Zum Inhalt springen

ADB:Beissel, Johann Konrad

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Beissel, Konrad“ von Viktor Hantzsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 341–344, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Beissel,_Johann_Konrad&oldid=- (Version vom 13. November 2024, 23:39 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Beisbarth, Karl
Band 46 (1902), S. 341–344 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Conrad Beissel in der Wikipedia
Johann Conrad Beissel in Wikidata
GND-Nummer 118997262
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|46|341|344|Beissel, Konrad|Viktor Hantzsch|ADB:Beissel, Johann Konrad}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118997262}}    

Beissel: Johann Konrad B., Mystiker und Sectenstifter, einer der deutschen Pilgerväter in den Vereinigten Staaten, wurde 1690 zu Eberbach in der Pfalz als Sohn eines trunksüchtigen Bäckers geboren. Nach dem frühzeitigen Tode beider Eltern verlebte er seine Jugend in sehr kümmerlichen Verhältnissen und eignete sich nur eine sehr mangelhafte Elementarbildung an. Er erlernte dann das Bäckerhandwerk und trieb sich als wandernder Geselle jahrelang in ganz Süddeutschland umher. Auf diesen Fahrten kam er oft in Berührung mit dem damals in Schwaben und in der Pfalz namentlich in Handwerkerkreisen üppig wuchernden Sectenthum. Der häufige Verkehr mit Separatisten der verschiedenartigsten Richtungen und Schattirungen veranlaßte ihn, sich eingehend mit dem Studium der Bibel, sowie mit den Schriften Jakob Böhme’s, Johann Georg Gichtel’s und anderer Schwärmer zu beschäftigen. Infolge seiner [342] überaus regen Phantasie gelang es ihm bald, ein neues System der christlichen Lehre zu ersinnen, das er für das Erzeugniß einer übernatürlichen Inspiration hielt, umsomehr als er wegen seiner ungenügenden Bildung die Schwächen und inneren logischen Widersprüche desselben nicht zu durchschauen vermochte. Er trat nun als Erweckter auf, verbreitete seine Ansichten in den Conventikeln der Separatisten, bei denen ihm seine große natürliche Beredsamkeit bedeutendes Ansehen verschaffte, und ließ sich endlich in Heidelberg nieder. Da er aber hier durch Veranstaltung religiöser Versammlungen der Geistlichkeit lästig fiel, wurde er verhaftet und als Pietist ausgewiesen. Er begann nun wieder sein unruhiges Wanderleben und knüpfte persönliche und briefliche Verbindungen mit Sectirern der verschiedensten Bekenntnisse, insbesondere mit den Schwärmern in den Grafschaften Wittgenstein, Berleburg und Isenburg, sowie mit der 1708 durch Alexander Mack zu Schwarzenau in Hessen begründeten Dunkergemeinde[WS 1] an. Da ihm die wiedertäuferische Lehre der letzteren besonders zusagte, suchte er sie auf seinen Wanderungen nach Kräften zu verbreiten, doch gerieth er dadurch häufig in Conflicte mit den geistlichen und weltlichen Behörden, die ihm das Leben derart verbitterten, daß er 1720 beschloß, gemeinsam mit einer Schar von Dunkern nach Pennsylvanien, dem Lande uneingeschränkter Glaubensfreiheit auszuwandern. Er kam glücklich in Philadelphia an, verweilte aber nicht lange, sondern schloß sich der deutschen Dunkergemeinde in dem nahen Germantown an und ernährte sich daselbst durch Handarbeit. Da er jedoch bald durch seine Vorliebe für alttestamentliche Gesetzesstrenge mit seinen Genossen in Zwiespalt gerieth, verließ er sie, zog sich ganz in die Einsamkeit zurück und erbaute sich am Mühlbach (Mill Creek) in Lancaster County eine Hütte. Hier gewann er durch andauernde Beschäftigung mit dem mosaischen Gesetze und durch neue Inspirationen die Ueberzeugung, daß die Christen gleich den Juden nicht den Sonntag, sondern den Sabbath feiern müßten. Nachdem er längere Zeit in völliger Abgeschiedenheit gelebt hatte, erfaßte ihn die Sehnsucht nach religiöser Gemeinschaft. Er zog deshalb nach Bohemia Manor in Cecil County, Maryland, um sich hier der communistisch lebenden Mystikersecte der Labadisten anzuschließen. Doch fand er sich bald enttäuscht und begab sich deshalb wieder nach seiner Einsiedelei am Mühlbach. Hier kam die Erleuchtung über ihn, daß Ehelosigkeit und Klosterleben am sichersten zur Seligkeit führten, und er bemühte sich deshalb, sein Leben nach dem Vorbilde der alten christlichen Asketen in der thebaischen Wüste einzurichten. Der Ruf seines gottseligen Wandels verbreitete sich bald in der ganzen Gegend und gelangte auch zu den Dunkern von Germantown. Diese schickten alsbald Gesandte zu ihm, um ihn zur Rückkehr in ihre Gemeinde einzuladen. Er folgte dieser Aufforderung, verursachte jedoch bald durch seine Lehre von der Nothwendigkeit der alttestamentlichen Sabbathfeier eine Spaltung in der Secte. Um allen Anfeindungen zu entgehen, zog er mit seinen Anhängern aus und gründete 1725 am Flusse Conestoga eine neue Ansiedelung, die er mit Umsicht und Geschick organisirte und der er 7 Jahre lang als Leiter vorstand. Diese Separatisten nannten sich Neudunker oder Siebentäger. Sie führten ein sittenstrenges Leben, feierten ihren Gottesdienst am Sonnabend und empfahlen die Ehelosigkeit, ohne sie indeß unbedingt zu fordern. Um diese Zeit begann B. seine litterarische Thätigkeit. 1728 gab er „99 mystische Sprüche“ zur Verherrlichung des Einsiedlerlebens, sowie ein „Büchlein vom Sabbath“ heraus, in welchem er alle Gründe für die Feier des 7. Tages zusammenstellte. 1730 ließ er bei Benjamin Franklin in Philadelphia unter dem Titel „Göttliche Liebes- und Lobes-Gethöne“ ein zum Theil von ihm selbst verfaßtes Gesangbuch für die neue Gemeinde und ein „Ehebüchlein“ drucken, in dem er das Cölibat verherrlichte und für verdienstlich erklärte. Da [343] diese Lehre aber vielen seiner Anhänger mißfiel, kam es abermals zu Streitigkeiten. B. legte deshalb 1732 sein Vorsteheramt nieder und zog sich nach der 8 Meilen weiter nördlich gelegenen Schlangenhöhle am Flusse Cocalico zurück. Als ihm seine Freunde auch hierher folgten, erbaute er mit ihrer Hülfe das Kloster Ephrata in Lancaster County, Pennsylvanien, das bald ein Sammelpunkt von Schwärmern beiderlei Geschlechts wurde, die hier in Ehelosigkeit lebten, ohne jedoch durch dauernde Gelübde gebunden zu sein. Die Gemeindeglieder nannten sich zionitische Brüder und Schwestern und führten unter Beissel’s Leitung nach den Grundsätzen des Communismus ein streng asketisches arbeitsames Leben, das allerdings nicht ohne sittliche Verirrungen blieb. Sie trugen ein genau vorgeschriebenes weißes Ordensgewand, zeitweise auch eine Tonsur, lebten als Vegetarianer und Temperenzler, nahmen ihre Mahlzeiten gemeinsam ein, betrieben verschiedene Handwerke und die Buchdruckerei, pflegten Dichtkunst und Gesang, hielten das Privateigentum für sündlich, feierten mit alttestamentlicher Strenge den Sabbath und tauften sich jährlich von neuem zum Zeichen der Sündenvergebung. Um jede Beziehung zu ihrem früheren Weltleben abzubrechen, nahmen sie beim Eintritt ins Kloster einen neuen Namen an. B. hieß Vater Friedsam Gottrecht. Als Vorsteher der Gemeinde entfaltete er eine äußerst vielseitige Thätigkeit. Er hielt die Gottesdienste ab, leitete mit ausgezeichnetem Geschick den Gesangsunterricht der Brüder und Schwestern, componirte zahlreiche Choräle und Hymnen und dichtete mehrere hundert zum Theil sehr lange, für den Gebrauch seiner Anhänger bestimmte geistliche Lieder. Diese wurden gemeinsam mit den poetischen Erzeugnissen anderer Gemeindeglieder in verschiedenen umfangreichen Gesangbüchern unter den Titeln „Vorspiele der neuen Welt“ (1732), „Jacobs Kampff und Ritterplatz“ (1736, diese beiden bei Benjamin Franklin in Philadelphia), „Zionitischer Weyrauchs-Hügel oder Myrrhen-Berg, worinnen allerley liebliches und wohlriechendes nach Apotheker-Kunst zubereitetes Rauch-Werk zu finden, bestehend aus allerley Liebes-Würckungen“ (1739, bei Christoph Sauer in Germantown), „Das Gesäng der einsamen und verlassenen Turteltaube, nemlich der christlichen Kirche“ (1747), „Nachklang zum Gesäng der einsamen Turteltaube“ (1755), „Neu vermehrtes Gesäng der einsamen Turteltaube“ (1762) und „Paradiesisches Wunderspiel“ (1766, diese letzteren sämmtlich im Kloster Ephrata gedruckt), vereinigt. Die meisten dieser Lieder Beissel’s sind inhaltsarme handwerksmäßige Reimereien von ermüdender Weitschweifigkeit, unerträglicher Plattheit, widernatürlicher Süßlichkeit und schwülstiger Phrasenhaftigkeit. Trotzdem fanden sie den vollen Beifall seiner Anhänger, ebenso wie seine zahlreichen mystischen Tractate, die er als „Urständliche und erfahrungsvolle hohe Zeugnüsse“ (1745), „Theosophische Lectionen“ (1752) und als „Dissertation on Man’s Fall“ (1765) im Kloster drucken ließ. Seine geistlichen Reden erschienen als „Deliciae Ephratenses“ erst nach seinem Tode 1773. B. starb am 6. Juli 1768 in Ephrata. Er war trotz seiner mangelhaften Bildung ein Mann von hoher Begabung und ungewöhnlicher Energie, so daß sich die meisten seiner Anhänger seinem Willen unbedingt beugten. Sein Ziel war, dem Christenthum eine neue Form zu geben, deren Grundlagen die Dogmatik der Dunker, die Mystik Jakob Böhme’s, die Askese der thebaischen Einsiedler und die Sabbathfeier des alten Bundes bilden sollten. Seine Bestrebungen erregten nicht nur in Amerika, sondern auch in Europa Aufsehen, so daß sich selbst Voltaire in seinem philosophischen Wörterbuch mit ihnen beschäftigte. Nach seinem Tode verfiel sein Werk. Die Klosterbrüderschaft erhielt sich zwar noch einige Jahrzehnte hindurch, löste sich aber 1814 endgültig auf. Eine Ansiedlung der von ihm gegründeten Siebentäger findet sich noch heute in Snowhill, Franklin County, Pennsylvanien.

[344] Die Hauptquelle für Beissel’s Leben ist das 1786 in Ephrata gedruckte Chronicon Ephratense. Kurze Auszüge daraus finden sich bei Löher, Geschichte und Zustände der Deutschen in Amerika, Cincinnati 1847, S. 119 bis 124, ausführlichere bei Seidensticker, Bilder aus der deutsch-pennsylvanischen Geschichte, New-York 1885, S. 167–250.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. von dunken, tunken: gemeint ist die Taufe durch Untertauchen



Download der Sprachversion dieses Artikels Dieser Quellentext existiert auch als Audiodatei, gesprochen von Liondancer. (Mehr Informationen zum Projekt Gesprochene Wikisource)

Datei speichern | Lizenz