ADB:Grupen, Christian Ulrich
Lorenz Andr. Hamberger nennt er unter den Jenenser Professoren als den, dem er die ganze Methode sich selbst zu unterweisen verdanke. Nachdem er den Regierungsantritt des Hauses Hannover in England durch eine am 11. Januar 1715 zu Jena gehaltene Rede „De successione Britannica legitima stirpis Guelphicae a principe regia Sophia electrice descendentis“ gefeiert hatte, verabschiedete er sich von der Universität [61] und ließ sich im selben Jahre als Advocat in der Stadt Hannover nieder. 1719 erwählte ihn der Magistrat zum Syndicus, 1725 den 11. August einstimmig zum Bürgermeister der Altstadt Hannover, einem Amte, das er länger als 40 Jahre bekleidet hat. 1729 ertheilte ihm König Georg II. das Prädicat eines Rathes und berief ihn 1734 zum Mitgliede des Consistoriums. – Was Grupen’s Namen im Andenken der Nachwelt erhalten hat, sind im engeren Kreise seine Verdienste um die von ihm verwaltete Stadt, im weiteren seine Arbeiten auf dem Felde germanistischer Jurisprudenz. Zur Beschäftigung der Armen errichtete er vor dem Steinthore eine Parchentfabrik, die sein Nachfolger Aleman zum Armenhaus erweiterte; er ordnete das Leihhaus, das Archiv, die Register zur Feststellung der städtischen Güter und Gerechtsame, führte das Stadtpfand- oder Hypothekenbuch ein und war ein unermüdlicher Vertheidiger der städtischen Rechte, die er durch eine gründliche Durchforschung des Archivs auf ihre Quellen zurückzuverfolgen vermochte und nicht selten, wie z. B. das statutarische Erbrecht der Ehefrau, aus langer Vergessenheit wieder an’s Licht brachte. Das größte seiner Verdienste um die Stadt ist deren Erweiterung. Nachdem er 1741 die Gegend innerhalb des Steinthores ausgebaut, 1746 die kirchliche Organisation der sogenannten Gartengemeinde gefördert, beschäftigte ihn in den folgenden Jahren die Anlage eines neuen Stadttheils, der Aegidien-Neustadt im Südosten Hannovers. Das Unternehmen, die Stadt um mehr als hundert Wohnhäuser zu vergrößern, stieß auf den heftigen Widerstand in einem Theile der Bürgerschaft, der, die Verminderung des Werthes der vorhandenen Häuser befürchtend, den Bürgermeister bei der Regierung verklagte und, da er dahin arbeite, die Bürgerschaft unglücklich zu machen, seines Amtes zu entsetzen beantragte. Konnte die Regierung auch nicht umhin, eine commissarische Untersuchung der Beschwerde anzuordnen, so ergab sie doch eine glänzende Rechtfertigung Grupen’s. Neben der eifrigen Wahrnehmung seiner Amtspflichten fand G. Zeit zu einer regen schriftstellerischen Thätigkeit und zur Verfolgung umfassender litterarischer Pläne. Anfangs und zwischendurch auch später noch dem römischen Rechte zugewandt, haben seine Arbeiten vorwiegend gelehrte Materien des deutschen Rechts zum Gegenstand. Nicht daß er praktischen Aufgaben seine Feder versagt hätte, es finden sich genug solchen Zwecken dienende Abhandlungen in der langen Reihe seiner Schriften, und gleich die umfassendste unter seinen älteren Arbeiten, die 1737 veröffentlichten, aber schon viel früher, hauptsächlich wol während seiner Thätigkeit als Advocat verfaßten „Disceptationes forenses“ gehört in diese Kategorie. Aber wie bezeichnend ist es, daß mehr als die Hälfte des über 1000 Seiten starken Quartanten den angehängten sechs Observationes gewidmet ist, die in keinerlei Zusammenhang mit den voranstehenden Erörterungen gemeinrechtlicher Streitfragen stehen und nur dem Wunsche des Autors, sich von den strepitus forenses durch Forschungen auf dem Gebiet der deutschen Alterthümer zu erholen, ihren Platz verdanken. Das ist von nun ab das Feld seiner eifrigsten Wirksamkeit. Es muß genügen, einzelne der hierher gehörigen Schriften namhaft zu machen: „Deutsche Alterthümer zur Erläuterung des sächsischen und schwäbischen Land- und Lehnrechts“, 1746 – „De uxore Theotisca“, 1748 – „Observationes rei agrariae Germanicae“, 1758 – „Origines Germanicae“, 1764–68 – „Observationes rerum et antiquitatum Germanicarum et Romanarum“, 1763, denen sich speciellere Arbeiten, die ihn besonders interessirenden Gegenden gewidmet sind, wie die „Origines et antiquitates Hanoverenses“, 1740 und „Origines Pyrmontanae et Swalenbergicae“ 1740, anreihen. Alle diese Abhandlungen, mit denen noch zahlreiche Aufsätze gleicher Art in Zeitschriften, namentlich dem hannoverschen Magazin und den hannoverschen gelehrten Anzeigen, zu verbinden sind, theilen die charakteristischen Züge, welche den Arbeiten der [62] Rechtsantiquare des vorigen Jahrhunderts anhaften. Ausgebreitetste Belesenheit in den Quellen und zwar Geschichtsschreibern und Urkunden, Benutzung derselben mit, wenn auch nicht ausreichender Kritik werden um ihre Wirkung gebracht durch die mangelhafte Erforschung des Zusammenhanges, des zeitlichen wie des inhaltlichen, durch das Bruchstückhafte der Arbeiten, durch die Geschmacklosigkeit des Vortrages, dessen Faden dem Leser unter weitschweifigen Excursen und ermüdender Polemik verloren geht. Ganz besonders verlockend sind für den Autor die Streifzüge in das philologische Gebiet, aber gerade sie führen bei der unzureichenden Sprachkenntniß und der Sucht, mittels celtischer Etymologieen zu helfen, nur zu oft zu unhaltbaren Resultaten. So theilen denn auch die Schriften Grupen’s mit denen der ganzen Richtung das Loos, in die Entwicklung der germanistischen Rechtswissenschaft wenig förderlich eingegriffen zu haben, so daß sie heutzutage kaum zu anderen als litterarhistorischen Zwecken noch aufgeschlagen werden. Fruchtbarer hat sich dagegen ein anderer Theil seiner Arbeiten erwiesen. Schon von früh her war sein Interesse mit besonderer Vorliebe der Litteratur der deutschen Rechtsbücher zugewandt. Ihnen galt ein Plan, der ihn Jahrzehnte lang beschäftigte und von kleinen Anfängen aus sich immer mehr erweiterte. Bei Veröffentlichung der „Disceptationes forenses“ im J. 1737 äußerte er die Absicht, einen ihm zu Händen gekommenen Codex des Sachsenspiegels, der der Stadt Hameln gehörte, ohne einigen Zusatz und Aenderung dem Publico zu communiciren. Zehn Jahre später übergab er der Presse einen Tractat von den sächsischen Rechtsbüchern, der die Edition eines „Corpus juris Saxonici veteris“ theils ankündigen, theils vorbereiten sollte. Die Quellensammlung sollte das sächsische Land- und Lehnrecht, das Magdeburger Weichbild, die Glosse und die Bilder zum Sachsenspiegel, den Richtsteig Land- und Lehnrechts und endlich den Schwabenspiegel, als aus dem Sachsenrecht ausgegangen, umfassen. Als aber der Druck bis zur 192. Seite vorgeschritten war, entwich der Buchdrucker aus Hannover, nachdem er zuvor die fertigen Bogen des Werkes an die Krämer als Maculatur verkauft hatte. Der Torso wurde eine buchhändlerische Rarität; nach einem in Celle erhaltenen Exemplar hat E. Spangenberg 1822 die Grupen’sche Abhandlung, theils wörtlich, theils auszugsweise und ergänzt aus der Handschrift des Verfassers in seinen Beiträgen zu den Teutschen Rechten des Mittelalters mitgetheilt. Sie läßt erkennen, wie umfassend und gründlich Grupen’s Studien im Gebiete der Quellengeschichte waren, und bedauern, daß ihr durch den Mangel rechtzeitiger Veröffentlichung der beste Theil ihres Werthes, der Einfluß auf den Gang der germanistischen Studien, geraubt wurde. So ausgedehnt der bei Abfassung das Tractats zu Grunde liegende Plan war, so genügte er G. doch noch nicht. 1751 erschien die Ankündigung eines „Corpus juris feudalis Langobardici“ und eines „Corpus juris Weichbildici“, und das Project jenes Corpus juris Saxonici veteris findet sich nachher noch erweitert durch Aufnahme der lex Saxonum, vollständiger Abdrücke verschiedener Sachsenspiegelhandschriften nebeneinander und eines kritisch-linguistisch-exegetischen Commentars, zu dessen Herstellung er sich mit einer Reihe deutscher Gelehrten, wie Moser, Senckenberg, Estor, Gebauer, Strube u. a. verbinden wollte. Die wiederholten Ankündigungen blieben ungeachtet ihrer zuversichtlichen Ausdrucksweise: von dem Herrn Consistorialrath G. gehen zum Druck, oder: es sind der Presse übergeben, ohne Resultat. Der Umfang des Werkes, der Columnendruck, die Kupfer nach den Bildern der codices picturati überstiegen die Kräfte der Verleger. Die einzige Quellenpublikation, die aus dem reichen Material an’s Licht kam, war der holländische Sachsenspiegel, ursprünglich als Beilage zu jenem Tractat bestimmt und bereits gedruckt, aus geretteten Exemplaren dann 1763 als besondere Schrift veröffentlicht. Mochte nun auch das Unternehmen an seiner allzu großen Ausdehnung [63] scheitern, die jahrzehntelangen, mühsamen, weit gediehenen Vorarbeiten sind für die Wissenschaft nicht ganz verloren gegangen und haben dem Autor Ehre und Anerkennung von allen denen eingetragen, die später auf dem Felde der deutschen Rechtsbücher thätig gewesen sind. Wenn ein Homeyer ihn den gelehrten und kritischen G. nennt und seinen bedächtigen, auf das Tüchtige gerichteten Geist rühmt, so bedarf es keins weiteren Lobes. Sowol der Apparat, mit dem er arbeitete, als die Untersuchungen, die ihm im Gebiet der äußeren Rechtsgeschichte gelangen, beweisen die Solidität seiner Forschung. War es schon anerkennenswerth, daß er sich von der Art der Sachsenspiegeleditoren bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts, die nur ältere Druckausgaben zu wiederholen wußten, losmachte und wie sein nächster Vorgänger Gärtner auf Handschriften zurückgriff, umwieviel übertraf er ihn doch, wenn er deren 36 zusammenbrachte. Nicht minder gründlich und umfassend waren seine Sammlungen der Drucke des Sachsenspiegels, der Handschriften des sächsischen Lehnrechts, des Richtsteigs. In der Werthschätzung der Handschriften hat er allerdings wol fehlgegriffen, so wenn er die Oldenburger Handschriften des Sachsenspiegels aus der Mitte des 14. Jahrhunderts für die ältesten hielt, was ihn in eine litterarische Fehde mit Senckenberg verwickelte, dessen visiones diversae de collectionibus legum Germanicarum (1765) er im hannoverschen Magazin 1765 Nr. 57–60 beantwortete. War ihm auch der schnellfertige Senckenberg in der Veröffentlichung des Richtsteigs zuvorgekommen, so erlebte G. doch die Genugthuung, daß er, gelegentlich jener Polemik das Material seines Gegners kennen lernend, im Gefühl seiner Schwäche von dem Vorhaben abstand, den Sachsenspiegel im Fortgang des von ihm begonnenen „Corpus juris Germanici“ zu veröffentlichen. – In einer Anzahl rechtsgeschichtlicher Fragen des bezeichneten Gebiets ist G. zu Resultaten gelangt, welche die spätere Forschung nur bestätigen konnte. So ist es ihm gelungen, die früher herrschende Vorstellung von der Abfassung der Glosse durch mehrere zu überwinden, in Johann v. Buch den ältesten Glossator des Sachsenspiegels zu erkennen und den für die Geschichte der Glosse so lehrreichen lateinischen Glossenprolog zum ersten Mal zu benutzen. Gegenüber den schwankenden Meinungen der Früheren suchte er auch über Johann Klenkok, den Verfolger des Sachsenspiegels im 14. Jahrhundert, zu festeren Ansichten zu gelangen. Die übertriebenen Ansichten, welche Senckenberg über den Werth des von ihm zuerst veröffentlichten kleinen Kaiserrechts vorgetragen hatte, führte G. auf ein richtiges Maß zurück und ersetzte dessen abenteuerliche Datirung des Rechtsbuches durch eine richtige. –
Grupen: Christian Ulrich G., wurde im Juni 1692 zu Harburg (an der Elbe) geboren. Seine Eltern waren Joachim G., damals Amtmann zu Harburg, später waldeck’scher Kammerrath († 1729), und Anna Marie Osterwald, Tochter des Oberamtmanns Osterwald zu Kalenberg. G. erhielt seine erste Bildung auf der Martinsschule zu Braunschweig, deren Leiter, Joh. Albr. Gebhardi, ein tüchtiger Kenner der römischen Litteratur, seinem Schüler die innigste Liebe zur Wissenschaft einzuflößen verstand. 1710 bezog er die Universität Rostock, mußte sie aber schon im nächstfolgenden Jahre der Kriegsunruhen wegen wieder verlassen und begab sich zu seinem Großvater Osterwald, der ihn auf der Amtsstube zu Kalenberg praktisch beschäftigte, bis er im Herbst 1712 die unterbrochenen Studien in Jena wieder aufnehmen konnte. Er erzählt aber von diesem Aufenthalte, daß ihn die Anweisung der Professoren sehr wenig ad solidam et masculam jurisprudentiam sufficient erschienen und er selbst durch beständiges Nachsinnen, durch Lesung der solidesten juristischen Bücher und durch unablässigen Fleiß sein bester Lehrmeister gewesen sei.Am 10. Mai 1767 starb G. zu Hannover. Schon im J. 1743, wahrscheinlich veranlaßt durch seine freundschaftlichen Beziehungen zu dem Oberappellationsrath Friedr. v. Beurhaus, schenkte er seine reiche Bibliothek, die vorhandenen wie die noch anzuschaffenden Werke und Manuscripte, unter der Bedingung des Gebrauchs derselben für seine Lebenszeit und der eventuellen Anstellung eines seiner Verwandten als Bibliothekar, dem Oberappellationsgerichte zu Celle, in dessen Besitz sich seit 1767 der ganze Apparat Grupen’s für die Herausgabe des „C. juris Saxon. veteris“ einschließlich sechs Originalhandschriften sächsischer Rechtsbücher und zahlreicher Abschriften anderer Manuscripte befindet. Zugleich setzte G. einen ansehnlichen Fonds aus theils zur Besoldung des Bibliothekars, theils zum Ankauf neuer Bücher. – G. war zweimal verheirathet, zum erstenmal mit der Tochter des Kämmerers Droste, in zweiter Ehe mit Margarethe Henriette Heiliger, Tochter des kurhannoverschen Oberzahlmeisters Heiliger. Eine der drei Töchter aus dieser Ehe, Ulrike Antoinette, heirathete 1767 den kurhannoverschen Hauptmann Thibaut und wurde die Mutter der beiden berühmten Träger dieses Namens, des Heidelberger Pandektisten [64] A. Friedr. J. Thibaut (1772–1840) und des Göttinger Mathematikers Bernhard Thibaut (1775–1832).
- Nachrichten v. niedersächsischen berühmten Leuten, Bd. II (Hamb. 1769), S. 172–92. Rotermund, Gelehrtes Hannover II, S. 190 ff. An beiden Stellen finden sich vollständige Verzeichnisse von Grupen’s Schriften. Iffland (Stadtgerichtsdirector in Hannover) im neuen vaterländ. Archiv f. Hannover, Jahrg. 1830, Bd. I S. 48–86. v. Bülow, Verfassung des Oberappellationsgerichts zu Celle, Thl. I S. 379. E. Spangenberg, Beiträge S. 3 ff. Nietzsche, (Hallische) Allg. Litteraturzeitung 1827, Bd.III S. 690. J.Grimm, Rechtsalterthümer S. V. Homeyer, Sachsenspiegel 3. Ausg. S. 82, Thl. 2 Bd. I S. 116; Prolog z. Glosse des sächs. Landr. S. 4; Joh. Klenkok S. 380; Richtsteig Landrechts S. 34. Stobbe, Gesch. der deutschen Rechtsquellen I S. 376, 439, 582.