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ADB:Dulon, Rudolph

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Artikel „Dulon, Rudolf“ von Ernst Christian Achelis in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 160–162, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Dulon,_Rudolph&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 06:42 Uhr UTC)
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Dulon: Christoph Joseph Rudolf D., reformirter Prediger und socialistischer Agitator in Bremen, entstammte einer eingewanderten Hugenottenfamilie Frankreichs. Am 30. April 1807 in Stendal geboren wurde er nach absolvirter Gymnasialzeit und vollbrachtem theologischen Studium 1836 vom Bischof Dräseke in Magdeburg ordinirt. Schon da trat er in Gegensatz zu der kirchlichen Ordnung, besonders hinsichtlich der Verpflichtung auf die reformatorischen Bekenntnisse, jedoch in so linder Form, daß die kirchliche Behörde Nachsicht zu üben sich entschließen konnte, zumal da die theologische Richtung des Candidaten Bedenken nicht aufkommen ließ. Im J. 1843 verließ D. die preußische Landeskirche, um an der deutsch-reformirten Gemeinde zu Magdeburg eine Predigerstelle anzunehmen. Von hier an datirt seine agitatorische Wirksamkeit. Mit den sog. Lichtfreunden und den „freien Gemeinden“ trat er in Verbindung, ohne jedoch in dogmatischer Beziehung sich ihnen anzuschließen. Was ihn mit ihnen verband, war der gemeinsame Kampf gegen die Geltung der Bekenntnißschriften in der reformirten und gegen alles angebliche und wirkliche katholisirende Wesen in der evangelischen Kirche. Die Leidenschaftlichkeit seiner Polemik zog ihm vom Ministerium Eichhorn eine Warnung zu, die ihn jedoch nicht hinderte, nur um so dreister auf dem betretenen Wege fortzuschreiten. Ernstere Zerwürfnisse mit den Behörden bahnten sich an; durch die Wahl an die Kirche zu Unserer Lieben Frauen in Bremen im Juni 1848 wurde er ihnen entzogen. Nur durch revolutionäre Vergewaltigung der Gemeindeverfassung wurde seine Wahl ermöglicht. Nach der bestehenden Ordnung war die Predigerwahl bereits eingeleitet; da D. jedoch in der Vorwahl nicht durchdrang und somit für ihn keine Aussicht bestand, definitiv gewählt zu werden, wurde von der Majorität des Gemeindeconvents die alte Ordnung durch eine neue ohne weiteres ersetzt und nach dieser wurde seine Wahl vollzogen. Aber noch mehr; der durch die Zeitstürme eingeschüchterte Senat, die kirchliche Oberbehörde in Bremen, stellte dem reformirten Stadt-Ministerium den Antrag, die vorgeschriebene Probepredigt, woran sich die Verpflichtung auf das Apostolicum, die Augustana und den Heidelberger Katechismus anzuschließen hatte, in Wegfall kommen zu lassen; das Ministerium ging darauf ein in der Absicht, die Verpflichtung bei der Aufnahme Dulon’s in seiner Mitte nachzuholen; allein die Absicht wurde nicht ausgeführt, nur die allgemeine Verpflichtung „auf Gottes Wort“ blieb bestehen, und D. unterzog sich ihr unter der Erklärung, Bibel und Gottes Wort seien ihm sehr verschiedene Dinge.

Ein weites Feld der Thätigkeit hatte sich ihm eröffnet. Von allen Seiten strömten ihm begeisterte Anhänger zu; namentlich in dem mittleren Bürgerstande und in den niederen Volksschichten wurde er je länger desto mehr als Prophet einer neuen Zeit begrüßt und die Masse hatte er bald in unbedingter Gewalt. Seine Predigten, die von dichtgedrängten Schaaren mit Begierde verschlungen wurden, hatten von vornherein ein durchaus socialistisches Gepräge, Politik und Religion wurden vermischt, Demokratie und Revolution bedeuteten ihm wahres Christenthum. Die patriarchalischen und zu gutem Theil auch verrotteten Zustände der kleinen Republik boten ein ergiebiges [161] Agitationsfeld; D. trat an die Spitze der demokratischen Bewegung, sein Einfluß in der „Bürgerschaft“ (dem Abgeordnetenhause), in der Schuldeputation, in allen öffentlichen Angelegenheiten war unbegrenzt, und er wußte ihn durch seine Thätigkeit als Prediger und von Beifall umtoster Volksredner auszunutzen. Eine bewundernswerthe Arbeitskraft stand ihm zur Verfügung, und seine rednerische und schriftstellerische Begabung schien mit der Ausdehnung seiner Wirksamkeit sich nur zu steigern. Dabei läßt sich eine tüchtige schriftstellerische Durchbildung nicht verkennen; seine theologischen Gegner waren in der Beziehung nur theilweise ihm gewachsen, und die Leidenschaftlichkeit seiner Polemik, die auf intellectuelle und moralische Vernichtung seiner Gegner in rücksichtslosester Weise ausging, sicherte ihm den Nimbus absoluter Überlegenheit wenigstens bei der von ihm fascinirten Masse.

Allein seine Siegesbahn wurde sein Verhängniß. Gerade durch die Verquickung der Religion mit der revolutionären Demokratie wurde D. je mehr und mehr zu religiösem Radicalismus, der auch vor der Bekämpfung und Verhöhnung evangelischer Heiligthümer nicht zurückscheute, hingerissen, und als die Wogen der Revolution sich zu glätten begannen, brach über ihn das Gericht herein. Im J. 1851 wurden seine Zeitschriften in Preußen verboten, und unter dem Rückhalt der veränderten Zeitlage ermannte sich auch der Senat in Bremen zu kräftigerem Auftreten. Als gar am 1. März 1852 eine Bundesintervention in Bremen durch Hannover beschlossen und durch den Generalmajor Jacobi, dem 10 000 Mann in der Nähe von Bremen zur Verfügung standen, ins Werk gesetzt wurde, waren Dulon’s Tage gezählt. Bereits im April 1851 hatte eine Anzahl von Gliedern der U. L. Fr.-Gemeinde eine Anklage gegen D. beim Senat eingereicht, in der ihm Verleugnung der wesentlichsten Glaubenslehren, Verhöhnung des Evangeliums und offene Feindschaft gegen das Christenthum schuld gegeben wurden. Der Senat nahm die Anklage an und erbat sich von der Heidelberger theologischen Facultät ein Gutachten über die Anklage und das eventuell einzuhaltende Verfahren gegen den Schuldigen. Die Facultät erstattete durch D. Daniel Schenkel das Gutachten; die Anklagen wurden durchaus begründet gefunden und Pastor D. als unwürdig der Bekleidung eines geistlichen Amtes in der evangelischen Kirche erklärt. Unterzeichnet war das Gutachten von den Professoren Hundeshagen, Schenkel, Ullmann und Umbreit, während Professor Dittenberger in einem von Schenkel alsbald widerlegten Separatvotum nur das formelle Recht des Bremischen Senates als jurisdictioneller Kirchenbehörde in Zweifel zog. Am 1. März 1852 wurde durch Senatsbeschluß D. von seinem Amte suspendirt; die definitive Entlassung wurde ihm in sichere Aussicht gestellt, falls er nicht innerhalb sechs Wochen dem Senate für künftiges Wohlverhalten Gewähr leiste. Am 19. April erschien das Absetzungsdecret: neben der kirchlichen wurde jetzt auch die politische Seite betont in der Gemeingefährlichkeit seiner socialistischen Bestrebungen. D. erhob zwar Protest und verklagte den Senat beim Bremischen Obergericht; aber auf ein Gutachten der Leipziger Juristenfacultät, das den Senat völlig rechtfertigte, wurde D. abgewiesen, in die Kosten verurtheilt und als Verbrecher gegen den Staat mit sechs Monaten Gefängnißstrafe belegt. Allein mittlerweile hatte er es vorgezogen, Bremen zu verlassen und nach dem damals englischen Helgoland zu entfliehen. Nach Jahresfrist entwich er mit seiner zahlreichen Familie nach Nordamerika, wo er durch Vorträge und Jugendunterricht sein Leben fristete, bis der Tod am 13. April 1870 seinem wildbewegten irdischen Dasein ein Ende machte. — In der Geschichte der evangelischen Kirche wird es, vielleicht Thomas Münzer [162] ausgenommen, kaum einen Zweiten geben, der so wie Rudolf D. die Religion in den Dienst revolutionär-socialistischer Demokratie gestellt hätte.

Schriften: „Dorfpredigten“, Stendal 1842; „Luthers Nachlaß“. Predigt am 18. Febr. 1846; „Herr Prediger Palmié, die reformirte Kirche hat keine Symbole. Ein Wort der Zurechtweisung“, 1846; „Wahrhaftigkeit, Demuth, Liebe, — des christlichen Streiters Schmuck“. Predigt am 15. Nov. 1846; „Die Geltung der Bekenntnißschriften der reformirten Kirche. Ein Wort wider Symbolzwang auf protestantischem Grund und Boden“, 1847; „Liebesgruß an meine neue Gemeinde.“ 2 Predigten 1848; „Luthers Nachlaß.“ 2. Heft (Vom Kampf um Gottes Wort. Apostolische Gedanken), 1848; „Über den Anschluß Bremens an den Sonderbund. Ein Wort zu meiner Rechtfertigung“, 1849; „Herzenserguß an meine Gemeinde.“ Predigt, 1850; „Vom Kampf um Völkerfreiheit. Ein Lesebuch fürs deutsche Volk“, 1850; „Eine Abendmahlspredigt“, gehalten am 15. Sept. 1850; „Die Stephanigemeinde in Bremen am 22. October 1850“, „Die reformirte Kirche, Herr Mallet und ich. Ein Wort zur Belehrung und Züchtigung“, 1851; „Rede bei der Confirmation der Kinder am 15. April 1851“; „Unsere Zeit hält Gericht! Predigt über Röm. 12, 13“, gehalten nach seiner Rückkehr am Sonntag, dem 24. August 1851; „Rede am Grabe des verstorbenen Herrn C. D. Seemann am 8. März 1852. Nebst den Reden bei der Feier des 8. März im Bürgerverein und im demokratischen Verein“, 1852; „Das Gutachten der vier Heidelberger Theologen. Ein Beitrag zur Sittengeschichte der Gegenwart.“ 1. Band: Das Gutachten in Beziehung auf Gegenstände der Lehre und des Glaubens. 2. Band: Das Gutachten in Beziehung auf Gegenstände der Verfassung und des Rechts. Das Ketzerrichteramt in der reformirten Kirche. Ein Zeugniß wider die Behauptungen unwissender Professoren und für die Freiheit der reformirten Kirche, 1852; „Gruß und Handschlag. An meine Gemeinde in Süd und Nord“, 1853; „Der Wecker. Ein Sonntagsblatt zur Beförderung des religiösen Lebens.“ Zwei Jahrgänge von Sept. 1850 bis Aug. 1852.

J. Fr. Iken, Die Wirksamkeit von Pastor Dulon in Bremen, 1894.