Zum Inhalt springen

ADB:Chmel, Joseph

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Chmel, Joseph“ von Adalbert Horawitz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 130–132, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Chmel,_Joseph&oldid=- (Version vom 14. Dezember 2024, 23:54 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Chmel, Adam
Nächster>>>
Chodowiecki, Daniel
Band 4 (1876), S. 130–132 (Quelle).
Joseph Chmel bei Wikisource
Joseph Chmel in der Wikipedia
Joseph Chmel in Wikidata
GND-Nummer 116506067
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|4|130|132|Chmel, Joseph|Adalbert Horawitz|ADB:Chmel, Joseph}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116506067}}    

Chmel: Joseph Ch., Geschichtsforscher, geb. 18. März 1798 zu Olmütz, † 28. Nov. 1858 zu Wien, war der Sohn des Professors der Geometrie an der mährisch-ständischen Akademie seines Geburtsortes (s. o.). Seine Gymnasialbildung erhielt er in Linz, wo er durch die anregenden historischen Vorträge des nachmaligen Abtes A. Fähtz für das Studium der Geschichte so völlig gewonnen ward, daß er damals schon den Plan faßte, sich hinfort dieser Wissenschaft zu widmen. Auch in Kremsmünster hatte ein Lehrer der Geschichte, P. Ulrich Hartenschneider, großen Einfluß auf Ch., der, um sich ganz gelehrten Studien hingeben zu können, 1816 sogar in das Stift der reg. Chorherren zu St. Florian eintrat. Der dortige Stiftsbibliothekar K. E. Klein wurde sein Lehrer in der Bibliothekskunde, die er freilich nicht sofort praktisch verwerthen konnte, da er einige Jahre in der Seelsorge verwendet ward. Erst 1826 wurde er Stiftsbibliothekar, 1830 schickte ihn sein Prälat zu weiterer Ausbildung nach Wien, wo er mit beispielloser Hingebung „bis zur Erschöpfung der physischen Kräfte“ die Schätze der Hofbibliothek und des Staatsarchives durchforschte. Bald trat er zu letzterer Anstalt in ein näheres Verhältniß, 1834 ward er zweiter, 1840 [131] erster Archivar, 1846 Vicedirector daselbst. Von 1832 beginnt Chmel’s geradezu erstaunliche gelehrte litterarische Thätigkeit; von welchem Umfange dieselbe war, beweist das zwanzig enggedruckte Seiten füllende Verzeichniß der Titel seiner Publicationen im Almanach der Wiener Akademie der Wissenschaften von 1851, wozu bis 1858 noch vieles hinzu kam. Ch. war gewiß das fleißigste Mitglied dieser gelehrten Genossenschaft, deren wirkliches Mitglied er 1847 wurde; die Anregung und der Plan zu ihren großen Editionen auf historischem Gebiete gingen von ihm aus, so übernahm er 1851 die Redaction der „Monumenta Habsburgica“ und des leider eingegangenen „Notizenblatts“. Ch. war entschieden ein organisatorisches Talent, dafür zeugen die zahlreichen Entwürfe, die er gleich in den ersten Sitzungen der Akademie vorlegte; da ist es bald der Wunsch nach einer „Austria Romana“ einem Inscriptionswerke, bald der nach einem Polyglottenlexikon oder nach der Gründung eines archäologisch-ethnographischen Nationalmuseum, der den regen Geist des Mannes erfüllt. Eine „Austria sacra“ nach dem Muster der Arbeiten der Mauriner oder Oratorianer, eine „Austria nobilis“ eine Adelsgeschichte Oesterreichs, eine Geschichte der Landwirthschaft, des Bauernstandes, der Industrie, des Handels will er gefördert wissen, einen so hochnöthigen Katalog aller historischen Handschriften der Monarchie, einen geschichtlichen Atlas derselben, Sammlung der deutschen Sprachdenkmale in Oesterreich bis zum 15. Jahrhundert; er entwirft einen Plan zur Gründung eines historisch-archäologischen Vereins, kurz nie wird er müde; immer derselbe Eifer für seine Ideen; seine Arbeitslust und sein Arbeitsmuth bleiben stets dieselben! Es geht ein Zug frischer jugendlicher Begeisterung durch die Worte und Schriften dieses Mannes, der höchst angenehm an die Strebungen der Pertzianer vor der Gründung der Monumenta Germaniae erinnert (vgl. Archiv von Dümge und Büchler). Viel hat dieser tüchtige österreichische Gelehrte schon vor der Creirung der historischen Commission in München vorgeschlagen, das dann durch diese realisirt wurde. Ch. theilte aber das Schicksal des hochbegabtesten österreichischen Regenten, er fand für seine Pläne nicht überall Verständniß und Theilnahme, vor Allem aber zu wenig Mitarbeiter. Er steht da, wie ein guter General mit einigen brauchbaren Officieren, das Gros der Armee aber fehlt. Da bleibt es denn freilich in den meisten Fällen bei frommen Wünschen, es mangelt an dem hier entscheidenden Eifer und Interesse der gelehrten und gebildeten Kreise. Ganz anders könnte Ch. jetzt operiren, wo es den historischen Studien in Oesterreich weder an jungen geschulten Kräften, noch an einem theilnehmenden Publicum fehlt. Freilich ein Generalrepertorium des reichen Handschriftenschatzes der Monarchie steht trotz der großen vielversprechenden Anläufe, die das k. k. Handelsministerium nach einer Richtung 1873 gemacht, die aber völlig in den Sand verannen, noch heute aus.

Ch. ging fast überall vom richtigen Gesichtspunkte aus; auf dem politischen Gebiete trat er für die entschiedene Einheit der Monarchie und deren gutes Verhältniß zu Deutschland ein. In der Methode des Forschens wünschte er besonnenes kritisches Vorgehen; inductive Erkenntniß war sein Ziel. Mit aller Schärfe trat er denn auch gegen die aprioristisch-poetisirende und philosophirende Richtung auf, die bis dahin in Oesterreich nur allzu sehr vertreten war. Er eifert stets wieder gegen jene vornehme und gleichgültige Art, die in genauer Forschung Lappalien und lächerliche Pedanterie erblickt. Mit Erregung spricht er von „unserer wirklich erbärmlichen Art und Weise, Geschichte zu schreiben“, von „unserer Novellenspielerei, Anekdotenjägerei, von den Drollerien und Pikanterien“. Zu den Quellen selbst müsse man dringen, freilich, „man will es gar zu bequem haben, scheut jegliche Mühe und doch gibt es keinen Ersatz für den Genuß, den die unmittelbare Quelle gewährt.“ In der Scheu und dem Unvermögen, [132] die Quellen in der Ursprache zu lesen, sieht Ch. die zunehmende Verflachung und Seichtigkeit des Wissens der Gegenwart: „wie könne man,“ bemerkt er einmal mit Bitterkeit, „Benutzung lateinischer Documente von einer Generation erwarten, die ihre Bildung aus Journalen und Flugschriften schöpfe und von einem Buche nur Amusement verlange“. Neben diesem sei auch der Klage Erwähnung gethan, welche Ch. anläßlich der Besprechung von Gevay’s Arbeiten äußert, daß die Verdienste österreichischer Historiker eher in Deutschland, als in Oesterreich anerkannt würden, was in gewisser Hinsicht auf Ch., wie auch auf die Jetztzeit Anwendung finden mag. – Ward Ch. auch von anderer Seite in seinen Bemühungen wenig unterstützt – wie denn u. a. die k. k. Kreisämter ihm sehr dürftige Notizen sandten und man aus Bequemlichkeit meist den vorhandenen Actenreichthum rundweg ableugnete – so ersetzte sein beispielloser Fleiß das Zusammenwirken Mehrerer. So unterzog er sich allein gewaltigen Vorarbeiten, u. a. der Abfassung eines Kataloges der historischen Handschriften der k. k. Hofbibliothek (wovon allerdings nur beiläufig der sechste Theil verzeichnet ward), eine Aufgabe, der heute durch die unermüdliche Thätigkeit und die gründlichen Kenntnisse Joseph Haupt’s in so trefflicher Weise für alle Codices entsprochen wird. Aber selbst mit materiellen Opfern suchte Ch. die historischen Studien zu fördern, auf eigene Kosten gab er sein „Habsburgisches Archiv“ heraus, in dem sich die interessante Relation Herberstein’s vom J. 1519 findet. Unter seinen Werken seien hier u. a. genannt die „Materialien zur österreichischen Geschichte“, Linz und Wien 1832–38; die „Regesta chron. dipl. Ruperti R.“, Frankfurt a. M. 1834; die „Regesta chron. dipl. Friderici III. Rom. imp.“, 1838–40; „Geschichte Kaiser Friedrichs und seines Sohnes Maximilian I.“, 2 Bde., Hamburg, Perthes 1840–43, eine ungemein reiche Materialiensammlung, leider unvollendet; „Urkunden, Briefe, Actenstücke zur Geschichte Maximilians und seiner Zeit“ (P. d. Stuttgarter litt. Vereins 1845); „Oesterreichischer Geschichtsforscher“ (mit werthvollen Angaben über Städtewesen, Finanzgeschichte, die Wiener Universität, die Historia Friderici IV. et Maxim. ab J. Grünbeck etc.), 1838–41. Daran reihen sich eine Unzahl von Aufsätzen in den Wiener litterarischen Zeitschriften und den Akademieschriften. Aber C. war auch für deutsche wissenschaftliche Unternehmungen thätig, so für die Gesellschaft zur Herausgabe der „Monumenta Germaniae“, für die historische Zeitschrift von Schmidt etc. Unter den constituirenden Mitgliedern der historischen Commission in München ist denn Ch. ebenfalls genannt, dessen Verdienste um die österreichische und die deutsche Geschichte dadurch ihre volle Würdigung fanden.

Es ergänzt das anmuthende Bild des Gelehrten, wenn auch dessen humaner Sinn, seine Milde des Urtheils, seine Ehrlichkeit und Bescheidenheit gerühmt wird. Als katholischer Priester zeigt er einen hohen Grad von Toleranz und liberaler Auffassung; das Verhältniß wissenschaftlicher Forschung zur Politik des Tages hat er im Anfange der fünfziger Jahre freimüthig mit den Worten charakterisirt: die Wahrheit ist stets lehrreich und – unschädlicher, als die Furcht vor ihr oder ihre Verschleierung! – Aus allen seinen Schriften aber spricht die willigste freudige Anerkennung fremden Verdienstes – kurz überall erscheint Ch. als eine liebenswürdige Persönlichkeit, die nichts Höheres kannte, als das Streben nach wissenschaftlicher Erkenntniß und treuen begeisterten Patriotismus – der Oesterreicher aber wird gut thun, ihn als einen seiner Besten zu ehren und hochzuhalten.