberg i. S., den Rector Christian Stieff in Breslau und den Bergrath J. F. Henkel in Freiberg.

Joh. Gottlob Dunkel, Gesammelter Briefwechsel der Gelehrten etc. Hamburg 1751, S. 248–249, auch in desselben Historisch-kritischen Nachrichten von verstorbenen Gelehrten. Cöthen 1753, S. 584. – Großes Vollständiges Universal-Lexikon von Zedler. Supplemente, Bd. II. Leipzig 1751, Sp. 1167–1168. – Jöcher-Adelung, Gelehrtenlexikon 1784–1787. – Archiv zur neueren Geschichte, Geographie, Natur- und Menschenkenntniß von J. Bernouilli. Theil VII, Leipzig 1787, 271–322. – Hermann Ullrich, Johann Friedrich Bachstrom. Ein Gelehrtenleben aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. (Mit genauem Verzeichniß von Bachstrom’s Schriften): Euphorion, Zeitschrift f. Literaturgeschichte, herausgegeben von A. Sauer. Bd. XVI, 1909/1910.

[664] *) Zu Bd. XLVI, S. 174.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. Bachstrom, Joh. Frdr. LV 665 Z. 16 v. o. l.: 1736 (statt 1786). [Bd. 56, S. 395]