ADB:Brockhaus, Hermann
Friedrich Arnold B. hatte 1805 in Amsterdam unter der Firma Rohloff & Comp. jene deutsche Verlagsbuchhandlung begründet, die nachmals unter der Firma F. A. Brockhaus einen Weltruf erlangen sollte. Hermann war sechs Jahre jünger als sein ältester Bruder Friedrich und zwei Jahre jünger als sein Bruder Heinrich. Als die Mutter 1810 starb, wurde der vierjährige Knabe nach Dortmund, dem Heimathsorte seines Vaters, in das Haus seines Onkels gebracht, während der Vater selbst der schlechten Zeitverhältnisse wegen sein Amsterdamer Geschäft auflöste und in Altenburg i./S. zur Neugründung des Verlagsgeschäftes schritt. In Dortmund erhielt Hermann B. den ersten Unterricht, kehrte jedoch 1814 wieder in das Vaterhaus zurück, wo er durch Privatunterricht weitergebildet wurde. 1817 siedelte das Verlagsgeschäft, das seit 1814 unter der Firma F. A. Brockhaus infolge glücklicher litterarischer Unternehmungen einen großen Aufschwung genommen hatte, von Altenburg nach der Metropole des deutschen Buchhandels, nach Leipzig über. Damals wurde Hermann der Pensions- und Erziehungsanstalt zu Wackerbartsruhe bei Dresden anvertraut, die unter Leitung des tüchtigen Pädagogen Friedrich Karl Lang – als Jugendschriftsteller bekannt unter den beiden Namen Lindemann und Hirschmann – Söhne gebildeter Familien aufnahm und sich eines wohlverdienten Rufes erfreute. Hier in dem Schlosse, das sich voreinst der Generalfeldmarschall Graf v. Wackerbart auf seinem Weinberge bei Kötzschenbroda im Elbthale erbaut hatte, brachte Hermann drei Jahre ungetrübten Jugendglückes zu, vereint mit seinem Bruder Heinrich, der bereits ein Jahr früher eingetreten war, und gedieh geistig und leiblich aufs erfreulichste. Nachdem er das 14. Lebensjahr erreicht hatte, wurde er zum Zwecke weiterer Ausbildung Ostern 1820 dem Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin übergeben, besuchte diese Schule jedoch nur bis Michaelis 1821, da er nach dem Willen des Vaters in das Leipziger Verlagsgeschäft als Lehrling [264] eintreten sollte. So geschah es auch; doch dauerte diese Lehrzeit nur wenige Monate, und bereits Ostern 1823 wurde er unter Zustimmung des Vaters, der bald darauf (20. August) starb, in die Prima des Gymnasiums zu Altenburg aufgenommen, das damals unter Matthiä’s Leitung blühte. Im folgenden Schuljahre durchlief er die Selecta und konnte Ostern 1825 mit dem Zeugnisse der Reife versehen, die Universität Leipzig beziehen, um sich dem Sprachstudium zu widmen, zu dem Lust und glänzende Beanlagung ihn von vornherein bestimmten. Seine Mitschüler waren in Altenburg u. A. Löbe und Conon von der Gabelentz gewesen, mit letzterem verband ihn auch für die Folgezeit ein treulich gepflegter litterarischer Freundschaftsverkehr.
Brockhaus: Hermann B., hervorragender Orientalist, namentlich Indolog, geboren am 28. Januar 1806 zu Amsterdam, † am 5. Januar 1877 zu Leipzig. Sein VaterAuf dem Gebiete der Philologie vollzog sich damals jener große Wandlungs- und Gährungsproceß, der mit der Begründung eines ganz neuen Wissens, der Sprachwissenschaft, enden sollte. Unter den Anregungen der romantischen Dichtkunst hatte Friedrich v. Schlegel 1807 sein Buch „Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Ein Beitrag zur Begründung der Alterthumskunde“, veröffentlicht, in dem sich zum ersten Male der Ausdruck „vergleichende Grammatik“ findet. Sein Bruder, August Wilhelm v. Schlegel, war 1818 an die neubegründete Universität Bonn als Lehrer des Sanskrit berufen worden und hatte bald darauf das Programm der neuen Wissenschaft in dem die „Indische Bibliothek“ einleitenden Aufsatze „Ueber den gegenwärtigen Zustand der Indischen Philologie“ entrollt. Endlich hatte bereits 1816 Franz Bopp das erste Werk der modernen Sprachwissenschaft: „Das Conjugationssystem der Sanskritsprache im Vergleich mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache“ geschrieben und etwas später von London aus die seitdem weltberühmt gewordene Mahâbhârata-Episode „Nala“ mit genau wörtlicher lateinischer Uebersetzung erscheinen lassen. Sogar eine Sanskritgrammatik besaßen seit 1820 die Deutschen: die von Othmar Frank, die freilich den bescheidensten didaktischen Anforderungen nicht genügte. Alle diese Arbeiten hatten in den Kreisen der deutschen Philologen, namentlich auch unter den Studirenden auf den deutschen Hochschulen mächtige Anregungen gegeben und den Ausblick auf ein noch völlig unangebautes Arbeitsfeld eröffnet. Auch B. verstand gleich beim Beginne seiner Studien diese Zeichen der Zeit; da aber in Leipzig zu Sanskritstudien keine Gelegenheit geboten war, so wandte er sich hier zunächst den semitischen Sprachen, namentlich dem Hebräischen zu. Ostern 1826 verließ er mit Bewilligung seines Vormundes, des Bankiers Wilhelm Reichenbach in Leipzig, die sächsische Landesuniversität, um in Göttingen das Studium der orientalischen Sprachen fortzusetzen. Das Göttinger Studienjahr wurde ihm sehr verkümmert durch schwere Krankheit, die Folge geistiger Ueberarbeitung. Um tiefer in das Sanskrit einzudringen, entschloß er sich Herbst 1827 nach Bonn zu gehen, wo August Wilhelm v. Schlegel wirkte und Christian Lassen eben seine Docentenlaufbahn begonnen hatte. Die Anregungen, die dieser im Lebensalter ihm so nahestehende Gelehrte gab, wurden die Ursache, daß von da an das Studium des Hebräischen, Arabischen und der übrigen semitischen Sprachen in den Hintergrund trat, und B. sich von nun ab in der Hauptsache auf Sanskrit und Persisch beschränkte. Bis Michaelis 1828, wo er Bonn verließ, hatte sich dieser Umschwung vollzogen. Mit hingebendem Fleiße hatte B. sich das angeeignet, was die indologische Wissenschaft auf ihrem damaligen Standpunkte an Hülfsmitteln bot. Es war dies nicht gerade viel. Außer dem „Nala“ die weiteren von Bopp 1824 herausgegebenen Mahâbhârata-Episoden, das Schlegel’sche Bhagavad-Gîta und seit 1827 endlich auch eine Grammatik: Bopp’s „Ausführliches Lehrgebäude der Sanskritsprache“ – das war etwa das didaktische Material, das während Brockhaus’ [265] Universitätsjahren die deutsche Sanskritphilologie den Lernenden zu bieten hatte. Der lexikalische Bedarf konnte nur durch das Sanskritwörterbuch Wilson’s (Kalkutta 1819) gedeckt werden. Dazu kam noch, daß es Handschriften altindischer Werke in den Bibliotheken Deutschlands überhaupt nicht gab. So fand sich B., um sein Sanskritwissen zu vertiefen, veranlaßt, eine mehrjährige Studienreise ins Ausland anzutreten. Demgemäß sehen wir ihn denn in den nächsten Jahren zuerst in Kopenhagen (1829, 1830), dann in Paris und endlich in London und Oxford in hingebendem, treuem Fleiße sich in das Studium altindischer Handschriften vertiefen. In Kopenhagen lernte er den jüngeren Westergaard kennen, der damals eben seine Studien begann. Von Kopenhagen aus unternahm er mit seinem Bruder Heinrich im Sommer 1830 eine größere Vergnügungsreise durch Norwegen. Während seines Aufenthaltes in Paris (Januar 1831 bis Januar 1833) schloß er sich eng an Eugène Burnouf an, der ihn zuerst in die Zendsprache einführte. Er lernte in ihm einen Mann kennen, „den an Gelehrsamkeit und Scharfsinn keiner der lebenden Orientalisten übertraf und der mit der ganzen Kraft seines außergewöhnlichen Talentes den wahren Gehalt der Zoroastrischen Schriften, auf sicherer philologischer Grundlage ruhend, entwickelte“. In Oxford trat er in die innigsten Beziehungen zu Horace Hayman Wilson, der seit 1832 als Universitätslehrer thätig, der liebenswürdigste Förderer des jungen lernbegierigen Deutschen wurde, während er in London in Friedrich Rosen, dem Secretär der „Asiatischen Gesellschaft“ und in Robert Lenz, dem Herausgeber der „Urvaçî“, gleichaltrige, zu den höchsten Erwartungen berechtigende Landsleute und Strebegenossen fand. Sie sind ihm und der Wissenschaft leider durch frühzeitigen Tod entrissen worden. Als B. im Sommer 1835 von seiner Studienreise ins Vaterland zurückkehrte, durfte der bescheidene Gelehrte sich ohne Selbstüberhebung sagen, daß an gründlicher philologischer Kenntniß des Sanskrit ihn keiner der Deutschen übertreffe und er zur Uebernahme eines Hochschulamtes bestens vorbereitet sei. Zugleich hatte sich auch sein geistiger Horizont erweitert, und die wahre Bedeutung und Würde der orientalischen Studien war ihm zum klaren Bewußtsein gekommen. Vorausschauenden Blickes sah er, daß es die culturelle Aufgabe des 19. Jahrhunderts sei, dem „erstarrenden Morgenlande neues Leben einzuhauchen“. Damit aber der Orient nicht bloß eine äußerliche schale Copie des Occidents werde und sich aus seinem eigenen inneren Kerne heraus neugestalten könne, müsse er auch aus seinen eigenen Quellen erforscht werden, und nur unter dieser Voraussetzung könne das Abendland seine providentielle Aufgabe lösen. – Zunächst ließ sich B. nach kurzem Aufenthalte in Leipzig als Privatgelehrter in Dresden nieder, in der Absicht, den reichen Fruchtertrag seiner Studienreise seinen deutschen Landsleuten vorzulegen und sich selbst für das Amt eines Universitätslehrers zu empfehlen. Den Anfang damit hatte er bereits 1835 von London aus mit einer Arbeit gemacht, die als eine Vorläuferin der großen Aufgabe seines Lebens, der Herausgabe der umfänglichen altindischen Märchensammlung des Somadeva, zu betrachten ist: „Gründung der Stadt Pataliputra und Geschichte der Upakosa. Fragmente aus dem Kathâ Sarit Sâgara des Somadeva. Sanskrit und Deutsch“. Diese Veröffentlichung hatte die Aufmerksamkeit der Sanskrit treibenden Kreise Deutschlands auf den in London lebenden deutschen Gelehrten gelenkt, der in verhältnißmäßig so jungen Jahren mit einer von so selbständigen Studien Zeugniß ablegenden Arbeit hervortrat. Sie brachte ihm denn auch 1838 die philosophische Doctorwürde in Leipzig ein. Gleichzeitig mit den Somadevastudien hatte ihn in London eine andere Arbeit beschäftigt, die Erstausgabe des Textes eines höchst originellen allegorisch-philosophischen [266] Sanskritdramas „Prabodhacandrodaya“ („Mondaufgang der Erkenntniß“), in sechs Acten, das den Krishṇa-Miçra zum Verfasser hat. Der theologisch-philosophische Gehalt dieses seltsamen Dramas, in welchem nur personificirte Begriffe als Handelnde auftreten und trotzdem eine lebensvolle dramatische Handlung sich entwickelt, sagte der sinnenden, orientalischen Speculationen gern folgenden Geistesrichtung des Herausgebers ganz besonders zu. Das erste Heft dieser Ausgabe (lateinisch geschriebenes Vorwort und Text enthaltend) war bereits 1834 von London aus bei F. A. Brockhaus veröffentlicht worden. Auf Grund dieses Textes übersetzte Th. Goldstücker das Drama anonym 1842 (nebst Vorwort von Karl Rosenkranz).
So hatte sich B. bei Rückkehr von seiner sechsjährigen Wanderzeit bereits durch zwei schriftstellerische Arbeiten der gelehrten Welt empfohlen. Ehe er jedoch daran ging, den weiteren Fruchtertrag seiner Reise der Oeffentlichkeit darzubieten, beschloß er die Gründung eines eigenen Hausstandes, indem er sich im Frühjahr 1836 mit Ottilie Wagner (geboren am 14. März 1811 in Leipzig, † am 17. März 1883 in Kiel), der jüngsten unter den fünf Schwestern des großen Meisters Richard Wagner aus erster Ehe der Mutter, vermählte. Darauf erfolgte die Uebersiedlung nach Dresden, wo er in der Neustadt (Klostergasse) ein trauliches Heim fand. Dem Glücke dieser Ehe sind, wie gleich an dieser Stelle erwähnt sei, zwei Söhne und zwei Töchter entsprossen. Die beiden Söhne sind während des Dresdener Aufenthalts geboren worden: der ältere, Friedrich Clemens, am 14. Februar 1837, der jüngere, Friedrich Arnold, den 21. September 1838. Beide sind leider viel zu früh den von ihnen vertretenen Wissenschaften durch den Tod entrissen worden: der ältere starb den 10. November 1877, also im Todesjahr des Vaters, als Universitätslehrer und Pastor an der Johanniskirche in Leipzig, der jüngere als Professor der Rechtswissenschaft an der Universität zu Jena am 14. October 1895. – Mit seinem Schwager Richard Wagner, der sich einige Monate nachher (Nov. 1836) mit der Dresdenerin Minna Planer verheirathete, hat B. Zeit seines Lebens die herzlichsten Beziehungen unterhalten und an allen Schicksalswandlungen des Meisters den innigsten Antheil genommen.
Das Glück des jungen Ehestandes entzog aber B. seinen eifrigen Studien nicht. Die nun folgenden Jahre des Dresdener Aufenthalts waren der Förderung seines Lebenswerkes, der Herausgabe des großen, 45 000 Verszeilen umfassenden altindischen Sammelwerkes, des Kathâsaritsâgara, „des Oceans der Erzählungsströme“ von Somadeva aus Kaschmir gewidmet. Dieses, wie Bühler zur Evidenz erwiesen hat, dem 11. Jahrh. n. Chr. entstammende Werk ist eine Sammlung altindischer Fabeln, Märchen und Erzählungen im dichterischen Gewande. Das Ganze ist eine freie Sanskritübersetzung der in der Paiçâci-Sprache geschriebenen Bṛihatkathâ des Guṇâḍhya. – Die ersten fünf Bücher erschienen bereits 1839 unter dem Titel „Märchensammlung des Sri Somadeva Bhatta aus Kaschmir. Buch 1–5 Sanskrit und Deutsch herausgegeben von H. Brockhaus, Leipzig“ in Devanâgarîlettern. Der Text dieser werthvollen editio princeps ruht auf einer damals in der Bibliothek des East India House zu London vorhandenen Handschrift, die zu den schönsten der Bibliothek gehörte; zu Rathe gezogen wurden noch vier andere, darunter eine dem Professor H. H. Wilson gehörige. Eine Abschrift der letzteren hat B. der königlichen Bibliothek in Dresden zum Geschenk gemacht. Die Absicht, die den Uebersetzer bei seinem schwierigen Werke leitete, war, den folkloristischen Studien ein werthvolles Hülfsmittel zu bieten und auf die feineren Beziehungen hinzuweisen, die die Völker des Orients und Occidents durch Jahrhunderte und Jahrtausende miteinander verbunden haben.
[267] Das Jahr 1839 brachte B. einen Ruf an die Universität Jena als außerordentlichem Professor der orientalischen Sprachen. Er begann daselbst seine akademische Lehrthätigkeit im Winterhalbjahr 1840–41 mit der Erklärung des Hiob und dem Vortrage der Elemente der Sanskritsprache nach Bopp nebst Interpretation der Nalaepisode. Auch im Sommer 1841 verband er das Hebräische mit dem Sanskrit, indem er sechsstündig über die „Genesis“ und dreistündig über Kâlidâsa’s „Çakuntalâ“ las. Das darauffolgende Wintersemester brachte außer dem erneuten Vortrage der Sanskritelemente akademische Vorlesungen über „Jesaias“ und eine Erklärung von Vullers’ „Chrestomathia Schahnamiana“ nebst Einführung in die neupersische Grammatik. Den Kreis des eigenen Wissens suchte er im Laufe dieser drei Semester durch das Studium der gälischen Sprache, der Dichtungen Ossian’s und des finnischen Epos „Kalewala (herausgegeben von Lönnrot) zu erweitern, jener Zusammenfassung mythisch-epischer Gesänge volksthümlichen Gepräges, die seit 1835 das gelehrte Finnland beschäftigte. Von weittragender Bedeutung wurde seine 1841 von Jena aus erfolgende Veröffentlichung „Ueber den Druck sanskritischer Werke mit lateinischen Buchstaben. Ein Vorschlag von Dr. Hermann Brockhaus“. Von der Ansicht ausgehend, daß „die große Schwierigkeit des Druckes sanskritischer Werke und die damit zusammenhängende Seltenheit und Teuerung der Bücher“ ein Hinderniß sei, das der allgemeinen Verbreitung dieser Litteratur hemmend entgegentrete, erneuerte er den bereits von dem Franzosen Volney gemachten Vorschlag, die verschiedenen Schriftzüge des Orients durch ein auf das Lateinische gegründetes Alphabet im Drucke wiederzugeben. Als Probe der Transscription läßt er in derselben Publication die ersten fünf Gesänge des Nalaliedes, das „kleine Lehrgedicht Çrutabodha (über die gebräuchlichsten Sanskritmetra), das er aus einem Londoner Codex abgeschrieben hatte und „Ghaṭakarpara“ in lateinischer Schrift folgen. Der Vorschlag wurde beifälligst aufgenommen, und dieses Transscriptionssystem ist seitdem, freilich mit nicht unbeträchtlichen Abänderungen, in Sanskritdrucken und in sprachwissenschaftlichen Werken vielfach zur Anwendung gekommen, wenn sich auch die Ansicht, daß dadurch die Devanâgarî ganz verdrängt werden würde, als irrig erwiesen hat.
1841 erhielt B. nach Beer’s Tode einen ehrenvollen, ihm persönlich hochwillkommenen Ruf an die Universität Leipzig. Dem Verbande dieser Hochschule hat er bis zu seinem Tode angehört, also im ganzen 35 Jahre. Er begann im Sommerhalbjahr seine Leipziger Lehrthätigkeit mit einer „Geschichte der orientalischen Poesie, durch Beispiele und Auszüge erläutert“, der Erklärung des „Nala“ und der Interpretation von Kâlidâsa’s „Urvaçî“. Einer seiner ersten Schüler ist damals Max Müller, der große Oxforder Sprachforscher gewesen und ist es bis 1844 geblieben. Natürlich war der Kreis der Schüler, die sich um B. scharten, nur ein enger; aber gerade dieser Umstand gestattete dem Meister, unter Berücksichtigung der Individualität eines jeden, einen unmittelbaren Einfluß auf die Richtung ihrer Studien zu gewinnen und einen jeden auf die richtige Straße zu führen. So verwies er den einen auf die streng philologische Betreibung des Sanskrit, einen Andern auf die sprachwissenschaftliche Erkenntniß desselben, einen Dritten auf die Ausnutzung dieser Studien für die Zwecke der Culturgeschichte, der allgemeinen Litteraturgeschichte oder der vergleichenden Religionswissenschaft, wieder einen Anderen besonders auf das Studium der Veden oder der indischen Epen u. s. w., kurz, er nahm mit den Einzelnen persönlich Fühlung und wurde im eigentlichen Sinne ihr Studienleiter, wobei ihm die Universalität seines Geistes aufs glücklichste zu statten kam. Die Art und Weise, wie er in die Sanskritgrammatik einführte, [268] war die denkbar einfachste, rascheste und praktischste. Nach einer Darlegung des Devanâgarî-Schriftsystems nebst dessen Transscription dictirte er eine lichtvolle und dem praktischen Bedürfnisse angepaßte Zusammenfassung der sogenannten euphonischen Regeln, in deren chaotischem Gedränge, wie die Grammatiken sie damals boten, Anfänger sich unmöglich zurecht finden konnten, und schloß mit einem sehr summarischen Hinweis auf die wichtigsten Nominal-, Pronominal- und Verbalparadigmata, etwa in derselben Weise, wie dies Verfasser dieser Zeilen in dem Buche „Sâvitrî“ (Leipzig 1888) in Nachahmung des Verfahrens seines Lehrers angedeutet hat. Freilich stellte diese Vereinfachung der Grammatik an Auffassungskraft und Gedächtniß der Lernenden ziemlich hohe Anforderungen; doch bot sie zugleich den Vortheil, solche, die nur aus Neugierde, Eitelkeit oder vorübergehender Laune den Sanskritstudien nähertreten wollten, zu ihrem eigenen Besten zu rascher Umkehr zu bewegen. Nach Schluß dieser Einführung in die Grammatik ging es dann sofort, und zwar noch im Laufe desselben Semesters an das Lesen des „Nala“. Wer B. zu folgen vermochte, ward schon am Schlusse des Semesters der Wahrheit des guten alten Sanskritspruches inne: Nâphalaṃ satpurusheṇa saṃgataṃ „reiche Frucht bringt der Umgang mit einem guten Manne“. – Bei dieser seiner akademischen Lehrthätigkeit verlor B. aber nie die großen Aufgaben der orientalischen Wissenschaft aus den Augen. Ein Lieblingsgedanke von ihm war es immer gewesen, nach Art der „Asiatischen Gesellschaften“ auch die deutschen Orientalisten zum Zwecke gemeinsamer Erkundung des Morgenlandes in einen Verband zu bringen. Dieser Gedanke wurde von Fleischer in Leipzig und Pott und Rödiger in Halle lebhaft aufgegriffen, und als die deutschen Orientalisten anfangs October 1844, zum ersten Male vereint mit den deutschen Philologen und Schulmännern in Dresden tagten, wurde die Frage zur öffentlichen Erörterung gestellt. Die eigentliche Gründung der „Deutschen Morgenländischen Gesellschaft“ erfolgte darauf 1845 auf dem Philologentage zu Darmstadt. Von 1846 an erschien das Organ dieses Bundes, die „Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft“. Dem Jahre 1845 gehören noch zwei sehr verdienstliche Veröffentlichungen an, die erste „Die sieben weisen Meister von Nachschebi“ mit deutscher Uebersetzung, die B. auf dem Gebiete der neupersischen Prosa thätig zeigt, und das Schlußheft der Ausgabe des Schauspiels „Prabodhacandrodaya“ mit den indischen Scholien, namentlich mit dem Commentare des Râmadâsa in lateinischer Transscription. Gleichzeitig wendete er sich mit voller Kraft wieder den Zendstudien zu. Im Jahre 1846 hatte er die Genugthuung, nach Gründung der königlich sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften als eines der ersten Mitglieder in diese Körperschaft aufgenommen zu werden, deren Berichte in den nächsten Jahren manchen werthvollen Beitrag aus seiner Feder enthielten. Das Jahr 1848 brachte endlich seine Ernennung zum ordentlichen Professor der „ostasiatischen Sprachen“.
Es dürfte hier der Ort sein, einen Blick auf die gesammte Lehrthätigkeit des Meisters zu werfen. Zur Einführung in die Sanskritsprache bediente er sich mit Vorliebe des Nalaliedes, außerdem aber auch der Chrestomathie von Böhtlingk oder der von Benfey (so im Winter 1852 gleich nach dem Erscheinen derselben), oder endlich der von Lassen (Bonn 1865), in den späteren Jahren (seit 1868) auch der Sanskrittexte von Stenzler. – Seiner Lehrthätigkeit auf dem Gebiete der Veden gehören an: Erklärung der Hymnen des Rigveda, Erklärung des Sâmaveda, Erklärung „dogmatischer Fragmente der Vedas“, Einleitung in das Studium der Vedas, Erklärung von Sâyana’s Commentar des Rigveda. Die schönwissenschaftliche Litteratur der Inder hat er in folgenden Vorlesungen behandelt: Fragmente des Râmâyaṇa (nach Benfey’s Chrestomathie), [269] der Urvaçî, des Meghadûta, des Prabodhacandrodaya, der Mṛicchakaṭikâ (zum ersten Male im Winter 1851), der Çakuntalâ (nach Böhtlingk’s Ausgabe 1842), der Fabelsammlungen Pañcatantra und Hitopadeça, der Märchensammlung des Somadeva. Den übrigen Wissenszweigen der altindischen Litteratur galten seine Vorlesungen „über die Gesetze des Manu“, über das System der Sanskritgrammatik des Pâṇini, über das Bhagavadgîta, seine Einleitung in die philosophischen Schriften der Inder und seine Erklärung der Sâṅkhyakârikâ (nach der Ausgabe von Lassen 1832). Hieran sind noch zu schließen die Vorlesungen über Alterthümer der Inder und über die Geschichte der indischen Litteratur (zum ersten Male 1860). Grammatik der Prâkritdialekte las er 1843. – Dem Gebiete des Zend und Persischen gehören folgende Vorlesungen an: Elemente des Zend, Erklärung des Vendidad (Spiegel 1853), Fragmente des Zendavesta, Zendavesta nach Justi’s Chrestomathie, Erklärung der metrischen Abschnitte des Zendavesta, Episoden aus Firdusi’s Schahname, die Lieder des Hafis (Winter 1859 nach seiner eigenen Ausgabe). Auch über die Grammatik der Hindustanisprache (nebst Erklärung des Prem-sâgar), über die Elemente des Chinesischen und über armenische Grammatik (nach Petermann) hat er akademische Vorträge gehalten. Ein beliebtes und gern besuchtes Colleg war seine „Geschichte der orientalischen Poesie, durch Beispiele und Auszüge erläutert“.
Um die Zeit seiner Ernennung zum ordentlichen Professor war er, wie erwähnt, hauptsächlich mit der wissenschaftlichen Durchforschung des Zend beschäftigt. Das Ergebniß dieser Arbeiten ist niedergelegt in seinem Buche: „Vendidad Sade. Die heiligen Schriften Zoroasters, Yaçna, Vispered und Vendidad. Nach den lithographirten Ausgaben von Paris und Bombay mit Index und Glossar“ (Leipzig 1850). Diese Ausgabe ruht auf der Bombayer Ausgabe und dem von Eugène Burnouf bei seiner Ausgabe benutzten Codex. Eine eigentlich kritische Arbeit sollte das Buch nicht sein, es sollte nur Material zur Kritik geben. Von der Verwendung von Zendlettern mußte in Ermangelung solcher abgesehen und der Text in einem eigenen lateinischen Transscriptionssystem gegeben werden, das sich übrigens von dem Bopp’s und Burnouf’s nur unwesentlich unterscheidet. Das beigegebene Glossar wurde von den Lernenden sehr dankbar aufgenommen und ist nachmals viel benutzt worden. Es war der erste Versuch einer lexikalischen Anordnung der bis dahin erklärten Zendwörter. – Auch in der Folgezeit blieb B. in seinen Privatstudien auf iranischem Sprachboden, namentlich von Firdusi’s Schahname gefesselt, bald aber drang er weiter in das Gebiet der persischen Lyriker ein und blieb bei der tiefsinnigen Mystik der Lieder des Hafis stehen, die sein lebhaftestes Interesse in Anspruch nahm. Um vollständig in die Geheimnisse dieser Dichtweise einzudringen, begann der fünfundvierzigjährige Gelehrte unter der Leitung seines vortrefflichen Amtsgenossen und Freundes, des Professor Fleischer, das Türkische zu erlernen, um den Commentar des Sudi über die Dichtungen des Hafis benutzen zu können. Er war bald auf diesem Gebiete so weit gefördert, daß er es wagen durfte, zum ersten Bande der Ausgabe die türkischen Erklärungen Sudi’s nach der Constantinopeler Ausgabe von 1841 hinzuzufügen. Bedenkt man nun, daß er um dieselbe Zeit (1853) auch die Redaction der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft übernahm, die infolge ihres polyglotten Gehaltes die höchsten Ansprüche an die Universalität des Leiters macht, so wird man der Arbeits- und Spannkraft eines B. den Zoll der Bewunderung nicht vorenthalten. Der erste Band der kritischen Ausgabe von den Liedern des Hafis erschien mit dem türkischen Commentar des Sudi bereits 1854. Abgeschlossen wurde das Werk 1860 mit dem Erscheinen des [270] dritten Bandes. In einem Bande wurde dann die Sammlung 1863 herausgegeben. Während dieser Zeit erweiterte sich Brockhaus’ Arbeitsfeld noch um ein Beträchtliches dadurch, daß er 1856 auch noch die Redaction der „Allgemeinen Encyklopädie“ von Ersch und Gruber übernahm. – All’ diese wechselvollen Arbeiten vermochten seine Gedanken jedoch nicht vom Hauptwerke seines Lebens abzuziehen, das immer noch des Abschlusses harrte, von der Märchensammlung des Somadeva. Jetzt, nach Beendigung seiner Hafisausgabe, glaubte er die Zeit gekommen, diese Schuld sich selbst zu zahlen. Nachdem bereits 1860 und 1861 eine Analyse des 6. und 7. Buches in den Berichten der königlich sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften (Philosophisch-Historische Cl. Bd. 12, S. 101–162 und Bd. 13, S. 203–250) erschienen war, brachten die „Abhandlungen der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft“ im II. Bande (1862), Buch 6–12 des Kathâsaritsâgara, im IV. Bande (1866) den Schluß (Buch 13–18) dieses „Meeresbeckens für die Märchenströme“ – alles in der von B. vorgeschlagenen Transscriptionsweise. Benutzt wurden in dieser Publication im ganzen sechs Handschriften, außer der des inzwischen verstorbenen H. H. Wilson, die sich jetzt in der Bodlejana in Oxford befindet, namentlich auch eine, die unter Vermittlung des Dr. Fitz-Edward Hall für B. in Sangore (Centralindien) hergestellt worden ist. Damit war diese große Arbeit zum Abschluß gebracht, an der B. über fünfunddreißig Jahre unablässig geschaffen hat – ein Hauptwerk für die vergleichende Märchenkunde, eines der wichtigsten Capitel der Volkskunde. Mit dankbarer Gesinnung gedenkt B. im Vorworte Wilson’s als eines Mannes, der ihn in seinen Studienjahren in bereitwilligster und freundlichster Weise gefördert habe, wie er denn die Erinnerung an ihn sein ganzes Leben in warmem und treuem Herzen getragen hat. –
Während dieser Zeit war auf dem akademischen Arbeitsfelde in Leipzig ein auffallender Wandel eingetreten. Hatte sich bis dahin die Hörerschaft hauptsächlich aus Studirenden der orientalischen Sprachen rekrutirt und war infolge dessen das Contingent der Hörer nie besonders stark gewesen, so änderte sich diese Sachlage mit einem Schlage, als 1862 Georg Curtius nach Leipzig berufen wurde. Die Vorträge dieses ganz auf dem Boden der modernen Sprachwissenschaft stehenden classischen Philologen bildeten eine natürliche Brücke zu Brockhaus’ Vorträgen über Sanskritgrammatik, und so sah sich dieser bereits im Jahre 1863 zum ersten Male zu seinem Erstaunen, aber auch zu seiner freudigen Genugthuung vor ein volles, zum großen Theile aus classischen Philologen zusammengesetztes Auditorium gestellt. B. hat von da ab für diese Vorträge, die er natürlich den neuen Verhältnissen anpaßte, stets mit Sicherheit auf zahlreichen Zuspruch rechnen dürfen. – In die Zeit seiner Arbeit am Hafis und Somadeva fällt von sonstigen gelehrten Arbeiten die Herausgabe der Sage von „Nala und Damayantî“ nach dem Kathâsaritsâgara (1859) und die Abhandlung über die Transscription des arabischen Alphabetes (1863) im 17. Bande der „Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes“. In dieser Abhandlung übertrug er sein Transscriptionssystem – abweichend von seiner früheren Meinung, daß die Schriftsysteme der semitischen Sprachen sich durch lateinische Buchstaben nicht wiedergeben ließen („Ueber den Druck Sanskritischer Werke“ S. 7) – auch auf das Arabische. Seit 1859 war B. neben Fleischer stellvertretender Secretär der königlich sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, dagegen legte er 1864 das Amt eines Redacteurs der „Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft“ nieder. 1860 nahm ihn die Münchener Akademie unter ihre Mitglieder auf, die Berliner folgte diesem Beispiele 1868. Zu diesen Ehrungen gesellte sich im Studienjahre 1872 zu 1873, als es ihm vergönnt war, sein dreißigjähriges Ortsjubiläum [271] zu feiern, die Wahl zum Rector der Universität. In der Rede, mit der er am 31. October 1872 dieses Ehrenamt antrat – sie war ein Muster von Klarheit, Tiefe und Allgemeinverständlichkeit – verbreitete er sich „über den Werth und die Bedeutung der indischen Philologie“ und kam zu dem Ergebnisse, daß „die Durchforschung der indischen Welt eine wesentliche Lücke in der Geschichte der Entwicklung der Menschheit ausfüllt“. 1873 erfolgte seine Ernennung zum Geh. Hofrath. Daß auch im Auslande seine Bedeutung für die Orientwissenschaft anerkannt wurde, zeigte sich auf dem Orientalistencongreß, der 1875 in London abgehalten wurde. Da hatte er Gelegenheit, sich selbst persönlich von der hohen Achtung, die ihm allseitig entgegengebracht wurde, und von der Wahrheit des Goethewortes zu überzeugen: „Wohlwollen unsrer Zeitgenossen, das bleibt zuletzt erprobtes Glück“. Das Glück jener Londoner Tage, die ihm die goldene Zeit seiner aufstrebenden Jugend in lebendigste Erinnerung zurückführen mußten, war der leuchtende Untergang seiner Lebenssonne. Nach Leipzig zurückgekehrt, begann er zu kränkeln, die Körperkraft versagte dem nach geistiger Bethätigung Ringenden und vermochte dem Ansturm einer Lungenentzündung, die ihn um die Jahreswende 1876 zu 1877 befiel, nicht Stand zu halten. Am 7. Januar beschloß er sein der Wissenschaft geweihtes edles und reines Leben. Was B. für den Aufbau der altindischen Philologie durch seine Erstausgaben, durch die Erschließung der indischen Märchenwelt, durch seine hervorragende Betheiligung bei Gründung der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft und durch Förderung derselben, nicht zum wenigsten auch durch die Anregungen, die er als akademischer Lehrer in Wort und Schrift gegeben, in einer mehr als vierzigjährigen Gelehrtenthätigkeit gewirkt hat, sichert ihm einen Ehrenplatz in der Geschichte der Wissenschaften. Unter seinen zahlreichen Schülern seien hier außer Max Müller in Oxford Ludolf Krehl und Ernst Windisch hervorgehoben.
Als Mensch betrachtet war B. eine jener harmonischen Naturen, wie sie sich selten und nur unter besonders günstigen Umständen entwickeln. Als solche vereinigte er in seinem Wesen Eigenschaften, die sich sonst auszuschließen pflegen. Der Mann der ernsten, treuen philologischen Kleinarbeit, der er doch in erster Linie war, der Stubengelehrte, der Handschriften entzifferte und verglich, verderbte Texte wiederherstellte und räumlich und zeitlich so entlegene Culturgebiete absuchte – er war auch der Mann mit dem weiten geistigen Horizonte, der über dem Kleinen nie das Allgemeingültige, über den philologischen Mitteln nie die großen Culturzwecke aus dem Auge verlor. Innig und zärtlich an den Geschicken seiner Familie, seiner Freunde, seines deutschen Vaterlandes, das er groß und geachtet sehen wollte, Antheil nehmend, besaß er den scharfen Blick des Menschenkenners, der jeden nach seiner Eigenart zu nehmen wußte, wie seine Schüler segensreich erfahren haben. Dabei war er aber auch der Mann der praktischen Lebens- und Geschäftsführung, wie er dies in seinem Wirken für die „Deutsche Morgenländische Gesellschaft“, bei der Redaction ihrer Zeitschrift und bei seiner Oberleitung der Ersch’- und Gruber’schen Encyklopädie sattsam bekundet hat. In all diesem mehr geschäftlichen Wirken zeigte er eine Sicherstelligkeit, Planmäßigkeit und Entschlossenheit, die ihn sein Ziel selten verfehlen ließen. Wie er selbst eine durchaus harmonische, zusammenklingende Natur war, wünschte er diesen Ein- und Zusammenklang auch in allen Gegensatzverhältnissen des Lebens- und Menschenverkehrs hergestellt, und seine schlichtende und beschwichtigende Hand hat manches in Feindseligkeit Gespaltene vereint und manche hochgehende Woge geglättet. Im gesellschaftlichen Verkehre paarte sich in ihm angeborene Milde, Gutherzigkeit und Liebenswürdigkeit mit einer ihres Werthes wohl bewußten und sie aufrecht [272] erhaltenden Würde, die ihn wie eine schützende Mauer umgab. Der Wahrheit in allem die Ehre gebend und gern mittheilend von dem, was er im Leben und in der Wissenschaft für wahr erkannt hatte, fand er in einer feinen Weltklugheit stets die Grenze, bis wie weit er gehen konnte. In seinem Urtheile war er in der Wissenschaft wie im Leben durchaus selbständig und nie beeinflußt von traditionellen Autoritäten; doch auch hier wußte die angeborene Milde seines Wesens in der Formulirung des Urtheils alles Verletzende abzustreifen. Alles in allem genommen, kann man sagen, daß es wenige große Gelehrte gegeben hat, die die Arbeit für die Wissenschaft so schön mit den Anforderungen des Lebens in Einklang zu bringen verstanden haben, wie es B. gethan. So durfte Ludolf Krehl, der Verfasser des Nekrologs, der nach Brockhaus’ Hinscheiden in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ vom 7. Januar 1877 erschien, mit Recht von ihm sagen: „Wer ihn kannte, liebte ihn“.
- v. Prantl, Nekrolog auf Hermann Brockhaus (Sitzungsberichte der philosophisch-philologischen und historischen Classe der k. b. Akademie der Wissenschaften zu München, Jahrgang 1877). – L(udolf) K(rehl), Hermann Brockhaus † („Deutsche Allgemeine Zeitung“, Sonntag, 7. Januar 1877). – Unsere Zeit. Deutsche Revue der Gegenwart. Herausgegeben von Rudolf Gottschall. Neue Folge. Dreizehnter Jahrgang. 16. Heft. Leipzig 1877.