ADB:Fenderlin, Lukas
Fenderlin: Lukas F., Rechtsgelehrter, wurde als Sohn des aus Regensburg stammenden Magister legens Johann F. und seiner Frau Anna Rosina, geb. Hubert am 18. November 1732 in Breslau geboren. Er studirte in Halle und Leipzig die Rechte, trat dann in seiner Heimath Schlesien in den preußischen Justizdienst als Justizsecretär und war bis zum Jahre 1766 Oberamts-Regierungs-Advocat und Hof- und Criminalrath in Breslau. Alsdann übernahm er das Amt des Stiftskanzlers der Cistercienserabtei Grüßau bei Landeshut i. Schl. und leitete in dieser Eigenschaft das Gericht dieses reichen Stifts bis zu seinem Tode am 20. Juni 1791. Er war zwei Mal glücklich verheirathet; seine zweite Frau, die ihn überlebte, vermachte letztwillig seine reiche Handbücherei der öffentlichen Bibliothek zu Landeshut.
Dauernde Bedeutung für die Rechtswissenschaft gewann F. durch den Einfluß, den seine litterarische Thätigkeit auf die Gestaltung des preußischen [519] Allgemeinen Landrechts ausgeübt hat. Im Hinblich auf die Codificationsbestrebungen Preußens, zugleich aber auch auf das unklare Ideal eines allgemeinen Weltcodex auf naturrechtlicher Grundlage, den er für möglich hielt, veröffentlichte er die jetzt äußerst selten gewordenen anonymen „Gedanken über die Verabfassung eines allgemeinen Gesetzbuches zur Verbesserung derer Justitz–Verfassungen“ (4 Stücke, [Breslau] 1770–73, 8°; Kammergerichts-Bibl. I G 52). Er gab wenig neues; mangelhafte Definitionen und unklare Begriffe boten einer scharfen Kritik zahlreiche Angriffspunkte. Doch eigneten ihm anschauliche Darstellungsweise, gesunder Menschenverstand und ein praktischer Sinn, der ihm öfters zu geschickter Formulirung von Vorschlägen verhalf, die den Wünschen der Zeit entsprachen. Auch vertritt er manchmal unbewußt deutsche Rechtsanschauungen, so bei der Aufstellung seines umfassenden Begriffes dominium, den er der proprietas gegenüberstellt, und der in vielen Punkten an die Gewere erinnert. So im Erbrecht, wo er für den Satz „Der Todte erbt den Lebenden“ eintritt; so bei seiner Scheidung des Rechts der wilden und der sociablen Natur, wo ihm bei der Polemik gegen Rousseau ein Schimmer des genossenschaftlichen Princips des deutschen Rechtes aufgegangen zu sein scheint. Diese Vorzüge haben offenbar Svarez, der mit F. zusammen ein Jahr lang in demselben Breslauer Collegium thätig gewesen war, veranlaßt, sich für seinen Entwurf in erheblichen Punkten den Fenderlin’schen Vorschlägen anzuschließen, so hinsichtlich der Stellung des Landrechts zu den Provinzialstatuten, des erweiterten Sach- und Eigenthumsbegriffes, der Einordnung des Erbrechts in das Sachenrecht u. s. w. Auch die Form des Landrechts entspricht dem Rathe Fenderlin’s, „jede Wahrheit in einem einzelnen Satz vorzutragen“ und so der Methode der Mathematik zu folgen. Mit den Svarez’schen Ideen und den Vorschlägen Joh. Georg Schlosser’s, den jener vergebens für Preußens Gesetzgebung zu gewinnen trachtete, berührte sich F. auch darin, daß er wie sie im römischen Rechte den Kern der Wahrheiten eines unwandelbaren Naturrechts zu erblicken glaubte, der allerdings erst herausgehoben und von willkürlichen und nationalen Besonderheiten gereinigt werden müsse, um einem volksthümlichen deutschen Gesetzbuche als Grundlage zu dienen. Er machte sich darum an die Aufgabe, deren Lösung Svarez von Schlosser vergebens erbeten hatte, indem er den „Versuch eines Auszuges der römischen Gesetze in einer freyen Uebersetzung zum Behuf der Abfassung eines Volks-Codex“ (7 Theile, Breslau 1783–87, 8°, anonym; Univ.-Bibl. Breslau) unternahm. Er hatte seine Kräfte überschätzt: infolge seines Mangels an positiven Kenntnissen konnte ihm die Kritik zahlreiche Irrthümer nachweisen; auch wurde ihm mit Recht Willkür gegenüber den Quellen vorgeworfen. Nach Fertigstellung des preußischen Entwurfes wurde ihm Gelegenheit, seine Ansichten an maßgebender Stelle zum Ausdruck zu bringen, da Svarez ihn unter die Männer aufnahm, von denen Gutachten über den Entwurf erbeten wurden. Seine ungedruckte Schrift „Freymüthige Gedancken über den Entwurf eines allgemeinen Gesetz-Buchs für die Preußischen Staaten“ (O.L.G.-Bibl. Breslau IV 424/5) erhielt einen der von der preußischen Regierung ausgesetzten zweiten Preise. Sie bietet die Vorzüge und Fehler seiner ersten Schrift in erhöhtem Maße und zeichnet sich durch anregende, oft poetische, aber auch überschwängliche Schreibart aus. Sie zeigt uns den Verfasser mehr als warmen Patrioten und Menschenfreund, denn als scharfsinnigen Juristen, läßt aber im einzelnen praktischen Blick und oft überraschend moderne Anschauungen erkennen. Auch sie ist auf die Gestaltung des Landrechts wol nicht ohne Einfluß geblieben.
- W. Perschke, Verzeichniß der von Wallenberg-Fenderlin’schen Bibl. zu Landeshut i. Schl. 1829, S. 28 ff. – A. Stölzel, Svarez, 1885, S. 161 ff. – [520] Landsberg, Gesch. d. D. Rechtswissensch. III 1, 1898, Text S. 465 f., 473, Noten S. 297. – J. Chr. Koppe, Jurist. Almanach, 1792, S. 220 f. (citirt Besprechungen). – A. F. Schott, unparth. Kritik 32 (IV), 1771, S. 122 ff.; 33, S. 231 ff.; 55 (VI), 1774, S. 476. – (Behmer,) Otia II 1773, S. 94 ff., 121 ff.