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ADB:Greith, Karl

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Artikel „Greith, Karl“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 537–539, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Greith,_Karl&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 22:59 Uhr UTC)
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Greith: Karl G., Tondichter, geboren am 21. Februar 1828 in Aarau, † am 17. November 1887 als Domcapellmeister zu München. Sein Vater Joseph G. (geboren am 15. August 1798 zu Rapperswyl, † am 2. Januar 1869 zu St. Fiden bei St. Gallen) hatte als Musiklehrer in St. Gallen einen ehrenvollen Namen erworben, noch mehr als Componist vieler volksthümlich gewordener Lieder, darunter auch das über die Grenzen der Schweiz hinausgetragene, von Joh. Georg Krauer gedichtete „Rütli-Lied“. Der Knabe erhielt eine classische Bildung und wurde ein guter Lateiner, was ihm später als Kirchencomponist wohl zu statten kam; er absolvirte mit Auszeichnung das Gymnasium, trat aber dann, seiner hervorragenden Neigung und Begabung folgend, ganz in die Fußstapfen seines Vaters. In München studirte er unter Kaspar Ett Harmonie und Contrapunkt und bei J. G. Herzog das Orgelspiel. G. war nicht nur ein guter Orgelspieler, er veröffentlichte auch viele Präludien, mehrere Messen mit obligater Orgel und ein Orgelbuch zum Gesangbuch der Diöcese St. Gallen (1863), wobei er sich als Meister im Orgelsatze und Kenner des Baues selbst bekundete, so daß er als Experte oft zu Rathe gezogen wurde. In seinem Nachlasse fanden sich aus der Schweizerperiode über ein Viertelhundert Gutachten vor, wonach er als Orgelbaukundiger seines Amtes waltete. Während seines Münchener Aufenthaltes sprach er bei dem Orgelwerke des Domes ein entscheidendes Wort; an ihn erfolgte auch der ehrenvolle Ruf zur Collaudation der neuen Domorgel in Speyer.

Nach Vollendung seiner Compositionsstudien bei Drobisch zu Augsburg kehrte G. nach St. Gallen zurück, übernahm die Leitung des Gesangvereins, die theoretische und praktische Pflege der Musik und darauf bezügliche Vorträge an den höheren Lehranstalten. Gleichzeitig vollendete er mehrere Compositionen für Orchester und sein erstes Oratorium „Der hl. Gallus“, welches 1849 zu Winterthur großen Beifall und die aufmunterndste Theilnahme erntete. Außer mehreren Choralmessen und Streichquartetten folgten die Melodramen „Frauenherz“ und „Die Waise aus Genf“, welche in St. Gallen und Basel gleich freundliche Aufnahme fanden, wodurch sich die Gewißheit erhöhte und befestigte, daß der junge, talentvolle, an seiner Weiterbildung rastlos schaffende Tonkünstler mit diesen vielverheißenden Werken eine neue Bahn betreten habe. Damals machte der vorwärtsstrebende Jüngling auch die Bekanntschaft mit Richard Wagner, zwei anfänglich wechselseitig sich anziehende, im späteren Verlaufe wieder weit nach anderen Idealen ablenkenden Naturen. – Im J. 1854 übersiedelte G. nach Frankfurt a. M., wo das rege musikalische Leben eine weitere Entwicklung in erwünschter Weise förderte. Hier schrieb er eine Symphonie und wirkte als vielgesuchter und gefeierter Musiklehrer; 1856 erfolgte seine Berufung als Musikrector an die „Stella matutina“ in Feldkirch und 1857 als Professor und Chordirigent nach Schwyz, wo er unverdrossen an der Heranbildung eines gutgeschulten Kirchenchors arbeitete und die Jugend für die Musik und alles Schöne durch Vorlesungen über Aesthetik begeisterte. Nur schwer trennte er sich 1861 von dieser ihm ganz zusagenden Wirksamkeit, um dem alternden Vater in seiner Stellung zu St. Gallen als Stütze und Ersatz zu dienen. Hier bekleidete G. an der Kathedrale (woselbst 1863 sein als Redner und Gelehrter hervorragender Oheim Dr. Karl Johann Greith als Bischof inthronisirt wurde) von 1861–1871 die unter den damaligen Verhältnissen nicht neidenswerthe Stelle eines Chordirectors. Es gab schwere Mühen und bittere Kämpfe, einerseits aus dilettantischen Kräften ein erträgliches Orchester zu schulen, andererseits einer strengeren, kirchlich-musikalischen Richtung die Wege zu bereiten. Zehn Jahre lang kämpfte er mit zahllosen Schwierigkeiten; es galt eine verrottete Menge von altem Schlendrian, hergebrachten [538] Vorurtheils und unbotmäßigen Willens zu besiegen. G. arbeitete mit energischem Eifer und ging selbst mit dem besten uneigennützigsten Beispiel voran. Seine unbeugsame Kraft und sein Vorbild drangen endlich durch. In dieser vielbewegten, angestrengten Zeit fand G. immer noch Stimmung und Lust zu eigenen Schöpfungen, welche gerade durch den Gegendruck nur um so frischer und fröhlicher, in originellster Weise sich drängten. Er schrieb eine Anzahl von Vocal- und Instrumentalmessen, viele Motetten und Graduale, Vespern und Litaneien, religiöse und auch weltliche, an den Volkston anklingende Lieder, je nach Stimmung oder Bedarf des ihm gerade zuständigen Auditoriums. Endlich überwog der Wunsch, wenigstens einige Zeit, ganz der Ausführung seiner Lieblingsprojecte zu leben, alle Bedenklichkeiten und zeitigte den Entschluß, vorläufig interimistisch seine Stelle niederzulegen.

Seit 1864 auf das glücklichste verheirathet, ließ er sich mit seiner sehr musikalisch gebildeten, feinfühligen Gattin zu München nieder, daselbst nur dem eigenen Schaffen zu obliegen. Hier reiften die Singspiele für Frauenstimmen „Jung Rubens“ (Text von Elise Baronin v. Sainte-Marie-Eglise, mit Clavier, Violine und Cello, Regensburg bei Manz, auch mit engl. Text von J. H. Sprange, München 1880 bei Aibl), „Der Mutter Lied“ (Text von Grety Zenner, München bei Falter & Sohn, in zwei Auflagen), „Der verzauberte Frosch“ (von Franz Bonn, Leipzig bei Breitkopf & Härtel), acht „Charakterstücke für Clavier“ (Cassel bei Luckhardt) u. a., welche im Institut Ascher, wo G. den begabtesten Elevinnen Clavierunterricht ertheilte und durch seine Strenge wie durch seinen Humor enthusiastisch als Lehrer verehrt wurde, zuerst zur Freude von Jung und Alt aufgeführt wurden und von da ihren Weg in weitere, verwandte Kreise antraten. Außer vielen, jugendlichen Kräften nicht immer leicht liegenden Liedern und Chören (darunter auch die Musik zu der durch Eduard v. Steinle mit Bildern ausgestatteten dramatischen Dichtung W. Molitor’s „Der Weihnachtstraum“, Mainz 1867) componirte G. ein wuchtiges „Requiem“ (bei Rieter-Biedermann in Winterthur), verschiedene Festmessen, z. B. „in honorem St. Clarae“ (bei Benziger in Einsiedeln), zu Ehren des hl. Joseph (bei Pustet in Regensburg) und Gallus (bei Falter & Sohn München), fünf reich instrumentirte Festmessen u. s. w. Der nahe liegende Wunsch, seine eigenen Werke zu dirigiren und wieder an der Spitze eines selbstgeschulten Orchesters zu stehen, brachte ihn dazu, 1877 die Capellmeisterstelle an der Münchener Frauenkirche zu übernehmen. Hier waltete er nun mit stählerner, rücksichtsloser Energie und aufopferndem, unermüdlichem Fleiß, um Herkömmliches auszurotten und Besseres anzubahnen. Seinem ganzen Bildungsgange gemäß und als Schüler von Ett hatte er immer die altclassische Musik gepflegt und längst vor dem Auftreten und Bekanntwerden der sogen. „Caecilianer“ sich der größten Strenge beflissen. Später mit Franz Witt befreundet und principiell dessen puristischen Bestrebungen zugethan, trennte er sich von den einseitigen und archaistischen dieser, gleich der Beuroner Malerschule, allzu retrospectiven Tendenzen huldigenden Richtung. Er schritt auf seinen eigenen Wegen vereinsamt weiter, welche bei der geringen Beachtung von Seite des damaligen Domcapitels auf sehr gleichgültiges Verständniß stießen. Ein Feind aller Reclame – brachte er sogar seine eigenen neuesten Tonschöpfungen ohne den Namen des Autors zur Aufführung – ging er allen Musikreferenten und Fachschriftstellern aus dem Wege, indem er zur Verzweiflung seiner Freunde unerbittlich dem Grundsatze huldigte: was zur Erbauung, Erhebung und Förderung der Andacht gereiche, bedürfe keines „Theaterzettels“. Zusammenhängend mit dieser Ansicht, veranstaltete er in engeren Kreisen kleine Concerte, wobei die Compositionen verschiedener Meister, aber ohne Namenangabe [539] zur Aufführung kamen, weil das Schöne nur durch seinen inneren Werth erfaßt werden müsse. Theilweise in Einklang mit dieser Auffassung, andererseits aber auch in der immerhin löblichen Intention, die ziemlich veraltete Domchor-Bibliothek mit ihren vergessenen früheren Tondichtern wieder brauchbar zu machen und auszunützen und die ohnehin schwach fundirte Cassa durch Neuanschaffungen nicht zu sehr zu belasten, übersetzte, excerpirte und transcribirte er unzählige Arbeiten der alten Zopfmeister, die daselbst gefundenen Goldkörner seiner Fassung einfügend und anbequemend: eine mehr als 8000 Folioseiten füllende, im buchstäblichen Sinne gewiß ganz namenlose Mühe und Arbeit! So kam es, daß außer den wenigen Kennern seiner übrigens sehr eigengearteten, zur Tonmalerei und melodiösen Rhythmik hinneigenden Musik, das große Publicum in München den Componisten kaum kannte, indeß die stattliche Zahl seiner im Druck edirten sechzig Opera auswärts zahlreiche Freunde, gleiche Pflege und weiteren Boden gewannen. G. lebte eingezogen und persönlich beinahe unbekannt in der behaglichen Stille seines idyllischen Heims, welches er nach etlichen Versuchen endlich in einem clavierfreien Winkelchen gefunden hatte. Hier, mit der Aussicht auf einen Singvogel-durchschwirrten Garten, die an seinem Fenster immer reichlich gedeckte Weide fanden, oblag G. der angestrengtesten Arbeit, in rastlosem Wechsel Neues schaffend, Altes umgießend, so daß die spätere Zeit erst seiner Thätigkeit gerecht werden mag. Hier hatte der mit Chordiensten, Verwaltung, Abrechnungen u. s. w. überlastete Mann ein wahres Künstlerleben etablirt, welches einzig im eigenen Schaffen Ruhe und Genügen fand. Er blieb immerdar neidlos, edel, frei, ein echter Sohn seiner Berge. Wie im Umgang, so kennzeichnete ihn auch in seinen Briefen, officiellen Berichten, kritischen Aufsätzen und sonstigen schriftlichen Kundgaben ein leise ironisch, auch sarkastisch gefärbter gerne mit lateinischen Citaten bespickter Humor. Materielle Genüsse, mit Ausnahme einer guten Cigarre, kannte er nicht, Alkohol und Zukunftsmusik, obwol mit dem Hauptträger derselben in jungen Jahren befreundet, liebte er nicht. Die wetterfeste, knochige Gestalt mit der merkwürdig hohen klaren Stirne und den tiefliegenden, hellbraunen, ein mildes Feuer ausstrahlenden Augen, schien ein langes Leben beanspruchen zu dürfen. Da setzte ein scheinbar leichter Schlaganfall, nach kurzen, qualvoll gesteigerten Leiden, ein unerwartetes Ende. Der herrliche Psalm „Beatus vir, qui timet Dominum“ gab den Text zu seiner letzten Composition. Das kann als Motto seines ganzen Denkens und Strebens gelten, welches immer in höheren Sphären und ewigen Harmonien schwebte. – Die Mehrzahl seiner Compositionen erschienen im Verlag von Benziger in Einsiedeln; sein Nachlaß wurde durch Ign. Mitterer (Propst von Ehrenburg und Domchordirector in Brixen) bei Joh. Groß zu Innsbruck in sechs Lieferungen herausgegeben. „Für Carl Greith’s Freunde ein Andenken aus seinen Briefen“ edirte seine Frau (Freiburg 1888 bei Herder, 84 S., kl. 8° mit Bildniß).

Vgl. H. Mendel’s Musikal. Conversationslexikon. Berlin 1874. IV, 350. – Beil. 325 d. Allgem. Ztg., 23. November 1887. – Battlogg in „Der Kirchenchor“ (Organ der Caeciliavereine Vorarlbergs u. der Diöcese Gurk. Nr. 4 ff. 1888. XVIII. Jahrg.). – Maria Rapp (geb. Baronin di Pauli) in „Kathol. Warte“. Salzburg 1895, S. 183 ff. – Rede des Pfarrer Eisenring von Mosnang (Kanton St. Gallen) auf Karl Greith „den größten schweizerischen Musiker“ (in der Section für Cultur- und Kunstgeschichte auf dem fünften internationalen Congreß theolog. Gelehrter zu München 1897).